Jetzt hatte er es fast geschafft. Tief atmete er die frische Luft ein, er hatte die andere Welt gehasst. Das Essen war zwar besser gewesen und auch die Kleidung, die man dort trug, war deutlich bequemer gewesen. Aber man hatte ihn von Cleo ferngehalten, als würde er ihr schaden.
Dazu war die Luft dort stickig und schmeckte widerlich. Vor allem in der Stadt, waren überall Leute gewesen.
So viele Leute fand man hier nie auf einem Haufen, nicht einmal in der Hauptstadt. Nie hatte man Ruhe und wenn, dann nicht lange. Hier musste er nur die Stadtmauern verlassen und war fast sofort alleine. Mit einem Schlag wurde ihm bewusst, dass er keine Zeit zu vertrödeln hatte. Schnell machte er sich auf den Weg, er hatte Jerome versprochen sich um 5 Uhr bei ihm zu melden. Bis dahin gab es viel zu erledigen.
Bevor er das Stadttor erreichte, verstaute er die Uhr, die Wilhelm ihm mitgegeben hatte, in einer seiner Taschen. Zum Glück war sie heil geblieben. Allerdings war er weiter von der Stadt entfernt gelandet, als geplant und die Stadtwachen wollten ihn erst nicht durchlassen.
Zum Glück schaffte er es, sie davon zu überzeugen, dass er ein Botenjunge war, der für einen wichtigen Adligen Geschäfte zu erledigen hatte.
Das musste man der anderen Welt lassen, die Menschen waren dort definitiv nicht so naiv wie hier. Oft hatte er mit Wilhelm debattiert und ihn versucht, von all möglichen Dingen zu überzeugen. Dies, und Wilhelms zahlreiche Belehrungsversuche würden sich hier hervorragend auszahlen.
Nachdem er endlich das Äußere Stadttor passiert hatte, machte er sich direkt auf den Weg zu seinem Haus. Mit etwas Glück war sein Vater zuhause und er würde ihn nicht suchen müssen. Wenn nicht, dann würde er sich im schlimmsten Fall auf den Weg zu Johannsen machen müssen. Das würde sich als deutlich schwieriger gestalten, da er mit hoher Wahrscheinlichkeit im Palast war und da würde man ihn sicherlich nicht hineinlassen.
So schnell er konnte rannte er über den Marktplatz. Da es schon relativ spät war, hatten die meisten Stände schon geschlossen und der Platz war fast leergefegt, nur einige wenige Kinder spielten, während ihre Mütter am Marktbrunnen Wasser holten.
So hatte er seine Heimat in Erinnerung, friedlich und Still. Als er fast den gesamten Platz überquert hatte, bog er links auf eine Straße ein. Er konnte sein Haus schon sehen. Genau genommen hieß es ja „Haus der königlichen Angestellten“, aber das war ihm zu lang und da er und sein Vater dort wohnten, war das so einfach kürzer. Wie der Name schon vermuten ließ, wohnten sie dort nicht alleine.
Dort wohnten alle Angestellten der königlichen Familie, die nicht unmittelbar im Palast gebraucht wurden.
Überraschender Weise, war die Tür abgeschlossen, damit hatte er nicht gerechnet. Normalerweise herrschte immer ein reger Betrieb, weshalb die Tür immer offenblieb. Vielleicht hatte er ja Glück und die Hintertür war offen. Während er um das Gebäude ging, versuchte er durch das eine oder andere Fenster zu schauen. Er konnte aber niemanden erkennen.
Zu seiner Enttäuschung war auch die Hintertür verschlossen, was jetzt? Vater müsste eigentlich in der Stadt sein und es konnte ja unmöglich sein, dass er mit allen anderen fortgeschickt wurde. Als er die Kirchenglocken hörte, bekam er eine Idee. So wie er den König einschätzte, war sie sogar durchaus wahrscheinlich.
Schnell machte er sich auf den Weg zur Kirche. Mit etwas Glück würde er es noch schaffen, bevor der Gottesdienst anfing. Wieder musste er über den gesamten Marktplatz rennen, jetzt waren auch die letzten Menschen verschwunden.
Das zweite Läuten. Er lief noch schneller, beim dritten Mal würden die Kirchentüren geschlossen werden, dann würde er über eine Stunde lang warten müssen.
So könnte er wenigstens versuchen seinen Vater zu erspähen. So schnell er konnte rannte er die Straße entlang. Wenn er den Weg richtig in Erinnerung hatte, musste er erst nach rechts und dann nach links. Tatsächlich, gerade, als die Glocken das dritte Mal läuteten erreichte er die Kirche. Die Wachen sahen ihn noch rechtzeitig und so konnte er noch knapp durch einen Spalt hineinschlüpfen.
Er erntete zwar zahlreiche strenge Blicke aber das war es wert. Als er sich im Eingangsbereich umsah, bekam er einen Schreck. An einer Seite war ein riesiger Altar aufgebaut, auf dem lauter Kerzen leuchteten. Und in der Mitte stand ein altes Portrait von Cleo!
Eine der Wachen gab ihm einen Schubs und bedeutete ihm, sich hinzusetzen. Verwirrt setzte er sich in die hinterste Reihe.
Nachdem der letzte Glockenschlag verklungen war, fing einer der Priester an. „Willkommen alle, die ihr hier seid. Wie jeden Monat haben wir uns heute hier eingefunden, um für das Wohlergehen unserer Prinzessin zu beten. Vor nicht ganz zwei Zyklen sollte sie hier eintreffen und dennoch haben wir bis heute noch nichts von ihr gehört. Darum lasst uns nun gemeinsam Beten, auf das sie wohlbehalten zu uns zurückkehre.“ Danach folgte ein Gebet, dass er noch nie gehört hatte. In vielen der Gesichter um ihn herum konnte er echte Trauer sehen.
Er hatte gewusst, dass alle im Königreich auf Cleo warteten, aber nicht, dass sie Sie so sehr nach ihr sehnten. Dabei kannten sie Sie ja noch nicht einmal. Aber
Cleo würde sie nicht enttäuschen, da war er sicher, sie würde eine großartige Prinzessin sein und eine noch bessere Königin.
Langsam und unauffällig sah er sich in der Kirche um, aber er konnte seinen Vater nicht erkennen. Vielleicht saß er ja auch auf einer der Emporen. Er seufzte frustriert, die nächste Stunde würde sich sehr langsam hinziehen.
Aber entgegen seiner Erwartungen dauerte der Gottesdienst nicht einmal eine halbe Stunde und da er nahe am Ausgang saß, konnte er sofort nach draußen stürmen.
Dort platzierte er sich so, dass er jeden, der rauskam genau sah. Es dauerte auch nicht lange, bis er ihn erblickte.
Vater sah kränklich aus, er hatte ganz eindeutig abgenommen und auch seine Haare waren gewachsen, wenn auch leicht ergraut. Er erblickte ihn fast augenblicklich. Fassungslos starrte er ihn an.
Ob er ihn wiedererkannte? Immerhin war einige Zeit vergangen und er war gewachsen.
Was für eine dämliche Frage, natürlich erkannte er ihn.
Als er sich einigermaßen gefangen hatte, rannte sein Vater los, Tränen in den Augen. Robin rannte ihm entgegen und umarmte ihn. Nun konnte auch er die Tränen der letzten Jahre nicht mehr zurückhalten. Wie sehr hatte er sich nach diesem Tag gesehnt, endlich wieder bei seinem Vater zu sein.
Als er den Blick hob, sah er Toya, welcher ihn ebenso ungläubig anstarrte wie sein Vater zuvor. Auch Toya hatte sich verändert. Er trug zwar immer noch eine Glatze, hatte sich aber fast seinen gesamten Kopf tätowieren lassen, was hier eine furchtbar schmerzhafte Angelegenheit war. Dazu war auch er deutlich dünner als früher. Aber, entgegen seinem Vater, machte es ihn nicht älter.
Er sah eher jünger aus. Sein Vater packte sein Gesicht mit beiden Händen und sah ihm tief in die Augen. Im liefen immer noch Tränen über seine Wangen, aber er schaffte es gerade so ihn zu fragen. „Wie?“
In diesem einzelnen Wort steckte seine ganze Verzweiflung der letzten Jahre. Robin grinste, obwohl auch er immer noch weinen musste.
„Das ist eine lange Geschichte.“
Er, Toya und sein Vater machten sich auf den Weg nach Hause. Den ganzen Weg über hielt sein Vater seine Hand fest umschlossen. Als wollte er sichergehen, dass er nicht wieder verschwindet.
Er hatte wieder eine bessere Farbe im Gesicht und auch seine Augen schienen zu leuchten.
Toya hingegen schien immer noch nicht ganz begriffen zu haben, dass dies kein Traum war. Er durchstach ihn regelrecht mit seinen Blicken und lies ihn keine Sekunde aus den Augen.
Zuhause angekommen setzten sie sich in die Gemeinschaftsküche.
Sein Vater sah ihn noch einmal an und atmete dann tief aus.
„Ist das hier noch so ein Traum, aus dem ich qualvoll erwachen werde?“
Erschrocken schüttelte er den Kopf: „Nein, keine Sorge, das ist kein Traum. Es tut mir leid, dass ich nicht früher herkommen konnte.“
Sein Vater winkte ab. „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, ich kenne dich, du hast mich mindestens so sehr vermisst, wie ich dich. Du wärst nie ohne guten Grund länger fortgeblieben.“
Robin nickte, da hatte sein Vater recht. Toya ließ ihn noch immer nicht aus den Augen und mit einem Schlag wurde Robin bewusst, warum er überhaupt hier war. Fast hätte er es vergessen.
„Cleo geht es auch gut! Sie kommt auch bald!“
Toya sprang auf und stütze sich mit beiden Händen auf den Tisch, dabei flog sein Stuhl regelrecht nach hinten. Seine Augen schrien geradezu `WO!?´. Er hob beschwichtigend die Hände, aber Toya machte sich schon daran, Essen zusammen zu packen.
„Sie ist nicht hier!“
Toya sah ihn erschrocken an. „Nicht hier?“
Auch sein Vater sah ihn verwundert an. „Was meinst du damit, nicht hier?“
Verzweifelt sah Robin vom einen zum anderen. „Toya, bitte setz dich wieder hin, die Erklärung wird etwas länger dauern.“
Gespannt setzte Toya sich wieder. Beide lauschten gespannt, als Robin ihnen erzählte, was geschehen war. Mit jedem Wort wurden ihre Gesichtszüge angespannter und gegen Ende tauschten sie nur noch unsichere Blicke.
„Sohn, du willst uns also erzählen, dass sich Cleo, die sich an nichts erinnert, sich in einer anderen Welt darauf vorbereitet wieder herzukommen? Und in dieser Welt gibt es riesige Flugmaschinen und Kutschen, die ohne Pferde fahren? Bist du dir sicher, dass du das nicht geträumt hast?“
Ihre skeptischen Blicke machten ihn wütend. Als würde er sich so etwas ausdenken! Empört sah er sie an: „Ihr glaubt mir also nicht!? Denkt ihr, ich hatte die letzten zwei Jahre nichts Besseres zu tun, als mir eine riesige Lüge auszudenken!?“
Sein Vater wollte ihn beschwichtigen, aber Robin riss seinen Arm los, als sein Vater danach griff. „Wenn ihr mir nicht glauben wollt, seht selbst! Ich habe mit dem Man aus der anderen Welt vereinbart, dass ich mich morgen früh mit ihm treffe und ihr kommt mit!“
Toya sah ihn fast schon mitleidig an, so als wäre er geistesgestört! Verärgert machte sich Robin daran, ihnen all mögliche Verwünschungen an den Kopf zu werfen. Wie konnten sie es wagen, ihn als einen Lügner zu strafen! Nach allem was er durchgemacht hatte! Verzweiflung blitzte in den Augen seines Vaters auf und Toya verließ stumm den Raum.
„Robin, es tut mir leid, dass wir dir nicht einfach so glauben können. Aber hör dir doch selber zu, dass klingt alles völlig verrück. Portale? Eine andere Welt? Wie könnten wir dir einfach so glauben? Ich will dir ja vertrauen, aber du warst 2 Jahre lang verschwunden! Und wer weiß, welch Grauen dir zugestoßen ist, dass du solch eine Phantasie entwickelt hast.“
Er atmete einmal tief durch, sein Vater hatte recht, wie konnte er so naiv sein und glauben, sie würden seine Geschichte einfach so akzeptieren. Fest und entschlossen sah er seinem Vater in die Augen.
„Ihr werden mitkommen und sehen, was ich gesehen habe.“
Danach verlies auch er das Zimmer, seine Pläne würden warten müssen. Jerome hatte sichergehen wollen, dass die Vorbereitungen in vollem Gange waren, aber so wie die Dinge standen, würde er momentan niemanden überzeugen können. Vor allem nicht den König. Und wenn er ihm nicht glaubte, könnte er ihn wegen Hochverrat wegsperren lassen. Nein, zuerst musste er Toya und seinen Vater davon überzeugen, erst dann könnte er weitermachen.
Die restliche Zeit würde er anders überbrücken müssen, also machte er sich auf den Weg, die Stadt zu erkunden. In den zwei Jahren seiner Abwesenheit hatte sich bestimmt so einiges verändert und dabei hatte er gehofft, Cleo herumführen zu können. Er war schockiert gewesen, als sie ihm gesagt hatten, dass Sie ihr Gedächtnis verloren hatte. Es hatte ihn geschmerzt, als sie ihn nicht wiedererkannt hatte.
Aber trotz allem, war er erleichtert gewesen, zu sehen, dass sie sich nicht verändert hatte. Sie hatte zwar ein wenig abgenommen und ihre Haare waren gewachsen, aber sie war immer noch sie selbst. Er hatte befürchtet, sie hätte auch ihren Charakter vergessen, aber sie hatte ihn genauso behandelt wie früher.
Nur ihre Augen, sie hatten geleuchtet, wie er es bei ihr noch nie zuvor bei ihr gesehen hatte. Am liebsten hätte er ihr gleich alles erzählt, aber Jerome und Wilhelm hatten ihn davor gewarnt und sie wirkte so glücklich auf ihn, dass er das nicht hatte zerstören wollen.
Gedankenverloren wanderte er durch die Stadt, es würde lange dauern, bis er sie wiedersehen würde. Natürlich hatte er seinen Vater vermisst, aber nun vermisste er Cleo, er hatte sie schließlich auch erst kurzzeitig zurückgehabt. Er konnte sich noch gut an ihre Gespräche erinnern und daran, dass sie praktisch wie Geschwister waren. Selbst auf ihrer Reise hatten sie sich nur wenige Monate gekannt, aber Cleo hatte ihn verstanden, wie niemand zuvor.
Bei ihr fühlte er sich geborgen und verstanden. Wie bei der Schwester die er nie gehabt hatte. Als er seine Gedanken so schweifen lies, musste er lächeln. Er hatte Cleo lieb und hoffentlich erinnerte sie sich bald an alles. Aber er würde sich davon nicht beeindrucken lassen, auch wenn er ihre Beziehung wieder von null aufbauen musste, er würde nicht aufgeben. Mit einem Mal sah er sich überrascht um, diese Taverne kannte er noch gar nicht. Neugierig spähte er hinein, drinnen ging es ziemlich lebendig zu. Sie hatten sogar einen Barden eingestellt, der den Raum mit seiner Musik erfüllte. In einer Ecke saß sogar Toya!
Überrascht stellte Robin fest, dass er Ani trank, ein furchtbar starkes alkoholisches Getränk. Früher hätte Toya nur an besonderen Tagen getrunken, wie zum Beispiel an seinem Geburtstag. Aber am helllichten Tage? Das hatte Robin in seinem gesamten Leben noch nicht mitbekommen und er kannte Toya schon sein ganzes Leben lang. So wie er ihn einschätzte machte er sich furchtbare Sorgen um Cleo. Toya tat zwar immer ernst und unbeteiligt, aber Robin wusste, dass Toya Cleo fast schon anhimmelte. Deswegen hatte er sich überhaupt freiwillig für diese Mission gemeldet.
Warum er Cleo so anhimmelte wusste Robin auch nicht. Aber immer, wenn es um Cleo ging, war Toya sofort zur Stelle. Vielleicht hatte er Toya heute keinen Gefallen getan, aber es wäre auch nicht gut, wenn er morgen früh nicht fit wäre. Entschlossen machte Robin sich daran, zu ihm zu gehen. Toya fixierte ihn mit seinen kalten Augen, aber Robin ließ sich davon nicht einschüchtern. Zum einen wusste er, dass Toya ihn mochte und zu anderen musste er dafür sorgen, dass er und sein Vater morgen in guter Verfassung wahren, für Cleo.
Er hatte schließlich eine eigene Mission. „Du solltest dich nicht betrinken!“
Vorwurfsvoll sah er Toya an. Dieser grunzte nur und trank weiter.
„Was soll Cleo von dir denken, wenn sie dich so sieht?“
Das hatte gesessen, Cleo war nach wie vor wichtig für ihn. Abrupt setzte er das Glas ab und sah Robin ernst in die Augen. „Sie lebt, wirklich? Ich kann sie sehen?“
Robin wich unsicher seinem Blick aus, Jerome würde ihnen sicher nicht erlauben Cleo zu besuchen. Geschweige denn, dass sie das Büro verlassen.
„Ja sie lebt und früher oder später wirst du sie wiedersehen.“
Enttäuschung blitzte in seinen Augen auf. Mist, er hatte ihn fast gehabt. Toya nahm wieder einen großen Schluck und Robin konnte fast sehen, wie ihm der Alkohol den Verstand vernebelte. Da kam ihm eine brillante Idee.
„Aber du wirst auf jeden Fall den Mann treffen, der für Cleo wie ein Vater ist, der sich um sie gekümmert hat. Außerdem triffst du mit hoher Wahrscheinlichkeit den Man, der Cleos Leben gerettet hat! Und du möchtest doch nicht, dass sie dich in einem erbärmlichen Zustand kennenlernen, oder? Was, wenn sie beschließen, dass du nicht in der Lage bist, Cleo zu beschützen und sie deshalb nicht herlassen?“
Oh ja, das hatte gesessen. Mit einem Ruck sprang Toya auf, warf ein paar Geldstücke auf den Tisch und ging. Aufgeregt folgte Robin ihm.
„Was machst du jetzt?“
Abrupt bleib Toya stehen und drehte sich zu ihm um.
„Erzähl mir von ihr.“
Robin musste lächeln. „Viel kann ich dir auch nicht sagen, aber sie ist im Herzen immer noch die gleiche, auch, wenn sie sich an vieles noch nicht erinnert. Ich bin mir aber sicher, dass sie sich an dich erinnern wird, sobald sie dich sieht!“
Er grinste breit, damit schien Toya erst einmal zufrieden zu sein, denn auch er lächelte leicht, kaum merkbar. „Und? Was machst du jetzt?“
Toya schien zu überlegen, nach nur wenigen Sekunden sah er Robin entschlossen in die Augen und nickte. „Training.“
Robin lächelte breiter, das war der Toya, den er kannte. „Kann ich mitkommen?“
Toya nickte wieder und zusammen machten sie sich auf den Weg zu der Kaserne. Unterwegs kamen sie wieder an der Kirche vorbei, wo zahlreiche Leute Kerzen für Cleo anzündeten. Toya schenkte ihnen keinerlei Beachtung, aber Robin konnte die vielen, traurigen Gesichter nicht ignorieren. Bald, dachte er, bald habt ihr eure Prinzessin wieder. Den Rest des Tages verbrachte er damit, Toya beim Schwertkampf zuzusehen. Als die Sonne unterging und es zu dunkel wurde, machten sie sich zusammen auf den Weg nach Hause. Sein Vater wartete schon ungeduldig auf sie.
„Wo wart ihr denn so lange? Robin, ich hab´ mir Sorgen um dich gemacht!“
„Keine Sorge, ich war die ganze Zeit bei Toya in der Kaserne.“
Das schien seinen Vater zu beruhigen. Zufrieden nickte er.
„Wann müssen wir los?“ Robin holte die Uhr aus seiner Tasche.
„Erst in sieben Stunden, wir sollten uns also vorher ruhig schlafen legen.“
Neugierig betrachteten die Beiden die Uhr. „So eine Uhr habe ich ja noch nie gesehen.“
Selbstgefällig grinste er. „Natürlich nicht, sie kommt schließlich aus der anderen Welt.“
Sein Vater runzelte die Stirn und grummelte nur ein unverständliches mhm. Danach machte er sich daran etwas zu kochen.
Robin erinnerte sich daran, dass Jerome und Wilhelm ihm Essen eingepackt hatten und wieder betrachteten die Beiden es skeptisch, aber auch neugierig. Robin teilte die Portion in drei auf und schlug sich dann den Bauch voll.
Danach legte er sich in seinem Zimmer schlafen. Erst Stunden später kam auch sein Vater zu Bett. Worüber sie so lange wohl geredet hatten? Ein nerviges Piepsen weckte ihn auf. Sein Vater war schon dabei sich seine Rüstung anzuziehen. Es war eine leichte Rüstung, hauptsächlich aus Leder, aber sie erfüllte ihren Zweck schon seit Jahren. Es dauerte eine Weile, bin Robin die Uhr zum Schweigen brachte und als er es endlich geschafft hatte, standen Toya und sein Vater schon aufbruchsbereit in der Tür.
„Wie lange brauchst du denn noch?“
Auch Toya schien nervös, er trat von einem Fuß auf den anderen und war kurz davor, alleine davon zu stürmen.
„Ich komme ja!“
Schnell zog er sich seine Sachen an und rannte zu ihnen. Sie beeilten sich aus der Stadt zu kommen und den vereinbarten Treffpunkt zu erreichen. Nur noch wenige Minuten und sie würden ihm endlich glauben müssen! Voller Vorfreude lief Robin auf und ab. 3,2,1. Tatsächlich erschien auf die Sekunde das Portal. Toya und sein Vater sahen ihn schockiert an und wichen erschrocken zurück.
„Entweder jetzt oder nie! Kommt schon!“
Entschlossen trat er durch das Portal und die Beiden folgten ihm zögernd. Zuerst war er von dem hellen Licht geblendet und als seine Augen sich endlich daran gewöhnt hatten, konnte er sehen, wie sein Vater und Toya beide ihre Schwerter gezogen hatten. Ihm gegenüber standen ein verunsicherter Jerome und ein erschrockener Wilhelm.
Seine beiden Begleiter brauchten länger um sich an das Licht zu gewöhnen und senkten ihre Schwerter erst nach wiederholter Aufforderung seitens Robins. Immer noch verunsichert setzten sich die vier Männer auf die Sofas. Robin blieb stehen und beobachtet Toya und seinen Vater, wie sich diese neugierig umsahen und auch Wilhelm und Jerome skeptisch musterten. Nach einer Weile fing Jerome an.
„Robin, was hat das zu bedeuten?“
Mit einer fragenden Geste deutete er auf die Beiden Begleiter. Seufzend erklärte er ihm, warum er sie mitgebracht hatte.
„Verstehst du? Sie hätten mir sonst nicht geglaubt.“
Jerome nickte langsam.
„Sie sind also die Herren, die unsere Cleo begleiten werden?“
Bei ´unsere` zuckte Toya wie vom Blitz getroffen zusammen. Danach starrte er Jerome unnachgiebig an. Jerome schien dies zu bemerken und bemühte sich von da an, nicht mehr in seine Richtung zu sehen.
Sein Vater antwortete: „Ja, wir sind ihre Beschützer. Mein Name ist Friedjolf und dies hier ist Toya. Meinen Sohn Robin kennen sie ja bereits.“
Jerome nickte zufrieden. „Sie sind also Robins Vater? Er hat uns schon viel von ihnen erzählt, es ist mir eine Ehre sie kennenzulernen.“
Er stand auf, um meinem Vater die Hand zu reichen und dieser erwiderte die Geste verwirrt. So hatte Robin auch zuerst, auf die hier gängige Begrüßung reagiert. Danach setzten sie sich wieder.
Vater stand die Verwirrung ins Gesicht geschrieben und auch Jerome blieb das nicht verborgen.
„Das war eine hier übliche Begrüßung.“
Erleichtert atmete sein Vater auf und nickte zufrieden. „Verstehe.“
Plötzlich schien Toya zu platzen und alle erschreckten sich, als er fragte: „Wo ist Cleo?“
Überrascht blickten Jerome und Wilhelm zu Robin. „Cleo ist momentan zu Hause. Sie dürfte sich bald auf den Weg zur Schule machen.“ Unzufrieden starrte Toya zu Jerome.
„Wenn sie möchten, kann ich ihnen allerdings ein aktuelles Bild von ihr zeigen, würde das genügen?“
Toya verzog keine Miene und mein Vater antwortete an seiner Stelle.
„Das wäre zu freundlich.“
Schnell zog Jerome sein Handy aus seiner Hosentasche und öffnete ein Bild von Cleo. Danach übergab er ihnen das Handy. Beide bestaunten das Bild nicht schlecht.
„Das Bild sieht so lebensecht aus, das muss ein wahrlich begabter Künstler gemalt haben.“
Jerome wirkte verlegen und versuchte ihnen danach vergebens zu erklären, wie das Bild entstanden war. Nachdem er es aber vergebens wieder und wieder versuchte, mischte sich Robin ein.
„Ist doch auch egal! Glaubt ihr mir jetzt?“
Selbstzufrieden verschränkte er die Arme vor der Brust und wartete gespannt auf eine Antwort.
„Nun ja, wir können wohl kaum bezweifeln, was wir mit eigenen Augen gesehen haben. Aber wie soll das nun weitergehen? Warum kann Cleo nicht gleich mitkommen?“
Jerome und Wilhelm gaben ihr Bestes um ihnen die Lage zu erklären und am Ende lenkte mein Vater zufrieden ein. Toya sah allerdings alles andere als zufrieden aus.
„Ich will sie sehen.“
Seine Worte ließen praktisch keine Wiederworte zu. Jerome sah verzweifelt zu Robin, aber er zuckte nur mit den Schultern. Nach einem Augenblick, in dem sich Jerome und Wilhelm ausgiebig unterhielten, entschieden sie sich, die Beiden Herren die Gegend zu zeigen und auch zu Cleo zu bringen.
„Aber bitte halten sie sich von Cleo fern, in Ordnung? Sie muss sich momentan auf andere Dinge konzentrieren und ihre letzte Erinnerung hat ihr furchtbares Fieber verpasst. Dieser Tag ist aber besonders wichtig für sie, also bitte halten sie Abstand.“
Toya war sofort alarmiert: „Fieber!?“
Beschwichtigend hob Jerome die Hände, keine Sorge, ihr geht es wieder blendend. Skeptisch stand Wilhelm auf. Auch Vater machte sich auf den Weg.
„Also, zeigen sie uns ihre Welt.“
Jerome schaffte es gerade so, die Beiden davon abzuhalten gegen die Glastür tu laufen.
„Was ist der Sinn einer Tür, wenn man durch sie hindurchsehen kann?“
Bevor Jerome auch nur zu einer Antwort ansetzten konnte, mischte sich Wilhelm ein.
„Meine werten Gäste, sie werden sich leider umziehen müssen, bevor wir loskönnen.“
Verärgert sah mein Vater ihn an. „Wieso das denn?“
„Sie würden in ihren Rüstungen negativ auffallen und sich damit diesen Aufenthalt hier nicht unbedingt angenehmer Gestalten. Zudem würden sie Cleo so sofort auffallen und dann müssten wir sie sofort von dort entfernen und sie würden sie nicht zu Gesicht bekommen oder ihr mit ihrer Anwesenheit schaden. Wenn sie mir also bitte folgen würden.“
Wiederwillig folgten sie Wilhelm in sein Büro. Zum Glück hatten er und Jerome noch ein paar Kleidungsstücke als Ersatz da, die den Beiden passten. Robin konnte sich ein Lachen nur knapp verkneifen. Toya sah aus wie ein Verbrecher, denn er trug einen schwarzen Anzug und dazu Wilhelms Hut. Sein Vater allerdings sah noch idiotischer aus. Er trug eine alte Jeans und dazu ein kariertes Hemd. Definitiv von Jerome.
Die Beiden Musterten sich skeptisch und schienen sich selbst ein kleines Lächeln nicht verkneifen zu können. Als Jerome und Wilhelm ihnen mit viel Überzeugungskraft auch endlich die Waffen abnehmen konnten, machten sie sich auf den Weg. Die Beiden staunten nicht schlecht, als sie das erste Mal ein Auto sahen. Robin spürte nicht gerade wenig Selbstzufriedenheit und grinste die ganze Zeit über schelmisch, als sie beim Starten des Motors beinahe Panik bekamen.
Unsicher versuchten sie sich an den Sitzen festzuhalten und so begann ihre Tour durch die Stadt. Ungläubig starrten die Beiden aus den Fenstern die hohen Gebäude an. Momentan waren zum Glück nicht so viele Menschen unterwegs, was es ihnen leichter machte, sich umzusehen. Sie schienen ihren Augen nicht trauen zu können. Je länger sie unterwegs waren, desto unruhiger schien Toya zu werden. „Keine Sorge, wir sind bald da. Es ist nicht mehr weit.“
Das musste er ungefähr alle zehn Minuten wiederholen, bis sie endlich nahe der Schule ankamen. Erleichtert stürzten Toya und sein Vater fast schon aus dem Auto. Die Beiden bestaunten Cleos Schule nicht schlecht. Auch Robin musste schlucken, das Gebäude war riesig. Sie platzierten sich so, dass Cleo sie nicht sehen würde, sie Sie aber gut im Blick haben würden. Es dauerte auch nicht lange bis Toya, wie ein Wachhund aufhorchte.
Nicht lange, dann hörte Robin es auch. Cleos Stimme.
„Das glaube ich nicht, dann hätte ich doch einen Ring umgehabt, als ich hergekommen bin. Außerdem wäre ich dann sicherlich nicht in meinem Königreich gewesen, sondern in diesen komischen Alussi. Und von da hätte man mich sicherlich nicht entführen können.“
Neben ihr ging Johannes, Robin konnte beinahe spüren, wie Toya ihn mit seinen Blicken umbrachte. „Das gefällt mir ganz und gar nicht.“
Darauf antwortete Cleo mit etwas, das wir allerdings nicht hören konnten. Danach lächelten die anderen Beiden und Maire harkte sich bei Cleo ein.
„Das wird schon. So wie ich dich kenne, hat sich die Sache schon längst erledigt.“
„Das wäre zu schön.“
Auf einmal macht sich Cleo allerdings los und rennt zu einem anderen Mädchen, die ungesund rot aussieht. Einige Zeit gingen die Beiden still neben einander her, aber mit einem Mal platzte das Mädchen mit etwas heraus, was Toya fast zum Platzen brachte.
„Sind du und Johannes zusammen!?“
Robin konnte sehen, wie Toyas Knöchel schon weiß hervortraten, er schien erahnen zu können, wer dieser Johannes war. Cleo schien von dieser Idee genauso wenig begeistert und starrte das Mädchen fassungslos an.
„Wie kommst du denn darauf? Niemals!“
Das Mädchen schien deutlich erleichtert. Genauso wie Toya.
„Keine Sorge, ich nehm` dir deinen Schatzi nicht weg.“
Das Mädchen bekam wieder eine ungesunde röte und als Cleo lachte, versuchte sie sie zu schlagen. Robin erkannte, dass das natürlich nicht ernst gemeint war, aber Toya anscheinend nicht. Sofort rannte er los und stellte sich genau neben die Beiden Mädchen. Die Beiden unterhielten sich weiter und schienen ihn gar nicht zu bemerken, aber ihre Blicke waren alle auf Toya gerichtet. Er hatte es ihnen versprochen, verdammt noch mal!
Robin machte sich schon auf den Weg, um ihn von da fortzuholen, als das Unvermeidbare geschah. Cleo wich wieder einem der Schläge aus und stieß genau gegen Toya. Ihre Blicke trafen sich und sie alle hielten gebannt den Atem an, während Cleo Toya musterte. Mit einem Mal verzog Cleo schmerzerfüllt das Gesicht. Sofort kamen Marie und Johannes angerannt. Robin nutze diese Gelegenheit und ergriff Toya am Arm. Toya schien sich furchtbare Sorgen um Cleo zu machen und machte Anstalten sie anzusprechen. Er rührte sich nicht, bis Robin ihm zuzischte:
„Beweg dich! Du bist der Grund für ihre Schmerzen.“
Sofort machte Toya sich auf den Weg zu den anderen, auch, wenn er immer wieder besorgt zurückblickte. Dort angekommen, konnten sie Cleo „Toya“ flüstern hören. Jerome und Wilhelm hatten also die Wahrheit gesagt, jede Erinnerung bereitete Cleo Schmerzen. Als Toya Cleo seinen Namen aussprechen hörte, mussten sie ihn mit aller Kraft davon abhalten, zurückzulaufen. Robin sah die Verzweiflung in seinem Blick und auch sein Vater schien drauf und dran, Cleo zu packen und mit ihr wegzulaufen. Sie wollten sich gerade wieder auf den Weg machen, um noch Schlimmeres zu verhindern, als Marie und Cleo etwas sagten, dass sie alle aufhorchen ließ.
„Was jetzt? Was wenn irgendwas passiert ist?“ Maire schüttelte ihren Kopf.
„Das wüssten wir. Falls irgendetwas passiert wäre, hätte Papa dich sofort abholen lassen. Oder zumindest eine Nachricht geschickt.“
„Ja da hast du vermutlich recht. Aber das ist trotzdem nicht sonderlich beruhigend.“
Robin konnte an ihrem Gesichtsausdruck erkennen, dass Cleo gar nicht glücklich war, mit einem Mal war ihre gute Laune komplett verschwunden. Hätte Toya sich nur zurückgehalten, dann wäre das alles nicht passiert. Jerome schaute gequält auf sein Handy und zeigte ihm den Anruf, Cleo. Aber wenn er jetzt annahm, würde Cleo sie hören. Jerome sah Robin verzweifelt an.
„Das gibt Ärger.“
Schnell machten sie sich auf den Weg zurück. Es wäre das Beste, wenn sie diese Welt so früh wie möglich verließen. Doch er brauchte Toya nur mit seinem Blick zu streifen und er wusste, dass er nicht ohne Cleo gehen würde.
*
„Es tut mir wirklich leid, aber wir konnten ihn nicht davon abhalten, sich dir zu zeigen.“
Ich seufze, natürlich nicht.
„Und was jetzt? Sind sie zurück in die andere Welt?“
Schweigen, das ist nicht sein ernst oder?
„Sie sind doch zurück oder?“
„Nun ja, die Sache ist die. Robin und Friedjolf sind problemlos wieder in der anderen Welt angekommen. Toya allerdings hat sich strikt geweigert und darauf bestanden, dass er dich im Schwertkampf und Bogenschießen unterrichten wird.“
Er scheint darüber nicht sonderlich erfreut zu sein.
„Und? Wo ist er jetzt?“
Wieder ein langgezogenes Seufzen.
„Wilhelm erklärt ihm gerade die Regeln, an die er sich hier zu halten hat. Wenn du möchtest, können wir die Fechtstunde heute absagen.“
Ich schüttle den Kopf und sage kaum hörbar.
„Nein, früher oder später werde ich ihm gegenübertreten müssen und ich bezweifle, dass Wilhelm den Tag überleben wird, wenn das so weitergeht.“
Jerome lacht. „Ja das stimmt, Toya scheint nicht unbedingt begeistert von Wilhelm zu sein.“
Wieder blicke ich zu Raff und Simone, die Beiden haben mittlerweile damit begonnen, dass Arbeitsblatt zu bearbeiten, oder zumindest tun sie so, damit ich nicht bemerke, dass sie mich belauschen.
„Jerome?“
„Ja?“
„Wäre es möglich, dass du mich von der Schule abholst?“
Überraschte stille. „Jetzt? Ich dachte du wolltest mit deinen Freunden reden?“
„Ja, damit bin ich fertig, jetzt liegt es an Marie und Johannes, sie zu überzeugen. Es wäre nur verschwendete Zeit hier zu bleiben. Lass uns den Unterricht vorziehen.“
„In Ordnung, wenn du das so machen möchtest. Ich schicke jemanden um dich abzuholen, das dürfte aber etwas dauern.“
Ich nicke. „Ok, danke.“
„Ach so und erschrecke dich nicht, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Toya mitkommt.“
Verwirrt runzle ich die Stirn. „Wie kannst du dir da so sicher sein?“
Jerome lacht. „Nun ja, er hat mitgehört und steht jetzt wartend an der Tür. Er ist zwar nicht sonderlich gesprächig, aber das kann selbst ich deuten.“
Jetzt muss auch ich Lächeln. „Also gut, bis dann.“
„Ja bis dann.“ Als ich auflege und danach zu Simone und Raff blicke, erschrecke ich. Simone hat schon wieder Tränen in den Augen und Raff mustert mich nachdenklich.
„Was?“
„Es ist theoretisch dein letzter Tag hier und du willst einfach nach der ersten Stunde abhauen?“
Ahnungslos zucke ich nur mit den Schultern.
„Es macht einfach keinen Sinn, länger hier zu bleiben. Bis mein Fahrdienst hier ist, ist die zweite Stunde rum und danach werde ich nur in der Pause mit euch reden können. Von daher kann ich auch nach der zweiten abholen. In der Pause könnt ihr euch dann mit Marie und Johannes unterhalten.“
„Ja, das stimmt. Danach müssen wir in den Unterricht und werden keine Zeit mehr haben, uns zu unterhalten.“
Auch Simone nickt zustimmend, nach einem kräftigen Schluchzen steht sie auf und kommt auf mich zu. „Mir ist egal, ob du ein Hirnaneurysma oder so etwas hast und das alles nur fantasierst! Ich glaube dir!“
Raff nickt bestimmt und kommt auch zu mir. „Wir stehen hinter dir!“
Mir kommen fast die Tränen und ich bringe nur ein knappes „Danke“ heraus.
„Also? Was machen wir mit dem Rest unserer Zeit?“
„Ich würde behaupten, Sie setzen sich hin und lernen.“
Erschrocken fahren wir herum. Vor uns steht Herr Hedsa und er sieht nicht unbedingt erfreut aus, nein, eher angepisst.
„Wie um alles in der Welt kommt es, dass sie hier draußen sind und nicht in ihrer Klasse?“
Simone will antworten, aber ihr Mund klappt nur auf und zu, wie bei einem Fisch an Land und auch Raff scheint ratlos. Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt mir eine Idee.
„Wir haben uns hierher zurückgezogen, weil es in der Klasse zu laut war.“
Herr Hedsa mustert mich skeptisch uns ich fühle mich von seinem Blick geradezu durchlöchert. Nach einer Weile seufzt er:
„Nun gut, dagegen kann ich wohl nichts sagen.“
Erleichtert atmen wir drei aus. „Aber, es trifft sich gut, dass sie hier sind Cleo. Ich wollte noch mit ihnen reden.“
Erschrocken fahre ich zusammen, jetzt kommt es, er will mich hundert pro fragen, warum ich abgemeldet wurde. „Stimmt es, dass sie alleine ins Ausland gehen wollen? Ihr Vater rief gestern bei mir an und erzählte mir von ihren Plänen, aber sind sie sich da ganz sicher?“
Ich schlucke, danke Jerome! Ich atme einmal tief durch. „Ja, tatsächlich habe ich lange und ausführlich darüber nachgedacht und bin der Meinung, dass es das Beste für mich ist.“
Er sieht nicht sonderlich überzeugt aus. „Aber so überstürzt aufzubrechen? Haben sie denn überhaupt einen Plan?“
„Tatsächlich habe ich einige Bekannte, die dort Leben und mir erst einmal helfen werden. Von daher dürfte mir nichts passieren.“
Herr Hedsa scheint wirklich besorgt zu sein. Mit einem Mal weicht er aber vom Thema ab.
„Übrigens hat ihr Vater mich auch gebeten, ihnen Tanzstunden zu geben. Können sie mir erklären, was es damit auf sich hat?“
Mir stockt der Atem, was hat er da gerade gesagt? Herr Hedsa und Tanzstunden? Herr Hedsa scheint mein Gesicht richtig zu deuten und führt weiter aus: „Wissen sie, ich habe in nicht allzu entfernter Vergangenheit zahlreiche Tanzwettbewerbe und Meisterschaften gewonnen. Daher schien er mich für einen angemessenen Lehrer zu halten. Allerdings war ich überrascht, dass er vor allem Wert auf traditionelle Tänze legte. Falls sie mich also aufklären könnten?“
Erschrocken starre ich ihn an, auch Simone und Raff scheinen ihren Ohren nicht trauen zu können. „Nun, tatsächlich ist die Familie, bei der ich leben werde sehr auf Traditionen bedacht. Deswegen veranstalten sie immer wieder Bälle. Da ich nicht umhin kommen werde zu tanzen, muss ich wohl oder übel vorher die Tänze lernen.“
Immer noch nicht ganz überzeugt, nickt Herr Hedsa stumm. „Nun, dann werde ich sie wohl in den nächsten zwei Wochen fast jeden Tag unterrichten. Haben sie denn auch einen Tanzpartner?“
Ich beiße mir verärgert auf die Lippe.
„Mehr oder weniger.“
Er runzelt die Stirn: „Haben Sie oder haben Sie keinen Tanzpartner?“
Ich seufze. „Sie dürften ihn kennen, einen Johannes aus der Klasse meiner Schwester.“
Herr Heda überlegt einen kurzen Moment. „Ja ich denke ich weiß, wen sie meinen.“
Ich kann förmlich hören, wie Simone hinter mir scharf die Luft einzieht. Will ich überhaupt wissen, was sie darüber denkt? Bestimmt fantasiert sie gerade wieder darüber, dass ich wirklich mit ihm zusammen bin und sie darüber angelogen habe. Nach einem kurzen Nicken verabschiedet sich Herr Hedsa und macht sich auf den Weg zu unserer Klasse, um dort für Ruhe zu sorgen. Raff, Simone und ich setzen uns wieder an den Tisch und reden praktisch den ganzen Rest der Stunde über sinnlose Sachen.
Als ob wir einfach nicht wahrhaben wollen, dass ich bald nicht mehr hier sein werde. Das Klingeln meines Handys reißt mich wieder zurück in die Wirklichkeit. Ich stehe auf uns lächle die beiden traurig an.
„Es ist so weit, ich muss los. Bitte überlegt euch das mit dem Tanzen noch einmal.“
Simone sieht mir fest in die Augen und nickt einmal entschlossen, sie wird alleine wegen Johannes kommen, da bin ich mir sicher. Schnell nehme ich die beiden einmal in die Arme, hoffentlich nicht das letzte Mal. Danach mache ich mich auf den Weg zum Auto. Es steht direkt vor dem Schultor und noch bevor ich ganz da bin, steht Toya auch schon vor mir. Oder eher, kniet. Überrascht, weiß ich nicht was ich sagen soll. Aus purer Not erinnere ich mich an einen Film den ich mit Marie geschaut habe, da haben die Könige immer so etwas gesagt wie „Erhebe dich.“
Toya schreckt regelrecht zusammen, als er meine Stimme hört. Als er sich praktisch gar nicht rührt und auch meinem Blick gezielt ausweicht, weiß ich nicht mehr weiter.
„Toya, bitte steh auf. Ich will nicht, dass du vor mir Kniest.“
Vielleicht ist es mein flehender Unterton, aber Toya steht endlich auf. Der Anzug, den er trägt ist durch das Knien dreckig geworden, wahrscheinlich wird Wilhelm ihm deswegen eine kräftige Standpauke halten. Jetzt schaut Toya mir endlich in die Augen und ich glaube den Anflug eines Lächelns auf seinen Lippen zu erkennen.
„Prinzessin Cleo.“
Als er das sagt, strahlen seine Augen und mit einem Mal bekomme ich Gänsehaut.
In diese zwei Worte hat Toya eine ganze Ansammlung von Gefühlen untergebracht. Normalerweise wäre mir das unangenehm, aber bei Toya fühle ich mich überraschend sicher.
Ich bemerke gar nicht, wie nah mir seine Gefühle gehen und mir die Tränen kommen.
Mit einem Mal habe ich das starke Bedürfnis Toya zu umarmen, ob das wohl mit meinen Erinnerungen zusammen hängt?
Ich spüre, wie Toyas Blick auf mir ruht, ach scheiß drauf, vielleicht erwartet er ja auch, dass ich ihn umarme. Mit einem Ruck schließe ich ihn in meine Arme, oder eher, ich versuche es. Denn meine Arme reichen nicht ganz um ihn herum. Sobald ich ihn berühre, spüre ich, wie Toya regelrecht erstarrt. Um die stille zu brechen, sage ich das einzig sinnvolle, das mir einfällt.
„Toya?“
Bei seinem Namen, zuckt er Kräftig zusammen.
„Es tut mir leid, dass ich dich vergessen habe.“
Es dauert nicht lange und er fängt an unkontrolliert zu zucken, aus Angst, lasse ich ihn los. Als ich ihn wieder ansehe, bekomme ich einen furchtbaren Schreck. Toyas Gesicht ist praktisch nur noch ein Fluss aus Tränen, niemals hätte ich geglaubt, dass er solch ein Gesicht machen kann.
Unsere Blicke treffe sich und wie, als hätte ihn alle Kraft verlassen, fällt er auf die Knie. Nur, um mich danach zu umarmen und sein Gesicht an meinen Bauch zu drücken. Das einzige, was mir dazu einfällt, ist, ihm, wie ein kleines Kind, über den Kopf zu streicheln. Tatsächlich scheint ihn das zu beruhigen und es dauert nicht lange, bis er sich aufrichtet. Mit einem Ärmel wischt er sich Tränen und Rotze aus dem Gesicht, er wird so was von Ärger bekommen.
Entschlossen greift er meine Hand und Kniet sich wieder hin. Ob das jetzt so weiter geht? Er führt meine Hand an seine Stirn und verharrt so einen Moment. Nachdem er zufrieden ist, nickt er einmal und begleitet mich dann zum Auto. Was das wohl zu bedeuten hat?
Egal, solange er sich jetzt beruhigt hat. Die ganze Fahrt über lässt er mich nicht aus den Augen, als würde er sich mein Aussehen in sein Gedächtnis einbrennen vollen. Verlegen schaue ich aus dem Fenster, auf die Dauer ist das doch ziemlich unangenehm. Überrascht stelle ich fest, dass wir nicht auf dem Weg zu Jeromes Büro sind.
Neugierig frage ich den Fahrer: „Entschuldigung? Wohin fahren wir überhaupt?“
„Da sie genügend Platz zum Trainieren brauchen, hat ihr Vater für sie eine Trainingshalle gemietet. Dorthin begeben wir uns nun.“
Ach du scheiße, er hat eine ganze Halle gemietet? Das muss ein Vermögen kosten. Wobei, die Kleider und der ganze Rest, dürften auch nicht gerade billig sein. Woher hat Jerome nur das ganze Geld? Er wird wohl nicht so verrückt sein, das Geld seiner Sponsoren dafür auszugeben?
Na ja, bei ihm kann ich mir nicht sicher sein. Wir fahren nicht einmal mehr 15 Minuten, als wir an einem riesigen Sportzentrum ankommen.
Der Fahrer begleitet mich und Toya noch hinein und führt uns zu der Halle. Dort stehen schon lauter Degen bereit, aber auch deutlich gefährlicher aussehende Waffen.
Wo um Himmels Willen, hat Jerome die denn Ausgegraben? Toya greift zielgerichtet nach einer der älteren Waffen und fordert mich mit einer knappen Bewegung auf, mir auch eine zu nehmen. Zögerlich nehme ich mir einen der Degen.
Den Rest des Tages verbringe ich damit, Toyas Bewegungen nach zu machen. Am Schluss bin ich fix und fertig und kann kaum noch gerade laufen, geschweige denn den Arm heben. In den nächsten Wochen wird sich sicherlich viel verändern. Am nächstem Morgen steht Wilhelm schon sehr früh bei ihr vor der Haustür.
Er deckte den Tisch fein säuberlich und drapierte lauter Besteck um die Teller herum. Ich kann mir kaum vorstellen, dass überhaupt jemand weiß, wann er welches zu nehmen hat. So sehr ich mich auch dagegen sträube, so plausibel erscheinen mir doch Wilhelms Erklärungen. Irgendwie kommt das mir alles seltsam vertraut vor. Wahrscheinlich kann ich mich noch unbewusst daran erinnern. Und am Ende schaffe ich es sogar von ihm gelobt zu werden!
Wilhelm lässt mich zufrieden von der Leine und wir machen uns auf dem Weg zu der Halle von gestern. Anscheinend sollen auch meine Tanzstunden hier abgehalten werden. Mit Entsetzen stelle ich fest, dass Johannes seine Drohung wahrgemacht hat. Zusammen mit Marie, Simone, Raff und Tobi. Fröhlich begrüßen sie mich und wir warten auf Herrn Hedsa.
Überrascht zucke ich zusammen, als er plötzlich hinter mir in die Hände klatscht und uns auffordert uns gegenüber aufzustellen. Am Anfang tanze ich noch mit Johannes zusammen, doch mit der Zeit bemerke ich Simones geradezu mörderischen Blick und tausche den Tanzpartner mit ihr. Raff scheint darüber ziemlich erleichtert zu sein. Seiner Ansicht nach, sollte man Simone nie wieder hohe Schuhe anziehen. Allerdings kann ich von mir nicht gerade behaupten, dass ich viel besser bin.
Die hohen Schuhe von Ms. Ravü sind zwar bequem, aber irgendwie bekomme ich meine Füße nicht dorthin, wohin ich will. Immer wieder stolpere ich oder trete Raff auf die Füße. Alleine nach der Tanzstunde bin ich schon geschafft. Aber das Training mit Toya gibt mir den absoluten Rest.
Am Ende der Woche habe ich wunde Füße und Muskelkater wie noch nie zuvor.
Mittlerweile weiß ich nicht einmal mehr, warum genau ich mich so quälen muss. Würde es nicht reichen, wenn ich ein wenig tanzen kann? Warum müssen sie daraus so eine große Sache machen? Verzweifelt werfe ich einen Blick auf mein Handy.
Morgen ist schon die letzte Kleideranprobe. Danach sind es nur noch wenige Tage. Wie die andere Welt wohl so ist? Ich kann nicht aufhören darüber nachzudenken.
Ob Robin schon auf mich wartet? Langsam versinke ich meine Träume. Es fühlt sich so an, als würden meine restlichen Tage im Flug vergehen. Ein Augenblick, ein Wimpernschlag. Und schon stehe ich in Jeromes Büro, in Wams und Hose gekleidet und warte darauf, mich von allen zu verabschieden.