Der nächste Morgen war grau und bitterkalt und die Pferde hatten es nicht eilig aus dem warmen Stall zu kommen. Das Packpferd verharrte auf der Schwelle, richtete die Ohren auf und blähte die Nüstern. Rafael schnalzte und zupfte am Zügel, damit das Tier ihm seine Aufmerksamkeit zuwandte. »Nun komm schon.«
Widerwillig folgte ihm die Stute hinaus in den Hof zu den anderen Pferden, die dicht aneinandergedrängt dastanden und jämmerlich die Köpfe hängen ließen, während eine Böe zwischen ihnen hindurchfuhr. Rafael erging es nicht besser, denn der Wind schnitt selbst durch mehrere Lagen Pelz und Wolle, die er zusätzlich zu seinem Kettenhemd trug.
»Verfluchte Hölle«, knurrte er und bei jedem Wort gefror der Atem vor seinem Mund. Mit steifen Fingern schlang er den Zügel um einen Pfosten, hob ein Bündel Fackeln auf den Rücken des Packpferdes und zurrte es fest.
Ahmad stand mit verschränkten Armen da und drückte die Hände in die Achselhöhlen. Er trug dicke Wollhandschuhe, trotzdem beklagte er sich ständig, dass seine Finger froren.
»Wir sollten jetzt in Rodéna sein und uns die Zeit mit angenehmeren Dingen vertreiben«, sagte er.
»Verdammt richtig. Aber da wir das nicht sind, könntest du dich ja vielleicht nützlich machen und mir helfen. Dame Gwenfrewis Pferd muss gesattelt werden.«
»Es ist viel zu kalt, um die Frauen mitzunehmen«, wandte Ahmad ein. »Sie werden uns nur aufhalten.«
Rafael schnaubte. »Du kannst gerne versuchen, Roana von deiner Ansicht zu überzeugen.«
»Sie ist deine Frau. Befiehl es ihr.«
Machst du Spaß, alter Mann? Wir wissen doch beide, wie sinnlos es ist Roana etwas befehlen zu wollen.
»Drei Paar Augen sehen mehr als zwei.« Außerdem könnte ich es gerade jetzt nicht ertragen von Roana getrennt zu sein, dachte Rafael, aber das behielt er lieber für sich.
Ahmad hievte wortlos den Sattel auf den Rücken der ruhigen Stute, die sie für Dame Gwenfrewi gewählt hatten und zog den Sattelgurt fest. Rafael steckte zwei Finger in den Mund und stieß einen durchdringenden Pfiff aus. Roana und Gwenfrewi traten aus der Tür des Wohnhauses und gesellten sich zu den Männern.
Wenig später saßen alle im Sattel und die kleine Gruppe trabte über die Brücke des Gutshofes. Rafael entschloss sich, nicht querfeldein zu reiten, wie er es allein getan hätte. Das Gelände war sumpfig, und erforderte höchste Aufmerksamkeit von Pferden und Reitern. Das konnte er mit Gwenfrewi nicht wagen.
Die Gräfin starrte desinteressiert vor sich hin. Eine Zeit lang beobachtete er sie, was ihn, da keines der landschaftlichen Merkmale sie aus ihrer Lethargie zu reißen vermochte, bald langweilte; er wandte sich seinem Pferd zu und trieb es zu einer schnelleren Gangart an.
Eine milchige Sonne brach durch die Wolken, ohne Wärme zu spenden. Der Boden war hart, die Gräser so steif vom Raureif, dass sie leise knisterten, wenn ein Pferdehuf sie zertrat. Rafael konzentrierte sich auf das Geräusch, aber dann schien es ihm, als ob es ihn zu sehr von seiner Aufgabe ablenkte. Er sah zu Roana hinüber. Sie bemerkte es nicht. Seit dem Frühmahl hatte sie kaum ein Wort gesprochen. Genau wie ihm schien auch ihr der Wille zu fehlen, das Schweigen zu durchbrechen. Obwohl er gerne mit ihr geredet hätte. Sein Inneres war schwer und hart wie ein Felsen, gleichzeitig spürte er, wie sein Leben von den stetig nagenden Fluten seiner Trauer langsam zu Gries zermahlen wurde. Er wusste nicht, was er dagegen tun sollte.
Sie ritten die gewundene Straße zur Glouburg hinauf und blieben vor dem Eingang stehen. Das Torhaus hatte im Feuer sein hölzernes Dach und das Tor eingebüßt. Ein Teil der Mauern war eingestürzt, die geborstenen Buckelquader lagen wild verstreut auf dem Boden. Rafael mahnte seine Begleiter zur Vorsicht, bevor er sein Pferd durch die Trümmer lenkte. Sie überquerten den Innenhof, passierten ein weiteres Tor und kamen auf den ehemaligen Turnierhof der Glouburg.
Rafael bedeutete den anderen, dass sie warten sollten. Er saß ab, warf die Zügel seines Pferdes zu Boden und ging auf die Stelle zu, an der sie den toten Richard von Glouburg zurückgelassen hatten. Es erschien ihm anständiger, sich zu überzeugen, in welchem Zustand die Leiche war, bevor Gwenfrewi sie zu sehen bekam. Er bog um eine Ecke und blieb überrascht stehen. Ein unangenehm kalter Schauer lief sein Rückgrat hinunter. Die Leiche war fort.