Es war einmal in einem dunklen Wald. Da lebte ein seltsames Wesen, nicht Tier, nicht Mensch – und es lebte allein. Woher es kam, wusste es nicht so genau. Und es machte auch keine Unterscheidung zwischen Menschen und Tieren, denn Menschen hatte es noch nie gesehen. Er sah nur die fast durchsichtigen Fische im Fluss, die munter miteinander spelten. Er lauschte den Vögeln, die um seine Erdhütte herum ihre Nester bauten. Und sprach mit den Rehen, die sich ihm näherten, wenn er länger am Teich saß.
Die Tiere wunderten sich sehr, dass das Wesen alleine lebte. Sie redeten viel darüber, wenn sie unter sich waren.
Was sie nicht wussten, war, dass es gar keine dauerhafte Gesellschaft ertragen hätte und ziemlich zufrieden war, immer nur der eigenen Nase nach leben zu können. So hätte es glücklich bis ans Lebensende im Wald verbracht, hätten die Tiere nicht einen Plan geschmiedet ...
Eines Tages, als der Eichelhäher mal wieder alle mit einem Fehlalarm aufgescheucht hatte, weil er das Wesen mit dem Jäger verwechselt hatte, hockten sich Rehe, Hasen und Wildschweine an den Teich.
"Das Arme! Es muss sehr einsam sein", meinte Mama Häsele.
"Es weiß ja gar nicht, was Familie ist", pflichtete Mutter Bache bei. "Nicht, lasst die Vielosofische in Ruhe!", musste sie immer wieder ihre sieben Frischlinge ermahnen. Die konnten dem Gerede der Erwachsenen nicht viel abgewinnen und bewarfen aus lauter Langeweile die fast durchsichtigen Fische im Teich mit Matschklumpen.
"Wir sollten ihm helfen", sann das Rehlein und schaute verträumt über den Teich.
Eine Weile schwiegen die Tiere und hingen ihren Gedanken nach. Nur Mutter Bache bekam keine Ruhe, weil ihre Sprösslinge nicht im Traum daran dachten zu gehorchen. Mutter ärgern ist immerhin lustiger als nichts tun und blöd rumstehen. Weglaufen ließ sie ihre Kleinen auch nicht. Also was sollten sie machen, nicht wahr? "Wenn ihr nicht gleich Ruhe gebt, gehen wir", drohte Mutter Bache schließlich. "Au ja!", jubelten die Kleine und ihre Mutter guckte missvergnügt, da ihre Drohung so gar nicht den gewünschten Effekt zeigte.
Aus einem Grund, den niemand nachvollziehen konnte (und auch niemand nachdachte), löste das eine Kettengedankenlawine bei dem Hasemann aus. "Das ist es! Er braucht einfach mal Abwechslung! Wir bringen ihn in die Stadt!" Vor Begeisterung trommelte er mit den Hinerläufen auf einen Baumstumpfe und sprang mehrfach in die Höhe, wobei er sich immer wieder um die eigene Achse drehte.
"Angeber!" ... dachte Frau Bache.
"Mein Hasi!" ... dachte Mama Häsele.
"Ob er was falsches gefressen hat?" ... dachte Rehlein.
Und alle schwiegen, bis der Hasemann zur Ruhe kam.
Alle, bis auf die Frischlinge. Die ließen endlich die Vielosofische in Ruhe, weil es viel mehr Spaß machte, den Hasemann nachzumachen.
"Hört auf, hört bloß auf", stöhnte Frau Bache, "ich werd noch wahnsinnig". Doch ihre Kleinen hörten sie nicht einmal, sondern bouncten up and down and up again. Und lachten, dass ihre Ringelschwänzchen bebten.
Da fühlte sich der Hasemann gekränkt, weil er glaubte, sie wollten ihn vera... veräppeln. Und weil die Damen alle vergaßen, Beifall zu klatschen zu seinem genialen Einfall. "Wieso sagt ihr nichts, war doch ne tolle Idee? Oder?" Aber er wartete die Antwort gar nicht ab, sondern begann, seinen Plan zu bis ins Detail auszufeilen.
Völlig verdattert ließen die anderen es zu und nickten nur ab und zu mit den Köpfen. Frau Bache war nur froh, dass ihre Kinder endlich mal still waren und offenen Mundes lauschten.
Es dauerte auch nicht lang, und der Eichelhäher hatte den Aufenthaltsort des Wesens aufgespürt und lotste laut krächzend die anderen dort hin. Alle bis auf das Rehlein hielten sich im Hintergrund. Frau Bache war mit ihren Schützlingen auf den Lieblingsschlammplatz ihrer Kinder gegangen.
"Wir müssen dir unedingt was zeigen", sprach Rehlein das Wesen an.
Das war gerade mit Holzsammeln beschäftigt und einigermaßen irritiert. "Wir?" Es blickte sich um, konnte aber die gut versteckten anderen Tiere nicht sehen. Egal, dachte es, wird nur so eine Redewendung sein. "Was willst du mir zeigen?"
"Oh, also ..." Verzwefelt versuchte sich Rehlein an seinen Text zu erinnern. Er fiel ihm nur teilweise ein. "Also komm einfach mit" schloss es und sprang davon.
Das kam dem Wesen zwar seltsam vor. Aber das Holz würde auch später noch da sein, also warum nicht dem Reh einen Gefallen tun? So tappte es drauf los, ohne groß darauf zu achten, dass es bald aus dem Wald heraus ging.
In Sichtweite des erste Hauses versteckte sich das Reh scheu. Doch das Wesen war neugierig. Was für ein Tier dort wohl lebte? Seine Erdhöhle war die einzige Behausung mit Dach und Kamin, die es bisher kannte. Alle anderen kamen ohne aus. Als es vorbei an bunten Blumen - wie herrlich die duften! Voller Freude riss es einige aus und drückte sie an die Nase - auf die Tür zuging, wurde die von innen aufgerissen und ein Wesen in Stoffe gehüllt kam schreiend heraus. Wild mit einer Bratpfanne gestikulierend rannte es auf das Waldwesen zu. "Wirst du wohl! Meine Blumen! Dir werd ich eins überziehen ..."
Aber das Waldwesen hatte sich schon eiligst zurückgezogen - über einen Zaun (wer stellt sowas Sinnloses auf? wunderte es sich noch, als es darüber stolperte) durch eine Hecke auf einen makellos kurz geschnittenen grünen Rasen.
Dort stank und brüllte etwas in einer Lautstärke, die für sich genommen zu viel für das Waldwesen war. Doch zudem sprang noch ein behüteter Mann auf ihn zu und brüllte: "Weg, weg! Das ist Privatbesitz! Wenn Sie was mit der Nachbarin, und ertappt werden - also, das ist nicht meine Sache. Scheren Sie sich davon. Aber dalli!" Dabei wedelte er in einer Tour mit einem Papierdingens herum.
Das Waldwesen machte, dass es irgendwo hinter Bäumen Schutz fand. Hier wollte er etwas verschnaufen. Doch da wurde er von zwei knurrenden, riesigen schwarz-braunen Hunden mit dicken Köpen angegriffen. Ein Blick auf die zur Schau gestellten Zähne reichte, dass das Waldwesen weiter eilte.
Da kam es auf eine schwarze, sich dahin schlängelnde, kahle Fläche von etwa fünf oder sechs Meter Breite. "Nanu, was ist das?" Neugierig folgte das Waldwesen diesem seltsamen Band. Wohin, wusste er auch nicht - und sollte es auch nie herausfinden.
Denn plötzlich hupte und knatterte es von hinten, als es sich umdrehte, hupte und knatterte es aus der Richtung, in die es ursprünglich ging. Quietschen, Zischen, Qualmen. Es sprang hastig von dem schwarzen Dings runter. Aus großen Dingern auf Rädern guckten gestikulierende, brüllende Wesen: "Idiot!" "Blödmann!" "Pass doch auf!" "Penner!" ...
Es setzte sich hinter einen Baum und schüttelte den Kopf. Hier wurde es von dem Rehlein gefunden.
"Na, wie war dein Ausflug zu den Menschen?" Unschuldig schaute es drein.
"Was?" Irritiert guckte das Waldwesen es an. "Was sind Menschen?"
Da wunderte sich das Rehlein sehr und sprang eilig davon, um sich mit den anderen zu beraten.
Die Tiere kamen darauf, dass ihre Idee vielleicht nicht so gut war. Deshalb schickten sie den Eichelhäher, um das Waldwesen wieder nach Hause zu bringen.
Das war so froh, wieder alleine zu sein und Holz zu sammeln, dass es dem Eichelhäher eine Hand voll seiner besten Beeren schenkte.
Doch vor Menschen hütete es sich seitdem und wenn sich doch einmal einer in seinen Wald verirrte, versteckte es sich und blieb stumm im Hintergrund.