10. Kapitel
Tapfere Köchinnen, mutige Handwerker und… Sturmgewehr Pirmin
Atemlos und erschöpft, liessen sich alle aufs Vordach fallen, während die Zombies unter uns wild knurrten, fauchten, stöhnten und ihre dürren Krallenfinger nach uns ausstreckten. Sie versuchten auch nach oben zu kommen, aber sie waren dazu nicht fähig, was uns sehr beruhigte. «Ich würde sagen, das war Rettung in letzter Sekunde, » keuchte Rick. «Vielen Dank euch allen für eure Hilfe! » Erst jetzt musterte ich die Leute, welche zu uns gestossen waren genauer und stiess einen überraschten Schrei aus: «Kamilla, Anna! Ihr hier? » Kamilla Krasniqi und Anna Miracola waren ebenfalls zwei Angestellte von uns. Kamilla kam aus dem Balkan, wie ihr Name ja auch vermuten liess und Anna… natürlich aus dem schönen Italien! Die beiden waren auch schon langjährige Mitarbeiterinnen. Kamilla sprach zwar noch nicht gut Deutsch, aber verstand so ziemlich alles. Sie liebte ihre Familie, ihre Enkel und ihr Handy und war schon für den einen oder andern Lacher zuständig gewesen, wenn sie z.B. jemanden aus dem Team um eine Reinigungsbürste bat, jedoch fragte: «Darf ich die Brüste haben? » Oder, wenn sie bei der grossen Jahresreinigung jeweils um punkt 9 Uhr mit ihrem unverwechselbaren Akzent zur Pause (die sie auch sehr liebte) rief. Sie hatte ausserdem ein verstecktes, musikalisches Talent, welches sie jeweils unter Beweis stellte, wenn sie die Klaviertasten in den Schulzimmern reinigte. Sie war durch einen glücklichen Zufall zu uns gestossen, als wir einst dringend jemanden als Aushilfe brauchten. Durch ein Kleininserat an der Pinnwand des nahen Supermarktes, stiessen wir damals auf ihre Nummer. Zuerst störten sich einige des Teams (welche nun jedoch nicht mehr hier arbeiteten) daran, dass sie kaum Deutsch konnte. Doch alle anderen, inklusive uns, schlossen sie wegen ihres fröhlichen, freundliches Wesens sogleich ins Herz. So war sie auch schon viele Jahre bei uns und nicht mehr aus unserem Team wegzudenken. Auch Anna war schon lange da. Sie arbeitete nicht mehr so viel, doch war stets zur Stelle, wenn wir sie brauchten. Sie hatte wunderschönes, langes, schwarzes, naturgelocktes Haar und besass die gewohnt sonnig- freundliche Art der Italiener. Ihr sizilianisches Temperament, hatte sie sehr gut im Zaum, allerdingst kam es manchmal ein wenig zum Vorschein, wenn es bei der Arbeit nicht vorwärtsging. Dann machte sie schon den einen oder anderen Spruch. Sie war eben eine richtige Powerfrau. Doch so jemand konnten wir manchmal ganz gut gebrauchen.
Bei Kamilla waren noch ihr Mann und ihr jüngster Sohn, genannt Gezim, welcher einst bei uns zur Schule gegangen war. Gezim war bewaffnet mit einem Spaten und einer Gaspistole. Neben Anna wurde die Krasniqi’s noch von drei anderen Leuten, einer Frau und zwei Männern begleitet, welche wir jedoch nicht kannten. Der eine Mann, trug ein Militär- Sturmgewehr bei sich, Kamilla eine grosse, schwere Gusseisenpfanne, in der sie vermutlich sonst für ihre zahlreichen Verwandten und Freunde etwas Feines kochte. Anna hatte ein grosses Steakmesser und einen Hammer dabei. Die fremde Frau ebenfalls eine Pfanne und in der anderen Hand ein schweres Wallholz. Die restlichen Männer waren bewaffnet mit Schaufeln und einer Gartenhacke. Im Gürtel trugen sie Schraubenzieher und ebenfalls Hämmer.
Wir erfuhren, dass die Blocksiedlung in der Kamilla und Anna wohnten, ebenfalls von Zombies überrannt worden war und sie sich bis hierher durchgekämpft hatten, in der Hoffnung in der Schule, die ja Zivilschutzräume hatte, Zuflucht zu finden. Sie waren gerade zur richtigen Zeit gekommen. Während wir einander unsere Geschichte erzählten, wurden die Zombies unter uns immer rasender und der Speichel lief ihnen mittlerweile aus ihren verzogenen, verschrumpelten Mäulern. Ihr blutunterlaufenen, mit schwarzen und roten Adern durchzogenen Augen, funkelten aggressiv und voller Gier. Der Mann mit dem Sturmgewehr, er war kräftig, mittleren Alters, hatte eine aschblonde Halbglatze und braune Augen, legte an und steckte mit einem ähnlich irren Schrei, wie ihn Rick auf dem Rasenmäher ausgestossen hatte, mehrere Zombies nacheinander nieder. «Haut endlich ab ihr elenden Mistviecher! » Mein Mann und ich schauten ihn etwas entsetzt an und ich sprach tadelnd: «Kein solches Gemetzel vor den Augen meines Sohnes mehr, klar? » Der Sturmgewehr- Mann, er hiess Pirmin, wie ich später erfuhr, schaute mich schuldbewusst an und meinte kleinlaut: «Entschuldigung, diese… Monster, haben mich wohl traumatisiert. » «Was ja auch begreiflich ist, » sprach mein Mann verständnisvoll und legte Pirmin seine Hand auf die Schulter. «Dennoch… wir müssen, wie meine Frau sagte, an die Kinder denken. Ausserdem töten wir die Zombies nur, wenn wir keine andere Wahl mehr haben. Sie lassen sich übrigens durch das Bedecken ihrer Augen beruhigen. Ihr alle solltet euch mit genug Tüchern aller Art bewaffnen, dann kann man sie überwältigen, oder vor ihnen davonlaufen. Kommt jetzt aber, wir gehen erst mal rein. »
Wir kletterten durch die Fenster der Bibliothek wieder ins Innere des Schulhauses. «Hätte auch nie gedacht, dass ich im Erwachsenenalter nochmals durch ein Fenster in ein Haus einsteigen muss, » sprach Pirmin trocken. «Das letzte Mal war damals als 14- jähriger, als ich meine gleichaltrige Freundin besuchen wollte, ohne dass ihre Eltern Wind davon bekamen. Oder wartet mal… da war doch noch einmal… es muss bei meiner einstigen Geliebten gewesen sein. Nun nicht umsonst bin ich seit 10 Jahren geschieden. » «Das wollen wir alles gar nicht so genau wissen, » gab ich zurück. «Auch hier sollten wir an die Kinder denken. » «Oh ja klar, die Kinder! » sprach Pirmin und blickte entschuldigend in die Richtung meines Sohne Remo.
Dieser war jedoch gerade abgelenkt, weil ihn Kamilla lächelnd in die Wange kniff. Sie liebte alle Kinder und hütete ihre Enkel mit Hingabe. Mein Sohn jedoch war schon etwas zu alt, um in die Wange gekniffen zu werden und darum freute es ihn auch nicht sonderlich, was ich aus seinem Blick schloss. Immerhin hatte er durch Kamillas Kneifattacke nicht so viel von Pirmin’s offenherzigen Erzählungen mitgekriegt (aber wer weiss, Kinder kriegen oft mehr mit, als man denken würde…).
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Lebensmittel Knappheit
Die Tage schwanden dahin und damit auch unsere Lebensmittelvorräte. Da es immer mehr Leute wurden, die bei uns Zuflucht suchten, wussten wir bald nicht mehr, wie wir sie alle versorgen sollten. Mit einer Zombie Invasion hätten wir in unseren kühnsten Träumen niemals gerechnet und demzufolge waren wir auch nicht in der Lage gewesen, wirklich genug Vorräte anzulegen. Es blieb uns nichts Anderes übrig, wir würden uns irgendwann hinauswagen müssen und das war im Angesicht der vielen Zombies, die auf dem Schulgelände mittlerweile herumtorkelten, gar nicht so einfach. Zwar hatten wir alle durch unseren beherzten Einsatz, die Population der Zombies etwas dezimiert und Rasenmäher Rick hatte ausserdem wohlweislich den Marderschreck von Familie Marquart ausser Gefecht gesetzt. Doch trotzdem brach der Strom an fleischfressendem Nachwuchs nicht ab (hatte wohl noch ein anderer unserer Nachbarn einen dieser vermaledeiten Marderschrecke?).
Mein Sohn spielte gerade zur Beruhigung Pflanzen vs. Zombies auf seinem I- Pod und sinnierte mit mir darüber, wie gut es wäre, solch kämpferische Pflanzen als Schutz zu haben, als Mona zu mir kam und besorgt meinte: «Die Vorräte sind Morgen vermutlich endgültig aufgebraucht. » «Wirklich? » rief ich erschrocken «Etwa auch die viele Schokolade, die wir beigesteuert haben? » «Ja, leider auch die Schokolade. » «Was ist mit dem Alkohol? Damit könnte man die Leute wenigstens den Hunger für einige Zeit vergessen lassen. » «Ja, » erwiderte Mona betrübt «auch der Alkohol geht sehr bald zur Neige und davon kann man sich ja nicht auf Dauer über Wasser halten. Einige müssen wohl rausgehen, um an der nahen Tankstelle Vorräte zu besorgen. »
«Aber wer geht da raus? » fragte ich und schaute hinaus auf den überlaufenen Pausenplatz. Auch der Parkplatz mit den Autos war voll mit Zombies, die teilweise sogar schon auf den Fahrzeugen herumkrabbelten, in die Pneus bissen und am Chassi rüttelten, in der Hoffnung etwas Futter zu finden. Doch sie würden hungrig bleiben und wir auch, wenn wir nichts zu Essen auftrieben. Wir wollten nicht riskieren, dass unsere Schutzbefohlenen allein durch den Hunger noch zu zombieähnlichen Kreaturen wurden. Mona nahm mich zur Seite und sprach leise: «David hat gesagt, dass er wohl gehen muss. Er nimmt noch einige Freiwillige mit und auf jeden Fall Rick und Pirmin. »
«Waas, aber er kann uns doch nicht einfach hierlassen! » rief ich und lief sogleich zu meinem Mann. «Du gehst da raus? » fragte ich. «Aber was wird dann aus Remo und mir, falls du nicht zurückkommst? » «Ich komme sicher zurück. Wir nehmen einige grosse Leintücher und Bretter mit, um die Zombies ruhig zu stellen. Ausserdem sind ja noch ein paar mit richtigen Waffen dabei, falls es nötig ist. Pirmin sagte schon, er gebe uns Feuerschutz und das mit Vergnügen. » Er senkte seine Stimme, so dass nur ich ihn hören konnte «Pirmin ist so ein Rambo Typ musst du wissen. Wenn wir ihn dabeihaben, geht das schon. Und auch Rick hat versteckte Talente, wie du gesehen hast. Also keine Sorge! » Ich war nur teilweise beruhigt und sprach. «Aber… was willst du Remo sagen? » «Ich werde ihm erst mal nichts sagen. Ich gehe noch zu ihm, aber er ist ja eh mit gamen beschäftigt. Dann nimmt er sowieso kaum etwas um sich herum wahr. Was in diesem Fall ja auch gut ist. » «Aber… ich brauche dich auch! » sprach ich und Tränen brannten in meinen Augen. «Was soll aus mir werden, ohne dich? » Mein Liebster nahm mich in den Arm und küsste mich liebevoll. «Hab keine Angst, ich komme bestimmt zurück. » «Das… weiss man nie. Es sind so viele von diesen Zombies und wenn sie dich auch nicht töten, dann verwandeln sie dich vielleicht mit einem Biss. Das wäre ebenso schrecklich. Wir wissen nicht, ob es überhaupt Rettung gibt, ob wir das alles überstehen, oder die Welt doch noch untergeht, zumindest die Welt der Menschen. » «Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben und müssen positiv denken, dann kommt schon alles gut. Hab Vertrauen! » «Ich versuche es ja aber…» Ich konnte mich nicht mehr zurückhalten und weinte hemmungslos. Mein Mann hielt mich lange fest, dann löste er sich schliesslich von mir und führte mich an der Hand zum östlichen Eingang, wo das Ziegengehege war. «Siehst du, da hat es viel weniger Zombies. Die meisten sind auf der anderen Seite des Hauses. Die Tankstelle ich ja gleich dort drüben, es ist nicht weit. » Tatsächlich konnte man die Tankstelle vom Schulhaus aus sehen, sie lag gleich angrenzend an unser Wäldchen, hinter einem hohen Maschendrahtzaun. Am Ziegengehege vorbei führte ein Weg und diese führte wiederum rüber zum Tankstellenparkplatz. Hier wankten tatsächlich nicht mehr so viele Zombies herum, vielleicht höchstens zehn bis zwölf, aber nur wenig grössere Gruppen. Es konnte klappen. Darüber wie viele Zombies sich bei der Tankstelle herumtrieben, wollte ich jetzt lieber noch nicht nachdenken.
Mein Mann ging nun zu unserem Sohn und nahm ihn ebenfalls in den Arm. «Ich hab dich lieb, » sprach er zu ihm «Ich dich auch Papi, » antwortete Remo, blickte jedoch nur kurz auf und erwiderte die Umarmung eher flüchtig. Der virtuelle Kampf zwischen Pflanzen und Zombies ging gerade in eine finale Runde und da war unser Sohn zu sehr absorbiert. Ich überlegte mir noch ihn zu tadeln, doch dann hätte Remo nur Verdacht geschöpft. So liess ich es bleiben, auch wenn sich dabei mein Magen unangenehm zusammenkrampfte.
«Nur keine Sorge! » sprach Pirmin mit enthusiastischer Stimme zu mir, als die Truppe der Lebensmittelbeschaffer, bestückt mit Rücksäcken, Taschen, Leintüchern und Waffen sich vor dem Haupteingang versammelten. «Ich bringe dir deinen Liebsten schon heil zurück. » Ich nickte und brachte sogar ein leichtes Lächeln zustande. Ich mochte Pirmin irgendwie, auch wenn er einen ziemlich eigenen Charakter hatte und nicht viel von schonender Zombie- Beseitigung hielt. Leute wie ihn konnte man in den heutigen Zeiten jedoch gut gebrauchen und ich hatte so etwas weniger Angst um David. Es wurden noch die letzten wichtigen Dinge besprochen und dann ging es los!