3 Monate später
Ich stehe in meiner leeren Wohnung. Die letzte Kiste habe ich mir unter den Arm geklemmt und lasse meinen Blick schweifen. Alles ist weg, mein komplettes Leben in ein paar Kisten verpackt. An den Wänden sieht man noch die Flecken, an denen vorher Bilder gehangen haben. Die letzten drei Jahre meines Lebens habe ich hier verbracht, doch nun verlasse ich diesen Ort für immer. Eigentlich sollte ich positiv nach vorne schauen – schließlich steht mir ein Neuanfang bevor. Und doch bedeutet dies für mich, einen ganzen Schritt zurückzugehen. Aufzugeben. Wieder in das kleine Kaff, in dem ich aufgewachsen war, zurückzukehren.
Es ist der 31.12. Wie ironisch. Aber mir bleibt das Lachen im Hals stecken. Dafür bahnen sich Tränen den Weg nach oben, die ich sofort wieder zurückdränge.
Ich hole noch einmal tief Luft, ziehe die Tür hinter mir zu und werfe den Schlüssel in den Briefkasten. Mein kleines Auto wartet bereits auf mich, vollgepackt bis oben hin. Früher war ich gerne mit dem roten Cabrio gefahren, jetzt bedeutet jedes Einsteigen für mich die reinste Folter. Meine Eltern warten mit dem vollbeladenen Anhänger auf der Straße. Eigentlich wollte meine Mutter mit mir fahren, aber so schwer mir das Autofahren mittlerweile fällt, diesen Weg will ich doch alleine bewältigen.
Ich habe den ganzen Tag noch nichts gegessen, anders würde ich mir diese Fahrt auch niemals zutrauen. Ständig höre ich in mich rein, doch außer dem nagenden Hungergefühl ist da nichts. Immer tief durchatmen! Das Fenster habe ich trotz der Kälte einen Spalt geöffnet, anders hätte ich das Gefühl, zu ersticken. Die Musik drehe ich extra laut, damit sie meine Gedanken übertönt.
Ich habe meinen Vater extra gesagt, dass er die Landstraße nehmen soll. Jedes Stückchen Wald ist für mich eine kurze Verschnaufpause während der langen Fahrt nach Hause.
Ich habe durch diese Krankheit schon so viel verloren. Meine Freiheit und Eigenständigkeit, danach meine Beziehung und nun auch meinen Job und meine Wohnung. Von meiner Selbstachtung will ich gar nicht erst sprechen. Doch durch die Entwicklungen der letzten Wochen war es einfach nicht mehr machbar, egal was ich mir hatte einreden wollen. Alleine, fernab von meiner Familie, war ich einfach nicht mehr lebensfähig gewesen.
Zum Glück hatte mein Vater direkt im Ort bei einem Bekannten ziemlich schnell eine neue Arbeitsstelle für mich gefunden. Meine frühere Wohnung, die seit dem leer gestanden hatte, hatte dann nur noch einen neuen Anstrich gebraucht. Diese Entscheidung hatten mir meine Eltern mehr oder weniger abgenommen, als ich frisch aus dem Krankenhaus entlassen worden war. Und irgendwie war ich ihnen dafür dankbar. Mir hatte einfach die Kraft dafür gefehlt.
Nach einer halben Stunde, die mir vorkommt, wie eine halbe Ewigkeit, fahren wir endlich in unsere Straße.
Vor dem Ausräumen graut es mir. Trotz der Ein-Zimmer-Wohnung hat sich in den letzten Jahren einiges angesammelt. Das meiste ist für mich nicht mehr wirklich von Wert, außer meinen geliebten Büchern, die für mich der Fels in der Brandung sind.
Die Klamotten passen mir mehr schlecht als recht. Meine anderen Hobbys habe ich zwar in Kisten verstaut, aber ich bin mir unsicher, ob ich diese in nächster Zeit ausräumen würde.
Mir ist im Moment einfach nicht der Sinn danach, einen Pinsel in die Hand zu nehmen.