"Was für ein süßes Ding, hey komm doch mal rüber!", blitzschnell riss sich Shanora von dem Mann los, der versucht hatte sie am Arm zu sich zu ziehen.
Schwarzwasser war ein Alptraum, nach wie vor.
Und doch glaubte sie hier Cash zu finden. Er würde sich an Deseis, dem Raben, und dem anderen widerlichen Typen rächen wollen. Darum war sie zum Anfang zurückgekehrt.
Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, sie hatte in den letzten Wochen, in welchen sie mit Cash unterwegs gewesen war, immer wieder mitbekommen wie es in ihm aussah.
Er gab sich cool und gelassen, aber er war verzweifelt, fühlte sich leer und einsam.
Shanora hatte versucht ihm das Gefühl zu geben, dass er nicht allein sein musste. Das unter ihren Freunden Platz für jemanden wie ihn war. Eine verlorene Seele, von Geburt an gezeichnet und verflucht.
So wie Finn.
So wie Church.
So wie sie selbst.
Auch wenn sie nicht von diesem abscheulichen Monster abstammte, so hatte sich in Shanora das Gefühl breit gemacht, dass auch ihre Existenz verdammt war. Genau wie die der Dunkler Kinder. Zwei Seiten einer verfluchten Medaille die keiner haben wollte. Brauchte Elensar wirklich einen Regenten? Es klappte seit Jahren ohne. Brauchte man den weißen Thron oder war er nur noch eine Reliquie aus einer dunklen Vergangenheit die in eine noch dunklere Zukunft führte.
Generell hatte der weiße Thron nicht viel zu bieten.
Shanora hatte das Gefühl, dass alles was der schwarze Thron geschaffen hatte, nur so von Macht strotzte, während sie vor sich hin dümpelte und gerade erst Dinge lernte die Finn schon als Kind beherrscht hatte.
Schnell schob sie ihre Gedanken beiseite, sie musste sich konzentrieren. Sie war wieder da, wo sie gleich am Anfang aufgelaufen war. In die schäbige Bar in der Hafengegend wo sie dem Raben das erste Mal begegnet war. Sie wusste, dass ihre einzige Chance Cash zu finden darin bestand den Raben zuerst ausfindig zu machen. Ihre Zweifel an sich, dem weißen Thron und ihrem Schicksal konnten warten.
Sie schob sich an weiteren zwielichtigen Gestalten vorbei, bis sie gegen einen dicken Bauch prallte.
"Dich kenne ich doch!", auch Shanora wurde beim genaueren Blick auf den ausgesprochen widerlichen, fetten Mann klar, dass sie sich schon einmal hier begegnet waren. In der Nacht als sie das erste Mal hier gewesen war.
Deseis hatte sie vor ihm gerettet, jetzt stand sie ihm alleine gegenüber. Langsam sah sie sich um, sie war nicht mehr so wehrlos wie früher, aber gleich auf Angriff zu gehen würde wahrscheinlich die ganze Bar gegen sie aufbringen.
"Hat es dir die Sprache verschlagen?", säuselte der dicke Mann und rieb sich sein unrasiertes Kinn. Er sah sie nach wie vor wie ein Stück Fleisch an.
Shanora überlegte hektisch, was hatte Cash ihr beim Training gesagt?
"Wenn der Feind in der Überzahl ist, dann ist ein taktischer Rückzug oft die einzige Lösung!"
Die Frage war, wohin zurückziehen?
"Du hattest lange genug Zeit um zu antworten!", beschloss der Widerling, "Dein Freund scheint nicht hier zu sein um dich zu retten! Er hat mir drei Finger gebrochen und mir fast den Arm ausgerenkt beim letzten Mal!"
Shanora musste angreifen, diesmal würde er sie nicht so einfach davon kommen lassen. Schnell hob sie den Arm, als sie einen festen Schlag auf den Hinterkopf bekam.
Der Schmerz breitete sich schnell aus und ein pfeifen schoss durch ihren Kopf. Ihre Sicht verschwamm, sie wankte und verlor das Bewusstsein.
Die Luft um Shanora schien noch stickiger zu sein als in der Bar zuvor. Das wurde ihr mit schmerzendem Kopf bewusst. Auch das man ihre Arme und Beine gefesselt hatte und sie in einer schmutzigen Ecke eines noch schmutzigeren Lagerhauses lag.
Langsam drehte sie den Kopf und sah sich um. Drei Männer saßen an einem schlecht beleuchteten Tisch und spielten Karten, alle drei sahen nicht besonders nett aus. Der fette Mann stand am Eingang der Lagerhalle und stritt, wild gestikulierend mit zwei weiteren. Dann waren da die Wachposten am Eingang, zwei Männer mit großen Maschinengewehren. Acht feindlich gesinnte Ziele also, mit gefesselten Armen und Beinen erschien das wirklich aussichtslos.
Shanora schluckte, als sie die Blutspuren am Boden sah. Es roch kupferig, wie in einem Schlachthaus.
Das letzte Mal hatte sie solche Angst gehabt, als sie im dunklen mit Cash nach einem von einem Dämon besessenen Gegenstand gesucht hatte. Aber dann hatte er sie einfach an der Hand genommen und sie hatten den Auftrag gemeinsam ausgeführt. Alleine in der Dunkelheit zu liegen war bitter. Leise begann sie zu weinen, ihre Augen brannten von dem Schmutz und den salzigen Tränen. Sie wagte es nicht einen Ton von sich zu geben, wollte nicht das die Männer wieder auf sie aufmerksam wurden.
Plötzlich schienen die Lichter verrückt zu spielen, zuerst flackerten sie, dann explodierte eine Neonröhre nach der anderen. Die Scherben regneten auf den Betonboden und verursachten unglaublichen Lärm. Die perfekte Ablenkung, Shanoras Chance sich zu befreien. Von allen Seiten kamen weitere zwielichtige Gestalten angelaufen, um zu sehen was der Lärm zu bedeuten hatte. Verzweiflung machte sich in Shanora breit, so sehr sie sich auch bemühte, ihre Kräfte schienen durch eine unbekannte Quelle blockiert zu werden.
Sie war völlig hilflos und musste still mit ansehen, wie langsam Panik in der Halle ausbrach.
"Was ist da los?"
"Was soll das?"
"Warum spinnt das Licht?",hallten die Stimmen der Männer durch die Räume.
"Sie ist das!", der Fette schnellte auf Shanora zu, "Sie muss spezielle Fähigkeiten haben, solche die unser Energiefeld nicht unterdrücken kann!"
Ein Energiefeld also. Das erklärte die Schwäche die Shanora fühlte. Aber diese Erkenntnis würde sie jetzt auch nicht mehr retten. Diesmal würde nicht einfach Churchs verschollener Onkel auftauchen und sie retten. Church würde sie nicht finden, niemand würde ihr zur Hilfe eilen.
Der Fette holte gerade mit dem Fuß aus, um ihr einen Tritt zu verpassen, als er plötzlich in seiner Bewegung einzufrieren schien.
"Ihr rührt sie nicht an!", die kühle Stimme eines jungen Mannes zerschnitt die Luft förmlich, dann wurden Shanoras Fesseln gelöst.
Die drei Männer waren starr vor Angst, ihr Anführer bekam Schweißperlen auf der Stirn und war offensichtlich immer noch nicht in der Lage sich zu bewegen.
"Was... Aber das Energiefeld... wie kam der hier rein?!", stotterte einer noch, bevor sein Kopf von einer dünnen Klinge abgetrennt wurde. Die anderen beiden wollten fliehen, doch sie ereilte dasselbe Schicksal.
"Bitte verschone mich!", brüllte der Fette noch, ehe auch sein Kopf rollte. Shanora versuchte etwas in der Dunkelheit zu erkennen, aber es gelang ihr nicht.
Sie wurde plötzlich gepackt und in eine Decke gewickelt, dann aus der Halle getragen. Sie atmete tief ein, erkannte seinen Geruch sofort, auch wenn seine Stimme für sie fremd geklungen hatte. So kalt und voller Wut.
"Wieso?", flüsterte sie, bekam aber keine Antwort.
Cash trug sie einfach raus aus Schwarzwasser, so schnell, dass die Landschaft um sie zu verschwimmen schien. Sie erreichen innerhalb von kürzester Zeit Ilks.
Erst als sie vor Marbas Haus waren hielt er an und stellte Shanora neben sich auf den Boden. Schnell packte sie den schwarzen Mantel ihres Retters, um ihn nicht wieder verschwinden zu lassen.
"Wieso?", fragte sie erneut. Die verschieden farbigen Augen von Hannibal Cash lagen lange auf ihren Türkisen, sein Blick schien sie zu durchdringen.
"Dein Leben hat noch einen Wert! Du solltest besser darauf aufpassen! Wer soll die zerstörten Welten am Ende sonst regieren, wenn keiner vom weißen Thron mehr übrig ist?", seine Stimme klang trotz der netten Worte eiskalt.
Shanora klammerte sich nun förmlich an ihn und weinte bitterlich: "Bitte lass mich nicht alleine! Du kannst nicht einfach verschwinden, ohne mit mir zu sprechen! Was Ladira gesagt hat ist falsch! Sie ist von deinem Vater sehr verletzt worden, aber das ist nicht deine Schuld! Im Grunde ihres Herzens weiß sie das auch! Und Church und ich haben dich ins Herz geschlossen, wir wollen das du bei uns bleibst!"
In dem Moment fragte Shanora sich das erste Mal, ob sein rotes Auge eine ähnliche Fähigkeit wie die von Lillet hatte.
"Ich wünschte ich könnte das!", endlich schien seine Stimme wieder zu sein, wie sie sie kannte, nur schmerzverzerrter, "Aber ich kann nicht. Mein Kopf, die Stimmen, sie hören nicht auf! Ich werde nicht so enden wie mein Vater!"
Shanora versuchte weiter sich auf den Beinen zu halten: "Was meinst du damit? Wer hat mit dir geredet?"
Cash schien mit den Tränen zu kämpfen: "Der Typ mit den gelben Augen, sag bloß man hat dir nie vom Wahnsinn des schwarzen Throns erzählt? Über all die schrecklichen Dinge, all den Inzest, der betrieben wurde damit das Geschlecht meines Vaters rein bleibt?"
Shanora schüttelte den Kopf: "Ich habe keine Ahnung wovon du da redest Hannibal! Inzest kam in allen Adelsgeschlechtern vor, der Rest ist Unsinn! Komm mit mir zurück zu Church und mir dann reden wir über alles!"
Nach einem kurzen Moment des Schweigens zeichnete sich ein Lächeln auf Hannibal Cashs Lippen ab.
"Das ist das erste Mal, das du mich beim Vornamen nennst. Wie dem auch sei, die Wahrheit ist, dass ich nur zu einem Zweck lebe!", langsam hob er seine Hand und tippte Shanora sanft auf die Stirn, "Und ich werde niemals zulassen das diese Prophezeiung wahr wird!"
Shanora schlug mit zitternden Armen seine Hand weg: "Hör sofort auf so einen Blödsinn zu reden! Gerade wir beide wissen doch, dass Teufel lügen und betrügen! Warum sollte also der mit den gelben Augen anders sein? Warum glaubst du ihm?"
Cash schnappte ihre Arme und hielt sie fest, dann musterte er sie kurz auf eine eigenartige Art und Weise.
"Er ist kein Teufel Shanora!", sagte er dann mit fester Stimme, "Er ist so viel mehr als ich je gesehen habe! Und er hat mir die Augen geöffnet, ich weiß nun so viel mehr als zuvor! Und ich weiß, dass ich... Ich muss diesen Weg gehen um..."
Shanora versuchte sich aus seinem Griff zu befreien, Tränen flossen über ihre Wange. Warum war er so überzeugt von dem, was ihm ein - was auch immer diese Gestalt mit den gelben Augen gewesen war, eingeredet hatte?
Warum konnte er nicht einfach wieder mit ihr zurückkommen?
Und warum in aller Welt konnte sie den Gedanken nicht ertragen ihn nicht retten zu können?
Schließlich gab sie den Versuch sich aus seinem Griff zu lösen auf, stattdessen schrie sie ihn an: "Warum kannst du nicht einfach sagen, was du wirklich denkst? Was ist so schwer daran zu sagen, dass du mich magst? Ich mag dich und ich habe keine Angst das zu sagen!"
Cash Blick schien kalt zu bleiben, Shanora ließ den Kopf hängen.
Hatte sie wirklich gedacht sie könnte ihn mit diesen lächerlichen Gefühlen die sich in den letzten Wochen bei ihr gebildet hatten aufhalten?
Dann geschah etwas mit dem sie nicht gerechnet hatte.
Der Mann, der gerade in Sekunden mindestens vier Personen grausam getötet hatte und jetzt wahrscheinlich in ganz Schwarzwasser gefürchtet wurde hielt sie tatsächlich in den Armen.
Ihr Körper gab nun den Versuch sich auf den Beinen zu halten auf, sie sackte zusammen und viel in einen tiefen Schlaf.
"Was ist der Unterschied?", ein Flüstern schien Shanora tiefer in die Dunkelheit ihrer Träume zu locken.
"Kann ich dir die Wahrheit anvertrauen? Könnt ihr sie aufhalten?", Shanora versuchte die Stimme in der Dunkelheit zu lokalisieren, es gelang ihr aber nicht. Diese charismatische Stimme, die direkt aus der Dunkelheit zu entstehen schien.
"Der Wahnsinn befällt alle, die reinen Blutes sind. Ich musste sie züchten, aber sie wurden böse... Noch verdorbener als die anderen... Ich musste doch meine Töchter schützen!", die Stimme klang beinahe verzweifelt.
"Du musst verstehen, als ich sie ermorden ließ, ich war nicht mehr bei Sinnen! Man hat mir den Verstand geraubt! Der Wahnsinn kam über mich und jetzt befällt er den Jungen...",
Shanora hielt den Atem an. Das war nicht möglich, diese Stimme konnte nicht...
"Du musst ihn töten!", jetzt schrie die Stimme des Dunklen sie an, "Vernichte den schwarzen Thron, töte alles, was ich hinterlassen habe! Töte den Ursprung der vier Kreaturen!"
Shanora gab den Versuch in der Dunkelheit etwas zu erkennen auf.
"Warum sollte ich gerade auf dich hören, Monster?", antwortete sie herausfordernd.
"Das Licht ist nichts ohne die Dunkelheit. Es gibt so viel mehr als sich deinem Geist erschließt, Königin ohne Thron! Das Quartett wird dir einen Verbündeten nach dem anderen nehmen! Bis sie den Jungen haben, bis sie meine DNA haben um ihr Werk zu vollenden! Du kannst weder den Dämonen noch den Elfen trauen... und schon gar nicht den hohen Himmeln! Aber am wenigsten deiner Familie, den einer der deinen ist der Ursprung...", die Stimme des Dunklen verklang und Shanora öffnete langsam die Augen.