Und zwölfmal schlägt die Kirchturmuhr
Ding. Dong. Zweimal.
Ich liege im Bett, die Decke über den Kopf gezogen. Die Stille singt. Ich könnte atmen, wenn ich wollte. Aber ich will nicht.
Ich will nicht gehört werden.
Niemand soll wissen, dass ich hier bin.
Die Tür knarrt. Ich höre das Türblatt über den Teppichboden kratzen. Jemand kommt. Schritte gibt es keine. Nur die Gewissheit, dass sich irgendetwas nähert.
Ich spähe unter der Decke hindurch und sehe - nicht. Tanzendes Dunkel umgibt einen blinden Fleck auf meiner Netzhaut. Genau dort, wo meine Fantasie Schatten über den Boden tanzen ließ.
Mein Verstand sagt mir, dass niemand diesen Raum betreten hat. Aber mein Herz fühlt, dass es anders ist. Die Bedrohung wird greifbar. Sie schnürt mir die Kehle zu.
Ding. Dong. Viermal.
Niemand war dort.
Nur die Dunkelheit schaut mich mit tausend Augen an. Unsichtbare Klauenhände, die sich nach mir recken. Lange, schmale Finger, wie Spinnenbeine, die sich nach dem Bett strecken. Ein kühler Hauch streift über meine Decke. Es fühlt sich an, als drücke sie jemand hinab, als berühre sie jemand ganz sacht, wie ein Streicheln.
Dong.
Ich krümme mich zusammen. Schlinge die Finger fester um die Enden der Daunendecke. In meiner Brust zerspringt das gläserne Herz. Es bekommt Risse.
Allmählich muss ich atmen. Ich bemühe mich, leise zu sein. Doch der stumme Hauch, der meinen Lippen entrinnt, lässt eine Haarsträhne flackern, die mir ins Gesicht gefallen ist. Natürlich weiß ich, dass es keine Ungeheuer gibt, und dass die Nacht mein Freund sein könnte. Dass sie all die bösen Dinge versteckt, die immer bei mir sind. Ich kann diesen Frieden nicht fühlen.
Ding. Dong. Ding.
Ich weine, obwohl ich nicht weinen will. Angst macht mich stumm. Meine Lippen sind wie zugenäht. Sie lähmt meinen Körper. Fesselt meinen Geist. Es tut beinahe weh, so stramm hält mich die Furcht gefangen. Beton, der auf meine Lunge drückt.
Ich fühle, wie sich Finger um das obere Ende meiner Decke schlingen. Etwas zieht daran. Ich ziehe zurück. Schluchzend und weinend lege ich alle Kraft in meine Hände. Nicht loslassen. Sie sind nicht real. Nicht loslassen. Sie sind nicht real.
Worte werden in meinem Kopf zu einem Mantra. Ein Zauberspruch, der mich retten soll.
Ding. Dong.
Das dumpfe Singen der Kirchturmuhr läutet den Schrecken ein. Ein Ruck packt das Bett. Das Holzgestell wackelt. Ob es real ist? Ich weiß es nicht mit Sicherheit.
Ich schluchze und jammer. Meine Stimme gleicht einem Wimmern. Jetzt kann ich nicht mehr atmen, selbst wenn ich wollte.
Die Zeit steht still. Der letzte Glockenklang schwillt in meinem Kopf an. Ein greller Ton, der mich in meiner Qual verhöhnt. Ein Lied voller Schmerz und Trauer.
Einem zweiten Ruck halte ich nicht stand. Die Decke wird von meinem Gesicht gezogen. Ich schreie, schieße in die Höhe. Aber niemand ist da. Kein Ungeheuer. Kein Schatten. Nur Angst.
Dong.
Kalter Schweiß steht auf meiner Stirn. Ihn wegzuwischen fehlt die Zeit. Er rinnt in meine Augen. Ich drehe den Oberkörper, strecke mich. Unter meinen Fingern gibt der Lichtschalter nach. Einer Supernova gleich flutet Licht das Zimmer. Die Schatten verbrennen.
Ich kann nicht sehen, wie sie sich krümmen, lautlos schreien, spüre nicht ihren Untergang. Nur einen kleinen Tod, der sie holen kommt. Feuer verbrennt die Schatten meiner Vergangenheit.
Mit dem zwölften Glockenschlag ist es still im Raum. Die Schatten sind verschlungen. Das Licht dringt in alle Poren.
Ich sinke zurück in die Kissen, die Beine angewinkelt, die Schultern hochgezogen, umklammere meine Beine mit den Armen. Die Kälte legt sich wie ein Schneegestöber um mich. Jede Nacht.
Meine Angst ist ein Monster.