Es war dunkel geworden in Aspura und als wäre es ein Zeichen für alle Bewohner des Dorfes, waren die Straßen fast ausgestorben. Unter der Woche kam das häufiger vor, zum Ende hin wurde dafür umso mehr gefeiert. Nicht nur in der Taverne des Ortes ging es hoch her, sondern besonders Gruppen von Jugendlichen zogen dann durch die Gegend. Oft kamen auch Reisende vorbei, manchmal auch Schausteller oder Schauspielgruppen. Doch heute zog nur der Nachtwächter seine Runden und entzündete die Öllampen, welche die Aufgabe hatten wenigstens die Hauptstraßen etwas zu erhellen.
Die Fenster von Killians Haus waren weit geöffnet, um den Geruch oder Gestank herauszulassen. Welcher der beiden Begriffe zutraf, entschied sich dadurch, wen der beiden Bewohner man fragte. Zum Glück war es draußen spätsommerlich warm und damit relativ angenehm. Es war nichts von Killians Lieblingsessen übrig geblieben und das, obwohl er fast allein davon gegessen hatte. Jaroth kochte es zwar für ihn, doch davon essen ging nur mit viel Überwindung. Eigentlich wusste der Weißhaarige nicht einmal, warum er sich das antat.
Killians Großmutter schwor auf den Eintopf, der nie einen richtigen Namen bekommen hatte. Ursprünglich war es ein Essen der armen Leute gewesen. Alles was man in die Finger bekam, wurde klein geschnitten, gekocht und gewürzt. Sie hatten es irgendwann weiterentwickelt und eine Art Brauch im Dorf geschaffen. Im Grunde war es noch heute ein wilder Mix aus den Innereien verschiedener Tiere, was eben zu kriegen war, und einem Wurzelgemüse, das es nur am Fuß der Berge gab und den Geruch nach Schweißfüßen verbreitete. Kochte man es jedoch, wurde der Geschmack fast süßlich. Mit ein paar Kräutern abgerundet, war der Eintopf etwas spezielles und leckeres. Jedenfalls wenn man ihn mochte. Manche packten alle Zutaten auch in einen Tiermagen und kochten es mehrere Stunden. Jede Familie hatte da wohl ihr eigenes Rezept entwickelt über die Jahre. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund war es Killians Lieblingsessen. Vielleicht weil seine Oma es immer zu besonderen Tagen gemacht hatte und Jaroth hatte diese Tradition weitergeführt. Ein Beweis, dass Liebe und Zuneigung blind machte.
Killian hatte es sich auf einer der breiten Fensterbänke bequem gemacht und in den klaren Himmel gestarrt. Beim Anblick der Sterne verlor er sich schnell in seinen Gedanken und Träumen. Irgendwann wandte er sich wieder dem Hausinneren zu. Sein Mitbewohner lag auf dem Sofa und war eingenickt, die weißen langen Haare reichten fast bis auf den Boden, seine Weste war leicht geöffnet und ließ helle Haut frei. Schweigsam ging Killian zu ihm herüber und sank vor dem Sofa auf den Boden. Langsam begann er den Kopf hin und her zu wiegen. Ein Tick, der sich immer meldete, wenn er anfing über etwas nach zu denken.
Menschen mit hellen Haaren waren eine Seltenheit in ihrer Gegend, meistens kamen sie nur bei Halbelfen oder Elfen vor. Doch Jaroth war beides nicht, jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Seine verstorbene Ziehmutter hatte immer vermutet, dass irgendwo in seiner Familie Elfenblut hereingeraten war und es sich bei ihm nur noch in den Haaren und der Statur niederschlug. Da er aber ein Findelkind gewesen war, gab es niemand, der das Rätsel seiner Herkunft wirklich auflösen konnte. Dieses Geheimnis ließ den Schwarzhaarigen aber niemals los und so dachte er auch heute noch oft darüber nach.
Was es auch war, Killian war fasziniert und das seit sie sich kennengelernt hatten mit unschuldigen 14 Jahren. Ein Alter in dem Jungen zu Männern wurden, eine Ausbildung wählten oder ernsthaft für eine Karriere bei der Armee oder den vielen Söldnertruppen zu trainieren begannen. Killian war kein schlechter Kämpfer, aber er hatte nie eine solche Karriere erwogen und sich ganz seinen Träumen hingegeben. Zum Glück konnte er noch heute von gelegentlichen Arbeiten und seinem Erbe gut leben, vor allem mit Jaroth an seiner Seite, denn auch er verdiente etwas Geld, auch wenn er ebenfalls keine feste Arbeit hatte.
Weiter den Kopf wiegend und in Erinnerungen schwelgend bemerkte er kaum, wie sich seine Hand zu verselbstständigen begann. Gedankenverloren fuhren seine Finger durch die weißen Haare, zupften leicht an einzelnen Strähnen. Sie hatten beide schon verschiedene Partner gehabt, kurzzeitig jedenfalls. Beliebt waren sie beide, bei beiden Geschlechtern und es gehörte zu ihrer Kultur sich auszuprobieren, bis man irgendwann eine Entscheidung für den Bund traf egal ob für einen Mann oder eine Frau. Beide hatten dies noch nicht getan, weder miteinander noch mit anderen und das, obwohl sie schon über 20 Jahre alt waren. Noch ein Umstand der zu ihrem Ruf im Dorf beitrug seltsam zu sein, doch Killian war noch nicht bereit, sich richtig niederzulassen, sich festzulegen. Noch immer war er auf der Suche nach den Deziras, so wie es sein Großvater gewesen war. Noch war er nicht bereit diesen Traum aufzugeben.
Seine Großmutter war oft allein zurückgeblieben, wenn sein Großvater loszog. Monatelang musste sie mit der Sorge leben, ob er wiederkommen würde. Killian hatte beschlossen, dies dem Menschen nicht anzutun, mit dem er den Bund eingehen würde. Zu oft hatte er sie weinen sehen und musste sie trösten. Ohne es zu merken hatte er begonnen, eine Haarsträhne um seinen Finger zu wickeln und leise vor sich hin zu seufzen. Als er aufsah, blickte er direkt in die dunklen Augen seines Freundes.
»Es ist neu, das du das mit meinen Haaren machst Killian, sonst spielst du nur mit deinen, wenn du grübelst. Was geht dir durch den Kopf?« Jaroths tiefe Stimme war leise, als wolle er diesen Moment nicht ganz unterbrechen.
»Ach es ist das alte Lied. Diesen Monat ist die jährliche Feierlichkeit für den Bund der Gestirne und viele im Dorf haben sich für einen Partner entschieden. Danach dauert es wieder ein Jahr bis zum nächsten Fest. Manchmal frage ich mich eben doch, ob die anderen nicht recht haben und wir sesshaft werden sollten.« Killian dachte nicht daran, die Haare aus seinen Fingern zu entlassen, und spielte einfach weiter damit.
»Danach werden wir dann schon wieder unterwegs sein. Möglicherweise sogar getrennt um ein größeres Gebiet abzudecken und um den Gerüchten aus der Hauptstadt nachzugehen. Du weißt, dass du mir dann fehlen wirst?«
Jaroth nickte langsam und lächelte. »Ich frage mich immer wieder, wie du so hartnäckig deine Suche nach den Deziras verfolgen und trotzdem jedes Jahr in unserer Sommer- und Winterpause in Zweifel versinken kannst. Es ist ganz allein deine Entscheidung, ich renne dir nur wie ein Hündchen hinterher.«
Die weißen Haarsträhnen lösen sich von Killians schlanken Fingern, bevor er sich seufzend erhebt und zum Fenster zurückkehrt. Er weiß ganz genau, dass es sein Traum ist, der sie immer durch die Gegend ziehen lässt. Er weiß auch, dass sie ein viel entspannteres Leben führen könnten. Gemeinsam hier im Haus, vielleicht mit anderen Partnern, sogar mit Kindern. Ihnen stand alles offen und doch wollte er nichts anderes. Killian konnte sich nicht einmal auf Jaroth festlegen, obwohl er ahnte, dass dieser sich das wünschte. Möglicherweise.
»Weil es nun einmal so ist Jaroth. Ich zweifele immer an unseren Plänen und am Ende machen wir es doch wieder so. Außerdem bist du kein Hündchen, eher eine Raubkatze.«
Leises Lachen erklingt direkt neben ihm. Mal wieder hatte er nicht bemerkt, wie sich sein Freund genähert hatte.
"Das war noch nie ein Satz, der mich zufriedengestellt hat. Du hast deinen Wunsch und wir werden sie finden. Vor vielen Jahren habe ich dir geschworen, dass wir immer zusammen bleiben werden. Egal ob als Liebhaber oder als so was ähnliches wie Brüder.« Weiche Lippen berührten Killians Hals, wieder ein seufzen.
»Heute gerne der Liebhaber ja?«