Trügerisches Halbdunkel umgab das Haus mit den vielen Erkern, Türmchen und Verzierungen. Weit und breit gab es nichts außer Bäumen, Sträuchern, Wiesen und natürlich die vier Handelsrouten, die hier zusammentrafen. Normalerweise war immer viel Verkehr, doch heute war in allen Königreichen ein Feiertag. Keiner konnte mehr genau sagen, was sie genau feierten, aber die Bauern waren nicht böse nur das Notwendigste zu tun zu haben. In einem nahe gelegenen Gasthaus allerdings, das nicht nur in der Gegend mehr als berühmt war, herrschte keine gute Stimmung. Selbst die rote Laterne, die im Erkerfenster des obersten Stocks hing, schwang gelangweilt hin und her.
Das Crossroads, war mit Abstand das exklusivste und bekannteste Etablissement der Gegend und nicht zu vergleichen mit den Tavernen und Gasthäusern, welche sonst die Handelsrouten schmückten. Mit seinen drei Etagen war es größer als alles in der Umgebung. Jedenfalls wenn man vom Kirchturm im Nachbarort absah und selbst der war noch einige Kilometer weit entfernt. Als Gast betritt man das imposante Gebäude von einem kleinen Kiesweg aus, über eine von zwei Treppen, die sich vor einem runden Torbogen treffen und den Eingang bilden. Heute allerdings, war die mächtige Flügeltür geschlossen und selbst die Blumen, die das weiße geschwungene Geländer schmückten, schienen traurig die Köpfe hängen zu lassen.
Normalerweise war um diese Zeit, kurz nach Sonnenuntergang, schon von Weitem Musik zu hören, das Lachen der Gäste und manchmal auch unzüchtigere Geräusche, die aus den Zimmern im obersten Stockwerk oder der weitreichenden Gartenanlage drangen. Doch heute war es anders. Syke lehnte gelangweilt an der Theke hinter der Elvira mindestens genauso gelangweilt die Gläser polierte. Dies war nicht einmal nötig, denn sie hatten ja kaum eines benutzt und der ganze Laden war eigentlich immer in einem einwandfreien Zustand. Nicht auszudenken, wenn die Besitzerin überraschend den Weg in diese Gegend fand und ein Wasserfleck auf einem Glas entdeckte. Fast konnte Syke den Blick aus der Eingangshalle auf sich spüren. Das riesige Gemälde von Lady Berenike war so groß wie zwei Männer und halb so breit. Die ernste Frau mit dem üppigen Busen und den blonden Haaren starrte jeden an, der es wagte ihren Laden zu betreten. Manche Gäste sagten, ihr Blick wäre boshaft, manche fanden ihn erotisch. Der Maler hatte es jedenfalls verstanden, die stahlblauen Augen stechend erscheinen zu lassen. Dass sie einem überall hin zu folgen schienen, machte es nicht besser.
»Weißt du eigentlich, wie ich diesen Tag hasse?« ließ er Elvira bestimmt zum vierten Mal wissen.
Die ältere Dame, die Herrin über die Bar war, schnaubte nur. Selten bekam man aus der grün gekleideten Frau mehr heraus. Sie hörte lieber zu und versuchte dabei die Leute mit ungewöhnlichen Kreationen glücklich zu machen.
»Ja ich weiß, ich habe das heute schon öfter gesagt. Ich weiß ja, dass unsere Stammgäste heute nicht feiern oder rumhuren dürfen, aber die Reisenden sollten sich doch nicht davon abhalten lassen oder?«
Nachdenklich zupfte er an seinem weinroten Gehrock, den er heute ausgewählt hatte. Die graue Weste mit passender Hose und eben solchen Schuhen rundeten das Bild ab. Auf einen Krawattenschal hatte er verzichtet und so war tatsächlich mehr als sonst von seiner hellen Haut zu sehen. Auch einen Hut trug er nicht, er hasste es, wenn seine sorgfältig zurechtgelegten schulterlangen dunkelbraunen Locken davon zerdrückt wurden. Ja er war eitel und er stand dazu. Er war immerhin der Geschäftsführer und hatten einen Ruf zu verlieren. Ein Blick auf die Taschenuhr verriet ihm, dass es bereits nach acht Uhr geschlagen hatte und noch immer war niemand gekommen. Trotzdem legte ein Diener gerade Holz in den Kaminen nach und entzündete noch einige der Lampen, es war immer gut vorbereitet zu sein. Syke entschloss sich, eine Runde zu drehen. Doch schon nach dem ersten Stockwerk bekam er große Lust etwas an die Wand zu werfen. Vielleicht eine der sündhaft teuren Vasen? Nein das würde nur Ärger bringen. Im Casino war alles ruhig und auf der Etage, in der das rote Licht einsam brannte, konnte er nur die Huren und Lustknaben lachen hören. Nun ja wenigstens ihnen schien es nichts auszumachen einen freien Abend zu haben.
Der Rundgang hatte nicht viel Zeit in Anspruch genommen und so stand er bald wieder in der Eingangshalle. Berenike sah auf ihn herab und er suchte das Weite. Unter ihrem Porträt führte eine praktisch unsichtbare Tür in das Herzstück des Hauses: ein unscheinbarer kleiner Saal vollständig ausgekleidet mit einer rötlichen Tapete und vielen Sitzgelegenheiten. In der Mitte wurde er vervollständigt durch einen Spieltisch mit grünem Bezug zum Schutz des teuren Holzes. Der große Leuchter unter der Decke war nicht entzündet, doch auch ohne Licht wusste er von den drei Türen, die am anderen Ende des Raumes im Dunklen lagen. Der Blick aus den Fenstern ging ins Halbdunkel hinaus, so das wenig zu sehen war. Einmal weil es nicht viel zu sehen gab im schwachen Licht der Dämmerung und es sie eigentlich, mitten im Haus umgeben von anderen Räumen, gar nicht geben dürfte.
»Hat sich nicht einmal zu dir jemand verirrt Larxene?«
Aus dem Schatten trat eine Frau mittleren Alters. Ihre roten Haare waren zu einem kunstvollen Irgendwas zusammengesteckt und ihre Augen wurden von dem Netzstück eines Fascinator verdeckt. Ihr schwarzes Kleid mit den roten Ornamenten ließ sie hier fast mit der Tapete verschwimmen.
»Siehst du jemanden?« fragte sie belustigt und ihre helle Stimme floss regelrecht durch den Raum.
»Nein natürlich nicht, aber das muss ja nichts heißen. Ich werde einfach verrückt, wenn nichts zu tun ist. Vielleicht muss ich dem Schicksal mal wieder auf die Sprünge helfen. Wie viele Münzen haben wir noch?«
Larxene zuckte mit den Schultern und ging mit wiegendem Schritt auf einen Beistelltisch zu. Neben einigen Gläsern und Flaschen befand sich auch eine unscheinbare Holztruhe darauf. Langsam, fast lasziv zog sie ihren Handschuh aus und sah dabei schmunzelnd zu Syke zurück. Mit einem spitzen Fingernagel ritzte sie sich leicht in den Daumen und berührte das Schloss. Sofort verschwand der Blutfleck und einen Moment später surrte es leise, bevor der Deckel sich langsam öffnete. Syke war näher gekommen und sah in das Kästchen und konnte nicht verhindern schon wieder zu seufzen.
»Es sind sieben Münzen, das heißt, nur zwei von ihnen sind im Moment im Besitz von Menschen. Das ist kein sehr guter Schnitt, das weißt du aber selbst oder?«
Die Hände in die Hüften gestemmt sah er auf die silbrigen Münzen mit dem Stern, als wären sie für sein ganzes Unglück verantwortlich.
»Lass deine Wut nicht an mir aus. An jedem Feiertag benimmst du dich furchtbar und meckerst an allem herum, statt dich zu entspannen und vielleicht selbst zu vergnügen. Wenn dir so viel daran liegt, schicke ich noch einige hinaus.«
Syke nickte zufrieden und ließ sich auf die nächste Couch sinken. Ein Bein über die Lehne geschwungen beobachtete er jede Bewegung der Rothaarigen genau. Sie hatte nun beide Handschuhe ausgezogen und begonnen eine Kerze auf dem Tisch zu entzünden. Dann entnahm sie fünf der sieben Münzen und sah fragend zu Syke, der zustimmend nickte. Fünf war eine gute Zahl, dann waren insgesamt sieben der neun Münzen unterwegs und würden sicher einen Besitzer finden. Sein Blick wanderte kurz zu den drei Türen und dann zurück zu Larxene die leise zu singen begonnen hatte. Ihre Stimme war nicht wirklich als schön zu beschreiben, doch dies war auch nicht nötig. Wichtig war der richtige Text und eine ordentliche Betonung. Mit jeder Zeile des fremden Gesangs gerieten die Silbermünzen mehr in Bewegung, bis sie um die Hand der Frau kreisten. Das Kerzenlicht ließ sie leuchten und geheimnisvoll glitzern. Ihre Stimme wurde lauter und mit einem Knall flog das Fenster auf. Obwohl Syke wusste was geschehen würde, zuckte er davon zusammen. Einen Moment später flogen die magischen Münzen in die Nacht hinaus, hinterließen einen Schweif wie Sternschnuppen.
»Dann warten wir auf die Rückkehr denke ich und du solltest dich ausruhen.« Syke sah zu Larxene auf, die nur schwach lächelte und ihre Handschuhe wieder überzustreifen begann. Die vielen Stoffschichten ihres Kleides raschelten leise, als sie sich auf Syke zubewegte.
»So ein kleiner Zauber macht mich nicht müde, dafür mache ich das schon zu lange mein Kleiner.«
Eigentlich wollte er sich ärgern, aber wenn er es genau nahm, hatte sie recht. Wortlos, mit den Händen in den Hosentaschen, schlenderte er aus dem Raum. Die Tür schloss sich beinahe lautlos hinter ihm und verschmolz erneut mit der Wand.
Kurz vor Mitternacht hatte die Tragödie endlich ein Ende und Syke konnte aufhören wie ein Tiger durch das Haus zu schleichen und alles anzufauchen, was nicht bei drei auf den nicht vorhandenen Bäumen war. Das nahende Ende des Feiertags wehte die ersten Gäste hinein. Eilig schickte er die Diener in die Etagen um die Angestellten darauf vorzubereiten. Im Casino wurden die Karten gemischt und die Roulettetische vorbereitet, in der oberen Etage die Haare zurecht gesteckt und Kerzen entzündet. Zufrieden beobachtet er ebenfalls, wie die Musiker ihren Platz im Gastraum einnahmen. Gediegene Stimmung war ihm hier wichtig. Weiche Sessel und Beistelltische aus Glas, die lange Bar mit den passenden Hockern und viele kleine Kerzenleuchter machten es gemütlich. Die ersten Klänge des Klaviers waren bis zur Eingangstür zu hören, an der er sich postiert hatte. Er lächelte, war charmant und wünschte allen einen guten Abend. Einige Stammgäste führte er selbst an die Tische oder nach oben. Er kannte die Meisten von ihnen seit Jahren. Das Crossroads füllte sich und ein wohliger Schauer glitt über seinen Rücken, als er spürte, dass sogar eine Münze auf dem Weg zu ihnen war. War das Leben nicht herrlich?