Wie angewurzelt starrte Severus Snape auf die reglose Gestalt, die in der Dunkelheit auf seinem Sofa lag. Er konnte nicht begreifen, welcher böse Streich des Schicksals Hermine Granger in seine Wohnung gebracht hatte. Vorsichtig näherte er sich der schlafenden Frau. Aus der Nähe betrachtet konnte er sehen, dass sie aschfahl im Gesicht war und ihr Atem schnell und flach kam. Schweiß bedeckte ihren Körper, aber die Hand, die unter der Decke hervorschaute, fühlte sich eiskalt an.
So leise wie möglich ließ er sich neben ihr auf dem Boden nieder, um sie weiter zu untersuchen. Schnell stellte er fest, dass die junge Frau völlig unterkühlt war und gleichzeitig von einem bösen Fieber heimgesucht wurde. Was hatte sie in diesen Zustand versetzt? Und warum war sie in seiner Wohnung? Ginevra konnte er nicht fragen, denn sie war wie jede Nacht in ihrem Zimmer eingesperrt und er hatte keine Lust, jetzt etwas daran zu ändern.
Mit einer schnellen Bewegung entfachte Snape ein Feuer im Kamin, das Licht und Wärme spendete. Dann verschwand er in seinem Brau-Zimmer, um seine Vorräte auf nützliche Tränke zu untersuchen.
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Kopfschmerzen plagten Hermine, als sie das erste Mal nach langer Zeit ihre Augen öffnete. Unfähig, sich aufzurichten, schaute sie um sich – und erstarrte. Auf einem Sessel ihr gegenüber saß Severus Snape und blickte sie direkt an. Es war dunkel in dem Zimmer, was auf Nacht hindeutete, nur die letzten flackernden Flammen eines Kaminfeuers erhellten den Raum.
„Sie sind wach.“ bemerkte der schwarzgewandte Mann ruhig.
„Warum bin ich hier? Haben Sie … habt Ihr …“, stammelte Hermine, unfähig das auszuformulieren, was sie wissen wollte. Der Ausdruck im Gesicht ihres Gegenübers verfinsterte sich, als sie erahnte, was ihre Frage war.
„Ich mag zwar ein gewalttätiger Bastard sein, Miss Granger“, erwiderte er grimmig, „aber selbst ich empfinde keine Freude daran, mich am leblosen Körper einer Frau zu ergötzen.“
Überrascht registrierte Hermine, dass Snape vom Du direkt wieder in das Sie übergegangen war, welches schon vor Wochen bei ihr für Verwirrung gesorgt hatte. Erneut versuchte sie sich aufzurichten, doch ihre Glieder wollten ihr nicht gehorchen.
„Ich würde Ihnen davon abraten, sich jetzt zu viel zu bewegen. Sie haben sich eine schwere Unterkühlung zugezogen, und die Tränke, die ich Ihnen verabreicht habe, werden noch eine Weile brauchen, ehe sie wirken. Ruhen Sie sich aus.“
„Ausruhen?“, fragte sie empört, „Denken Sie wirklich, ich kann mich in Ihrer Gegenwart entspannen?“
„Achja, da war ja was …“, kommentierte Snape trocken, ehe er sich erhob und langsam den Raum Richtung Tür durchschritt
„Wo wollen Sie hin?“, unterbrach ihn sogleich die verängstigte Stimme von Hermine. Stirnrunzelnd blieb er stehen und drehte sich um.
„Meine Gegenwart ist Ihnen offensichtlich unangenehm. Ich dachte daher, Sie zögen es vor, wenn ich mich entferne.“
„Einen Teufel werden Sie tun!“, fuhr Hermine ihn an, „Lieber ertrage ich Ihren Anblick als dass ich nicht weiß, wo Sie sich rumtreiben. Ehe ich mich nicht selbst bewegen kann, will ich wissen, wo Sie sich aufhalten!“
Amüsiert hob Snape eine Augenbraue: „Süß, kleine Gryffindor. Und was, meinen Sie, gibt Ihnen die Macht, über mich zu befehlen?“
Mit raschen Schritten trat er wieder an das Sofa heran und beugte sich zu ihr herab, eine Hand auf der Armlehne, eine auf der Rückenlehne gestützt: „Denken Sie ernsthaft, irgendetwas von dem, was Sie sagen, bewirkt eine Handlung von mir, wenn ich das nicht selbst will?“
Verängstigt starrte Hermine ihn an. Die Art, wie er über ihr aufragte, auf sie niederschaute, sie zwischen seinen Armen gefangen hatte, erinnerten sie nur zu gut an die Nacht, in der er sein gekauftes Gut eingefordert hatte. Sie hatte ihn seitdem nur am Frühstückstisch am Morgen danach gesehen, die folgenden Tage war er wie vom Erdboden verschwunden und für Hermine hatte es nur noch sie und Lucius Malfoy gegeben.
Erst der gestrige Tag hatte ihr wieder in Erinnerung gerufen, wie bösartig die Menschen um sie herum tatsächlich waren und dass Lucius Malfoy im Vergleich zu diesen ein Ausbund an Freundlichkeit war. Apropos gestern…
„Wie lange war ich bewusstlos?“
Überrascht blinzelte Snape – mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet, zumindest nicht jetzt, in dieser Situation. Er ließ von den Lehnen ab und setzte sich auf den schmalen Rand, den Hermines Körper von dem Sofa übrig ließ.
„Ich weiß nicht, wann Sie das Bewusstsein verloren haben und wann Sie hier aufgetaucht sind. Gefunden habe ich Sie vor bald 24 Stunden, regungslos und alleine auf diesem Sofa liegend.“
„So lange?“, fragte sie schockiert. Sie konnte sich nur noch daran erinnern, wie sie den Kübel umgekippt und sich darunter zusammen gerollt hatte. Danach nur noch Schwärze … oder fast. Dunkel stiegen Bilder in ihr auf, wie Lucius Malfoy sie in seine Arme zog, wie sie seinen Namen murmelte und er sie darauf fester an sich drückte. Hatte er sie sofort zu Snape gebracht?
„Was soll ich nun tun, Miss Granger?“, riss Snape sie aus ihren Gedanken. Plötzlich wurde sie sich seiner Nähe sehr bewusst, spürte seinen Schenkel neben ihrer Hüfte und registrierte sogar die leichte Wärme, die er auch durch die Decke hindurch ausstrahlte.
„Setzen Sie sich zurück in Ihren Sessel und bleiben Sie da!“, fauchte sie. Snape zog diesmal beide Augenbrauen hoch, doch zu Hermines Verwunderung leistete er ihrem Befehl Folge. Stille breitete sich in dem kleinen Wohnzimmer aus, nur unterbrochen von dem Knacken der Holzblöcke im Kamin. Das Feuer hatte überraschend neue Kraft gewonnen und spendete nun Wärme, die Hermine nur zu gerne aufsog.
Minuten verstrichen, in denen keiner von beiden ein Wort sagte. Hermine fühlte sich zunehmend unwohl, so vollkommen hilflos an das Sofa gefesselt, liegend und kraftlos, keine zwei Meter von dem Mann entfernt, der sie vor nicht einmal einer Woche brutal vergewaltigt hatte. Sie verstand nicht, wieso er ihren Bitten gehorchte, doch der Mann, der jetzt vor ihr saß, erinnerte sie viel mehr an ihren ehemaligen Tränkelehrer als der rücksichtlose, lüsterne Todessern, der sich ihres Körpers bemächtigt hatte. Sie spürte, wie die Müdigkeit ihr in die Glieder kroch, doch die Vorstellung, im selben Raum wie dieser Mann zu schlafen, behagte ihr nicht.
„Wo ist eigentlich Ginny?“, fragte sie daher, um sich abzulenken.
„In ihrem Zimmer. Sie wird nicht vor sieben Uhr morgens erscheinen, und bis dahin sind noch etwa zwei Stunden.“
„Weiß sie, dass ich hier bin?“
„Selbstverständlich. Ich nehme an, sie war es, die sich um Sie gekümmert hat, nachdem Lucius Sie hier abgeladen hat. Und sie hat sich im Verlauf des letzten Tages rührend um sie gekümmert.“ erwiderte Snape, wobei das Wort rührend aus seinem Mund eher abfällig klang.
„Warum ist sie nicht hier?“
„Immer noch die kleine, wissbegierige Gryffindor von früher, was?“, kommentierte der Mann verächtlich, doch Hermine meinte, so etwas wie ein Schmunzeln um seine Mundwinkel spielen zu sehen, ehe er fort fuhr: „Ich habe es so eingerichtet, dass Miss Weasley jeden Abend um zehn Uhr in ihr Zimmer gehen muss und es nicht vor sieben Uhr in der Früh wieder verlassen kann. Man weiß nie, wann eine in die Enge getriebene Löwin einen hinterrücks anfällt, ich möchte keine Eventualitäten in Kauf nehmen.“
„Sie haben sie eingesperrt?“, keuchte Hermine empört.
„Ja, zu meiner Sicherheit. Darüber hinaus kann in diesem Zeitraum niemand außer mir die Tür öffnen, so dass sie nachts auch dann geschützt ist, wenn ich außer Haus bin.“
„Geschützt, sagen Sie …“, setzte sie an, doch der zornige Blick verhinderte, dass sie den zynischen Kommentar, der ihr auf der Zunge lag, aussprach. Wann immer sie auch nur andeutete, dass er etwas Böses oder Unmoralisches tun könnte, wurde sein Gesichtsausdruck hart und abweisend. Sie hätte erwartet, dass er stolz auf seine Untaten war, immerhin hatten sie ihm einen hohen Rang unter den Todessern eingebracht.
„Wenn es Sie beruhigt, Miss Granger“, begann Snape, „ich habe Ihre Freundin nicht angerührt.“
Ein ungläubiges Schnauben entfuhr Hermine: „Ja, sicher.“
„Sie können Miss Weasley selbst fragen!“, erwiderte er hitzig, „Sie ist gerade erst 17 geworden!“
„17 oder 18, was spielt das für eine Rolle?“, schleuderte Hermine ihm entgegen, nun wieder mit den Tränen kämpfend. Wut und Verzweiflung kämpften in ihr, doch es war schließlich die Wut, die die Oberhand gewann: „Wenn Sie bei mir schon nicht zimperlich waren, obwohl ich einem anderen gehöre, wieso sollten Sie dann bei anderen Frauen zurückschrecken? Ich glaube Ihnen kein Wort!“
„Es war nicht meine verdammte Idee, Ihre Jungfräulichkeit zu verkaufen!“, gab Snape erbost zurück.
„Sie hätten mich ja nicht kaufen müssen! Niemand hat Sie dazu gezwungen!“
„Wäre es Ihnen lieber gewesen, Fenrir Greyback hätte an dem Abend die Galleonen dabei gehabt?“
Mit aufgerissenen Augen starrte Hermine Snape an. Sie konnte nicht glauben, was sie da hörte: „Wollen Sie Ihre Schandtat jetzt auch noch als Heldenmut darstellen? Als Rettung der edlen Jungfer aus den Klauen eines Ungeheuers? Machen Sie sich nicht lächerlich! Niemand hat etwas anderes von Ihnen erwartet, als ein mordender, gewaltbereiter Todesser zu sein, der Spaß an einer Vergewaltigung empfindet.“
Hart schluckte Snape, ehe er leise erwiderte: „Miss Weasley zeigte sich überrascht ob der Erkenntnis, dass ich ein Vergewaltiger bin. Sie hat die letzten Wochen bei mir gelebt und sie hat es mir nicht zugetraut.“
„Ginny … weiß es?“, fragte Hermine. Ihre Wut verrauchte augenblicklich und verwandelte sich in eine Mischung aus Scham und Mitgefühl. Ebenfalls leiser fragte sie: „Warum?“
„Als Muggelgeborene waren Sie doch sicher früher in der Kirche … da heißt es, die Beichte könne einem dabei helfen, Vergebung für seine Sünden zu finden“, erklärte er emotionslos, „vielleicht habe ich einfach nur mein Gewissen erleichtern wollen …“
Nun war es an Hermine zu schlucken. Der Mann vor ihr hatte so gar nichts mehr gemein mit dem stolzen, eingebildeten, brutalen Todesser, den sie vor knapp einer Woche erstmals am eigenen Leib gespürt hatte. Snape wirkte erschlagen, als würde er wirklich bereuen, was geschehen war. Und er hatte sie nicht Schlammblut genannt. Hermine schüttelte den Kopf. Wenn er es nicht hatte tun wollen, dann hätte er es nicht tun müssen. Niemand hatte ihn gezwungen, die 300 Galleonen zu investieren. Niemand hatte ihn gezwungen, nachts in ihr Bett zu schleichen und sie hart und rücksichtslos zu nehmen. Nur zu genau erinnerte sie sich, wie er mitten drin inne gehalten hatte, wie er sie angesehen hatte, ihren Namen gestöhnt und sie brutal geküsst hatte. Er war geil auf sie gewesen, er hatte tatsächlich ihren Körper besitzen wollen.
Egal, was er jetzt sagte, er würde ihr niemals weiß machen können, dass er nicht mit ihr hatte schlafen wollen.
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Eiligen Schrittes lief Ginny die Treppe ins Erdgeschoss hinab. Die Wohnung von Snape war als Maisonette angelegt, entsprechend bot sie mehr Platz, als die kleine Grundfläche zunächst vermuten ließ. Und sie war hellhörig. In den frühen Morgenstunden, als es draußen noch dunkel gewesen war, hatten laute Stimmen sie geweckt. Sie hatte nicht verstanden, was gesagt wurde, doch es waren unmissverständlich Hermine und Snape, die miteinander stritten. Nicht zum ersten Mal hatte Ginny über ihr Gefängnis geflucht. Entsprechend beeilte sie sich nun, in das Wohnzimmer zu kommen und die erwachte Hermine zu begrüßen.
„Hermine!“, rief sie aus, kaum dass sie den Raum betreten hatte.
„Ginny!“
Mit einem glücklichen Lachen fiel das rothaarige Mädchen ihrer Freundin in die Arme. Es war Wochen her, dass sie sie zuletzt gesehen hatte, und alle Nachrichten, die sie seitdem gehört hatte, waren höchst unerfreulich gewesen. Umso fröhlicher war sie nun, da Hermine offenkundig auf dem Weg der Besserung war.
„Ich freu mich so, dich zu sehen!“, sagte sie überschwänglich. Dann fiel ihr Blick auf Snape, der unberührt daneben saß und die Szene beobachtete. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass sie sich mit dem Frühstück beeilen musste: „Warte bitte kurz hier, ich muss erst Frühstück machen. Oh ich freue mich, dich wach zu sehen!“
„Lassen Sie nur, Miss Weasley“, kam es da von Snape, „ich mache das heute selbst. Reden Sie nur in Ruhe mit Miss Granger. Es wird Ihnen beiden gut tun!“
Überrascht schauten beide Frauen ihn an, doch Ginny zuckte schließlich nur mit den Schultern – es war nicht das erste Mal, dass Snape versuchte, sich mit einem guten Frühstück in ihr Herz zu schleichen. Und so wandte sie sich wieder ihrer Freundin zu, entschlossen, alle bösen Schatten aus deren Gemüt zu vertreiben und ihr in der kurzen Zeit, die ihnen zu zweit blieb, so viel Hoffnung und Zuversicht wie möglich mit auf den Weg zu geben.