Josef war todtraurig! Er hatte akzeptiert gehabt, dass es in Sonjas Vorleben wohl etwas Traumatisches gegeben haben musste, das sie dazu bewog, sich noch nicht ganz zu öffnen, noch ein Geheimnis in sich zu tragen. Es war keine leichte Entscheidung für ihn gewesen doch er war zu verliebt gewesen, um die Chance auf diese tolle Frau, ungenützt verstreichen zu lassen. Sollte sie halt ein Geheimnis haben. Wenn sie sonst ehrlich zu ihm war! Aber er hatte eben schmerzlich erfahren, dass es ausnahmslos Lügen waren, die sie ihm aufgetischt hatte! Noch nicht mal der Name war echt...
Er saß mit gesenktem Kopf im Gras und hatte innerlich mit ihr abgeschlossen. Ihm war klar, dass eine weitere Beziehung mit ihr keinen Sinn mehr hatte. Ein seltsames Raunen hatte die Leute erfasst, das ihn aufhorchen ließ. Er sah in die Richtung aus der es kam. Die Leute gingen nach oben und zeigten zum Teil auf eine Stelle am Geländer. Dort stand eine Frau... auf der Außenseite! Es war Sonja! Sie hatte offenbar vor, ihrem Leben ein Ende zu setzen.
Das Herz schlug ihm bis zum Hals! Das hatte er nicht gewollt! Er konnte doch nicht zulassen dass sie da runterspringt! Sofort lief er in ihre Richtung.
>>Sonja! Um Gottes Willen! Geh sofort da weg! Bist du verrückt geworden. Das ist doch keine Lösung! Egal wofür! Bitte! Lass uns darüber reden! Bitte! Sei doch vernünftig!<<
Vorsichtig näherte er sich.
>>Sonja bitte! Hör mir zu!<<
>>Geh! Komm ja nicht näher!<<
>>Aber Sonja…<<
Es war unmöglich, geradewegs auf sie zuzugehen, also stieg er etwa fünf Meter rechts von ihr ebenfalls über das hölzerne Geländer. Mit dem Gesicht zum Abgrund, die Hände hinter dem Gesäß am Geländer näherte er sich unmerklich in kleinen Schritten seiner offenbar völlig verzweifelten Freundin.
>>Sonja so hör doch! Ich habe dir nie etwas versprochen! Du hast dich in mich verliebt! Das schmeichelte mir! Natürlich war das schön für mich… aber du hast mich belogen! Ich hab dich doch nie im Unklaren gelassen… Ich habe dir gesagt, du darfst mich nicht mehr belügen! Sonja, so hör doch...<<
Unaufhaltsam kam Josef Brantner der Lebensmüden näher. Mittlerweile waren auch mehrere Touristen auf die beiden aufmerksam geworden und kamen bis auf etwa zehn, zwölf Meter an die Stelle heran.
>>Stopp! Bleiben sie stehen!<< rief Sonja, >>Keinen Schritt weiter... oder ich springe!<<
Die Leute blieben stehen. Zwei Jugendliche, ein Junge und ein Mädchen, nahmen eiskalt ihre Smartphones raus und filmten die beängstigende Situation. Josef sah seine Chance gekommen und ließ mit der Rechten das Geländer los, um nach Sonja zu greifen… Sie sah ihn hilfesuchend mit ihren verweinten Augen an... Da! Sie streckte ihm die Hand hin! Es sah fast so aus, als sei es überstanden, er fasste ihre Rechte...
Mantodea hatte seine Hand ergriffen und fest zugepackt! Der Reisnagel bohrte sich schmerzhaft in seine Handfläche, so dass er im Reflex nur Sekundenbruchteile die Konzentration auf das Geländer zu seiner Linken verlor und Mantodea drehte seine Rechte ebenso unerbittlich, wie unauffällig nach außen! Mit ungläubigem Blick auf Christina verlor er den Halt und stürzte vor den Augen der Umstehenden in den Tod...