Lautes Rumpeln war von der Treppe her zu hören, dann erschrockene Schreie und ein Geräusch, das klang, als wäre ein nasser Sack irgendwo aufgeschlagen. Das bemitleidenswerte Opfer, welches nun am Ende der wunderschönen alten Holztreppe lag, wimmerte vor sich hin und rieb sich den Hintern. Der Stiefelabdruck war natürlich nicht zu sehen, aber man konnte sich gut vorstellen einen auf der blanken Haut zu entdecken. Natürlich nur, falls man vor hatte dem unglücklichen jungen Mann die Hose herunter zu ziehen. Eine Platzwunde hatte er am Kopf auch davon getragen, doch ernstlich verletzt schien er nicht.
Die Gäste, die die Szene unten im Salon mit angesehen mussten, schüttelten irritiert den Kopf. Einige wollten ihm sogar zu Hilfe eilen, doch die schweren Schritte auf der Treppe hielten sie davon ab. Syke polterte die Stufen hinab. Eine Hand auf dem Geländer, die andere zur Faust geballt. Heute war er komplett in rotschwarz gekleidet, seine Haare standen wild in alle Richtungen ab und seine Augen schienen vor Wut zu lodern wie glühende Kohlen. Nachdem er unten bei seinem Opfer angekommen war, nahm er den spärlich bekleideten Jungen am Arm und zog ihn unsanft auf die Beine.
»Ich bitte diese Störung zu entschuldigen, ich kümmere mich schon um diesen Tollpatsch. Bitte liebe Gäste trinkt etwas auf Kosten des Hauses.«
Sykes Gesicht war dabei höflich und professionell wie immer. Kaum hatten sie allerdings den Salon hinter sich gelassen, versteinerte sich sein Gesicht sofort wieder.
»Du hast Glück, dass ich dich nur hinauswerfe. Weißt du was ich sonst mit Dieben mache mein Kleiner? Sie werden mein Liebessklave für den Rest ihres Lebens oder bis ich genug von ihnen habe. Was zuerst kommt.« Sykes Stimme war nur ein Zischen, doch der Lustknabe nickte hektisch, als Zeichen dafür dass er verstanden hatte.
»Wir sind ein ordentliches Haus und bestehlen unsere Gäste nicht, während wir sie an einen Bettpfosten ketten und ihnen die Augen verbinden. Obwohl ich sagen muss, dass du sehr clever warst, Charlie. Hast du noch irgendwas zu sagen?«
Charlie schluckte merklich und versuchte sich loszureißen. An der Stelle, die Syke festhielt, bildeten sich schon blaue Flecke so fest drückte er zu.
»Kriege ich noch eine Chance? Ich bin doch einer deiner meist gebuchten Jungs«, wimmerte Charlie und sah mit großen Augen zu seinem wohl nun ehemaligen Vorgesetzten.
Syke lachte.
»Was Besseres fällt dir nicht ein? Du gehst jetzt. Ich lasse dir gleich deine Tasche bringen und dann verschwindest du. Vielleicht und nur vielleicht kannst du irgendwann wieder kommen, aber erst einmal will ich dich hier nicht mehr sehen!«
Charlie nickte wie ein geprügelter Hund und rieb sich das Handgelenk. »Es tut mir leid.«
Syke nickte und gab einem der Diener Anweisungen, die Sachen seines Ex-Mitarbeiters zu packen und ihm vor allem einen Whiskey zu bringen. Dabei war ihm egal ob doppelt, dreifach oder vierfach. Hauptsache pur.
Thea sah dem jungen Mann mit der spärlichen Kleidung nach, als er das Gasthaus verließ. Das große Gebäude war beeindruckend, hell erleuchtet und man konnte selbst draußen die Musik hören. Sie griff in ihre Tasche und förderte die Münze heraus. Kein Zweifel sie war am Ziel, aber irgendwie hatte sie sich das Ganze etwas anders vorgestellt. Vor einem Monat hatte sie plötzlich die Münze mit dem Stern gefunden und im gleichen Moment eine Vision gehabt. Der Mann darin hatte sie eingeladen, zu einem Spiel um ihr Schicksal. Er war ganz in schwarz gekleidet und hatte mit einer wunderschönen rothaarigen Frau getanzt. Der Raum hatte neben der Eingangstür noch drei weitere gehabt und war hell erleuchtet von unzähligen Leuchtern und Lampen.
»Wir spielen um deinen größten Wunsch Thea.«
Das waren seine Worte gewesen und tief in ihrem Inneren war die Erkenntnis gereift, dass er wusste, was sie wollte. ER wusste, was ihr größter Wunsch war. Sie wollte sterben! Strahlend hüpfte sie die Treppen hinauf und betrat das Crossroads durch das große Eingangsportal.
Syke hatte es sich währenddessen in einem Sessel in der Eingangshalle bequem gemacht, als ein blond gelockter Engel im weißen Kleid herein gehüpft kam. An seinem Whisky nippend sah er ihr dabei zu, wie sie fröhlich die Gemälde und Einrichtung erkundete. Sie war geradezu widerwärtig lebensfroh. Genau das, was er gerade gar nicht brauchte. Er hatte miese Laune und wollte dies auch auskosten. Mit Charlie hatten sie einen sehr begabten und willigen Lustknaben verloren. Dummerweise blieb sie vor der großen Tür stehen, die ins Heiligtum von Larxene führte. Genau in diesem Moment konnte er auch die Gegenwart der Münze spüren.
»Oh nein, das hat mir gerade noch gefehlt.«
Thea blieb vor der Tür stehen. Ja genau hierher hatte die merkwürdige Kraft sie geführt. Sie fühlte sich so euphorisch wie lange nicht mehr. Ohne ihr zutun, schwang die Tür auf und gab den Blick auf den Raum frei, den sie in ihrer Vision gesehen hatte. Beeindruckt ging sie sofort hinein und sah sich um. Von Angst keiner Spur.
»Wahnsinn! Es sieht genauso aus wie damals und meine Güte sie sind die Frau, die ich sah. Ihre Haare sind in echt ja noch viel schöner!«
Bevor Larxene richtig reagieren konnte, hatte Thea ihre Hand genommen und geschüttelt.
»Ich bin Thea, es ist schön, euch endlich persönlich kennenzulernen.«
Etwas perplex sah diese auf die helle Hand, die sich auf ihrem schwarzen Handschuh gelegt hatte.
»Du bist ein Träger einer Münze?" brachte sie hervor. Es war selten, dass ihr die Worte fehlten. Wenn Larxene sich die Mühe machte zu sprechen, dann war es kein unbedeutendes Gewäsch. In diesem Moment betrat auch Syke die Szenerie und schloss die Eingangstür.
»Wir haben hier wohl ein sehr ungewöhnliches Exemplar. Die Wege der Münze sind einfach unergründlich.«
Das wuselnde, weiß gekleidete Ding hatte derweil die anderen Türen gefunden. Für Syke war es gar nicht einfach, sie einzufangen und auf einen Stuhl zu drücken. »Hör mir mal zu Missy. Ich hatte einen wirklich beschissenen Tag und du nervst mich gerade, mehr als ich es ausdrücken kann. Hör auf hier rumzurennen, als wäre es ein Jahrmarkt. Es geht hier um Leben und Tod.«
Thea grinste ihn an und nickte eifrig. »Deswegen bin ich auch gekommen, darauf freue ich mich schon sehr!«
Einen Moment blickte Syke zu Larxene, dann wieder zu Thea. Er sah ihr tief in die Augen.
»Sag mal, hast du irgendwas genommen? Das hier ist der Vorraum des Todes, verstehst du das? Du spielst hier um dein Leben. Wenn du verlierst, stirbst du für immer. Nur wenn du gewinnst, hast du die Wahl zwischen den anderen zwei Türen.«
Thea sah an dem Mann vorbei und betrachtete die erwähnten Ausgänge. »Aber die sehen doch alle gleich aus?«
Syke wirbelte herum und auch die Hüterin des Raumes folgte dem Blick. Perplex gingen sie auf die identischen Türen zu und blieben stehen. Auf allen war ein Stern abgebildet.
»Das ist unmöglich. Es gibt immer mindestens zwei unterschiedliche Wahlmöglichkeiten! Larxene, was läuft hier falsch?«
Die Stimme des dunkelhaarigen Mannes überschlug sich regelrecht, während er unruhig auf und ab ging.
»Ich habe dafür keine Erklärung, also hör auf mich anzuschreien. Die Türen gehorchen nicht meinen Willen, ich achte nur auf die Münzen und dass alles mit rechten Dingen zugeht.« Nachdenklich kratze sie sich an der Wange. »Aber auch ich habe das hier noch nicht gesehen. Egal wie, wir werden gewinnen. Es gibt diesmal eben nur eine Möglichkeit.«
Thea war zu ihnen getreten und sah zwischen beiden grinsend hin und her.
»Mein Wunsch ist es zu sterben, daher sterbe ich, auch wenn ich gewinne. Ist doch super oder? Eigentlich müsste ich also gar nicht spielen!«
Syke hatte sich eine ganze Flasche Whisky zugelegt und saß mit Larxene zusammen, während Thea immer noch quietschvergnügt den Raum erkundete. So eine Lücke im System war bisher nie vorgekommen. Es hatte nicht einmal jemand versucht absichtlich zu verlieren, das hätten sie bemerkt. Die meisten konnten mit der Konsequenz leben vielleicht zu sterben, aber mehr als einen Kunden hatten sie schon gewaltsam durch das Tor schubsen müssen.
»Und nun?« fragte die rothaarige Hüterin, während sie vorsichtig ihre Frisur feststeckte.
»Ich habe keine Ahnung ehrlich gesagt.«
Er sah zu Thea, die nun total aufgeregt und glücklich vor den Türen herumlungerte. Sie war höchstens zwanzig Jahre alt und damit viel zu jung für solche düsteren Gedanken.
»Finden wir erst einmal heraus, warum sich das Blumenmädchen nicht einfach irgendwo einen Strick genommen hat.«
Thea kam auf Zuruf heran gelaufen wie ein junger Hund.
»Also Kleines. Warum bei allen Göttern, oder was du auch immer anbetest, willst du sterben?«
Die Angesprochene legte nachdenklich den Kopf schief und nickte langsam, natürlich ohne mit dem Lächeln aufzuhören.
»Das ist eine gute Frage nicht wahr? Aber eigentlich schnell erklärt. Ich wollte mich vor fünf Jahren nach dem Tod meiner Eltern das erste Mal umbringen. Aber egal was ich mache, es klappt nicht.«
Die beiden Angestellten des Crossroads sahen sie irritiert an.
»Ja es ist wirklich so. Nehme ich mir einen Strick, reißt er. Versuche ich es mit einem Messer oder Tabletten findet man mich sofort. Ertränken hat nicht geklappt da das Seil, das ich um den Stein gewickelt hatte, aufgegangen ist. Der Zug konnte gerade noch bremsen und die Pferdekutsche hat mich verfehlt. Nichts klappt.«
Nun sah sie das erste Mal traurig aus und ihre gute Laune war verflogen.
»Dann nimm es als Zeichen, dass du eben einfach dein beschissenes Leben genießen sollst. Was stimmt nicht mit dir?«
Thea schob eine Unterlippe hervor und schmollte.
»Aber eure Münze hat mich gefunden, also scheint hier irgendwer zu glauben, dass mein Wunsch berechtigt ist.«
Das war ein Totschlagargument. Wie sollte man dagegen angehen? Syke hatte eine leise Ahnung, wieso die Münze so reagierte. Thea war eine leichte Beute und würde ihnen auf einfachsten Weg die Belohnung und Energie einbringen, die sie benötigten. Doch so sollte die ganze Sache einfach nicht laufen. Das war ein Fehler in einem System, welches sich seit so vielen Jahren bestens bewährt hatte. Nun war es an ihm zu schmollen. Mit verschränkten Armen saß er in seinem Sessel und starrte vor sich hin. Er konnte sie doch nicht so über die Klinge springen lassen. Außerdem musste man sich fragen, welche Gefahr von dem faulen Zauber ausging, der sie schützte. Was wenn er auch in ihrem Heiligtum zuschlug? Vielleicht stand ihre Existenz hier auf dem Spiel.
»Larxene besteht für uns irgendeine Gefahr durch das, was auch immer sie beschützt?«
Die rothaarige Schönheit zuckte mit den Schultern.
»Ich glaube nicht, auch wenn ich das Ganze wirklich faszinierend finde. Die Münze hätte niemanden erwählt, der uns Schaden zufügen könnte. Da bin ich mir fast sicher.«
»Fast? FAST? Das reicht mir nicht!«
Noch eine Stunde lang hatten sie diskutiert, sich angeschrien, weitere Meinungen eingeholt und in mehreren Büchern nachgeschlagen. Sie waren zu dem Entschluss gekommen, dass sie nichts machen konnten, außer Thea wegzuschicken. Dies wäre aber wahrscheinlich nur mit Gewalt möglich gewesen und darauf hatte er heute Abend wirklich keine Lust mehr. In der Mitte des Raumes erschien ein Tisch mit einem einzelnen Würfel auf der grünen Filzspielfläche. Syke stand auf der einen, Thea auf der anderen Seite und lächelte.
»Wer die höchste Zahl wirft, gewinnt. Wenn du gewinnst, kannst du eine Tür wählen, wenn du verlierst, stirbst .... Meine Güte warum muss ich diesen Mist überhaupt noch runterbeten. Das ist die totale Verarsche!«
Larxene schüttelt den Kopf. »Würfel einfach, du bist schon betrunken und wir sollten es einfach hinter uns bringen.«
Seufzend nickte er und ergab sich in sein Schicksal. Lässig nahm er den Würfel und ließ ihn rollen.
»Eine Vier für mich. Du bist dran.«
Thea nickte und ergriff ebenfalls den Würfel. Beim ersten Versuch rollte er vom Tisch. Es schien, als wollte die Magie, die ihm innewohnte, noch einmal aufbegehren. Beim nächsten Wurf war das Spiel entschieden.
»Eine Sechs.« Skye nickte und machte eine einladende Geste, er hatte nicht wirklich mit einem anderen Ergebnis gerechnet.
»Leg die Münze an die Tür, die du öffnen möchtest. Ich wünsche dir alles Gute und nun verzieh dich, für heute hab ich echt genug.«
Thea lächelte wieder, es war keine Spur von Traurigkeit zu sehen. Langsam ging sie um den Tisch herum und gab Syke einen Kuss auf die Wange, danach ging sie zu Larxene um ihr einen eben solchen Kuss zu geben. Wenige Sekunden später hörten sie eine Tür aufschwingen und das blonde Blumenmädchen war verschwunden. »Nun ja. So haben wir alle gewonnen irgendwie. Ist doch auch schön oder?« grinste Larxene während sie Syke ein Glas Wasser reichte.
»Ach halt die Klappe ich gehe jetzt nach oben und suche mir jemanden zur Entspannung. Eine Schande, dass ich Charlie entlassen musste, und wehe irgendwer geht mir heute Abend noch auf den Geist!«
Mit schweren Schritten und hängenden Schultern, als würde alles Leid der Welt auf seinen Schultern ruhen, ließ er den Raum sowie seine Bewohnerin hinter sich zurück. Mit der fast leeren Flasche Whisky in der Hand schleppte er sich in die Eingangshalle. Sorgfältig verschloss er die Tür und wandte sich in Richtung des Salons. In Gedanken ging er alle Möglichkeiten durch, die ihm im obersten Stockwerk zur Verfügung standen. Im Salon war etwas Ruhe eingekehrt, dafür war im Casino mehr los als sonst. Er würde schon jemanden finden der für ihn frei war. Gerade als er einen Schritt in die Bar setzen wollte, hörte er eine weinerliche Stimme hinter sich.
»Es hat nicht geklappt.«
Syke brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, wer in der Eingangstür stand. An diesem Abend wurden alle Gäste und Angestellten von einem markerschütternden Heulen und Schreien aus der Ruhe gerissen. Manche erzählten sich sogar, es wäre noch im Nachbarort zu hören gewesen.