Kapitel 8
Wie ein Stern am Firmament
Endlich war der große Tag gekommen, an dem wir als Girlband zum ersten Mal vor unserem eigenen kleinen Publikum performen durften. Ich weiß wirklich nicht, worüber wir erleichterter waren – es endlich hinter uns bringen und so die angespannte Aufregung hinter uns lassen zu können - oder danach nie wieder mit Victoria proben zu müssen. Unsere eigenmächtige Entscheidung, was unsere Garderobe betraf, hatte gestern bei ihr zu einem Tobsuchtsanfall geführt. Fazit war: sie trug heute ein elegantes, langes rosafarbenes Spaghettiträger-Kleid, welches himmlisch mit ihrer gebräunten Haut und ihrem rabenschwarzen, zu Korkenzieherlöckchen frisiertem Haar harmonierte. Doch es ging ihr ums Prinzip.
Und so herrschte zwischen uns eine wütende Stille, als wir zusammen mit den anderen Gruppen im Foyer des Berliner Theaters saßen, während alle anderen noch ein letztes mal probten oder sich rege unterhielten. Hoffentlich bemerkte diese miese Stimmung niemand während unseres Auftritts!
Zu weiteren angstvollen Gedanken kam ich zum Glück nicht, denn die Jury betrat soeben das Foyer und begrüßte uns kurz, ehe Daniela schon einladend zu dem Raum in ihrem Rücken deutete: „Na dann immer rein mit euch!“
Sofort kam Bewegung in den Raum, und alle erhoben sich von ihren Stühlen oder dem Fußboden, um sich in die bestuhlten Reihen vor der Bühne hinter der Jury zu platzieren. Jeder betete darum, nicht den Anfang machen zu müssen.
Ich glaube, unsere Aufregung war greifbar, denn die Jury fackelte nicht lange. Kaum hatten sich alle drei Juroren gesetzt, verkündete Stefanie auch schon, wer auf die Bühne sollte. Natürlich traf es unsere missgestimmte, völlig aus dem Gleichgewicht gebrachte Truppe zuerst.
Ich stöhnte innerlich auf, weil ich mich überrumpelt fühlte. Einerseits wusste ich, dass es von Vorteil sein konnte, weil wir so keine Zeit mehr bekamen, uns noch mehr in unsere Angst hineinzusteigern. Oder uns gegenseitig anzuzicken. Aber ich fühlte mich überhaupt noch nicht bereit. Und als ich – kaum dass ich mich zwischen Nici und Sherry gesetzt hatte – schon wieder aufstand, um zur Bühne vor zu marschieren wie zu meiner eigenen Hinrichtung, fühlte sich jeder Schritt, den meine Beine taten, unvorstellbar mühevoll an.
Doch als ich auf der Bühne vor einem der fünf Mikros stand und in die Gesichter derer sah, die ich lieb gewonnen hatte, fühlte ich mich seltsamerweise tiefenentspannt. Als ich Saschas Blick auf mir ruhen sah, gab mir das einen Energiestoß wie nichts sonst. Er lächelte leicht und interessiert, während Damien angespannter wirkte als eine von uns auf der Bühne. Er saß weit nach vorn gebeugt und hatte die Hände wie zum Gebet vor seinem Mund verschränkt, sodass ich mir nicht sicher sein konnte, aber ich glaubte, ihn nicht lächeln zu sehen.
Die Musik begann - wie immer schloss ich kurz die Augen und atmete noch tief durch, bevor der Scheinwerfer sein heißes Licht auf Victoria warf, die neben mir stand, sodass mir fast der Arm verbrannte, während der Rest meines Körpers im kühlen Schatten stand. Wie eine Metapher - als wollte das Schicksal mir sagen: Hier, Fay! So fühlt sich an, was du haben könntest, und so fühlt sich an, was du hast. Reicht dir das? Willst du die Kälte? Oder willst du im Licht baden?
Die Entscheidung fiel mir leicht, als ich kurze Zeit später vollends und als Einzige vom grellen Licht erleuchtet wurde. Es stach in den Augen und blendete mich, doch der Schmerz war bittersüß. Wie, wenn man in ein leckeres Eis beißt und der Schmerz der kälteempfindlichen Zähne ist nichts zu dem Genuss des Eises.
Ich sang davon, dass wir alle Träumer waren und es sich anfühlte, wie Liebe in der Sonne. Dass wir gerade erst begonnen hatten.... Die Worte hallten in englischer und deutscher Sprache in meinem Kopf wider, während sie aus meinem Mund und durch den Raum flogen – kraftvoll und mit Urvertrauen.
Dann vereinten sich unsere Stimmen zu einem letzten gemeinsamen Refrain. In diesem Moment gab es keine Uneinigkeiten zwischen uns. Wir waren Eins. Wir waren keine fünf Frauen mehr, vielleicht waren wir in diesem Moment nicht einmal fünf Stimmen, sondern eine Energie, die den Raum erfüllte.
Die Kandidaten erhoben sich von ihren Plätzen und tosender Applaus erfüllte den großen Raum. Das Geräusch und der Anblick trieben mir die Tränen in die Augen. Es war einfach überwältigend. Ich wusste, wir waren alle weiter. Ich hatte es bereits während des Auftrittes gewusst.
Wir strahlten einander an, ehe ich meinen Blick durch das Publikum schweifen ließ - zu einem Nicolás, der wild durch die Finger pfiff, daneben Damien, der wild applaudierte und neben ihm Sascha, der beide Daumen nach oben zeigte.
Auch die Jury lächelte uns aufmunternd zu, während Holger sagte: „Setzt euch, bitte. Wer weitergekommen ist, erfahrt ihr, wenn alle durch sind.“
Sherry neben mir stöhnte kaum merklich. Ich versuchte, sie aufzuheitern: „Komm, das Schlimmste haben wir hinter uns. Und es war grandios!“
Sie sagte kein Wort. Daraus schloss ich, dass sie wohl in Ruhe gelassen werden wollte. Ich hingegen ließ mir meine gute Laune und meine Siegesgewissheit nicht mehr nehmen und setzte mich fröhlich grinsend auf meinen Platz zurück, da wurde auch schon die nächste Gruppe aufgerufen – Saschas und Damiens Gruppe.
Ihr schafft es, ihr schafft es! Immer wieder betete ich die Worte im Geist wie ein Mantra, als die Jungs auf der Bühne standen. Da nahm Nici meine Hand und drückte sie tröstend, während ihr Blick eisern auf Nicolás geheftet blieb. „Hoffentlich gibt er sich Mühe.“
„Du weißt, dass er das nicht braucht.“, grinste ich zuversichtlich und sie sah mich dankbar an.
In der nächsten Sekunde waren wir alle mucksmäuschen-still, als Sascha das Lied begann. Es passte erstaunlich gut zu seiner Stimme. Ich schmolz dahin. Es war längst um mich geschehen. Wenn ich mir einmal ein Bild in den Kopf gesetzt hatte, bekam das keiner so schnell wieder raus. Und dieses Bild zeigte Sascha und mich. Vielleicht reizte mich besonders, dass er so anders war als ich selbst. Vielleicht reizte mich in dieser neuen, aufgewühlten Zeit meines Lebens besonders das Unvorhersehbare; die Gefahr, die damit verbunden war.
Nach Saschas Part war Damien an der Reihe. Es war das erste Mal überhaupt, dass ich ihn singen hörte. Das wurde mir in dieser Sekunde erst klar, was mehr als paradox war, wenn man mal bedachte, dass wir uns bei einem Gesangswettbewerb kennengelernt hatten. Aber ganz anders als Nicolás, verband ich Damien nicht mit DerTraum. Irgendwie ist Damien sofort jemand gewesen, der direkt in mein Leben gehört hatte.
Seine Stimme war mit nichts vergleichbar. Saschas war rockig und Nicolás’ samtweich, aber zu Damien fiel mir kein Attribut ein. Ich war wie gebannt. Anders als Nicolás, war er auf der Bühne für mich immer noch derselbe Mann, aber vielleicht lag das ja auch daran, dass er mir so vertraut war. Und noch etwas nahm mich gefangen – er sah die ganze Zeit zu mir, direkt in meine Augen. So als sänge er für mich. Sucht er Halt an mir wie ich an ihm? Mein Gott, was für ein atemberaubender Mann, den du da zum besten Freund hast, Fay.
Keine Ahnung, warum ich nicht mehr in ihm sah. Vielleicht dachte ich ja, ich würde nicht in seine Welt passen, was Unsinn war, da wir super harmonierten. Vielleicht fürchtete ich mich auch einfach vor der Intensität in seinem Blick und glaubte, dieser Leidenschaft nicht gewachsen zu sein. Doch ich glaube, die Wahrheit ist, dass ich einfach Tomaten auf den Augen hatte und nichts von alledem wirklich wahrgenommen habe.
Als sie geendet hatten, waren die Reaktionen von uns anderen Kandidaten ähnlich positiv wie zuvor bei uns. Schon nach wenigen Sekunden taten mir die Handflächen vom Applaudieren weh.
Als Damien wieder in die Reihe kam, in der wir saßen, um sich samt den Anderen zu setzen, fiel ich ihm gratulierend um den Hals. „Du warst einfach der Wahnsinn! Warum hab ich bis jetzt nicht gewusst, dass mein bester Freund so singen kann?“
Er lächelte schulterzuckend, doch irgendwie lag etwas Trauriges in der Art wie er lächelte. Es blieb wieder keine Zeit, ihn darauf anzusprechen, denn schon ging es mit der nächsten Gruppe weiter.
Und so verfolgte unsere Reihe entspannt die Auftritte der restlichen Kandidaten und brach bei jeder Gruppe erneut in wilde Spekulationen aus, wer es davon weiter schaffen würde und wer nicht. Es war fast wie in der Schule, wenn die, die ihr Gedicht schon aufgesagt hatten, lässig und furchtlos alle anderen beurteilen konnten. Dabei war keiner von uns zu dem Zeitpunkt sicher.
Nachdem die letzte Gruppe performt hatte, zog die Jury sich zur Beratung zurück. Kaum, dass sie aus dem Raum waren, brach unter uns allen die Hölle los. Es klang wie in einem lärmenden Klassenzimmer.
„Wieso dauert das denn so lange?“, fragte ich jammernd und kaute nervös an meinen Fingernägeln, als die Jury noch nicht einmal zwanzig Minuten weg war.
„Lass ihnen die Bedenkzeit. Sie müssen schließlich die Spreu vom Weizen trennen.“, grinste Nicolás siegessicher.
„Wer ist der Weizen und wer die Spreu?“, fragte ich ihn, bissig geworden durch meine Nervosität. Er zuckte klugerweise nur lächelnd die Achseln.
Damien, der sich in der Zwischenzeit neben mich gesetzt hatte, legte mir begütigend die Hand auf die Schulter. „Ganz ruhig, Fay. Du warst fantastisch. Du hast absolut keinen Grund, solche Angst zu haben.“
„Vor einer halben Stunde wusste ich das auch noch.“, seufzte ich und fuhr mir dann durchs Haar, ehe ich mit einem halben Lächeln in seine tiefen dunklen Augen sah. „Ich war nicht einmal halb so gut wie du.“
„Ich bitte dich…“
„Hör auf deinen Freund, du hast nichts zu befürchten.“, sagte Sascha da lächelnd und lehnte sich in seinem Stuhl neben Damien so weit zurück, dass er mich über seinen Rücken direkt ansehen konnte. Es war das erste mal, dass er mich direkt ansprach – ich meine, ohne dass ich vorher über seine Füße gestürzt bin. Es brachte mich so aus dem Konzept, dass ich nicht sah, wie Damiens Lächeln verschwand, als ich mich an Sascha wandte. „Das Kompliment kann ich nur zurückgeben.“
„Gott, hört euch nur an, wie ihr euch gegenseitig mit Lorbeeren überschüttet!“, spottete Victoria und rollte mit den Augen.
„Ja, das machst du ja bei dir lieber selbst, stimmt’s?“, gab Nici bissig zurück. Ehe ein Streit ausbrechen konnte, trat die Jury durch die Tür wie gerufen. Augenblicklich verschwand das Gezeter und es wurde still um mich. Alle nahmen ihre Plätze wieder ein, sodass statt Damien wieder Sherry neben mir saß und ich die Trauer in seinen Augen vergaß. Ich glaubte, mir würde das Herz in der Brust stehen bleiben, stattdessen schlug es heftiger denn je, als wir zum zweiten Mal an diesem Abend auf die Bühne gerufen wurden.
Das Letzte, das ich bewusst wahrnahm, als ich mich von meinem Platz erhob, war Nicolás, der Nici die Hand drückte und zärtlich „bis dann“ sagte. Mir drückte niemand die Hand und ich redete mir ein, dass es mir nichts ausmachte. Ich redete mir auch ein, dass ich mich irgendwann an den Druck und die Aufregung gewöhnen würde.
Ich fand erst wieder richtig zu Sinnen, als ich abermals auf der Bühne stand und mir bewusst wurde, dass mein ganzes Leben in den Händen der Jury lag. Die Macht, die diese drei Fremden über mich hatten, zwang mich beinahe in die Knie, dabei wollte ich doch eben nicht mehr, dass andere Menschen eine solche Macht über mich hatten.
Doch zu weiteren Gedanken dieser Art kam ich vorerst nicht, da sich mein ganzes Wesen auf das Jetzt konzentrierte, als ich Alinas schrillen Triumphschrei hörte. Meine Lebensgeister kehrten zurück. Ich freute mich ehrlich für sie. So sehr, dass selbst die Angst über das eigene Schicksal ein Stück weit in den Hintergrund trat. Vielleicht war Empathie ja die Überlebensstrategie solch sensibler Menschen wie mir. Dass wir unser großes seelisches Leid, das wir durch unsere Verletzlichkeit oft litten, dadurch wettmachten, wie wir uns über das Glück anderer freuen konnten.
Sherry war die nächste im Bunde. Inzwischen war sie so blass geworden, dass ich mich darum sorgte, dass sie uns zusammenbrach. Sie hatte die Lippen so fest zusammengepresst, dass ihr Mund nur noch ein strenger Strich war. Zwischen ihren Brauen lag eine tiefe Furche der Sorge, sodass ich automatisch ihre Hand ergriff. Zeitgleich bemerkte ich, wie Nici rechts von mir meine und die von Alina ergriff. Ich konnte nicht sehen, ob Sherry auch Victoria die Hand reichte.
Als Stefanie verkündete, dass Sherry weiter war, konnte man die Bühne fast erzittern spüren von der Last der Steine, die uns allen um ihretwillen von der Seele fielen. Sie jubelte nicht, sie lächelte nur erschöpft, noch ganz gefangen in ihrer Angst und dem Druck. Ich drückte ermutigend ihre Hand und murmelte aufmunternd: „Geschafft, Sherry!“
Doch ich wurde schnell still als ich bemerkte, dass die Blicke der Juroren auf mir lagen und ich an der Reihe war. Ich biss mir nervös auf die Lippe und spürte einen Tropfen Blut zwischen den Zähnen. Mein Herz raste in meiner Brust und die Menge hinter der Jury verschwamm vor meinen Augen zu einer unbedeutenden, gesichtslosen Masse. Trotzdem spürte ich die ganze Zeit Damiens ruhigen, vertrauensvollen Blick auf mir ruhen. Ich kann nicht beschreiben, welchen Trost mir das spendete.
„Ich war ja letztes Mal nicht so von deiner Ausstrahlung begeistert…“, begann Daniela, und ich dachte voller Bitterkeit: Als ob ich das vergessen hätte! „Aber heute hast du so gestrahlt, dass ich mir fast die Sonnenbrille holen musste!“
Alle lachten befreit auf, doch ich sah weiter fragend irritiert nach vorn, bis sie nachdrücklich sagte: „Du bist weiter, Fay! Freu dich endlich!“
Alle Anspannung fiel von mir ab und in meinem Kopf legte sich wieder der altbekannte Schalter um. Ich schrie laut auf und spürte, wie die Mädels mich in den Arm nahmen, spürte die Wärme ihrer nackten Arme auf meinen und hatte das Gefühl, endlich irgendwo dazuzugehören. Am liebsten hätte ich die ganze Welt umarmt. Ich hatte es nicht nur geschafft, gesanglich zu überzeugen – endlich kam ich auch als einzelne Person ´rüber und war kein Geist ohne Seele mehr. Ich strahlte! Ich strahlte noch mehr als Daniela zu Victoria und Nici, die beide immer noch im Ungewissen lebten, sagte: „Was sollen wir bei dieser starken Gruppe weiter um den heißen Brei herumreden? Ihr seid alle weiter!“
Nun schrien alle im Chor und die anderen Kandidaten brachen erneut in johlenden Applaus für uns aus. Damien stand allein in der Menge und klatschte mit vor Freude strahlenden Augen, doch es war Sascha, auf den mein Blick fiel. Er sah einfach mit einem leichten Lächeln auf den Lippen zur Bühne.
Draußen in der Halle fanden weder Victoria noch Nici oder ich ihre verdiente Ruhe, da wir Angst hatten, dass „unsere“ Jungs es nicht geschafft haben könnten. Sie blieb eine Restangst übrig, die mit jeder Minute, die verstrich, einen neuen Höhepunkt erreichte. Da knallte die große Flügeltür auf und wir drei – die direkt davor gewartet hatten – schraken heftig zusammen. Zu unserem Entsetzen betrat eine ziemlich bedrückte Gesellschaft das Foyer.
„Was ist los? Seid ihr weiter? Wieso guckt ihr denn so?“, sprudelte es da aus mir heraus und mein Blick blieb dieses Mal auf Damien hängen, da mir zum ersten Mal bewusst wurde, wie sehr ich wollte, dass wir die kommende Zeit gemeinsam erlebten.
„Jetzt freut euch doch endlich, Leute. Der Schlechtere muss gehen.“, sagte da Fabian, der Fünfte im Bunde der Jungs-Truppe, den ich nicht wirklich kannte. Anscheinend war er nicht weiter.
„Wir haben so hart zusammen gearbeitet. Ist schon ein komisches Gefühl.“, sagte Sascha zu ihm. „Was machst du jetzt?“
Sie fingen eine längere Unterhaltung an. Nici, Victoria und ich wandten uns den restlichen drei Jungs zu, die endlich zu grinsen anfingen, ehe Nicolás selbstgefällig sagte: „Wir sind natürlich weiter.“
Überflüssigerweise sah ich zweifelnd zu Damien hoch und fragte bang: „Du auch?“
Damien:
„Ich auch.“
Und ich fühlte mich wirklich wie ein Gewinner. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass sie wirklich nur mich im Kopf hatte und ich spürte am ganzen Leib, wie wichtig es ihr war, dass ich weiter war. Und wieder begann ich zu hoffen.
Ich fragte mich, ob sie gemerkt hatte, dass ich nur für sie gesungen hatte, denn sie hatte meinen Blick die ganze Zeit erwidert, während ich auf der Bühne gestanden hatte, und schließlich sogar zaghaft gelächelt. Ich verband jede Melodie, die ich hörte oder sang, nur noch mit ihr und Musik wurde für mich zu einer bittersüßen Qual.
Viele der Rausgewählten verließen ohne ein weiteres Wort das Gebäude. Ich fragte mich, ob sie jetzt alles, was sie bei DerTraum erlebt hatten, einfach hinter sich lassen und mit ihrem alten Leben würden fortfahren können. Ich könnte es nicht. Auch ohne Fay kennengelernt zu haben, hätte ich es wohl nicht gekonnt.
„Sie alle sind unbeschreiblich stark.“, sagte sie da in meine Gedanken hinein und sah denen nach, die mit hoch erhobenen, stolz gereckten Köpfen aus der Tür in die dunkle Nacht verschwanden. Sie konnte sich so gut in andere Menschen hinein versetzen. In alle, nur nicht in mich.
Die Jury war zu uns getreten, ohne dass ich es bemerkt hätte. Doch jetzt, da Holgers Stimme ertönte, riss ich mich von Fays Anblick los. „Wir sind jetzt mit der Auswahl fertig und ihr könnt euch ein wenig in eurem Ruhm sonnen. Ihr habt viel erreicht! Glückwunsch.“
Alle klatschten Beifall, dann fuhr Stefanie fröhlich fort: „Nächste Woche, selber Ort, selbe Zeit. Die Lieder könnt ihr euch dieses Mal aus einer Vielzahl der Vorgegebenen selbst aussuchen.“
Alles jubelte auf und Daniela hob die Hand, damit wieder Ruhe einkehrte, ehe sie fortfuhr: „Es gibt noch eine Besonderheit, mit der sicher nicht jeder von euch einverstanden sein wird. Doch die Meisten werden sich freuen, da bin ich mir sicher. Das Motto der letzten Auslese vor den großen Themenshows heißt Duette.“
Und wirklich ging ein freudiges Gekreisch unter den Mädels durch den Raum, während die Jungs verlegen grinsten oder die Augen genervt zur Decke rollten und nur noch hofften, eine möglichst attraktive Partnerin abzubekommen.
Ich wusste genau, wen ich wollte. Mein ganzes Sein konzentrierte sich in diesen Minuten auf diesen Wunsch. Ein Duett zusammen zu singen war etwas unleugbar Intimes. Außerdem war es dazu erforderlich, viel Zeit miteinander zu verbringen. Musik war etwas Gefühlvolles, das verband. Ich war mir ganz sicher, dass dies meine letzte Chance sein könnte. Aber wie groß war die Chance darauf, dass ich unter all den weiblichen verbliebenen Teilnehmerinnen gerade Fay zugeteilt bekam!? Ich spielte ernsthaft mit dem Gedanken, die Jury zu bestechen.
„Ich nenne jetzt die Namen derjenigen, die zusammen singen werden. Also Ruhe im Karton!“, verschaffte Holger sich spaßig Gehör und meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Das Schicksal traf das erste Mal an diesem Abend. „Victoria und Marc.“
Beide fielen sich laut kreischend in die Arme und hielten sich aneinander fest. Ich sah ihnen neidig zu, ehe ich meinen Blick wieder abwartend und begierig auf Holger und seine Liste heftete und weiter Stoßgebete gen Himmel sandte. „Sascha und…“
Für einen Moment spürte ich, dass Fay und ich beide die Luft anhielten. Für mich konnte jetzt gleich alles vorbei sein. Und für sie beginnen. „Sherry.“ Sie atmete enttäuscht und ich erleichtert aus. Ich schämte mich nicht einmal dafür.
Die nächsten Worte fielen wie Kanonenschüsse und ich glaubte zuerst, ich hätte sie mir nur eingebildet. Aber nein: das Schicksal hatte zum zweiten Mal zugeschlagen. „Fay und Damien.“
Gott, sag es noch mal! Danke, danke, danke! Ich konnte es nicht fassen, doch die Realität packte mich mit all ihrer Herrlichkeit als sie mich freudig in ihre kleinen Arme schloss. Von jetzt an bildeten wir eine verschworene kleine Gemeinschaft, die es wie Bonnie und Clyde mit dem Rest der Welt hätte aufnehmen können.
Ich war rundum zufrieden, als ich an diesem Tag Seite an Seite mit meiner Gesangspartnerin das Gebäude verließ, und ein Lächeln zauberte Hoffnung auf unsere Gesichter.