(Chase)
Nach der langen Dunkelheit brannten unsere Augen, als wir in das helle Licht traten. Dabei war es nicht einmal ein sonniger Tag und noch dazu standen wir im dichten Wald. Pedro lächelte, als er uns sah, begann aber laut und auf castellanisch zu fluchen, sobald die Zwergenbrüder mit dem Boss kamen. Falum scheute unruhig, als würde er ahnen, dass es seinem Herren schlecht geht. Die anderen Pferde ließen sich von seiner Unruhe anstecken, trabten, scheuten hin und her. Karsten und Torsten traten schweigend ins Helle und brachten Flash zu seinem Reittier. Der Kornhoffner schnaubte und stampfte so sehr, dass ich mich wunderte wie sie meinen besten Freund auf den Rücken des Tieres bekamen. Cenishenta wurde auf Askrims Rücken gelegt. Es sah aus, als würden sie nur friedlich schlafen. Einzig der schmerzverzerrte Gesichtausdruck Usongus, den sein Rassepferd Aglur trug, passte nicht ins Bild der Scheinfriedlichkeit. Nach und nach kamen die Kämpfer aus der Finsternis. Erst die Zwerge, dann die Elben, alle hatten ihre großen und kleinen Wunden davon getragen. Und dann,...
Funny hatte mich am Arm gepackt, sämtliche Luft war aus ihr gewichen.
"Dios mio!" stöhnte Pedro. Die Snift waren gerade aufgetaucht. Sie sahen schrecklich aus: Die Wunde an Káilanbas Hüfte war wieder offen und Blutspuren zogen sich an ihrem Bein entlang. Ihre Arme waren zerkratzt und blutig. Béilo hatte sich große Schrammen eingefangen, aber die schlimmste seiner Verletzungen muss er sich zweifellos selbst zugefügt haben. Die klaffende Fleischwunde zog sich von seiner linken Schulter bis kurz unter die Brust. Sein ganzer Körper war von glänzendem Blut überzogen. Das Wort Blutbad fand hier eine neue Bedeutung. Noch immer waren Káilanbas Augen verbunden.
"Nimm sie noch nicht ab!" flehte der Katzenmann beinahe, als die Snift die Binde entfernen wollte. Sie gehorchte. "Wir sollten den Wald so schnell wie möglich verlassen, bevor die Rachegelüste der Dämonen den Verstand der Pflanzen schärfen."
"Ein wahres Wort." lobte Relkúag, der in eben diesem Moment ins Licht trat. "Ich nehme an, ihr wollt erst einmal alle mit nach Olim kommen?"
"Ja, ich denke das wird das beste sein. Dort können wir Flash wieder aufwecken und neue Kraft tanken, für den nach Hause Weg." stimmte ich zu und gab Funny zu verstehen, dass sie nicht über Béilos Verletzung sprechen soll.
"Hast du noch Lampenöl für die Pflanzen übrig, du weißt schon, das vom Dok?" fragte sie mich plötzlich.
"Ja schon, aber glaubst du, dass es was gegen Grünzeug hilft?" Skeptisch holte ich die drei Flaschen Öl aus Askrims Satteltaschen. "Naja, einen Versuch ist es wert... So, jetzt zaubere ich auch mal." grinste ich und sengte mit wenigen Tropfen des Extraktes ein Riesenloch in die Wand aus Holz vor uns.
"Aie! Por que no nos has daído eso!" schimpfte Pedro. Verständlicherweise…
"Ist ja schon gut! Du meine Güte! Wir können froh sein, wenn es reicht um nach draußen zu gelangen." versuchte ich unser Versäumnis zu entschuldigen, das Öl nicht schon früher herausgerückt zu haben. Aber die anderen lachten nur. Es dauerte nicht lange, bis wir die Felder Olims erblickten. Béilo nutzte den kleinen Bach, der an ihnen entlang floss, um seine Wunde vom Blut zu reinigen und verband sie mit Hilfe einer unserer Schlafdecken, so dass sie nicht mehr zu sehen war. Káilanba nahm nun auch ihre Augenbinde ab und wusch ihre Wunde aus, ohne mit der Wimper zu zucken. Auch sie verbarg ihre Verletzung unter Leinentüchern.
Nach einem Tag der Anstrengungen kamen wir in dem kleinen Westernort an. Tion lud uns ein, seine Gäste zu sein, auch auf die Gefahr hin, die Snift könnten ihm seine Kundschaft vertreiben. Denn die Beiden verbargen sich nicht mehr.
Usongu wachte wenig später auf und klagte über Hunger und Durst... Erleichtert hatte sich Káilanba ihm an den Hals geworfen und gelacht:
"Du bist unmöglich, Catpa."
"Aua! Sachte kleiner Enkel, sonst sterbe ich noch an Liebe." hatte dieser gequält gelacht. Pedro untersuchte ihn kleinlich und verband ihn an nahezu jeder freien Stelle. Er gab Usongu zu verstehen, dass der Verband mindestens drei Wochen getragen werden musste und verzog sich dann leise fluchend auf seinen Schlafplatz, wo er mit seiner Flöte ein Lied pfiff.
Flash und Cenishenta aber schliefen noch immer tief und fest. Nicht einmal Béilos Gegengifte, Káilanbas Zeremonien oder Pedros großartige Heilkünste konnten die Beiden Stunden später dazu bewegen auch nur für einen kurzen Moment wach zu werden. Wollten die Zwei denn für immer schlafen?
Die Sonne ging unter. Beim Abendessen in der Stube wurde besprochen, was als Nächstes zu tun sei. Wir saßen alle mit unseren Bierkrügen und Essplatten auf den Betten in einem großen Kreis, wie schon beim letzten mal. Tion lief zwischen uns hin und her und verteilte großzügig Getränke und Verköstigungen.
"Es nützt nichts hier zu warten, bis Flash und Cenishenta aufwachen. Wir müssen uns auf den Heimweg machen." begann ich das Gespräch.
"Und wie stellst du dir das vor? Willst du sie auf einen Ochsenkarren laden, wie Ware? Wir wären viel zu langsam!" protestierte Béilo lautstark. "Außerdem habe ich Kevin versprochen, auf der Heimreise bei ihm vorbeizuschauen. Das bedeutet unser erstes Ziel, so fern ihr mich dorthin begleiten wollt, wird Romino sein."
"Kevin..." Abwesenheit glänzte in Káilanbas Augen auf.
"Das wäre vielleicht gar nicht mal so schlecht, schließlich könnten wir dort gleich Mr. Burner um Rat fragen. Er könnte versuchen unser schlafendes Pärchen zu wecken." bemerkte Funny befliesen und nahm einen kräftigen Schluck Met.
"Gut, also nach Romino. Jetzt muss uns nur noch einfallen, wie wir da am schnellsten hinkommen." missmutig biss ich von dem Hühnerflügel ab, der mir zugefallen war.
"Am Besten mit Kevins Karte." erinnerte mich meine Verlobte. Sie stand sofort auf und holte jene Karte, die Mr. Wormins uns seinerzeit verkauft hatte. Tion und die Söldner staunten nicht schlecht, als sich die elektronische Karte 'entfaltete'.
"Mal sehen, ah ja... Olim. Hm..." Den Ort auf Ausgänge untersuchend, stieß ich auf eine Seltsamkeit ohne gleichen: "Moment, was bedeutet das hier? 1676 – 1691, 1691 – 1706? Offenbar ist die Karte sogar in Zeiten eingeteilt. Da, am anderen Ende der Stadt ist ein zweites Tor. Und eine Straße, die nach Romino führt, sehr interessant... Seltsam, dass uns das vorher nicht aufgefallen ist. Hätten wir diesen Weg nicht zumindest sehen müssen, als wir nach Olim gereist sind?"
"Ich denke nicht, es handelt sich hier sicher um verschiedene Zeitebenen." erkannte Béilo. "Dieses mittlere Tor bei Romino haben wir schließlich auch nicht gekannt. Es sieht so aus, als hätte die Regierung von Furanta unsere Karte aus der Ferne aktualisiert."
"Wie schnell können wir dort sein?" schaltete sich Káilanba plötzlich ein.
"Wenn wir schon morgen früh abreisen, in ein bis zwei Wochen." schätzte ich.
"Euch ist hoffentlich klar, dass ich meine Tochter nicht einfach abziehen lasse." mischte sich Usongu ein. Káilanba sah ihren Ziehvater entsetzt an. "Ich komme natürlich mit." lächelte er.
"Damit dürfte dann wohl geklärt sein, dass wir alle mitkommen." grummelte Marselion. "Schließlich steh ich auf Schnulzen und will wissen, wie das alles hier noch endet." Alle mussten lachen. "Was denn? Also dann, ich hau mich aufs Ohr." Erschöpft folgten wir seinem Beispiel und schliefen bis in die frühen Morgenstunden.
*
(Eine Stimme)
Wo bin ich?
...
Bin ich wach? Was ist nur geschehen? ... Irgendetwas hat sich verändert... Ich fühle keine Schmerzen mehr. Bin ich tot? Ist alles vorbei?
Wo bin ich...
...
Halt! Ich höre etwas. Jemand singt, singt leise in meinem Ohr:
"Mali honem, si-ho gao... Selim ka a ti no mao…*"
Es ist eine fremde Sprache, aber ich habe sie schon einmal gehört. Das Lied kenne ich... Ein kleiner Junge hat es immer für mich gesungen, als ich selbst noch in den Kinderschuhen steckte. Wo bist du?(Flash)
"...Selim ka a ti no mao..." sang ich das alte, sniftische Volkslied, dass mir König Cámalon von meinem Vater überliefert hatte, wie ich jetzt wusste. Die Stille um mich herum war so beängstigend gewesen. Es war nicht dunkel, aber auch nicht hell. Alle Gegensätze schienen mit einem Mal aus der Welt geschafft. Nur die Einsamkeit bleibt. Was würde ich dafür geben, wenn sie jetzt da wäre. Lächelnd erinnerte ich mich an die Zeit zurück, als wir noch Kinder waren und alles noch ein Spiel war.
"Hallo? Ist da jemand?" Erschrocken fuhr ich auf. "Bitte, ist dort jemand? Man ist so allein in diesem Nichts..." 'Man'? Wer ist man...? Meine Angst schlug in Neugier um.
"Allerdings, man ist sehr einsam hier." Ich bewegte mich auf die Stimme zu. Ein weißes Licht hing vor mir in der Luft. Es sprach:
"Guten Tag, kleines weißes Licht." Was? Sollte ich etwa körperlos sein? Plötzlich ging mir auf, wer vor mir "stand" und ich spielte das Spiel...
"Guten Tag, Cenishenta."*
(Káilanba)
Es ist ein sehr seltsames Gefühl an einen Ort zurückzukehren, den man einst zu Hause nannte. Vor zwei Wochen waren wir von Olim abgereist um hierher zu kommen. Nun standen wir hier, vor dem kleinen Haus, in dem mich Daniel Burner und Kevin Ikura so herzlich aufgenommen hatten. Catpa war damals geschäftlich auf Reisen gewesen, als ich im Wald der Monster von einem Wolfsbiest angegriffen worden war. Als mich der Dok bei sich aufnahm, fühlte ich mich das erste Mal in Gesellschaft von Menschen wohl, trotz der Abwesenheit Usongus.
"Es kommt mir vor, als würde ich..."
"Heim kehren..." beendete Béilo meinen Satz. Er griff nach meiner zitternden Hand. Seine zitterte auch.
"Muss ich anschieben, oder klopft ihr von alleine?" drängte Catpa uns. Wie in Trance hob ich die freie Hand. *klopf, klopf*
"Ich geh schon, Dan!" rief jemand auf der andern Seite und lief uns entgegen. Mein Herz schlug bis zum Hals, als ein großer, junger Mann die Tür öffnete.
"Kevin?" Verständnislos blickten wir den Jungen an, der zu unser beider Abreise noch ein Kind gewesen war.
"Ja, bitte?" Er hatte noch nicht aufgeblickt, hielt die Tagespost in den Händen, sah sie durch. "Dok! Schon wieder ne Rechnung!" Endlich sah er uns an und sämtliche Briefe entglitten ihm.
"Oh nein, wie soll ich das denn alles bezahlen..." besorgt grummelnd kam Daniel zur Tür. "Ja ist es denn die Möglichkeit!" schrie er außer sich vor Freude und Erstaunen. "Bärenklaue! Béilo!" Er umarmte uns stürmisch, klopfte uns auf die Schulter... "Lasst euch ansehen! Wie lange ist es her?"
"Vier Jahre, zwei Monate und 17 Tage und sieben Jahre, vier Monate und 24 Tage..." schoß es aus Kevin heraus. "Warum hast du solange gebraucht, Catpa?" Er fiel erst Béilo und dann mir wild schluchzend um den Hals.
"Catpa?" riefen alle wie aus einem Mund.
"Ich störe ja ungern die Familienzusammenführung, aber sollten wir nicht erst mal reingehen?" erinnerte uns Chase.
"Natürlich, natürlich. Entschuldigt. Aber die Reittiere müssen erst noch zum Mietstall. Kevin...?" meinte Dan.
"Oh nicht doch, Dok!" flehte der Junge, doch ein scharfer Blick von Daniel reichte und er zog muffelig von dannen.
"Marselion, Emre, Eray, Karsten, Torsten, ihr gebt dem Jungen Begleitschutz, Relkúag, Pedro, Simon, Riko, Elias und ich bleiben hier!" befahl der Söldnerführer.
"Typisch!" motzte Marselion. "Die Elben dürfen bleiben und die Zwerge werden fortgeschickt..."
"Du darfst gerne bleben, wenn du Heilkunstkenntnisse besitzt..." erwiderte Usongu spitz.
"Tss..." brummelnd folgte der Zwerg der Pferdekaravane, die schon abgerückt war.
"Catpa?" flüsterte ich in Béilos Ohr und folgte ihm ins Haus.
"Eine lange Geschichte..." meinte er nur.
*
(Flash)
In dem Augenblick, da mir bewusst geworden war, wer sie ist, erschien Cenishenta vor mir. Mein Herz rutschte mir in die Schuhsohlen.
"Wer bist du? Woher kennst du meinen Namen?" verängstigt wich sie einige Schritte zurück.
"Niemand vor dem du dich fürchten musst." antwortete ich ruhig.
"Hast du das Lied gesungen? Es ist so schön, bitte sing es nochmal, dann fühl ich mich nicht mehr so allein." Ich tat ihr den Gefallen. Als ich geendet hatte, liefen ihr Tränen die Wange hinab... Sie sang:
"*Geh zum Licht, dort warte ich... Finden wirst du mich an diesem Ort..." langsam sank sie auf die Knie.
"Warum weinst du?" Ich setzte mich zu ihr, wollte ihr den Arm umlegen, zog ihn aber dann wieder zurück. Was wenn sie fühlt, dass sie jemand berührt, obwohl sie nur eine kleine Kugel aus Licht sieht?
"Weißt du das nicht? Ich dachte, du wärst mein Schutzengel, weil du meinen Namen gewusst hast." Ihre Augen glänzten gutgläubig...
"I...i...ich, also in gewisser Weiße... bin ich schon dein Schutzengel." flunkerte ich unsicher. "Und ich kann mir durchaus vorstellen, warum du weinst, aber ich wollte es von dir selbst hören..."
Sie schniefte auf und brach dann unter Tränen zusammen...
"Adalbeeert!" schrie sie zwischen zwei heftigen Schluchzern. "Ich soll ihn heiraten, zum Frieden unserer Länder. *schnief* aber, aber *schnief*, ich *schnief* lieb ihn *schnief*" Mein Herz blieb stehen... "doch gar nicht *schnief*"
"Gott sei Dank!" entfuhr es mir.
"Was!? Ich zerfließe hier in Tränen und du dankst dem Herrn dafür?" Ihr verständnisloser Blick ließ mich innerlich zusammenzucken.
"Ich meine ja nur, Gott sei Dank liebst du nicht diesen schrecklichen Menschen, der nur auf Gold und Macht aus ist. Natürlich ist es eine Tragödie, was von dir verlangt wird. Aber ich bin sicher, dass dein Onkel dafür Verständnis haben wird, wenn du ihm alles erklärst..." versuchte ich sie zu beruhigen.
"Du kannst doch nicht mein Schutzengel sein." verärgert wandte sie sich von mir ab. "Der wüsste nämlich, dass gerade Cámalon es war, der diese Vereinbarung getroffen hat." Ich war sprachlos. Minutenlang sagte keiner von uns ein Wort.
"Vermutlich ist das eh alles völlig egal geworden, seid mich dieser riesige Baum entführt hat." Trotzig starrte Cenishenta ins Lehre. "Und Flash, den lieben, lieben Flash," Mein Herz wollte springen und gleichzeitig zerreisen. "...hab ich wahrscheinlich in meiner Torheit gleich mit in den Tod gerissen. Oh wie schrecklich!" Wieder fing sie an zu weinen. "Ach kleines Licht, kannst du nicht alles ungeschehen machen und mich zurück nach Hause bringen? Sag doch dem lieben Gott einfach, dass da noch jemand wartet." Sie schien kurz zu Überlegen. "Falum zum Beispiel! Er würde mich sicher vermissen! Und der gute Chase, der immer so nett zu mir war! Und Cámalon... Und Flash, vielleicht, vielleicht lebt er ja noch! Dann würde er mich sicher auch vermissen. Warum sagst du denn nichts mehr, kleines Licht?"
Mit aller Gewalt versuchte ich mich unter Kontrolle zu bringen. Ich wollte Weinen vor Glück, Schreien vor innerlichem Schmerz, sie umarmen, küssen, ihr sagen, das alles in Ordnung sei und wir schon bald zu Hause sein könnten. Denn von einer Sache war ich überzeugt. Wir waren nicht tot. Also mussten wir auf dem Heimweg sein und unsere Freunde einen Weg suchen uns zurück zu holen. Aber wenn ich ihr all das sagen würde, würde sie es mir niemals glauben. Was sollte ich nur tun?
"Kleines Licht?"
"Was?" Ich schluckte schwer den Klos in meinem Hals hinunter.
"Lass mich nicht allein, versprochen?"