Sie sind Mörder.
Sie tun es seit Jahrzehnten und sie würden es auch in Zukunft tun. Und niemand würde sie aufhalten. Denn niemand hält das, was sie tun, für falsch. Ganz im Gegenteil.
Wir sind ihre Opfer.
Unzählige von uns. Wir werden geboren, nur damit sie uns töten können. Denn sie sehen uns nicht als Menschen. Für sie sind wir entbehrlich, haben keine Gefühle. Haben nicht das Recht, Gefühle zu haben. Denn wir sind nur Ersatzteilspender für die, die sie als wichtig ansehen.
Wir sind Klone.
Gezüchtet in Reagenzgläsern, geboren von denen, die ausersehen waren, als Gebärmaschinen immer mehr von uns zu produzieren, bis ihre Körper versagten und man sie ausschlachtete.
Man scharrt uns zusammen, entreißt uns den Frauen, die uns geboren hatten, in der Sekunde, in der die Nabelschnur durchtrennt wird, und zieht uns in speziell dafür erbauten Häusern auf, von der Außenwelt abgeschnitten, isoliert, allein.
Wir haben nur uns. Wir haben keine Eltern, haben keine Familie. Nur die Aufseher in den Häusern, die uns erziehen, uns gut ernähren, körperlich gesund halten. Sogar Bildung erhalten wir. Damit wir nicht träge werden.
Denn das würde unsere Gesundheit beeinträchtigen, uns wertlos für ihre Zwecke machen. Das würde verhindern, dass wir unsere Pflicht erfüllen. Die, wegen der wir leben durften, wenn auch nur für einige Jahre.
Und nicht einmal diese sind garantiert. Wenn für die, die als wichtig angesehen wurden, die Notwendigkeit besteht, endet unser Leben oftmals auch deutlicher früher als normal.
»Normal« sind um die 25 Jahre. Dann fangen sie an, uns systematisch umzubringen. Nach und nach nehmen sie uns all das, was wir zum Leben brauchen, entreißen uns die Organe, ohne die kein Mensch überleben kann, und nehmen es mitleidslos hin, wenn wir auf dem Operationstisch sterben.
Denn dann haben wir unsere Pflicht erfüllt.
Wir, die Minderwertigen, Zweitrangigen, sterben, um das Überleben der Wichtigen zu garantieren. Unsere Körper werden ausgeschlachtet wie ein altes Auto, um das Leben der anderen zu verlängern. Unsere Überreste werden, zusammen mit vielen anderen von uns, zu Asche verbrannt und verschüttet. Als natürliches Düngemittel.
Denn jemand, der kein Leben hat, hat auch kein Grab verdient. Es würde ja ohnehin niemand kommen, um uns zu betrauern. Keiner würde uns eine Träne nachweinen.
Nur wir tun es, für alle die von uns, die wir verlieren, für alle die, die in Erfüllung ihrer Pflicht dahinscheiden und wie Müll entsorgt werden.
Wir weinen um die Verstorbenen und wir weinen um uns selbst. Wir weinen um unsere Zukunft, die uns genommen wird, noch bevor wir geboren sind. Wir weinen wegen der Willkür unserer Mörder, die uns zu Menschen zweiter Klasse macht, die uns das Recht aberkennt, ein eigenes Leben jenseits der sicheren Häuser zu haben, die uns Gefühle aberkennt, wie sie jeder Mensch hat.
Die uns zu lebenden Ersatzteilspendern abwertet, die nur dafür existieren, um aufgeschnitten und ausgeschlachtet zu werden.
Unsere Gesellschaft sieht nichts Negatives an dieser Vorgehensweise. Sie sehen den medizinischen Vorteil, über gesunde und frische Spenderorgane zu verfügen, wann immer welche benötigt werden. Die meisten machen sich keine Gedanken um die Menschen, die diese Organe, oftmals im Austausch gegen ihr eigenes Leben, abgeben. Und sie würden es wohl auch nicht wollen.
Womöglich hätten sie dann ein schlechtes Gewissen. Und danach steht wohl niemandem der Sinn. Womöglich könnte niemand sein frisches, neues Organ genießen, wenn er bewusst darüber nachdenkt, dass dieses nur entnommen werden konnte, weil ein anderer, gesunder, junger Mensch dafür gestorben ist.
Und weil niemand darüber nachdenken möchte, wird es immer so weiter gehen.
Die Gesellschaft ist unser Mörder.
Wir sind die ungezählten Opfer, von denen sich niemand wirklich bewusst ist, wie entscheidend wir für das Überleben so vieler waren, während man uns kein Leben erlaubte.
~ ENDE ~