Ich ging sofort auf mein Zimmer, stellte mich kurz unter die Dusche und ließ am Schluß das kalte Wasser über meine Schultern laufen. Das hatte was. Sofort fühlte ich mich frisch und munter und zog mich für den bevorstehenden Auftritt um. Es klopfte und Brandmayr stand vor der Tür. Er bestand darauf, auch heute wieder mit mir vorne zu stehen. "Man weiß nie, was für Hirnies unterwegs sind, Michael. Und wenn ich schon da bin, mach ich meine Arbeit." - "Vielleicht hast du recht Josef!" Rutschte mir das DU raus. "Eben! Sie verlieren nichts dabei und ich hab auch gar keine Lust, mich planlos in München rumzutreiben." - "Josef, ich glaube, es ist Zeit, DU zu sagen. Du gehörst ja schon fast zur Familie, solange, wie du jetzt schon auf uns aufpasst und du machst es nach wie vor vorbildlich." - "Sehr gerne, Michael. Das ist mir eine Ehre." - "Ich ziehe mich noch fertig um, wir treffen uns im Foyer, Josef." - "Ist gut, Chef."
Auch diesmal war der Saal bis auf den letzten Platz besetzt. In der Hauptsache handelte es sich wieder um hochrangige Mediziner und Universitätsdozenten und Professoren, aber auch Verwaltungsangestellte und Versicherungsleute. Auch von den Kassen waren heute mehr Leute hier, sowie einige Reporter.
Der Vortrag war ein ebensolcher Erfolg wie am Vortag, was mich sehr freute. Selbst bei der Diskussionsrunde im Anschluss konnte ich punkten, nachdem ich einige Fangfragen von Reportern geschickt an die Wand fuhr. "Ich möchte ihnen nicht zu nahe treten," Sagte ich zu einem besonders angriffslustigen Reporter, "aber dies ist ein Symposion für Fachleute! Wenn sie also mit dem Vorsatz hierhergekommen sind, mich bloßzustellen, hätten sie sich vorher ein Wenig mit der Materie befassen sollen!" - "Und was macht ihre Frau, während sie hier den schlauen Mann spielen? Schmust die wieder mit einem Anderen?" Sofort gellten BUH-Rufe durch den Saal! Diese Frage wurde von den ernsthaft interessierten, seriösen Besuchern ebenfalls als Beleidigung empfunden. Josef verließ den Platz schräg hinter mir und begab sich zum besagten Reporter.
"Meine Damen und Herren," Sagte ich. "auch wenn meine Ehe nicht Gegenstand unserer Zusammenkunft ist, erlauben sie mir bitte ein paar Worte zu diesem Thema. Ein mittlerweile inhaftierter krimineller Privatdetektiv hat jene Bilder, die hier Stein des Anstoßes sind, in Kroatien gemacht. Branka Juvanovich, die ich seit meiner Jugend kenne, sieht meiner Frau zum Verwechseln ähnlich, und wurde hier mit ihrem Freund fotografiert! Was tatsächlich authentisch ist, ist das Kleid, das meine Frau ihrer Doppelgängerin geschenkt hat, als sie beim Abendessen von ihr darauf angesprochen wurde. Branka gehört für uns quasi zur Familie und war bestürzt über diese Bilder, insbesondere deshalb, weil damit wieder einmal versucht wurde, uns in Verruf zu bringen. Ich weiß, das gehört nicht hierher, aber ich bin auch nur ein Mensch. Ich liebe meine Frau und möchte die unerhörte Anschuldigung dieses Herrn nicht einfach so stehen lassen! (Freundlicher Applaus) Ich verweise ihn deshalb des Saales. Josef, wenn du so freundlich wärst, dem Herrn den Ausgang zu zeigen... Danke! Hat noch jemand eine vernünftige Frage?"
Erfreulicher Weise kamen noch über eine halbe Stunde lang intelligente und auch wichtige Fragen und gegen dreiundzwanzig Uhr fünfzehn verließ ich unter tosendem Applaus als moralischer Sieger das Rednerpult. Josef begleitete mich ins Foyer. "Ich hab ihm den Presseausweis abgenommen Chef! Ich hab ihm gesagt, gegen eine Spende an die Stiftung hat er eine Chance, ihn wieder zu bekommen, ohne verklagt zu werden!" - "Gut gemacht, Josef! Was hältst du davon, auszuchecken. Überraschen wir unsere Frauen damit, heute Nacht noch heim zu kommen!" - "Ich bin dabei!"
Um viertel vor eins kroch ich ganz leise unter die Decke und begann Selina ganz zart zu streicheln. Ein paarmal murmelte sie irgend etwas Unverständliches, doch ich konnte keinen handfesten Protest erkennen. Das ging eine ganze Weile so, bis sie schließlich auf mir lag. "Du bist selbst schuld, du Ungeheuer!" murmelte sie. "Woran, denn, Liebling?" - "Ich werd' dich jetzt vernaschen, dass dir hören und sehen vergeht!" - "Ohjah, Sel! Ich verdiene keine Gnade!""