Am Anfang stand die Erde still. Die Finsternis umschlang die Welt, die wir heute als so lebendig kennen. Es gab einfach nichts auf diesem leeren Planeten - weder die Zeit, die den Fortschritt brachte, noch hatte sich die Hoffnung an diesen trostlosen Ort vorgewagt, der so unwirtlich und kalt wirkte. Alles, was es im Überfluss gab, war stillschweigender Sand, der von der Sonne angestrahlt, aber nicht recht erwärmt wurde und alles war so öde, dass es beinahe schon traurig mit anzusehen war.
Das dachte auch Daitis, der Herr der Zeit, als er auf seinem Ross in den Farben des Nachthimmels über das Firmament jagte und seine Pflicht tat. Sein Leben lang schon gab er auf die Planeten im Sonnensystem acht, brachte Sonne in seinem ganz eigenen Rhythmus zum Strahlen und hielt das Universum in Reih' und Glied, dass auch ja die Pläne, die die Götter für das Universum vorgesehen hatten, noch bevor dieses zu existieren begann, werden konnten. Es lähmte Daitis förmlich, wie die Erde dort so verlassen da lag, wo sie doch der wichtigste aller acht Planeten werden sollte.
So ließ er sein Reittier, mit Namen Sterla, innehalten und betrachtete lange diese Welt, darüber nachdenkend, wie er dieser Eintönigkeit ein Ende machen könnte. Diese überwältigende Unzufriedenheit zwang den Gott schließlich zu drastischen Maßnahmen, die ihm jedoch eigentlich verboten waren. Denn allein der Göttin der Erde und des Lebens war es vorbehalten, über das Schicksal eines ganzen Planeten zu entscheiden und ohne ihre Erlaubnis, klagte sich Daitis mit seinem Vorhaben des Hochverrates an.
Dennoch schlich sich der Zeitenherr nach getaner Arbeit in sein eigenes Reich, wo ihn keiner der übrigen Götter bei seinem Verrat beobachten konnte. In sich zusammen gesunken und grübelnd saß der Gott der Zeit dort auf seinem Thron und haderte mich sich selbst, ob er nun wirklich in den Willen der Götter eingreifen sollte, die sich eher für sich selbst, als für das Schicksal derer, die noch nicht einmal geboren worden waren, interessierten.
Schon ewig plagte ihn das Unrecht, das seine Geschwister ihm im Zuge der Weltenschöpfung angetan hatten - sie hatten ihn von seinem Platz an der Spitze der Weltordnung verdrängt, obwohl Daitis der Älteste von allen Göttern war, der geschaffen wurde, um das Gleichgewicht allen Lebens zu wahren. Denn ohne seine Gabe der immer fortlaufenden Zeit hätte die Mutter aller übrigen Götter, Tersa, weder ihre Kinder noch diese Welt, die ihm nun verlassen zu Füßen lag, erschaffen können. Und dennoch hatten diese Narren ihren Vater verstoßen. Selbst seine eigenen Brüder Cita und Chentis, die Götter des Lebens und des Todes, hatten sich gegen ihr eigenes Blut gewendet und waren in den Reihen der Himmlischen verschwunden, die in den Tag hineinlebten und ihre eigentliche Aufgabe vollkommen vergessen hatten.
Warum sollte Daitis sich also nicht das nehmen, was ihm schon vom Beginn seiner Existenz an zustand?
So erhob sich der von Grahm und Schande gezeichnete Gott und ließ einen seiner geschicktesten Diener rufen. Diese Schar an Bediensteten war alles, was ihm von seiner Hochheitsstellung geblieben war, doch waren diese nur noch da, weil seine Brüder ihm diese damals überlassen hatten, als diese den prächtigen Palast, in dem sie zuvor gehaust hatten, zurückließen, um sich selbst in all dem Prunk und der Dekadenz des Kemeloms, dem Sitz der Allmächtigen, zu vergessen.
Allesamt hatten die Handlanger des Daitis keine Gestalt - sie waren der Zeit selbst gleich, konturlos und nicht erfassbar. Ohne Namen, Interessen und Stimmen vegetieren sie dahin, allein am Leben, um ihrem Herren zu dienen. Und dennoch tat sich Meilet durch seine Intelligenz und Tücke hervor, weshalb der Herr der Zeit ihn auswählte, diesen einen Auftrag für ihn zu erfüllen, den er für sich selbst als zu riskant empfand.
Meilets Herr befahl ihm, von der Mutter aller Götter die Gabe des Schöpferischen in Form ihres Atem zu stehlen, ohne sich erwischen zu lassen. Denn sollte Tersa das Vorhaben ihres Bruders durchschauen, wäre der Gott der Zeit auf ewig verloren. Was auch immer die anderen Unsterblichen dann mit ihm machen würden, ihm graute es bereits jetzt schon davor. So wollte Daitis es erst gar nicht so weit kommen lassen und wägte sich selbst lieber in Sicherheit, indem er seinen treuesten Untergebenen vorausschickte.
Auch Meilet fürchtete um seine Existenz, da er zusammen mit Daitis in der Ewigkeit verenden würde, sollte er sich ungeschickt anstellen, jedoch ließ die tiefe Ergebenheit seinem Herren gegenüber keine Zweifel zu. Ohne zu zögern machte sich der Lakai des Zeitenherren auf den Weg, Tersa aufzusuchen. Geduckt reiste der Gestaltlose dabei in den Schatten, verborgen vor den Augen der göttlichen Welt und sich ständig in der Angst suhlend, entdeckt zu werden.
Die Göttin unterdessen saß trauernd am Rand des Universums, ihre Kinder beweinend, die das Geschenk des Lebens, das ihre Mutter ihnen vermacht hat, so wenig zu schätzen wussten. In all ihrem Kummer nahm sie von Meilet, der sich in seine Gestaltlosigkeit hüllte und so nicht mehr als ein Flüstern im Wind war, keine Notiz, bis dieser zu sprechen begann.
»Du armes Kind«, säuselte der Zeitdiener in die bedrückende Stille hinein und schloss die Mutter allen Lebens in seine wie Nebel leichten Arme, »lass all deinen Kummer hinter dir und übergib dich mir, der nur dein Bestes will.«
Tersas Tränen trockneten auf der Stelle, denn die Verwirrung ließ sie ihre Trauer vergessen. »Wer bist du, Bruder, der versucht, mich von meinem Leid zu erlösen und dessen Umarmung meine Seele reinigt? Keinen Mann sehe ich vor mir, auch wenn ich eines solchen Stimme höre. Zeig dich mir, mein Freund.«
Für einen Moment hatte es Meilet die Sprache verschlagen, da er seinen Plan zuvor nicht zu Ende gedacht und überwältigt von dem Kummer der Göttermutter gehandelt hatte. Doch sein Erfindungsreichtum ließ ihn auch in dieser Situation nicht im Stich.
Er gab sich als Onerjos, den Gott der Träume, aus, der zu Tersa gekommen war, um ihren Schmerz durch Schlummer zu lindern und ihr Träume zu schenken, die sie wieder zu ihrer alten Stärke zurückfinden lassen würden. Die Göttin, die von ihrer Seelenqual vollends eingenommen wurde, glaubte dem einfachen Diener des Daitis aufs Wort und ließ sich augenblicklich von seiner Anwesenheit in den Schlaf wiegen.
Als Meilet sich schließlich sicher war, dass die göttliche Frau in seinen Armen tief und fest schlief, hauchte er ihr einen Kuss auf die Lippen, der es ihm ermöglichte, ihren lebensspendenden Atem in sich aufzunehmen und von dannen zu ziehen. Dabei hielt der Lakai die Luft den ganzen Weg über an, um nichts von der Gabe des Schöpferischen zu verschwenden. Die Macht, die Meilet dort in sich trug, ließ ihn mit jedem Schritt seine Aufgabe und sogar seine Treue zu seinem Herren vergessen.
Somit weigerte sich der Diener Daitis’ diesem den Atem Tersas zu übermitteln, damit eben jener seinen Plan vollenden konnte. Der Gestaltlose gebar sogar auf, besessen von all den Möglichkeiten, die sich ihm nun eröffneten, weigerte er sich strikt den Mund zu öffnen. Als sein eigener Gott sah Meilet sich nun, der Wahnsinn saß ihm im Nacken und machte seinen einst so herausragenden Verstand vollkommen unbrauchbar.
So sah Daitis keine andere Möglichkeit, die Gabe der Göttermutter an sich zu reißen, als seinem Lakaien in all seinem Zorn einmal auf den Rücken zu schlagen, damit dieser die Lippen öffnen und den bis dahin angehaltenen Atem entweichen lassen musste.
Dieser Akt der Verzweiflung glückte und die blasse, gräuliche Wolke, die daraufhin zwischen Gott und Untergebener schwebte, verleibte der Gott der Zeit sich selbst ein, ehe er sich von seinem ungehorsamen Diener abwandte und diesen mit Schweigen strafte, in der Hoffnung der Wahnsinn des Meilets würde alsbald vergehen und den Ungehorsam gleich mit beseitigen.
Doch weiter kümmerte sich der Gott der Zeit nicht um diesen Zwischenfall, da er es in diesem Moment als wichtiger empfand, sein Vorhaben, eine neue Welt zu kreieren, zu vollenden, als einen Seelenlosen auf den rechten Pfad zurück zu führen.
So schuf er sich zwei Söhne, die das Gleichgewicht auf der Erde wieder herstellen sollten.
Der eine hatte wildes Haar, leidenschaftlich und warm funkelnde Augen und war von Daitis aus den Strahlen der Sonne, die er hinterrücks vom Sonnengott Sawel gestohlen hatte, gefertigt worden. Der zweite Mann wirkte hingegen blasser und schmächtiger, jedoch nicht weniger kraftvoll als der Feuerknabe neben ihm und trug das kalte Sternenlicht selbst in seiner Brust.
Von Vaterstolz erfüllt, hauchte ihr Schöpfer den beiden nun zuletzt noch Leben ein, woraufhin beide Männer begannen sich zu strecken, als seien sie soeben aus einem jahrhundertelangen Schlaf erwacht.
Daitis begrüßte seine Söhne auf dieser Welt, indem er sie auf die Namen Samos und Gheimir taufte und ihnen jeweils die Aufgabe zuteil werden ließ, die sie auf ewig sorgsam zu erfüllen hatten. Samos, dem Sonnenkind, war es vorbestimmt, der Herr über die Sonne und des Feuers zu werden. Gheimir, mit seiner eher frostigen Natur, sollte hingegen der Gott der Kälte und des Eises werden, um seinem Bruder entgegen wirken zu können.
Doch schon bald, nachdem die beiden Junggötter auf die Erde gelassen wurden, um diese zu einem belebten Ort zu machen, wurde klar, dass Daitis’ Plan einige Lücken aufwies, die sich nicht im Vornherein erahnen ließen. Denn Gheimirs Gletscher und Schneedecken legten die Welt lahm, wenn Samos’ Wüstenlandschaften diese nicht gerade dahinschmelzen ließen und seine Sonnenstrahlen die Welt verbrannten. Die Brüder bekriegten sich erbittert und duldeten den jeweils anderen nicht auf ihrer Erde, die sie nach ihren ganz eigenen Vorstellungen formen wollten.
Daitis’ Unzufriedenheit über dieses Ungleichgewicht quälte ihn somit weiterhin. Er selbst hatte dieses erschaffen und lange dachte der Gott über eine treffende Lösung nach, um diesem ungezähmten Chaos ein Ende zu machen. So ließ er Wüstensand und Gletschereis von seinen übrigen Dienern sammeln, um beide Elemente zu vereinen. Durch diese erwachte Kado, der Gott des Verfalls und des Sturmes, der sich in der Gestalt eines alternden Mannes zeigte und seine Brüder missmutig beäugte, wie sie dort unten wüteten. Mit Wind linderte Daitis neuste Schöfung die Hitze des Samos und trug gleichermaßen die Schneemassen des Gheimir ab. Doch dadurch wurden die Herren der Sonne und des Eises nur noch mehr dazu gebracht, sich gegenseitig zu zerstören, um die Welt für sich zu beanspruchen. Einen neuen Feind, den es nun zu bekämfen galt, fanden sie in dem Gott, der jeweils einen Teil von ihnen selbst in sich trug. Damit hatte Daitis ein weiteres Mal versagt, der Erde Leben einzuflößen.
Voller Zorn sah Tersa zu, wie ihr Bruder schleichend das Werk zerstörte, das sie in ihrem Schweiße vor all der Zeit geschaffen hatte. Die Göttin verfluchte Daitis’ Torheit und fasste den Entschluss, dieses Elend nicht länger tatenlos mit anzusehen. Denn im Traum hatte Tersa gesehen, dass es vier Zeitensöhne brauchte, um die Erde im Gleichgewicht zu halten und den kommenden Sterblichen ein angenehmes Leben zu schaffen. Noch nicht einmal der Verrat des Daitis konnte die Göttermutter nun davon abhalten, diese immense Verschwendung ihrer Schöpfung zu zulassen.
Fern ab von all dem Chaos, das dort auf der Erde herrschte, erschuf Tersa aus ihrer reinen Lebensenergie heraus einen Knaben, der in seiner Gestalt der Unschuld selbst glich. Skero taufte die Göttermutter ihr jüngstes Kunstwerk, ehe sie das Kind mit einem mütterlichen Kuss auf die Stirn zur Erde schickte.
Genau in diesem Moment geschah das lang ersehnte Wunder: Durch das plötzliche Erscheinen des engelsgleichen Kindes, hielten die drei Götter endlich inne und begruben das Kriegsbeil, um den Neuankömmling zu betrachten. Wieder herrschte Stillstand auf der Erde, doch dieses Mal lag in der Stille keine Leere, eher Angespanntheit und Bewunderung.
In diesen Momenten der Schweigsamkeit wurde den drei Kriegern klar, wie sinnlos doch ihr zuvor so lange währender Kampf um die Vorherrschaft in einer leere Welt war. Nichts als Schmerz und Kummer hat der Neid über sie gebracht und hat die drei Götter im gleichen Atemzug geschwächt. In ihrer Raserei vergaßen sie, wer sie waren. Nämlich Brüder, die alle verbunden waren, durch den Herren der Zeit, dem sie unterstanden. Dass es erst den Anblick des kleines Skeros, der alle Anwesenden mit einem seltsam vollkommenen Seelenfrieden erfüllte, gebraucht hat, um diese Erkenntnis zu erreichen, erschien ebenso absurd, wie die Fülle an Macht, die durch die Adern dieses Knaben floß. Und dennoch endete mit dieser Begegnung das Zeitalter des Chaos, das zuvor die Erde an den Rand der Vernichtung gedrängt hatte.
Doch die vier Zeitgötter sahen keine Möglichkeit, friedlich nebeneinander zu existieren, ohne kurz darauf wieder in niemals endenden Streit zu stehen. Denn die Gier nach Macht loderte noch immer in ihren Herzen und ließ sie weiter hassen und neiden. So wandten die vier Götter sich allesamt an ihren Vater Daitis, der jedoch noch immer so eingeschüchtert von seinem eigenen Versagen war, dass er demütig seine Schwester Tersa um Rat fragte, ehe eine falsche Entscheidung seinerseits alles von Neuem beginnen ließe.
So ergab sich die Göttermutter ihrem Schicksal und teilte das Jahr, das von ihr festgelegt der Regulierung des Erdenrhythmus dienen sollte, in vier gleich große Teile ein:
Skero sollte den Anfang machen und die Welt erblühen lassen. Samos würde ihm folgen, die Blüten zu Früchten reifen und die Erde erwärmen lassen, woraufhin Kado die Ernte einholen und die Welt langsam auf die nachfolgende Ruhe vorbereiten sollte. Dies auch nur so lange, bis Gheimirs Zeit anbrach und die Erde unter Schnee und Eis zu einem wohltuenden Schlummer gebettet würde, bis sie mit dem ersten Tag des neuen Jahres wieder erwachte.
Mit diesem Beschluss gaben sich die vier Brüder zufrieden und überdauerten so die Zeit, niemals mehr nebeneinander existierend, um den Frieden der Welt auf ewig zu wahren.