"Du möchtest es unbedingt..."
"Ich habe dir zwanzig Jahre gestohlen, Karl! Ich möchte dir - möchte uns beiden - jede Sekunde zurück geben! Jede Sekunde!"
Er strich ihr liebevoll eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
"Natti, ich habe nie aufgehört, dich zu lieben! Aber ich möchte nicht eines Tages wieder vor dem Nichts stehen...! Es hat mir das Herz gebrochen, damals..."
"Karl, bitte...!" Sie senkte den Blick und verbarg ihr Gesicht an seiner Schulter. Sie hielt sich fest an ihm und er konnte spüren wie sie von einem heftigen Weinkrampf geschüttelt wurde. Vereinzelt war ein leises schluchzen zu hören. Er strich ihr zart über's Haar.
"Wein nur, mein Mädel! Das war heute alles zu viel für dich. Du wirst seh'n, die Tränen befreien dich."
Zaghaft blickte sie wieder auf zu ihm. Er konnte nicht anders. Er küsste ihr ein paar Tränen weg.
"Ja gut... es stimmt! Ich hab dich immer noch lieb, aber ich möchte, dass wir uns erst um seinen letzten Weg kümmern. Und dass wir's langsam angehen. Schon wegen der Kinder. Und... diesmal würde ich dich gerne behalten, wenn du verstehst, was ich meine..."
Sepp und Sonja waren inzwischen in Sonjas Wohnung. Sonja rechnete damit, dass er ihr wieder auf den Zahn fühlen würde und sie hoffte, dass sie etwas Angst schüren könnte. Sie musste aber behutsam damit umgehen.
"Sepp, bitte sag mir was hier läuft. Ohne zu beschönigen oder beschwichtigen. Sei ehrlich, bitte!"
"OK! Aber nach dir, mein Engel. Denn ich wünsche mir sehr, dass du auch der Engel bist, der du zu sein vorgibst..."
"Das ist nicht fair, Sepp! Und das weißt du! Ich liebe dich wirklich! Und wenn ich dir bisher etwas verschwiegen habe und ich gebe zu, das hab ich, dann deshalb, weil ich beruflich dazu verpflichtet bin! Aber, und das schwöre ich bei allem, was mir heilig ist: Ich liebe dich und ich würde alles tun um dich zu schützen! Und jetzt, Josef Brantner, bist du an der Reihe! Quitt pro Quo! Und wage nicht, mir was zu verheimlichen! Ich würde es sofort erkennen!"
Sepp war überrascht. Mit dieser Antwort hatte er nicht gerechnet!
"Aber..."
"Nix aber! Du bist dran Sepp! Erzähl schon! Und vergiss nicht: Egal wofür du mich hältst, ich bin verrückt nach dir und ich würde alles für dich tun!"
Renate brauchte ein, zwei Sekunden, bis sie den Sinn seiner Worte erfasste und küsste ihn dann so leidenschaftlich, dass er gar nicht wirklich reagieren konnte, und ihren Kuss schließlich erwiderte. Dann wich sie ganz unvermittelt einen Schritt zurück.
"Oh, verzeih! Langsam ...langsam angeh´n sagtest du... Entschuldige bitte! Ich... Was immer du willst, Karl!" Sie legte wieder ihren Kopf an seine Schulter und hielt ihn ganz fest. "Was immer du willst! Und diesmal geb ich dich nicht mehr her, Karl! Nie wieder!"
So grotesk die ganze Situation auch war, musste er lächeln.
"Dann ist es ja gut, mein Mädel! Ich werde dich jetzt verlassen. Ich möchte nicht, dass die Kinder schlecht über uns denken, denn sie kennen beide unsere Vorgeschichte nicht. Ich werde morgen früh mit dir die wichtigsten Wege machen. Sei gewarnt: Es wird dich morgen noch viele Tränen kosten und auch in den nächsten Tagen wird es nicht leicht für dich. Genauso wenig für die Kinder! Aber ich werde euch ganz offiziell, als Freund der Familie beistehen! OK?"
"Ich danke dir, Karl! Ich danke dir so sehr!" Sie drückte fest seine Hand, die sie schon lange ergriffen hatte.
"Und du hast mir verziehen...? Und ich gehör´wieder zu dir? Ich meine, wir sind wieder zusammen...?" Ihr zweifelnder Blick war herzzerreißend.
"Wir werden wieder zusammen sein, wenn das hier alles vorbei ist, mein Mädel! Noch, bin ich nur ein Freund der Familie!"
Renate sah ihn ängstlich an...
"Aber ich hab dir verziehen... und ja, Gott helfe mir, aber ich liebe dich immer noch!"
Und nach einem Blick zur Tür, zog er sie sanft zu sich und küsste sie noch einmal zärtlich.
"Ich muss jetzt gehen, Natti! Aber du gehörst wieder zu mir! Nur darf es noch niemand wissen! Das ist dir hoffentlich klar."
"Ja, Schatz, wie du meinst! Ich hab dich lieb!"
"Ich hab noch etwas Dringendes zu erledigen. Aber ich ruf dich morgen früh an, bevor ich dich abhole. Geh zu den Kindern! Sie brauchen dich jetzt. Bis Morgen!"
Sie wollte seine Hand nicht loslassen, aber sie wusste, dass er jetzt gehen musste. Wehmütig formte sie mit den Lippen einen Kuss.
"Bis morgen Schatz!"
Karl stieg in sein Auto und fuhr an. Er aktivierte die Freisprechanlage. "Peter Muhr" sagte er laut und deutlich für die Spracherkennung. Peter wurde angewählt!
"Muhr?"
"Hallo Peter! Karl hier. Du hast recht, wir müssen Brantner warnen! Hans ist tot und ich will auch keinen Menschen auf dem Gewissen haben!"
"Da bin ich froh, Karl! Aber du sagst das hoffentlich nicht, damit ich mich sicher fühle, und du mich dann in die Pfanne haust?"
"Nein, tu ich nicht Peter! Ich werde mit ihm reden!"
"Aber dann weiß er doch..."
"Nein! Ich sag ihm natürlich nicht, dass der Auftrag unsere Idee war. Nur dass ich weiß, dass ihn mehrere Leute beseitigen lassen wollen, und er schleunigst für ein paar Wochen verschwinden soll, wenn er weiterleben will."
"Du sagst ihm das persönlich?"
"Ich denke, das bin ich ihm schuldig! Denn anonym glaubt ein Josef Brantner mit Sicherheit keinem! "Du brauchst dich nicht mehr zu kümmern, Peter! Ich weiß, das ist nichts für dich! Keine Angst, ich verrat dich nicht! Ich werd ihn jetzt anrufen und ihn um eine Unterredung bitten..."
Doch trotz mehrerer Versuche, war Josef Brantner heute Abend offenbar nicht erreichbar...