"Sie sind nicht allein."
Wie durch Watte waren diese Worte an sein Ohr gedrungen, doch sein Innerstes nahm sie an, empfing sie, als habe es nur darauf gewartet, genau diese Worte zu hören. Es war absurd. Er war allein, daran konnten sorglos daher geplapperte Worte nichts ändern. Bis auf die wenigen Jahre, in denen er so etwas wie eine Freundschaft zu Lily gehabt hatte, war er immer alleine gewesen. Er hatte es selbst so gewählt, es war seine Entscheidung gewesen und er hatte sich auch nie beklagt.
Und doch.
Seit Dumbledore auf ihn zugekommen war, ihm eröffnet hatte, dass er nicht mehr lange zu leben hatte, und ihn gezwungen hatte, selbst auszuführen, was der Dunkle Lord eigentlich Draco aufgetragen hatte, seit damals nagte das Alleinsein an ihm. Er vermisste Lily. Und gleichzeitig begann ihre Existenz in seinem Geist zu verblassen. Alles wurde überschattet von dieser lähmenden Müdigkeit und dem Gefühl, dass es keinen Grund mehr gab weiterzumachen. Natürlich hatte er weiter gemacht, aber er hatte schon lange vergessen, warum.
Bis er Hermine Granger wiedersah.
Er verachtete sich noch immer für seine verabscheuungswürdige Tat. Nicht nur, dass er es getan hatte, sondern vielmehr wie. Er hatte es schnell und unpersönlich machen wollen, damit sie ihn danach mit aller Macht hassen konnte und so der kaum vermeidbaren psychischen Verletzung entgehen würde. Doch schon, als er in ihr kleines Kabuff getreten war, hatte er gespürt, dass es ihm nicht gelingen würde. Er hatte es genossen. Nicht die Vergewaltigung, aber das Gefühl ihres jungen Körpers, ihrer weichen Haut. Das Gefühl der Nähe zu einem anderen Menschen. Am liebsten hätte er sich danach übergeben, so angewidert war er von sich selbst.
Woher nur hatte sie die Kraft genommen, ihm zu verzeihen, ja, sogar Tränen seinetwegen zu vergießen? Wie konnte ein Mensch ein so großes Herz haben? Noch dazu für ihn? Nichts an ihm war liebenswert. Und doch hatte sie ihm das Gefühl vermittelt, dass er eine Zukunft haben konnte, dass sie an seiner Seite kämpfen würde und vielleicht nicht nur Dunkelheit auf ihn wartete.
Nur, um dann auf Lucius hereinzufallen und alles wegzuschmeißen.
"Sie müssen das nicht alleine tragen. Ich bin hier, an Ihrer Seite. Sehen Sie mich an."
Das Etwas in seinem Inneren, das sich nach genau diesen Worten gesehnt hatte, zwang ihn dazu, zu ihr aufzuschauen. Starr blickte er in diese braunen Augen, die ihn warm und voller Zutrauen anschauten, während der kleine Mund schon die nächsten Worte produzierte: "Vertrauen Sie mir. Ich weiß, das mag für Sie ungewohnt sein, weil Sie vermutlich seit Jahren niemandem mehr vertraut haben. Aber um Ihrer selbst Willen: Vertrauen Sie mir. Lassen Sie mich helfen."
Sie wollte ihm helfen. Sie. Ihm. Woher nahm sie diese Stärke? Wie konnte sie ihm vertrauen? Wie konnte sie ihn überhaupt berühren, nach allem, was er ihr angetan hatte? Es war eine verkehrte Welt. Nicht sie sollte ihm helfen, sondern er ihr. Er war immer derjenige gewesen, der anderen geholfen hatte. Er war von der Todesser-Seite gekommen und hatte auf Befehl von Dumbledore immer und immer wieder verschiedensten Ordensmitgliedern geholfen. Er war im Schatten, verborgen, er half. Er war nicht der Frontmann im Scheinwerferlicht, dem geholfen wurde.
Doch, genau das bist du. Sieh es endlich ein. Es gibt niemanden mehr außer dir, du bist derjenige, der plant, du bist derjenige, der ausführt. Du stehst vorne.
Plötzlich bemerkte er, dass seine linke Hand auf ihrer Wange lag, umschlossen von ihren Händen. Es war eine so zärtliche Geste, wie er sie noch nie erlebt hatte. Er sollte nicht das Objekt von Zärtlichkeiten sein, schon gar nicht für Hermine. Ruckartig entriss er ihr die Hand und richtete sich mit so viel Selbstbeherrschung wie möglich auf.
"Erzählen Sie mir von Lucius."
Er konnte sehen, dass sein plötzlicher Stimmungswechsel Hermine verwirrte, doch er war nicht bereit, ihr zu offenbaren, was gerade in ihm vorging, und glücklicherweise schien sie das zu begreifen. Ein ehrliches, erleichtertes Lächeln erschien auf ihren Lippen, während auch sie sich vom Boden erhob.
"Wie ich schon sagte: Ich glaube Mr. Malfoy, wenn er sagt, dass er unter Sie-wissen-schon-wem nur Opfer sein kann. Und dass er das nicht länger will. Ich bin mir nur unsicher, wie weit sein Mut gehen wird."
Sie blickte ihn aus ernsten Augen an, doch ihre Wangen glühten trotz des eisigen Regens. Ein kaum zu beherrschender Drang, sie in seine Arme zu reißen und fest an sich zu drücken, überkam ihn. Er hatte den Eindruck, dass sie beinahe leuchtete vor seinen Augen. Rasch wandte er sich ab, um seine stoische Fassade wieder aufzubauen, und setzte den Weg Richtung Kräutergarten fort.
"Ich muss mit Lucius alleine reden, um den Wahrheitsgehalt seiner Aussagen zu verifizieren."
"Das wird nicht möglich sein", erwiderte Hermine, die keuchend zu ihm aufgeholt hatte: "Er hat mir schon verboten, irgendetwas über seine geänderten Loyalitäten zu Ihnen zu sagen. Ein Gespräch mit Ihnen über dieses Thema wird gewiss nicht aufrichtig verlaufen."
"Das viel größere Problem ist, dass ich ihm nicht glaube", erklärte Snape: "Es erscheint mir einfach zu abwegig. Wieso glauben Sie ihm, Miss Granger? Seien Sie ehrlich zu mir. Und zu sich. Sind Sie in ihn verliebt?"
"Nein!", sagte Hermine so fest sie konnte. Sie war nicht in Lucius Malfoy verliebt, das wusste sie. Sie wusste nicht, was genau sie mit ihm verband, aber es war definitiv keine Liebe: "Sie müssen mir vertrauen. Ich bin nicht blind vor Liebe. Ich habe seine Argumente rational abgewogen und sein Verhalten beurteilt. Er ist vollkommen durch den Wind, auch wenn er es gut zu verbergen weiß. Bitte, glauben Sie mir."
Dieses merkwürdige Etwas in seinem Inneren, das ihn überhaupt auf Hermines Stimme hatte aufmerksam werden lassen, riss triumphierend die Faust in die Höhe. Warum nur war er so erleichtert darüber, dass ihre Aussage ganz offenbar der Wahrheit entsprach? Dass sie offenbar keine Liebe für Lucius empfand?
"Ich habe gar keine andere Wahl", stellte er kühl fest: "Ich muss mich auf Ihr Urteil verlassen, ansonsten müssten wir den Plan aufgeben. Wir riskieren alles, wenn wir Lucius ins Vertrauen ziehen, doch es ist unsere einzige Chance."
"Reden Sie mit ihm, gleich, wenn wir zurückkommen. Ich bin mir sicher, Sie werden am Ende genauso von seiner Aufrichtigkeit überzeugt sein wie ich!"
"Nein", fiel ihr Snape ins Wort: "Es wäre töricht, unvorbereitet in so ein Gespräch zu gehen. Ich muss überlegen, was ich sagen werde. Ich muss mich solange wie möglich uneindeutig geben und ihm gleichzeitig Sicherheit vermitteln. Das wird nicht leicht."
Hermine nickte langsam: "Dann brauchen Sie eine Ausrede, um heute hier zu übernachten. Sie könnten morgen früh mit ihm reden. Er pflegt meist alleine eine Tasse Kaffee an der Frühstückstafel einzunehmen, ehe seine Frau und Draco sich einfinden. Das ist eine gute halbe Stunde, die Sie als Zeitfenster haben."
Nachdenklich rieb er sich das Kinn: "Ich glaube, ich habe im Gewächshaus eine Pflanze gesehen, die in der Dämmerung blüht. Ich werde Narzissa einfach erklären, dass ich Blütenblätter von dieser Pflanze bräuchte und deswegen gerne eines ihrer Gästezimmer in Anspruch nehmen würde."
Für den Rest des gemeinsamen Spaziergangs schwiegen sie. Severus Snape versuchte zu verstehen, was da gerade mit ihm geschehen war. Er konnte klar sehen, dass er einen psychischen Zusammenbruch hatte, und so schwer es ihm auch fiel, dies zuzugeben: Verwundert war er nicht. Insgeheim hatte er sich schon oft gefragt, wie lange er das noch aushalten würde. Was ihm Rätsel aufgab, war seine Reaktion auf diese wenigen Sätze von Hermine. Sie hatte ihn aus dem tiefen Loch der Verzweiflung, in das er gefallen war, befreit. Das in sich war schon erstaunlich genug. Doch da war mehr. Da war ein warmes Gefühl in ihm, wann immer er sie ansah. Ein Gefühl, dass er so lange schon nicht mehr verspürt hatte, dass es ihm beinahe fremd war.
Vertraute er Hermine Granger?
oOoOoOo
Geistesabwesend schrubbte Hermine das schmutzige Geschirr in dem großen Waschbottich. Snape hatte ganze Arbeit geleistet, sein gelangweiltes Gesicht aufzusetzen und bei ihrer Rückkehr in einem Tonfall, der größte Selbstverständlichkeit ausdrückte, zu verkünden, dass er noch bis zum Mittag des nächsten Tages bleiben würde. Mrs. Malfoy hatte sich erfreut gezeigt, Draco hatte desinteressiert gewirkt und Lucius hatte ihr, ganz wie erwartet, einen misstrauischen Blick zugeworfen. Da sich Snape jedoch während des Abendessens vollkommen neutral verhalten hatte und auch sonst nichts darauf schließen ließ, worüber sie sich zuvor unterhalten hatten, hatte der Hausherr sich schließlich wieder entspannt. Hermines Gedanken jedoch kamen nicht zur Ruhe. Unablässig überlegte sie, wie sie selbst an Snapes Stelle das Gespräch mit Lucius angefangen hätte, doch ihr fiel beim besten Willen nichts ein.
"Hermine."
Überrascht drehte sie sich um - sie war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie nicht bemerkt hatte, wie Lucius Malfoy in die Küche getreten war. Da stand er vor ihr, eine Hand auf dem Küchentisch gestützt, die andere in seiner Hosentasche vergraben, und musterte sie mit einem Blick, der ihr durch Mark und Bein ging.
"Was kann ich für Euch tun, Sir?"
"Ich habe gesehen, dass du deine Arbeit in der Bibliothek vollendet hast. Ich würde das gerne mit dir stichprobenartig durchgehen. Lass das hier", er machte eine allumfassende Geste: "die Hauselfen erledigen, für irgendetwas haben wir die Viecher ja schließlich."
Mit zusammengezogenen Augenbrauen ob der beleidigenden Bemerkung über die Hauselfen band Hermine sich die Schürze ab, hängte sie auf und folgte Lucius aus der Küche. Sie fragte sich, ob es an der Aussicht lag, ihn über kurz oder lang als Verbündeten gewinnen zu können oder vielleicht an dem merkwürdigen Blick zuvor, doch eines war gewiss: Seine Gegenwart machte sie heute unsagbar nervös.
Ohne sich ihre innere Unruhe anmerken zu lassen, betrat sie vor Lucius die Bibliothek und setzte sich an ihren Schreibtisch: „Wie genau wollt Ihr vorgehen?“
„Du nennst mir drei Stichworte, die du für die Kategorisierung genutzt hast, und ich schaue nach, ob ich mit den Büchern, die dabei auf der Liste erscheinen, zufrieden bin.“
„Schön.“
Kurz kramte Hermine in ihrem Gedächtnis, dann gab sie Lucius drei Schlagworte, die sie für möglichst viele Bücher benutzt hatte. Mit zusammen gezogenen Augenbrauen ging er die Liste durch, die ihm das verzauberte Pergament ausgab, ehe er zufrieden nickte und weitere drei Schlagworte verlangte. Immer wieder überlegte Hermine sich Kombinationen, die möglichst viele Bücher umfassten, immer wieder zeigte sich Lucius von ihrer Arbeit überzeugt. Schließlich legte er mit einem Nicken die Liste weg.
„Das sieht gut aus“, merkte er an: „Du hast gründlich und nachvollziehbar gearbeitet. Damit ist dein Dienst hier abgeschlossen. Wann immer ich neue Bücher beschaffe, wirst du sie in den Katalog einarbeiten, ansonsten brauche ich dich hier nicht mehr.“
Stolz über sein Lob, aber auch etwas wehmütig, dass sie fortan nicht mehr den größten Teil des Tages in der Bibliothek verbringen würde, nickte Hermine. Vermutlich spielte das aber sowieso keine Rolle, denn sollte ihr Plan aufgehen, würde sie in wenigen Tagen eh nicht länger als Sklavin in diesem Haus festsitzen. Langsam stand sie auf und wollte sich gerade zum Gehen wenden, da packte Lucius sie fest bei den Schultern.
„Die Bibliothek ist ein ganz besonderer Ort für uns beide, nicht wahr?“, flüsterte er in ihr Ohr. Unsicher blickte sie ihn an: „Wie meint Ihr das?“
„Hier war es, dass du dich mir zum ersten Mal geöffnet hast!“, erklärte er, während er sie gleichzeitig mit dem Rücken voran auf den Schreibtisch zwang: „Hier habe ich gelernt, was für eine göttliche Frau du bist.“
Hermines Herzschlag beschleunigte sich – also hatte sie sich doch nicht eingebildet, dass sein Blick zuvor voller Lust gewesen war. Sie begann zu zittern, als sie seine heißen Hände auf den Innenseiten ihrer Schenkel spürte. Mit sanftem Druck zwang er sie auseinander, um sich dazwischen zu positionieren. Ängstlich schaute sie zu ihm auf, direkt in diese glitzernden Augen, die ihr so deutlich machten, was ihr Herr von ihr verlangte. Hitze durchzuckte ihren Körper und Hermine wurde klar, dass sie sich nach seiner Umarmung sehnte. Sie schloss die Augen, um sich ganz dem Gefühl ihrer Erregung hinzugeben, alle Gedanken an die Umgebung zu verdrängen – doch plötzlich trat Snape vor ihr inneres Auge. Snape, der sie genauso verzweifelt anschaute wie am Nachmittag, der sie vorwurfsvoll musterte. Und verletzt.
„Mr. Malfoy“, flüsterte sie: „Ich … ich kann nicht.“
Ein überlegenes Grinsen stahl sich auf seine Lippen: „Oh, das glaube ich dir sofort. Aber dein Körper erzählt mir etwas anderes. Ich werde dir zeigen, wie gut es sich anfühlt, den Verstand zu ignorieren und auf den Körper zu hören.“
„Nein!“, entgegnete Hermine verzweifelt: „Darum geht es nicht. Das hier hat nichts mit … mit meinem verqueren Kopf zu tun.“
„Doch, genau das hat es!“, gab Lucius zurück, während er mit demselben Grinsen begann, ihr das Kleid und die Unterwäsche auszuziehen: „Ich kenne dich inzwischen gut genug, Hermine. Ich weiß, dass ich dich zu deinem Glück zwingen muss, dass du dich nur fallen lassen kannst, wenn ich dich völlig meinem Willen unterwerfe.“
Wieder durchschoss Hitze ihren Körper. Unbewusst rieb sie ihr Becken an ihm, was Lucius nur zu einem weiteren selbstzufriedenen Grinsen veranlasst. Betont langsam ließ er seine Hand über ihren Bauch fahren, immer weiter hinunter, bis er zwischen ihren Beinen angekommen war.
Sie wusste, wenn sie klar und deutlich Nein sagte, würde er von ihr ablassen. Doch war das, was zwischen Snape und ihr vorgefallen war, wirklich ein Grund, sich Lucius gegenüber zu verschließen? War es wirklich so verwerflich, sich ein letztes Mal völlig dominieren zu lassen, die Kontrolle abzugeben und die Welt um sich herum zu vergessen? Sie schuldete Snape nichts. Sie waren ja nicht einmal Freunde, sie waren nur Verbündete, eine Zweckgemeinschaft.
Warum nur schaute er sie vor ihrem geistigen Auge so traurig an?