Das dumpfe Pochen des Türklopfers hallte durch den kleinen Flur und nahm sofort Rileys Aufmerksamkeit in Anspruch. Er hatte es sich in dem Sessel neben dem Kamin gemütlich gemacht und war in ein Gespräch mit Johanna und Lily vertieft. Die beiden jungen Frauen hatten sich ihm gegenüber auf dem neuen, grauen Sofa breit gemacht, das Ryes Schwester noch vor dem Einzug besorgt hatte, da das alte durch den Vormieter doch stark in Mitleidenschaft gezogen gewesen war. Die beiden Jungs hatten zwar gegen die Anschaffung protestiert, weil sie es für übertrieben hielten, aber Lily war einfach mit einem Lächeln darüber hinweggegangen und hatte die Einwände gar nicht beachtet.
Sie hatte ihrem Bruder und seinem Arbeitskollegen im Ganzen eine Menge Arbeit abgenommen, was die Säuberung und Einrichtung des Hauses anging, sodass die zwei sich nur noch um ihren persönlichen Kram hatten kümmern müssen. Eric war das ziemlich peinlich gewesen, dass eine ihm eigentlich fremde Person so viel für ihn tat und er überlegte, was er ihr dafür zurückgeben konnte. Er musste bei Gelegenheit mit Riley darüber reden, wenn sie mal alleine waren.
Eric kam gerade aus seiner Werkstatt im Anbau des Hauses, als es klopfte. Er warf Rye einen Blick zu, aber sein Kollege war schon aufgestanden und machte sich auf den Weg zur Haustür.
»Dann werde ich mal in die Küche gehen und uns ein paar Häppchen zaubern. Haben die Damen irgendwelche besonderen Wünsche?«, fragte Eric die beiden jungen Frauen im Vorbeigehen.
Doch diese schüttelten nur synchron den Kopf und vertieften sich wieder in ihr Gespräch.
In dem offenen Kochbereich des Hauses, der durch eine Art Bar vom Wohnzimmer getrennt war, nahm Eric alles aus dem Kühlschrank, was er brauchte. Er hatte kurz vor Toresschluss noch beim Bäcker in Visby die bestellten Brötchen abgeholt und fing jetzt an, diese zu belegen.
Nachdem Rye die beiden Besucher ins Haus gebeten hatte, nahm er ihnen die Jacken ab, hängte diese an die Garderobe im Flur und führte seine Gäste dann ins Wohnzimmer. Während Louis das Sofa ansteuerte und sich mit Lily und Johanna bekannt machte, ließ Lysander den Blick durch den Raum gleiten.
»Schön habt ihr es hier.«
Riley nickte und lehnte sich an seinen Freund. »Ja, meine Schwester hat sich wirklich Mühe gegeben. Sie hat die ganze Arbeit gemacht, hat alles eingerichtet und dekoriert, bevor wir hier eingezogen sind. Eric und ich haben nur Kleinigkeiten ergänzt. So ganz persönliche Dinge halt.«
Louis hatte sich derweil zu Eric in die Küche gesellt und die beiden schienen sich sehr gut zu verstehen, was Lysander mit einem Schmunzeln zur Kenntnis nahm.
»Komm, lass uns zu den Mädels gehen«, zog Riley die Aufmerksamkeit des Vampirs wieder auf sich und schob ihn in Richtung der Sofaecke.
Nachdem Lysander die beiden Frauen begrüßt hatte, saßen sie eine Weile zusammen und Lily quetschte den Freund ihres Bruders gerade ein bisschen aus, um etwas mehr über ihn in Erfahrung zu bringen, als es erneut an der Türe klopfte.
»Das wird Sarah sein«, kommentierte Johanna und Riley verzog leicht das Gesicht.
Eric, der das von der Küche aus registriert hatte, musterte ihn grinsend. »Na, Rye, lässt du sie rein, oder soll ich das tun?«
Der Angesprochene murrte leise: »Es wäre nett, wenn du das übernehmen würdest. Ich möchte nicht so gerne besprungen werden. Und außerdem wohnst du auch hier.«
»Wie Ihr wünscht, Eure Hoheit.« Kichernd machte der Blonde sich auf den Weg, während Louis sich zu den anderen gesellte.
»Sie ... bespringt dich, wenn du ihr die Tür aufmachst?« Lysander musterte Rye schmunzelnd von der Seite.
»Jaaa, sie ... mag mich ein bisschen zu sehr. Eigentlich haben wir das geklärt, aber Sarah vergisst das schon mal und ich hab da echt keine Lust drauf. Also wenn es sich vermeiden lässt, würde ich das gerne tun. Hier wird sie sich hoffentlich zurückhalten.«
Der Vampir ließ das unkommentiert und legte den Arm um Riley. Das konnte ja interessant werden.
Währenddessen öffnete dessen Mitbewohner die Haustür.
Draußen stand tatsächlich ihre Kollegin Sarah, mit einem Strahlen auf dem Gesicht, welches sich aber schlagartig verflüchtigte, als sie Eric erkannte.
»Ach, du bist es nur.« Sichtlich enttäuscht schob sie sich an dem jungen Mann vorbei ins Haus, zog Jacke, Schal und Mütze aus und drückte sie ihm in die Hand. Dann fuhr sie mit den Fingern durch ihre langen, blonden Haare, um diese einigermaßen zu bändigen.
»Dir auch einen guten Abend,« erwiderte Eric grinsend, schloss die Türe und hängte die Kleidungsstücke an die Garderobe.
Doch das hörte Sarah schon nicht mehr, denn sie war bereits im Wohnzimmer verschwunden.
Nachdem sein Kollege in Richtung Haustür verschwunden war, hatte Riley sich an Lysanders Schulter gelehnt, froh darüber, dass dieser nicht weiter nachhakte, und beobachtete jetzt die Tür zum Flur. Er konnte nichts dagegen tun, dass sich ein ungutes Gefühl in seinem Inneren breit machte. Sarah hatte ihn schon ein paar Mal in Situationen gebracht, in denen er sich sichtlich unwohl gefühlt hatte und obwohl die Sache eigentlich geklärt war und die junge Frau wusste, dass sie nie eine Chance bei ihm haben würde, mied er ihre Gesellschaft so weit dies möglich war. Zum Glück waren sie hier nicht alleine und so würde dieser Kelch wohl an ihm vorübergehen und sie ihn in Ruhe lassen. Das zumindest hoffte er.
Als Sarah nun kurz darauf den Raum betrat, suchte ihr Blick sofort nach Riley und heftete sich an ihm fest, während sie in die Runde grüßte. Dass der Typ neben Rye seinen Arm um ihn gelegt hatte, registrierte sie mit einem leichten Verziehen ihres Mundes, was Riley nicht entging und ihn innerlich seufzen ließ.
Und bevor er sich fragen konnte, was dieser blonde Teufel als nächstes aushecken würde, war Sarah zum Sofa herübergekommen und hatte sich vor Rye aufgebaut. Sie nahm seine Hände und zog ihn von der Couch hoch. Dann umarmte sie ihn und sagte mit einem frechen Grinsen zu Lysander: »Du musst schon entschuldigen, aber ich möchte meinen liebsten Kollegen gerne richtig begrüßen. Bekommst ihn gleich wieder.«
Der Vampir musterte die junge Frau mit einem Schmunzeln. »Ich habe nichts dagegen einzuwenden, wenn Riley es nicht tut. Und natürlich bekomme ich ihn gleich wieder. Da mache ich mir gar keine Gedanken drüber. Schließlich gehört er zu mir. Also ... genieße den Moment, Chérie.«
Sarah schenkte ihrem Gegenüber ein spöttisches Lächeln und zog Rye noch enger an sich. »Das tue ich.«
Ein wenig ungehalten knirschte Lysander mit den Zähnen. Er wollte hier vor allen Leute nicht die Beherrschung verlieren, also machte er vorerst gute Miene zum bösen Spiel.
Doch Riley hatte nicht vor, das Verhalten seiner Kollegin so ohne weiteres zu dulden. Er schob sie unsanft von sich und funkelte sie an. »Sag mal, tickst du eigentlich noch sauber? Nimm die Pfoten weg. Häng dich bei Eric an den Hals oder sonst wem. Sind ja noch genug andere Leute da. Du raffst es einfach nicht, oder? So blöd kann doch kein einzelner Mensch sein.« Schnaubend ließ er sich wieder neben Lysander auf das Sofa fallen und lehnte sich an ihn.
Der Vampir legte den Arm um ihn, schnupperte an Rileys Haaren und sagte leise: »Reg dich nicht auf, mein Schatz. Das erledigt sich von ganz alleine.«
Im ersten Moment ein wenig konfus, fing Sarah sich schnell wieder und öffnete den Mund, um etwas erwidern, doch der Blick, der sie aus Lysanders heterochromen Augen traf, ließ sie verstummen. Verunsichert wich sie ein Stück zurück und stieß gegen einen Fuß von Louis, der das Ganze, wie die anderen, schweigend beobachtet hatte - froh darüber, dass sein Boss sich so gut im Griff hatte. Sarah strauchelte, ruderte mit den Armen, aber sie verlor schließlich das Gleichgewicht, kippte nach hinten und landete auf Louis’ Schoß.
»Na, wen haben wir denn hier?«
Die junge Frau lief knallrot an und versuchte zappelnd und fluchend wieder aufzustehen.
»Nun mal ganz ruhig. Ich steh nicht so auf blaue Flecken«, brummte der Stallmeister, packte seine unerwünschte Last an den Hüften und hob sie von sich herunter, als ob sie federleicht wäre. Er selbst stand mit auf und stellte Sarah auf die Füße. »So. Und jetzt hör mal auf, hier Unruhe reinzubringen und setz dich auf deinen süßen Hintern.«
Mit einem Schnauben funkelte die junge Frau ihn an, ging dann aber ohne ein weiteres Wort hinüber zu dem zweiten Sessel und setzte sich.
~
Nach dem Essen erhob Eric sich und sagte: »Ich werde dann mal die Pferde versorgen gehen. Ihr schafft es ja bestimmt, ohne mich abzuräumen.«
Louis stellte seine Teetasse auf den Tisch und stand ebenfalls auf. »Wenn du nichts dagegen hast, würde ich gerne mitkommen. Ich muss mir ein wenig die Beine vertreten.«
»Klar, von mir aus. Umso schneller bin ich fertig. Ich spann dich dann nämlich direkt mit ein.«
»Das kannst du gerne machen. Ich kümmere mich ja Zuhause auch um unsere Tiere«, erwiderte Louis schmunzelnd und folgte Eric in den Flur, wo sie sich ihre Jacken überzogen, bevor sie das Haus verließen. Nebeneinander stapften sie durch die zentimeterdicke Schneedecke, die sich durch die immer weiter fallende weiße Pracht stetig erneuerte. Es war biestig kalt und so waren die beiden Männer froh, als sie den Stall betraten. Lilys Freund hatte den dort vorhandenen alten Kachelofen, der aus Sicherheitsgründen von außen befeuert wurde, wieder in Schuss gebracht und dieser brannte an so eisigen Tagen und Nächten wie diesen ununterbrochen, damit die Wasserleitung nicht einfror. So war es im Inneren des Gebäudes angenehm warm.
Während Louis sich umsah, ging Eric in die riesige Laufbox der beiden Kaltblüter und schloss das schwere Holztor, durch das die zwei Pferde tagsüber auf einen angrenzenden Paddock gehen konnten. Dann kehrte er wieder in die kleine Stallgasse zurück und öffnete eine Tür im hinteren Bereich. Hier wurde das Heu und Stroh gelagert. Er holte ein paar Ballen heraus und legte diese in dem Gang ab.
»So ...« Eric holte die Schubkarre und Mistgabel und verschwand wieder in der Box, um die Einstreu noch mal zu checken. Anschließend warf er frisches Stroh hinein, verteilte es und holte dann das Heu. Als die Pferde friedlich kauend dastanden, verließ er die Box wieder, schloss die halbhohe Tür und lehnte sich darauf, um die Tiere noch eine Weile zu beobachten. Louis, der in der Zwischenzeit die Schubkarre geleert hatte, lehnte diese jetzt an die Wand.
»Danke«, murmelte Eric, ohne sich umzudrehen.
Der Stallmeister schmunzelte und ließ den Blick über den anderen Mann wandern, während er sich ihm langsam näherte. Dicht hinter ihm blieb er stehen, hob die Hand und ließ die Finger durch dessen Haar gleiten. Dann beugte Louis sich leicht nach vorne und raunte ihm ein Gern geschehn‘ ins Ohr, was dem Anderen eine Gänsehaut über den Körper jagte.
»Was zum Teufel soll das werden?«, fragte Eric mit rauer Stimme, rührte sich aber nicht vom Fleck. Irgendwie reizte ihn die Situation und Louis war ja auch nicht uninteressant. Im Gegenteil.
»Ich weiß es nicht. Sag du es mir«, schnurrte der Stallmeister, was einen heißen Schauer über Erics Rücken jagte. Der junge Mann merkte, wie Louis ihm den Kragen seiner Jacke etwas herunterzog und dann spürte er die Lippen des Anderen auf seinem Nacken. Zischend zog Eric die Luft ein. Das Prickeln, das diese Berührung auslöste, ging durch seinen ganzen Körper. Einerseits wollte er das hier, andererseits auch wieder nicht. Hin- und Hergerissen von seinen Gefühlen, drehte er sich um und drückte Louis von sich weg.
»Was soll das? Ich bin kein Spielzeug.«
»Wer sagt, dass du das bist? Ich mache nichts, von dem ich spüre, dass du es nicht willst. Und das hier gerade hat dir gefallen.«
Eric zögerte einen Moment, dann nickte er und Louis fuhr fort: »Siehst du, ich habe ein ganz feines Gespür dafür, was mein Gegenüber mag oder auch nicht. Ich tue, was immer du willst. Auch wenn du sagst ‘Lass mich in Ruhe’, dann mach ich das. Du kannst Spaß haben oder deinen Frieden. Es ist deine Entscheidung.«
Einen schier endlosen Moment zögerte Eric, dann legte er die Hand in den Nacken des Stallmeisters und zog ihn zu sich herunter. Verlangend presste er die Lippen auf die des Anderen. Wie ein Ertrinkender klammerte der Blonde sich an Louis fest, der die Arme um den jungen Mann legte und ihn an sich zog. So eng, dass nicht mal mehr ein Blatt Papier dazwischen gepasst hätte.
Eric wurde es abwechselnd heiß und kalt. Es kam ihm vor, als ob Stromstöße durch seinen Körper jagten. Atemlos löste er sich schließlich von Louis und wich zurück, bis er an die Boxentür stieß. »Ich ... Ich kann das nicht«, keuchte er und starrte, knallrot im Gesicht, auf den Boden.
Schmunzelnd musterte ihn Louis. »Doch, du kannst und du willst es. Sonst hättest du diesen Schritt gerade nicht gemacht.« Es fiel ihm nicht leicht, ruhig zu bleiben. Erics unmittelbare Nähe, dessen Lippen auf seinen, das hatte auch Louis’ Körper in extreme Aufruhr versetzt. Schließlich war er ja nicht aus Stein. Die Augenfarbe des Stallmeisters hatte durch die Erregung von ihrem ursprünglichen Grau-Blau zu einem tiefdunklen Blau gewechselt, das schon fast Schwarz wirkte. Er machte einen Schritt auf Eric zu, legte einen Finger unter dessen Kinn und hob es an, zwang den jungen Mann, ihn anzusehen. »Du brauchst keine Angst zu haben. Du bestimmst, was wir tun und was nicht. Und wenn du etwas nicht willst, dann sag es einfach.« Er ließ die Worte einen Moment wirken, dann fügte er hinzu: »Vertraust du mir?«
Der Blonde versuchte, sich dem Anderen zu entziehen, aber der strich sanft über Erics Wange und wiederholte seine Frage.
»Ich denke ... Ich glaube ja.«
»Gut.« Damit beugte Louis sich herunter und streichelte mit seinen Lippen über Erics, was diesem ein leises Seufzen entlockte. Er presste sich an den Stallmeister und krallte sich in dessen Jacke.
Nach einer Weile löste der Ältere die Verbindung und schaute in Erics grüne Augen. »Ich denke, den Rest verschieben wir auf später ... wenn du willst. Lysander wird bestimmt über Nacht bleiben wollen. Und hier im Stall ist es einfach zu kalt, trotz des Ofens. Zumindest für mich alten Mann.«
»Alter Mann?«
Louis lachte leise und zwinkerte dem Anderen zu. »Na, immerhin schon fast dreißig. Also hab ich ‘ne ganze Ecke mehr auf dem Buckel als du.«
»Das ist natürlich super alt. Knappe elf Jahre mehr als ich. Oje«, erwiderte Eric und versuchte ein ernstes Gesicht zu machen, was ihm aber gehörig misslang.
Sein Gegenüber war derweil nur froh, dass der Blonde sein richtiges Geburtsjahr nicht kannte, denn dann wäre er wohl schreiend davon gelaufen. ‘Alter Mann’ traf es schon ganz gut ...
»Na, wie dem auch sei ... Es ist zu kalt und ich ziehe ein weiches Bett dem piksigen Stroh vor. Und noch mal ...« Louis machte eine kurze Pause, bevor er weitersprach. »Falls dir irgendwelche Zweifel kommen, dann sieh dich nicht genötigt, irgendwas zu tun, was du nicht willst. Ich habe für jede Entscheidung, die du triffst, Verständnis. In Ordnung?«
Eric nickte. »Okay.«
»Gut, dann lass uns wieder ins Haus zurückgehen.« Mit diesen Worten öffnete der Stallmeister die schwere Holztüre und trat hinaus in die Kälte, die sein erhitztes Gemüt sofort wieder etwas herunterkühlte.