Den Jarls war das eingegangene Wagnis bewusst und bei Weitem nicht alle schenkten dem absurden Vorhaben uneingeschränkt Vertrauen. Ausgerechnet jener Mann, der sich von Inseln lossagte und seinem eigenen Volke den Rücken kehrte, sprach sich für dieses aus.
Die Altvordern hingegen bestanden darauf, die Wagschale zu dessen Gunsten zu gewichten. Vorgeblich ging er mit ihrem Einverständnis. So kam es dann, dass alle ihnen verbliebenen Boote, mit welchen Lasten transportiert werden konnte, bemannt und drei endlos scheinende Seetage in Kauf genommen wurden.
Wären es doch nur die dickbäuchigen Koggen, auf denen die Seemannen so gern auf Fremdbesuch fuhren, um ihren Durst nach Feilgebotenen zu stillen.
Als sie die See noch als die ihre ansahen, war es schließlich ein geben und nehmen. Sie nahmen und die anderen gaben.
Ihre Boote waren länger und breiter gebaut als einfache Barken, wenngleich kleiner als hochseetaugliche Koggen, ganz zu schweigen von den jenen, mit welchen der Feind anlief. Ihre Lastenaufnahme musste fürs Erste ausreichen. Ihr Volk harrte bereits viel zu lange.
Beharrlich, einen Schritt nach dem nächsten, würden sie sich ihre Stellung, ihren Ruhm und Ehre zurückerkämpfen.
Vor ihnen tauchen die Steilhänge Agreas auf und ein geschultes Auge würde unlängst erste Baumbestände erspähen können, als das schummerige Licht des Morgens begann, die Nacht zu verdrängen.
Der Bugmann hob abrupt den linken Arm. Sogleich schwenkten alle fünf Boote einander zu. Gegenseitig hielten einige der Männer die Bordwand des anderen, sodass sie nicht auseinandertrieben.
»Wir sind noch lange nicht am Ziel, aber hier ... beginnt es.«
»Hier? Wir befinden und etwa eine Meile vom Land entfernt, ich sehe nirgends Anzeichen für Riffe.«
»Genau das ist das Gefährliche an dieser Gegend. Die Untiefen und Riffe bilden in diesen Breiten ungeahnte Tücken. Niemand bei Trost segelt ...« er schnaubt aus. »... oder rudert so nah heran.«
»Dann ist uns vermutlich allen nicht mehr zu helfen. Wie dem auch sei.« Der Sprecher sah hinauf zu dem wolkenbehangenen Himmel. »Wir haben eine Aufgabe.«
Mit Geschick, einer schon fast beängstigten Selbstruhe und Sicherheit lotste sie der Bugmann durch messerscharfe Riffe und Nadelspitze Felsvorsprünge. Er war einer der erfahrensten Mannen und man sagte ihm nach, sogar bei tiefster Dunkelheit und stürmischer See stets sein Ziel zu finden.
Die Altvordern gaben ihm Anweisungen und Aufzeichnungen, wo und wie er die schmale Passage durch dieses absonderliche Gewühl hindurchschaffen könne. Den Männern war, als habe eine höhere Macht höchstselbst dafür sorgegetragen, dass nur Wenige den Weg jemals passieren würden. Da ihr angespanntes Abenteuer noch nicht ausreichend genug für eine unfassbare Sache schien, wurde ihr vorankommen von landeinwärts stetig beobachtet. Es war einer der Hecklotsen, der einen verräterischen Lichtschein ausmachte und so war es ihnen ein Leichtes nach weiteren Hinweisen Ausschau zu halten. Merkwürdigerweise wiederholten sich diese und es erglomm sich der Eindruck, dass jene Leute, die sie im Auge behielten, sich keinerlei Mühe gaben, unentdeckt zu bleiben. Zweifelsfrei wussten sie, dass sie kamen. Vermutlich wollten sie sogar, dass sie gesehen wurden.
»Wenn ich mich nicht täusche, befindet sich dieser Landabschnitt hinter diesem verfluchten Wald, vor dem sich alle in die Hose scheißen. Wer oder was, beim Barte, lebt da?« Der Sprecher zeigte auf die Klippen und deren engen Baumbewuchs.
»Vermutlich werden wir es bald erfahren. Da vorn ... der schmale Streifen dort. Das muss der Strand sein, von dem die Alten sprachen.«
Gemächlich zerteilten ihre Ruderblätter die Wasseroberfläche. Keine Strömung zerrte mehr an ihren hölzernen Gefährten und so kamen sie die letzten Klafter zügig voran.
Es rankten sich Geschichten rund um die See abseits der befahrbaren Wege. Es waren nicht nur die schier unzähligen Riffe und Klippen, die Wagemutige aus diesen Gestaden fernhielten. Vielmehr waren es silberhäutige Weibsbilder, die unterhalb der Wasseroberfläche ihrer Bahnen zogen und dem Leben darüber vor langer Zeit abschworen.
Diese Wesen hassten alles, was lebte. Mit eisigkalten Pranken zerrten sie an Rudern und stießen unentwegt an Bordwände. Sie gaben niemals auf, ihr Verlangen und Hunger viel zu groß. Die Versuchung überwiegend. Ihre Opfer, so hieß es, wandelten sodann oftmals als Draugen in Küstennähe oder schwammen lockend auf der Wasseroberfläche.
Es gab vielerlei solcher Berichte, welche behaupteten, diese Wasserweiber gesehen haben zu wollen. Diese würden mit ihrem Gesang wie auch ihren Reizen einem gestandenen Mann den Verstand rauben und ihn so ins Verderben zerren.
Ja, aller Voraussicht genau so ein Aberglaube, wie die Annahme, der Himmel stürze ihnen bei Unwettern auf den Kopf.
Das, was stetig an ihren Booten zerrte, waren Unterströmungen, bedingt der Beschaffenheit der Riffe und den Gezeiten Seeseits. An ihren Rudern rissen auch keine weibischen wie toten Finger, es waren Spalten und Löcher, in welchen sie hakten und nur erschwert wieder abließen.
Widererwarten bekam eine der Besatzungen der Boote eben dies für alle beteiligten schmerzlichst zu spüren. Die Männer hielten sich nicht an die Zeichen des vorderen Bugmannes. Ihre Ruder gerieten in eine solche Unterströmung und verloren die Kontrolle über die Barke. Panisch versuchten sie ihre Hölzer noch rechtzeitig unter der Last des Bootes und dem zerren der Wellenritte hervorzubekommen, doch es blieb unausweichlich. Mit jedem Wellenkamm drängten sie näher an die messerscharfen Riffe, die unweigerlich die hölzerne Wandung sprengen würde.
Wie ein Spielball hob und senkte sich die Barke samt Besatzung, derer nicht übrig blieb als das bevorstehende Schicksal zu teilen. Noch bevor die letzten Mannen kopfüber in die Woge hechten konnten, schmetterte eine weitere Welle das seitlich liegende Gefährt nahezu spielerisch ins Verderben.
Mit äußersten Kraftanstrengungen schafften es gerade einmal drei von acht, zu den rudernden Barken zu schwimmen. Niemand verlor ein Wort darüber. Jedwedes würde weder das nunmehr fehlende Boot zurückbringen, noch den Ertrinkenden das Leben retten.
Keiner, von denen sie dachten, dass man sie empfinge, ließ sich blicken. Jene hielten sich vermutlich verborgen, wenngleich dem Bugmann bewusst war, dass man sie bei ihrem Tun beobachtete.
Vier große Barken strandeten an dem schmalen Strandstreifen an, um das, was sie bereits von Weitem erspäht hatten zu frachten.
Aufgeschichtet und sauber entrindet lag ihr Begehr in rauen Mengen einfach so da. Zu ihrer rechten wie linken, oberhalb der Steilküste wuchs das, was ihr Volk am dringendsten benötigte, in horrender Anzahl. Von der See aus betrachtet, musste das gesamte Land aus einem riesigen Wald bestehen. Es wäre jedoch töricht davon auszugehen, ausgerechnet hier fraglos anzulanden und es sich einfach zu nehmen. Zu schlagen und zu holzen, soviel und so oft sie nur wollten.
Das Seevolk hatte sich in den vielen Jahren von den meisten ihres bestehenden Aberglaubens losgesagt, konnte hingegen den unzähligen Berichten und Erzählungen, die über und von diesem Wald handelten, nicht gänzlich diesem zuschreiben. Irgendetwas lebte zwischen diesen uralten Bäumen. Wer oder was es jedoch war, blieb vollends ungeklärt. Nornen hingen, nein, soweit wollte niemand von ihnen gehen.
Dolvi hielt sein Versprechen. Hier, für alle Anwesenden sichtbar lag es da. Auf gut drei Schritte abgelängte und kräftige Stämme.
»Auf Männer. Gafft keine Maulaffen. Schaffen wir das Eisen von Bord und laden, was wir mitbekommen. Der Rat und die Jarls müssen erfahren, dass das Wort gilt.«
Einer der Männer stand noch immer wie vom Donner berührt da und staunte. »Das ganze Holz bekommen wir mit einer Fahrt niemals nachhause.«
»Wenn du weiterhin da rum stehst, sicherlich nicht. Los, Bewegung.«
»Wir hätten uns an die Abmachung halten sollen«, brummte ein anderer.
»Waffen und Rüstungen anstatt Schweine? Ja, das hätten wir wohl. Die Jarls werden sich dem Rat gegenüber verantworten müssen. Los jetzt, dass soll nicht unser Problem sein.«
Laut mischte sich der Bugmann ein, der zuvor die Waldgrenze schweigend musterte. »Bewegt euch, die Altvordern werden es Dolvi erklären und er wiederum jenen, denen wir das hier verdanken.« Die Hand des Redners klopfte auf das wertvolle Gut und sah sich musternd um. »Wenn die, die dem Handel zustimmten, etwas dagegen haben, mögen sie sich jetzt dazu äußern, ansonsten soll die nächste Lieferung genau das beinhalten, was abgesprochen war. Die Jarls mussten einfach sichergehen. Wir hatten dabei kein Mitspracherecht.«
Widererwartend rührte sich nichts und niemand erschien, um Widerspruch zu erheben.
»Wenn da oben irgendjemand ist, scheint er zufrieden mit dem, was wir mitführen. Wir sollten uns sputen, uns fehlt ein Boot und wir haben zusätzlich Männer an Bord.«
»Wir lassen niemanden zurück.«
»Wie kommst ... ach scheiß was drauf.« Lauter als gewollt setzte er hinzu ... »Kommt in Schweiß. Wir werden erwartet.«
Mit vier bis zur Schmerzgrenze beladene Barken ruderten sie entlang der engen Fahrrinne. Mit ein wenig Übung würden sie schadlos auch größere Boote hindurchmanövrieren können.
Sie mussten dringend ihre Flotte erweitern, wollten sie nicht die kommenden Monate, Tag ein Tag aus mit rudern und schleppen verbringen. Ausreichend wäre ebenso ein Schiff, auf welchem sie nach der Passage ihre Lasten löschen können würden.
Wie als Gottgeheiß tippte einer der Ruderer aufgeregt auf des Bugmanns Schulter, der konzentriert die Wasseroberfläche im Augenschein behielt. »Da lutsch mir doch einer die Eier.«
»Setz dich hin und ...«
»Werde ich, genau dorthin«, viel er ihm ungehalten ins Wort.
Kennt ihr den Blick in einem Gegenüber, wenn sich etwas in dessen Antlitz widerspiegelt und dieses Etwas unbedingt haben möchte?
Ein boshaftes wie gieriges Lächeln stahl sich in dessen Züge. Mit der Rechten zog er ein ansehnliches Messer hervor. »Ich bin bereits dermaßen Alt, dass ich schon fast glaubte, auf diesen Spaß zu meinen Lebzeiten verzichten zu müssen. Bestatten wir ihnen einen Besuch ab.«