Angestrengt warf sich der junge Mann gegen die Haustür, die nach einem leisen Knacken schließlich nachgab und nach innen schwang. Seine blassen Wangen waren kräftig gerötet und er trug mit den Schuhen einen ordentlichen Schwung Schnee in den Flur.
Grummelnd warf er den Haustürschlüssel in die Schüssel, die auf der Kommode stand.
Gott, war das ein Winter, wenn sogar die Türen zufroren und man beinahe in sein eigenes Haus einbrechen musste, um hinein zu kommen.
Laut mauzend kam ihm der alte Kater seines Lebensgefährten entgegen und umschmeichelte seine Beine.
»Nein, Nikodemus, es gibt nicht nach draußen. Da liegen zig Meter Schnee«, beantwortete der Mann das klägliche Jammern und schob das Tier sanft in das Wohnzimmer.
Ansonsten war das Haus leer. Henry schien ausgeflogen zu sein. Garrett trug die Einkaufstüten in die Küche und blickte sich dann um.
Es waren weniger als zwei Wochen bis Weihnachten. Er und sein Freund hatten das Haus allerdings nicht geschmückt, weil sie die Feiertage - samt dem Kater - bei Garretts Vater in London verbringen wollten. Am Wochenende sollte es los gehen.
Es wäre erst das zweite Mal, dass sich Robert Pinkerton und Henry begegneten. Garretts Dad war beim ersten Treffen im Sommer recht angetan von seinem potentiellen Schwiegersohn und lobte seinen Sprössling für dessen guten Geschmack. Robert hatte allerdings keine Ahnung, dass Henry derjenige war, von dem Garrett ihm damals erzählt hatte. Der, der ihm das Herz gebrochen hatte. Denn der junge Mann glaubte nicht, dass sein Vater es dem Vampir verzeihen würde. Immerhin hatte Garrett in seiner ersten Zeit in London sehr unter der Trennung gelitten.
Er seufzte. Ein bisschen kahl fand er es allerdings so ohne Dekoration schon. Ob er wohl wenigstens den Weihnachtskranz herausholen und ein paar Kerzen aufstellen sollte?
Nikodemus riss ihn mit seinem Gejaule aus den Gedanken. Er saß jammernd vor der Terrassentür und starrte die Klinke an, als würde sie dadurch aufgehen.
Garrett brummte und öffnete ihm die Türe. »Wehe, du gehst in den Wald, Freundchen! Dein Herrchen findet dich, denk' dran!«
Der Kater betrachtete ihn eindringlich mit seinen gelbgrünen Augen und stakste schließlich durch den hohen Schnee, als würde er sich bemühen, trotz der Masse einen trockenen Bauch zu behalten. Unmöglich, schmunzelte Garrett, ließ die Tür weit offen stehen, um die saubere Luft hinein zu lassen, und verstaute die Vorräte in den Schränken.
Er war so beschäftigt, dass er gar nicht merkte, wie die Küche auskühlte und die Winterkälte sich im Haus ausbreitete.
»Wenn du Eisbären im Bett haben möchtest, kaufe ich dir ein Plüschtier.« Henry lehnte an der Tür zu Garretts Atelier, das inzwischen ebenso kalt war wie der Rest der Räume. Erschrocken wandte der Angesprochene sich um und schnaubte.
»Erschreck' mich doch nicht so, Mann!«
Der Vampir schmunzelte schelmisch. »Dann lass' die Tür nicht offen stehen, Baby, wenn du keine ungebetenen Besucher willst.«
»Ich hab sie für Nikodemus geöffnet ...«
»Ich dachte es mir ... Er liegt draußen unter einem der Büsche und beobachtet die fallenden Flocken. Wäre er noch jünger, würde er nach ihnen schnappen.«
»Was hast du bei diesem Wetter draußen getrieben?«
»Die Fenster oben enteist. Ich musste die Tür aufbrechen, sie war zugefroren.« Der Vampir knurrte und hockte sich auf einen der Stühle.
»Die hier auch. Ich kam fast nicht rein.«
»So einen kalten Winter hatten wir seit 50 Jahren nicht mehr. Gut, dass wir Weihnachten in London verbringen.«
Garrett verstaute seine Arbeitsmaterialien in den Regalen und verließ zusammen mit Henry das Atelier.
»Eigentlich ist es ja schön. Wir könnten einen Schneemann bauen.«
»So richtig? Mit Schal und Zylinder?«
Der junge Mann nickte mit einem Grinsen, lachte dann und sah von der Küchentür aus auf die verschneite Terrasse.
»Bei diesem Wetter bis nach London fahren, das wird was werden, du ... Obwohl Dad neulich noch meinte, dort sei kaum Schnee gefallen bislang.«
Henry legte sein Kinn auf die Schulter seines Liebsten. »Das macht nichts. Ich bin ein sicherer Fahrer, das weißt du doch. Und etwas weniger davon ist freundlicher für meine Augen.«
»Armer Vampy«, kicherte Garrett und lehnte sich an den Vampir an.
»Lach du nur ...« Henry zog ihn einen Moment eng an sich und hauchte ihm einen Kuss auf den Hals.
»Ich werde niemals damit aufhören.«
»Sehr gut ...«
»Soll ... ich uns etwas zum Abendessen machen oder willst du lieber nach oben gehen und ... schmusen?«
Henry lachte laut auf. »Oh, schwere Entscheidung. Aber schmusen, wie du es nennst, können wir auch auf dem Sofa. Also lass uns lieber Essen machen und dann fernsehen. Viel mehr kann man bei dem Schneetreiben auch nicht tun.«
Garrett, der seine roten Wangen in dem Kragen seines Pullovers versteckte, kicherte. Er wüsste etwas deutlich Besseres, als einen dussligen amerikanischen Weihnachtsfilm anzuschauen. Und der Vampir, der sich eng an seinen Körper schmiegte, schien diesen Gedanken auch zu haben.
»Ich glaube ... das Essen muss warten, huh?«, presste der junge Mann hervor. Henry quittierte die verlegene Frage mit einem frechen Lachen, zog ihn von der Tür weg und kickte diese mit seinem Fuß zu.
»Ich hole mir nur ein bisschen Appetit auf das Essen später«, schnurrte er mit dem Mund nahe an Garretts Lippen und dieser lief, selbst nach so langer Zeit noch, rot an.
»O-Okay ...«
~
Es war bereits dunkel, als Garrett wieder erwachte. Er und Henry lagen auf dem Sofa im Wohnzimmer, halb unter einer kuscheligen Plüschdecke, die die Kühle im Haus von ihrer nackten Haut fern hielt.
Zerknittert rieb er sich über das Gesicht und legte die Wange auf Henrys nackte Brust. Sein leises Atmen und das Geräusch seines langsam schlagenden Herzens - langsamer als das eines Menschen - beruhigte Garrett und lullte ihn ein, obwohl er munter genug war, um nicht mehr einzuschlafen. Stattdessen blickte er aus dem großen Fenster, das von der Straßenlampe in gelbem Licht erhellt wurde. Deutlich konnte er die dicken Flocken vor der Gardine fallen sehen und lächelte vor sich hin.
Würden sie Weihnachten in Gatwick verbringen, würden sie eine sensationelle weiße Weihnacht haben.
Der Vampir brummte unter ihm, bewegte sich und öffnete schließlich die Augen. Garrett konnte den roten Schimmer in ihnen erkennen, als er den Kopf hob und ihn anlächelte.
»Hallo ...«, murmelte Henry undeutlich und zog ihn näher an sich.
»Hi ... hast du Hunger?«
Der Körper des Vampirs vibrierte, als er lachte. »Ob ich Nachschlag von dir will? Jederzeit, Baby.«
Garrett errötete und spürte die Hitze in seinen Wangen. »Du Nimmersatt. Ich ... kann nicht nochmal ...«
»Okay, okay ... dann meinst du also, dass du nach der Schmuserei Essen machen willst? Oder soll ich schnell?«
Der junge Mann streckte sich genüsslich und rieb seine Beine an Henrys Haut. »Eigentlich möchte ich ja nicht, dass du aufstehst und ich hier liege und dann kalt werde.«
»Dann müssen wir wohl verhungern ...«, kicherte der Vampir und strich mit den Fingern über Garretts Rücken.
»Nein! Das kann ich nicht riskieren. Ich mach uns schnell eine Pizza«, entschied der junge Mann, erhob sich und wickelte sich in die Decke. Henry blieb unverhüllt auf dem Sofa liegen und fing an zu lachen.
»Hey, Mann. Ich hab nichts an. Das ist kalt.«
»Ich bin in einer Minute wieder da«, schnurrte Garrett und huschte aus dem Zimmer.
Der Vampir verschränkte die Arme hinter dem Kopf und ließ seinen Blick wandern. Es war kalt und eine Gänsehaut breitete sich auf seinem Körper aus. Er fror zwar nicht, aber sein Leib verübte noch immer diese typischen, menschlichen Reaktionen.
Schnaufend setzte er sich auf und schaltete die Heizung ein. Immerhin konnte Garrett sehr wohl krank werden.
Als hätten Henrys Gedanken etwas heraufbeschworen, konnte er aus der Küche ein herzhaftes und lautes Niesen von Garrett hören, gefolgt von einem Stöhnen und einem Schniefen.
»Alles in Ordnung?«
Der junge Mann kam, komplett in die rote Plüschdecke eingewickelt, wieder in das Wohnzimmer und sammelte seine Kleider auf.
»Klar. Ich hab geniest. Passiert.« Garrett zog sich energisch die Socken über die nackten Füße und schlüpfte in seinen viel zu großen Wollpullover, der ihm fast bis an die Knie reichte. Henry schmunzelte.
Sein Lebensgefährte liebte Skinny Jeans, schmal geschnittene Longshirts in Erdtönen und T-Shirts, die ihm bis auf die Oberschenkel reichten, aber einen weiten Ausschnitt hatten. Als Teenager war sein Kleidungsstil das komplette Gegenteil. Nieten, Ketten und Leder hatte Garrett in seiner Garderobe fast gänzlich aussortiert. Ebenso wie er sich von den langen Haaren und den Piercings seiner Teenagerzeit getrennt hatte. Das einzige, was geblieben war, waren seine Boots.
»Frierst du?«
»Wenn ich dich so ohne Klamotten da stehen sehe, klar ...«
Garrett grinste, leckte sich anzüglich über die Lippen und kleidete sich fertig an. »Würdest du dich bitte anziehen?«
»Warum? Es gefällt dir doch, was du siehst, oder?«
Der junge Mann nickte. »Aber ich krieg Phantom-Frostbeulen!«
»Okay, okay ...« Henry sammelte seine Kleider auf. Garrett ließ sich wieder auf das Sofa plumpsen und schaltete den Fernseher ein.
»Nicht dass du krank wirst, so kurz vor Weihnachten«, sinnierte der Vampir und setzte sich dazu.
»Ach Quatsch. Wegen einem Niesen?«
»Ein Niesen, ein Kribbeln in der Nase, ein Kratzen im Hals ...«
»Ich bin nicht krank!«
Henry legte seinem Freund die Decke über die Füße und zog diese auf seinen Schoß. »Ich hoffe es. Vielleicht sollten wir einen Tee trinken. Es war dumm, hier rumzumachen, ohne die Heizung einzuschalten.«
»Och, wir haben einander doch eingeheizt.«
Der Vampir lachte leise und massierte seinem Liebsten die Zehen, während dieser matt auf den Fernseher blickte und wohlig seufzte.
»Vergiss die Pizza nicht«, murmelte Garrett und schloss die Augen. Die Aufregung und die Leidenschaft ihres Liebesspiels flaute nun endgültig ab und er fühlte sich träge, gemütlich und schläfrig.
»Nicht doch, mein Kätzchen. Aber penn mir hier nicht ein.«
»Warum nicht? Haben wir noch was vor?«
»Nein. Aber du musst etwas essen.«
Garrett murmelte nur noch und Henry musste grinsen, da dieser wenige Augenblicke später tief und fest eingeschlafen war.
Der Vampir verzehrte das Abendessen allein und trug anschließend den schlafenden jungen Mann auf seinen Armen in den ersten Stock und packte ihn ins Bett. Mit einem Lächeln legte er sich dazu.
Der Tag war offenbar beendet und Henry sah keinen Grund, wach zu bleiben, wenn sein Partner bereits schlief.
~
Einige Tage waren vergangen, in denen Garrett keinen Finger krumm gemacht hatte, um das Haus zu schmücken. Er hatte es sich anders überlegt, obwohl er zuerst dachte, es würde hübsch sein.
Er hatte es Henry nicht zeigen wollen, doch er fühlte sich sonderbar, schlapp, lustlos und schlecht. Dieser würde ihn nur auslachen oder ihm vorhalten, dass er, Garrett, nicht vorsichtig genug war und nun krank geworden war.
Dabei wollten sie an diesem Wochenende zu seinem Vater fahren und die Feiertage zusammen verbringen. Die Taschen waren bereits gepackt, die Geschenke verstaut und Garrett freute sich darauf, seinen Dad zu sehen.
Der junge Mann hatte sich vorgenommen, sich mit allen Mitteln zusammenreißen und jeden noch so kleinen Virus aus seinem Körper brennen! Energisch kippte er den fast heißen Tee hinunter und spürte sogleich, wie ihm der Schweiß ausbrach und der Bauch warm wurde. Er würde sich von einem Schnupfen nicht die Feiertage ruinieren lassen, oh nein!
Duselig im Kopf ging er wieder an den Herd und rührte die Suppe um, die er zum Abendessen zubereitet hatte. Es war ein guter, dicker Gemüseeintopf, der würde ihn schon wieder auf die Beine bringen.
»Hm, das riecht gut hier ...« Henry, der einige Holzscheite unter dem Arm hatte, betrat durch die Hintertür die Küche und schnupperte. Er würde den kleinen Kamin befeuern, den die beiden sich für die Gemütlichkeit im Wohnzimmer angeschafft hatten. So würde auch ohne viel Schmuck eine festliche Stimmung aufkommen.
Üblicherweise war es Henrys Aufgabe, das Haus und die Küche zu versorgen, wenn Garrett seiner Arbeit nachging, doch dieser kochte auch selbst sehr gern mal.
»Ja ... kräftig und gesund«, erwiderte der junge Mann und rührte weiter. Der Vampir machte sich daran, die Feuerstelle anzuheizen und kehrte anschließend zu seinem Partner zurück.
»Äh, Schatz, du hast aber nicht das hier in die Suppe gekippt, oder?«
Garrett hob den Kopf und guckte auf das, was Henry in der Hand hielt. Es war ein Behältnis, das Zucker enthielt. Er zuckte leicht und blinzelte.
»Ähm ... n-nein ... ich hab noch gar nicht gewürzt ... aber ... ich dachte, ich hätte Salz aus dem Schrank genommen ...«
Henry zog die Augenbraue hoch. »Geht es dir gut?« Er hob die Hand und legte diese an die Stirn des Anderen.
»Ja ... es ist alles okay. Ich hab mich vergriffen. Wir sollten die Behälter beschriften, ich verwechsle die Farben immer ...«
»Du hast erhöhte Temperatur, Garrett ...«
»Unsinn. Es ist warm hier am Herd und ich hatte einen heißen Tee.«
»Garrett ...«
»Nix! Lass mich. Ich hab nur was verwechselt!« Die sonst blassen Wangen des jungen Mannes waren gerötet, als er sich zu seinem Freund umwandte und ihn anfunkelte. Sein Körper machte seiner Aussage allerdings in der Sekunde einen Strich durch die Rechnung. Garrett wurde einen Moment schwarz vor Augen und er schwankte, so dass Henry ihn auffangen musste.
»Sicher, dass du okay bist? Du hast Fieber, Garrett, und ich kann die Erkältung schon eine Weile in deinem Blut und in deinem Schweiß riechen.«
»Aber ich kann jetzt nicht krank werden ... am Wochenende ist Weihnachten!«
»Deine Gesundheit ist wichtiger. Ich werde keine sechs Stunden mit dir bis nach London fahren, wenn du krank bist und dein Vater wird mir zustimmen, dass du ins Bett gehörst. Wir können ihn besuchen fahren, wenn du wieder gesund bist.«
Garrett jammerte, denn der Schwächeanfall hatte ihm rasende Kopfschmerzen gebracht. Er klammerte sich an Henry, weil er seinen Beinen nicht vertraute und er fühlte sich nur noch schlecht.
»Na gut ...«, murmelte er kleinlaut und ließ sich bereitwillig von dem Vampir hochheben und auf das Sofa in der Wohnstube setzen. Der Kamin verbreitete eine wohlige Wärme.
»Ich mache die Suppe fertig und koche dir eine Kanne Tee. Du machst dich hier lang und deckst dich zu. Ich will dich heute nicht mehr herumlaufen sehen, ist das klar?«
»Ja, Papa.«
»So ist es, Schätzchen. So eine Erkältung kann zu etwas Ernstem auswachsen, wenn man es nicht richtig auskuriert. Ich habe viele Leute an weniger sterben sehen. Das Fieber muss sinken!«
»Henry, es ist das 21. Jahrhundert, nicht das Mittelalter ...«
»Und trotzdem sterben auch Menschen heutzutage, in der industrialisierten, hochtechnisierten und medizinisch ausgezeichneten Welt an etwas so Simplem wie Fieber. Also lass mich mal machen.«
Garrett kicherte leise, als der Vampir eine Decke über ihm ausbreitete und ihm ein paar dicke Wollsocken über die Füße stülpte.
»Na gut, wer wird nicht gern gepflegt.«
Henry lächelte und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn. »Mit dir wird's nie langweilig, Pinkerton.«
Während der Vampir in der Küche den Eintopf würzte, köcheln ließ und eine Kanne Pfefferminztee aufsetzte, streckte sich Garrett lang auf dem Sofa aus, schaltete im Fernsehen einen kitschigen Film ein und kraulte den alten Kater, der eine unverhoffte Gelegenheit ergriffen hatte, um ein paar Streicheleinheiten abzubekommen. Der Mann seufzte und genoss die Gemütlichkeit, auch wenn es ihm körperlich hundeelend ging.
Er hatte das Gefühl, dass der Schwächeanfall der Auslöser dafür war, dass sein Körper nun von den Erkältungsbakterien überrannt wurde. Plötzlich hatte er Druck im Kopf, weil die Nebenhöhlen dicht zu sein schienen, seine Ohren rauschten und seine Nase war verstopft. Es kratzte im Hals und die Schultern taten ihm weh. Er schwitzte und gleichzeitig war ihm kalt.
Henry brachte die Teekanne und eine Tasse in das Zimmer, rückte den Tisch näher an das Sofa heran und goss Garrett etwas von dem Heißgetränk ein.
»Trink' das. Ich hab den Eintopf auf dem Herd runtergedreht und fahre nochmal schnell zum Supermarkt. Brauchst du etwas Bestimmtes?«
»Halsbonbons mit Kirschgeschmack. Die anderen sind eklig.« Garrett fing zu husten an und nippte an dem Tee.
»Warum sagst du auch nicht früher etwas, Mensch. Jetzt ist die Erkältung richtig da, nun musst du da durch.«
»Ja ... ich hatte gehofft, dass es weggehen würde, bevor es überhaupt ausbricht ...«
Der Vampir schmunzelte auf missbilligende Art und Weise, strich seinem Lebensgefährten mit dem Finger über die Wange und verabschiedete sich dann.
»Ich bin gleich wieder da, dann bekommst du etwas zu Essen und nimmst ein Bad.«
»Okay ... bis gleich.«
»Mach keinen Unsinn!«
~
Der Vampir hatte eine halbe Hausapotheke gekauft, um Garrett wieder auf den Damm zu bringen. Er wusste bereits jetzt, dass dieser es hassen würde, den selbstgemachten Zwiebelsaft zu trinken, und dass es für ihn selbst, Henry, eine Tortur werden würde, dass Garrett dann nach Zwiebeln stank. Doch alles war erlaubt und notwendig, um die Krankheit aus dem Körper zu vertreiben.
Er hatte schon an dem Abend, als Garrett so heftig hatte niesen müssen, geahnt, dass dieser krank werden würde, doch nichts gesagt, weil er wusste, wie stur sein Liebster sein konnte, wenn er etwas nicht wollte. Des Weiteren hatte er natürlich auch gehofft, dass es nur ein kurzer Infekt sein würde, das geschah im Winter schließlich häufiger.
Beladen mit zwei Einkaufstüten aus Supermarkt und Apotheke, betrat der Vampir 30 Minuten später wieder das Haus, in dem sie lebten. Wieder musste etwas mehr Kraft aufgewendet werden, um die Haustür aufzubekommen und der Schnee an Henrys Schuhen verteilte sich gleichmäßig im Flur. Das Schneien hatte über die Tage schließlich kaum nachgelassen. Er hatte seit Jahrzehnten nicht mehr so viel Schnee in Gatwick gesehen.
Er liebte es natürlich, denn die weiße Pracht verdeckte all den Dreck und das tote Laub, das überall herumlag. Doch wenn Haustüren oder Türschlösser von Autos zufroren, dann hörte der Spaß auf!
»Garrett?« Der Vampir konnte den Fernseher hören und auch das Schnurren des Katers. Doch der Gerufene gab keine Antwort. Leise betrat Henry das Wohnzimmer und schmunzelte. Der Kranke war eingeschlafen und bis zu den Ohren zugedeckt. Der Kater lag vor dessen Bauch und verengte die Augen liebevoll, als er zu seinem Herrn herüber blickte.
»Sehr gut, Nikodemus. Pass gut auf ihn auf.«
In der Küche angekommen rührte der Vampir den heißen Eintopf noch einmal kräftig durch und bereitete ein paar Medikamente vor. Leise stellte Henry das Tablett mit einer Schüssel Suppe, ein paar Apfelstücken, den von Garrett gewünschten Halstabletten und einer Erkältungsmedizin auf den Tisch im Wohnzimmer.
Er lächelte, denn Garrett sah, wenn er schlief, aus wie ein Kind. Er, Henry, liebte dieses Gesicht, diese reine Unschuld, so sehr, dass er es körperlich spüren konnte. Sanft strich er ihm über die Wange.
»Hey Garrett ... aufwachen.«
Murrend zuckte der Angesprochene ein Stück nach hinten, denn Henrys Finger waren kühl. Er öffnete langsam die braunen Augen und lächelte.
»Hey. Du bist schon wieder da?«
»Ich war nur eine halbe Stunde weg. Geht es etwas besser?«
Garrett räusperte sich und trank den kalten Tee aus seiner Tasse aus. Dabei schüttelte er den Kopf.
»Ich hab so einen schweren Schädel«, nuschelte er und seine Stimme klang verstopft.
»Hier, iss erst einmal. Das löst den Druck etwas. Dann nimmst du die Medizin und gehst schlafen. Ich hab auch Erkältungsbad gekauft, das kannst du morgen machen.«
»Und Dad? Der denkt doch, wir fahren morgen los ...«
»Den rufe ich an und sage, dass wir etwas später kommen, wenn du wieder fit bist. Der wird sicher meine Meinung teilen ... mach dir keinen Kopf, der ist schwer genug.«
Garrett nickte matt und setzte sich langsam auf. Zaghaft schlürfte er die von ihm gekochte Gemüsesuppe und machte ein wohlwollendes Geräusch.
»Prima gewürzt. Zum Glück hast du es rechtzeitig gesehen, bevor ich es mit Zucker ruiniert hätte ...«
Henry, der ebenfalls eine Schüssel auf dem Schoß hatte und es sich schmecken ließ, nickte. »Wäre Verschwendung für das gute Gemüse gewesen, da muss ich dir Recht geben. Obwohl man eine solche Suppe durchaus hätte retten können. Zu viel Salz wäre schlimmer gewesen.«
»Na ja ... so viel kann ich irgendwie gar nicht schmecken.«
Der Vampir grinste. »Also könnte ich dir eine Woche lang Pappe vorsetzen. Armer Junge.«
Garrett musste lachen, murrte aber sofort, weil ihm das weh tat, und schüttelte den Kopf. »Untersteh' dich bitte.«
»Nein, ich werde dir gutes, gesundes Essen machen. Damit du schnell wieder fit wirst.«
»Umso eher kommen wir zu Dad ...«
Henry schmunzelte und kaute auf einem Stück Schweinefleisch herum. »Du vermisst ihn ziemlich, oder?«
»Klar ... der letzte Besuch ist sechs Monate her. Und er ist so allein. Er will einfach nicht neu anfangen und jemanden kennenlernen ...«
»Du kannst ihn aber auch nicht nötigen. Er wird schon wissen, was er tut. Und oftmals trifft man auf das größte Glück, wenn man nicht danach sucht. Das weißt du doch.«
»Ja ... trotzdem ... Er ist jetzt fast 50, das ist doch Verschwendung ...«
Der Vampir lachte. »Oh weh.«
Garrett stellte die leere Schüssel wieder zurück auf das Tablett und streckte sich auf dem Sofa aus. Das Sitzen hatte ihn erschöpft und er war noch immer so hundemüde.
»Soll ich dir die Brust und den Rücken mit VapoRub einreiben?«
Der Kranke grinste schlagartig los. »Du Ferkel.«
»Was?«, platzte Henry heraus und lachte. »Ich will, dass du besser atmen kannst, wenn ich dich ins Bett bringe.«
»Aww ... na gut, dann mach das.«
»Bist du fertig mit Essen?«
»Ja ...« Garrett lümmelte sich unter der Decke und gähnte. Henry stellte das Geschirr zusammen, platzierte die Apfelstücken und die Medizin vor dem Kranken und verbrachte das Porzellan in die Küche.
»Nimm die Medizin, ich reib dich ein und dann gehst du ins Bett. Ich werd Robert anrufen.«
»Kommst du mit hoch oder muss ich allein schlafen gehen?« Garrett knabberte an einem Stück Apfel und kraulte mit fiebrigen Fingern den Rücken des Katers.
»Dann auf, mein Schatz, ab ins Bett mit dir. In ein paar Tagen sieht die Welt gleich wieder anders aus.«
Der junge Mann streckte die Arme aus und ließ sich von Henry hochziehen. Mit einem Grinsen hob er ihn hoch und trug ihn. Garrett schien Gefallen daran gefunden zu haben, durch die Gegend getragen zu werden.
»Aus mit den verschwitzten Klamotten, rein in den sauberen Pyjama.« Der Vampir setzte seinen Liebsten auf die Matratze und wandte sich dann dem Schrank zu, um besagten Schlafanzug herauszunehmen. Garrett zerrte sich umständlich die feuchten Kleider vom Leib und warf sie auf den Boden.
»Schmutzfink ... Hier, zieh das an und leg dich hin. Ich reib' dich ein.«
»Okay ...« Nach einer Reihe heftiger Nieser streckte der junge Mann sich aus und genoss die massierenden Bewegungen von Henrys Händen auf seinem Rücken und hinterher auf seiner Brust. Er spürte augenblicklich, wie das ätherische Menthol seine Atemwege erleichterte und seufzte.
»Du bist ziemlich müde, hm?«
»Ja«, nuschelte Garrett und nahm den Becher mit der Erkältungsmedizin entgegen, die Henry ihm hinhielt. »Bleibst du hier?«
»Natürlich. Alles, was du willst ...« Der Vampir schob sich auf die Matratze und lehnte sich an die Rücklehne. Er zog Garrett etwas an sich und deckte ihn bis zu den Schultern zu. »Schlaf, ich bleibe, bis du eingeschlafen bist. Dann rufe ich deinen Vater an.«
»Gut ...«, murmelte der Kranke und schmiegte sich an seinen Lebensgefährten. »Weißt du, was das beste Geschenk zu Weihnachten ist?«
»Hm? Sag's mir.«
»Du. Du bist es.«
Henry lächelte und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn. »Wer das Herz eines Vampirs gewonnen hat, der hat es für immer. Das weißt du doch.«
»Und trotzdem bin ich dankbar dafür.«
»Ich auch.«
~
Der Vampir wartete, bis sein Lebensgefährte eingeschlafen war und erhob sich dann vorsichtig, um diesen nicht zu wecken.
Auf leisen Sohlen schlich er die Treppe hinunter und erledigte erst das, was er gesagt hatte, das er tun würde.
Das Telefonat mit seinem Schwiegervater in spe verlief freundlich, ja herzlich, denn Robert Pinkerton mochte Henry. Dieser war wirklich froh, dass Garrett ihm nie gesagt hatte, wer er war.
Und wie der Vampir vermutet hatte, war der Londoner ganz und gar seiner Meinung. Solange es seinem Sohn nicht gut ging, sollte er lieber im Bett bleiben. Sie würden auch Silvester miteinander verbringen können.
Schmunzelnd legte der Mann nach einigen Minuten das Telefon zur Seite und blickte sich im Wohnzimmer um.
Nun, da sie Weihnachten daheim verbringen würden, konnte das Haus nicht so bleiben. Er hatte einiges zu tun, damit Garrett sich am Morgen wenigstens seelisch nicht so schlecht fühlen würde.
Mit einem Grinsen rieb er sich die Hände, holte die Feuerwehraxt aus dem Keller, die sein Freund vor Jahren zum Kämpfen gegen Ghoule verwendet hatte, und verließ das Haus in Richtung Wald.
Als der schwer verschnupfte junge Mann am nächsten Morgen erwachte, begrüßte er den neuen Tag mit einem gequälten Stöhnen. Sein Kopf war dicht, er konnte kaum atmen und sein Hals brannte, als hätte man ihm eine glühende Klinge in den Rachen getrieben.
Jammernd wandte er sich dem Fenster zu und kniff schmerzhaft die Augen zusammen. Es war immer noch weiß, die Bäume vor dem Haus waren in ein Schneekleid gehüllt und wattige Flocken taumelten auf den Boden.
»Frohe Weihnachten«, krächzte er und hustete, als er sich aufsetzte. Er blickte sich um und fand das Bett neben sich leer vor. Henry hatte es sicher nicht mehr ausgehalten, neben jemandem zu liegen, der die ganze Nacht gebellt und geröchelt hatte. Und Garrett konnte ihn sogar verstehen. Schließlich hatte er sich selbst auch genervt.
Mit einem Lächeln sah er, dass Henry ihm seine Medizin bereit gestellt hatte und auch die kleine Thermoskanne und eine Tasse.
Der Kranke kippte den Hustensaft hinunter und spürte für einen Augenblick wunderbare Erleichterung in seinem Hals. Mit noch warmem Pfefferminztee, der mit Honig gesüßt worden war, schlich Garrett schließlich in das Badezimmer. Er erschreckte sich beinahe vor seinem eigenen Aussehen und warf sich mit zusammengekniffenen Augen etwas Wasser ins Gesicht, bevor er sich die Zähne putzte.
Das Haus war ruhig und der junge Mann war verwundert, wohin Henry immer verschwand, wenn er nicht da war. Seit Nikodemus bei ihnen im Haus lebte, ging der Vampir nicht mehr so oft zu seiner Hütte hoch.
Langsam, weil ihm schwindelig war, tapste er Schritt für Schritt die Treppe hinunter. Es war warm im Haus, was ihm sehr willkommen war.
Verdutzt stellte er fest, dass etwas anders war als am Abend zuvor. Leise ging er in die Küche, um Henry dort zu sehen, mit einer mehlbestäubten Schürze, wie er bis zu den Ellbogen in einer Rührschüssel steckte.
»Was tust du hier?«
Der Vampir hob den Kopf, seine Wangen waren gerötet und seine Haare zerstrubbelt.
»Wonach sieht es denn aus? Ich backe Kekse.« Henry lächelte und knetete energisch den Teig durch. Garrett konnte sehen, dass bereits ein Blech im Ofen war. Er bedauerte, dass seine verstopfte Nase ihn nicht riechen ließ, wie es duftete.
Er guckte sich um. Henry musste die Nacht durchgemacht haben, denn alles war geschmückt worden. An den Fenstern hingen Gebinde aus Tannenzweigen und roten Stoffbändern, Kerzen zierten jeden Beistelltisch und jede Kommode. Er hatte farbig abgestimmte Decken über alle Tische gelegt und Schüsseln mit bunt verzierten Keksen standen herum.
»Hast du ... das alles in der Nacht gemacht?«
Henry wischte sich mit dem Unterarm über die Stirn und hinterließ etwas Mehl an selbiger, als er lächelte und nickte.
»Ja. Wenn wir Weihnachten schon hier verbringen müssen, dann sollte es sich auch so anfühlen, oder?« Er schnipste mit den Fingern und Garrett konnte hören, wie die Stereoanlage sich einschaltete und leise Weihnachtsmusik zu spielen begann. »Ich wollte sie nicht anmachen, solange du schläfst.«
Der Kranke lächelte. »Das hast du alles für mich gemacht?«
»Natürlich habe ich das. Weil du so traurig warst, dass wir nicht nach London können. Dein Vater hat uns für Silvester eingeladen und wünscht dir gute Besserung. Du kannst ihn ja anrufen nachher.«
Garrett ging um die Arbeitsfläche in der Küche herum und drückte sich seufzend in Henrys Arme, der diese in der Luft hängen ließ, weil er den Pyjama, den sein Freund trug, nicht mit Teig beschmieren wollte.
»Danke.«
Der Vampir drückte einen Kuss auf Garretts Stirn. »Lass mich schnell meine Hände sauber machen, dann zeige ich dir eine Überraschung.«
»Okay ...«
Henry wusch sich den klebrigen Teig von den Fingern, während der junge Mann versuchte, etwas von dem Duft der Kekse aufzufangen, was seine Nase ihm allerdings kaum gestattete.
»Zieh' nicht so einen Flunsch, mein Schatz. Du wirst bald wieder in Ordnung sein.«
»Aber es riecht bestimmt ganz toll ...«
»Hm, ja ...« Der Vampir trocknete sich die Hände ab und stupste seinem Liebsten sanft gegen die Nasenspitze.
»Komm, ich habe eine Überraschung für dich.«
»Bescherung ist erst morgen früh ...«
»Ich weiß. Das meine ich gar nicht. Komm.« Henry legte Garrett die kühlen Finger auf die Lider und schob ihn sanft in Richtung des Wohnzimmers.
»So ... jetzt kannst du gucken.«
Der junge Mann tat wie geheißen und ihm gingen die Augen über. Der Vampir hatte auch diesen Raum weihnachtlich geschmückt. Warme gelbe Lichter funkelten im Fenster, Gestecke aus Tannenzweigen und rotgoldenen Bändern zierten sowohl die Scheiben als auch den Wohnzimmertisch, auf dem eine Tischdecke lag, die an eine Schneeflocke erinnerte. Kerzen verbreiteten in der wattigen Dunkelheit, die das anhaltende Schneetreiben verursachte, ein weiches Licht.
Doch das Highlight, das Prunkstück des Raumes, stellte der Weihnachtsbaum dar, der durch die bunten Lichter schillerte, die sich in den vielen farbigen Christbaumkugeln spiegelten. Unter dem Baum hatte Henry zahlreiche liebevoll verpackte Geschenke drapiert.
Garrett spürte, wie er feuchte Augen bekam und drehte sich zu seinem Liebsten um. Schluchzend presste er seine Nase an dessen Schulter und klammerte seine Finger in dessen Pullover.
»Gefällt es dir?«
»Ja ... vielen Dank.«
»Dann bin ich ja beruhigt. Es war ein schweres Stück, einen hübschen Baum hier reinzukriegen, ohne dich zu wecken. Ich hätte es mir nicht verziehen, wenn die Überraschung nicht gelungen wäre.«
»Das ist sie. Es ist wundervoll. Dass du dir so viel Arbeit über die Nacht gemacht hast ...«
»Aber natürlich. Für dich doch immer, das weißt du doch.«
»Ich glaube fast, du liebst mich, hm?«
Henry lachte, schmatzte Garrett einen Kuss auf den Mund und bugsierte ihn auf das Sofa.
»Mach es dir gemütlich, ich bringe dir Tee und ein paar warme Kekse.« Der Vampir wandte sich der Tür zu.
»Henry?«
»Mehr als alles.«
Garrett lächelte gerührt und Henry verschwand in der Küche.
ENDE