2. Kapitel
Der Sternblumengarten
Noch eine ganze Weile flog Lea, das dunkle Gewölbe, in dem sie solchen Schrecken erlebt hatte, lag nun bereits weit hinter ihr. Das Land jedoch, veränderte sich kaum. Noch immer leuchtete über ihr der petrolfarbene Himmel, mit den dunklen Wolken. Doch letztere, wurden nun nicht mehr so wild darüber hinweg getrieben, wie am Anfang. Es schien, als habe das Gewitter sich etwas gelegt, als sie das dunkle Gewölbe verlassen hatte. Das fand sie interessant. Unter ihr glitt ein eher karges Grasland dahin, welches irgendwie die Farbe des Himmels wiederspiegelte. Es war in dunklen Tönen gehalten, bestand aus Schattierungen von mattem blaugrün, dunkelgrau und schwarz. Bäume und Sträucher, streckten da und dort ihre kargen Äste empor. Sie sahen aus wie unheimliche Totenfinger. Es war eine seltsame Welt und Lea dachte erneut darüber nach, wie sie hergekommen war und ob dies wohl das Jenseits war. Wenn ja, dann war sie an einem eher unwirtlichen Ort gelandet. Sie wollte hier auch nicht bleiben, etwas trieb sie stetig vorwärts. Das vorhin Erlebte, war nun schon nicht mehr so präsent, als ob es sich in ihr tiefstes Unterbewusstsein, zurückgezogen hätte.
Das Ziel, war ihr nun vor allem wichtig. Ein Ziel, von dem sie aber noch nicht genau wusste, wo es eigentlich lag. Sie war auch noch unfähig, in dieser Hinsicht einen klaren Gedanken zu fassen. Sie konnte noch nicht verstehen, was sie hier sollte, aber dass sie vorwärts gehen musste, wusste sie. Sie musterte sich selbst, während sie einfach so dahinflog. Ihre goldbraunen Flügel, rauschten leise. Sie glänzten irgendwie seltsam im grünlichen Zwielicht und sie fragte sich, wie sie wohl aussahen, wenn helles Sonnenlicht darauf fiel. Ja Sonnenlicht, das hatte sie schon lange nicht mehr gesehen! Das hier, war eine Welt der Schatten und der stetigen Dämmerung. Es gab keinerlei Hinweise auf helles Tageslicht, das begann langsam etwas an ihrem Gemüt zu zerren. Sie hielt nach irgendeinem Anhaltspunkt Ausschau, doch vor ihr und hinter ihr, schien sich nur endlose Weiten, ohne sichtbare Veränderungen auszudehnen.
Dann auf einmal jedoch, hielt sie inne! Da war doch etwas! Weit, weit hinten, tauchte eine dunkle Bergkette auf! Am Fusse dieser Bergkette, leuchtete etwas! Es war ein phosphoreszierender, blauer Schein. Lea verschnellerte ihren Flug und… dann entdeckte sie auf einmal ein schwarzes, einsames Haus, mit einem seltsamen Garten darum herum. Es war ein Garten, der nur aus kleinen, sternförmigen Blumen bestand. Diese Blumen erzeugten diesen phosphoreszierenden Schein. Es war wundervoll anzusehen und die junge Frau beschloss, dort zu landen. Sie sah sich um. Die Sternblüten glitzerten wie wundervollste Kleinode.
Lea setzte zur Landung an, die Flügel verschwanden nun auf einmal und sie trug plötzlich ein dunkelviolettes Kleid mit einem schwarzen Gürtel und einem, ebenfalls violetten, aus reicher Spitze bestehenden, hohen Stehkragen. Der Ausschnitt des Kleides war etwas tiefer und legte ihr Dekolleté frei. Leas Körper war eher kurvig, nicht schlank, aber auch nicht dick. Ihr Haar, war dunkelblond und ziemlich stark naturgelockt. Ihre Augen leuchteten blau, ihre Lippen waren voll und ihr Gesicht symmetrisch, mit ausgeprägtem Profil. Nun jedoch, veränderte sie sich plötzlich! Ihr Haar, wurde schwarz und etwas länger. Sie glaubte auch etwas jünger und straffer auszusehen. Die ständigen Verwandlungen, zu denen sie in dieser Welt imstande war, erstaunten sie. Es war, als würde ihre momentane Stimmung und auch etwas ihre Umgebung, eine Auswirkung darauf haben. Sie fand das ein sehr interessantes Phänomen.
Sie ging etwas näher an eine der Sternblumen heran und bewunderte ihre filigrane Schönheit. Das erste Mal, nach so ewig scheinender Zeit, sorgten diese Blumen für etwas Abwechslung in dieser kargen Welt. Die Blütenstempel waren lang und an der Spitze mit einem leuchtenden, etwas breiteren Ende versehen, das noch heller strahlte, als der Rest der Blume. Sie beugte sich über sie und roch daran. Ihr Duft war geheimnisvoll und verführerisch. Ihr phosphoreszierender Schein, spiegelte sich in Leas Gesicht wieder, dessen Haut nun glatt und ohne jeglichen Falten war. Sie sah aus wie damals mit 18, 20 Jahren.
„Gefallen dir meine Blumen?“ fragte auf einmal eine dunkle, angenehme Stimme hinter ihr. Sie zuckte zusammen und drehte sich um. Vor ihr stand ein geheimnisvoll aussehender Mann, mit sehr schönen, edlen Gesichtszügen. Seine Augen waren von tiefem Dunkelbraun, dass sich in diesem Licht hier noch verstärkte. Sein Haar, war ebenfalls dunkel, mit dichten, langen Locken. Er hatte ziemlich lange Wimpern, seine Augenbrauen waren ausgeprägt und seine Lippen sinnlich. Etwas ging von ihm aus, etwas seltsam magisches, Geheimnisvolles, so…wie bei den Sternblüten. Er passte wahrlich zu diesen Blüten! Als sich sein und ihr Blick begegnete, spürte Lea auf einmal eine seltsame Erregung in sich, sie fühlte sich auf eigenartige Weise sehr von diesem Mann angezogen, doch gleichzeitig machte er ihr auch etwas Angst, denn sie wusste nicht, was wirklich hinter seinem Äusseren verborgen lag. Er war schwer zu erfassen, doch gerade das zog sie an ihm so an. Sie wollte mehr von ihm erfahren.
„Ja, sprach sie „diese Blumen sind wirklich wunderschön, vor allem, weil sie an so einem kargen Ort wachsen. Es ist kaum zu glauben, dass die Erde dieser Welt hier, sowas hervorbringen kann.“ „Es ist nicht die Erde, die die Sternblumen zum Wachsen bringt, “ sprach der Mann und musterte sie mit einem intensiven Blick, der seltsame Schauer durch ihren Körper rieseln liess. Er war irgendwie magnetisch, in seinem ganzen Wesen, seinem ganzen Gebaren. „Was…ist es denn sonst noch?“ fragte sie und bemühte sich nicht zu stottern. Sie versuchte ihre Unsicherheit mit einem Scherz zu überspielen „am vielen Sonnenlicht, kann es wohl kaum liegen.“ „Nein, Sonnenlicht, brauchen die Sternblüten wahrlich nicht! Es würde sie vernichten.“ „Aber…was ist es dann?“ Sie schaute ihn gespannt an. Er jedoch, liess sich mit der Antwort Zeit, nahm die nächstgelegene Blüte in seine Hand und streichelte sanft und liebevoll darüber, als wäre sie keine Blume, sondern eine Geliebte. „Mein Geist, meine Liebe, lässt sie wachsen“, sprach er dann leise und musterte Lea dann erneut mit einem intensiven Blick. „Diese Blumen sind meine Schätze, in ihnen liegt alles, was mir wichtig ist. Ich brauche nur sie, um glücklich zu sein. Nichts weiter. Sie…sind mein Leben.“
Lea schaute sich um und dachte darüber nach, ob das Leben, das dieser Mann führte, ihr auch gefallen hätte. Doch so schön, filigran und einzigartig diese Sternblumen auch waren, sie hätten nie ihr Lebensinhalt werden können. Etwas fehlte hier, es war zu karg, zu eintönig. Sie vermisste die Farben, das Licht. Es gab hier kein wirkliches Licht, nur das Licht der Sternblüten, doch das reichte bei weitem nicht aus.
Der Fremde, der ihr doch so seltsam vertraut schien, trat nun noch näher an sie heran, seine Augen nagelten die ihren unverwandt fest. Schliesslich war sein Gesicht so nahe bei dem ihrem, dass sie seinen Atem auf der Haut fühlte. Ihr Herz begann heftig zu klopfen. Sie konnte sich der Faszination dieses Mannes kaum entziehen. Einen Moment lang, wollte sie sich einfach hingeben und sich in seine Arme sinken lassen.
„Wenn du willst…“ sprach er plötzlich mit einem seltsamen Ton in der Stimme „kannst du auch eine meiner Sternblüten werden. Bleib einfach hier bei mir!“ Lea zuckte zusammen und schüttelte die seltsame Schwäche, die sie gerade übermannt hatte ab. Was sollte sie nun von diesem Angebot halten? Ihre Gefühle waren eine Mischung aus Schrecken und sich geschmeichelt fühlen. Dieses Angebot, war sicher ein grosses Kompliment, wenn man bedachte, was die Sternblumen diesem Mann bedeuteten. Aber…der Gedanke, dass sie ihr Dasein immer hier fristen sollte, gefiel ihr gar nicht. Sie glaubte auch nicht, dass es das Richtige gewesen wäre. Sie sehnte sich nach etwas anderem als diesem hier, auch wenn…die Gegenwart des geheimnisvollen Fremden ihr sehr gefiel und sie sich zu ihm hingezogen fühlte. Er konnte ihr jedoch niemals das geben, was sie suchte.
Sie erinnerte sich in diesem Augenblick kaum mehr an das Leben, dass sie vor dem Eintauchen in diese Welt geführt hatte, doch tief in sich fühlte sie, dass sie weitergehen musste. „Ich fühle mich geschmeichelt durch dein Angebot“, sprach sie deshalb „aber… das ist nicht mein Weg. Ich kann an diesem Ort nicht leben. Ich muss…weiterziehen, ich muss Antworten finden, über so vieles.“ „Du suchst nach dem Sonnenlicht und den bunten Blumen, nicht wahr?“ sprach er und seine Augen blickten etwas betrübt, jedoch seltsam verständnisvoll. „J…ja, so ist es wohl, “ erwiderte sie. „Ich könnte hier niemals glücklich werden. Es gibt zu wenig Licht und zu viele Schatten.“
„Die Schatten sind es, in denen ich mich am wohlsten fühle“, sagt er. „Sie geben mir Ruhe und Frieden und zugleich, erschliessen sie mir die tiefsten Tiefen, meines Daseins. Durch sie, bin ich am besten verbunden, mit dem grossen, dunklen Geheimnis, in dem alle Weisheit verborgen liegt. Doch nicht alle finden ihre Weisheit am selben Ort. Du bist ein Sonnenkind, ich ein Schattenkind.“ Er erhob seine Arme und die Ärmel seines dunklen, eher einfachen Mantels flatterten im Wind. „Licht wie Schatten, sind in unserem Wesen verborgen, doch nicht für jeden haben diese Kräfte, dieselbe Bedeutung. Schatten sind für dich etwas Bedrohliches, etwas, vor dem du dich fürchtest. Ich aber tauche ein in den Schatten, werde eins mit ihm. So verliert der Schatten an Bedrohlichkeit, weil man ihn in- und auswendig kennt und weiss wo sein Ursprung liegt, was seine Funktion ist. Vielleicht wäre es gut für dich, auch mal in die Schatten einzutauchen, um das selbst begreifen zu können. Der Schatten ist ein intensiver Teil deines Lebens. In ihm, liegt der Schlüssel zur Transformation, denke immer daran! Ich könnte dir helfen, mit dem ewigen, dunklen Jenseits in Verbindung zu treten. Es könnte dir Heilung bringen.“ Doch Lea hatte dazu gerade kein Bedürfnis. Sie verstand wohl in groben Zügen, was der Fremde ihr begreiflich machen wollte, doch noch, hielt sie sich nicht für stark genug, sich den Schatten erneut zu stellen.
Das war ja schon bei diesem schrecklichen Monster, das ihr als erstes begegnet war der Fall gewesen. Sie hatte nun erst mal die Nase voll, von allen Arten von Schatten. Sie wollte dieser Welt endlich entfliehen. Das sagte sie dem Mann auch.
„Es wird nicht einfach sein. Hier, in dieser Welt, wirst du kein Sonnenlicht und keine bunten Blumen finden. Aber…ich würde dir empfehlen mal die „Grotte der heiligen Wasser“ aufzusuchen. Dort, so munkelt man, gibt es einen Weg in eine fremde Welt, die anders ist als diese. Dort findest du vielleicht Antworten.“ Lea nickte und sprach: „Ich danke dir für diesen Ratschlag!“. „Gern geschehen“, erwiderte der Fremde mit seiner dunklen, angenehmen Stimme. Ihre Augen begegneten sich erneut und wieder kam es Lea einen Moment lang vor, als ob die Luft zwischen ihnen beiden seltsam vibrieren würde. Sie verspürte auf einmal den Drang ihn zu küssen, doch wieder hielt sie etwas davon ab. Er war ihr zu unergründlich zu unheimlich und seine Zuwendung zu den Schatten, beunruhigte sie. Ja, sie war wirklich ein Sonnenkind! Dennoch, was war es, das zwischen ihm und ihr lag? Es war doch etwas so Vertrautes und sie wusste auch, dass das was er ihr über die Transformation gesagt hatte, vermutlich stimmte.
Er lächelte, als ob er ihre Gedanken lesen könnte und fasste in die Tasche seiner schlichten schwarzen Tunika. Er zog ein Glasamulett hervor und darin glitzerte eine der wundervollen Sternblumen. „Das hier, möchte ich dir noch mit auf deinen Weg geben. Die Sternblume soll dir durch alle Schatten hindurch leuchten, die du noch durchqueren musst. Sie ist erfüllt von einer besonderen Magie und sie wird dich schützen, wenn du glaubst verloren zu gehen.“ Lea nahm das wunderschöne Medaillon tief berührt entgegen und fragte: „Warum gibst du mir so ein wertvolles Geschenk?“ „Weil ich glaube, dass diese Blumen in deinen Händen noch eine viel umfassender Macht erhalten wird. Du hast etwas was ich nicht besitze und ich wünsche dir, dass du dein Glück und deinen Frieden einst finden magst!“ „Das…ist wirklich sehr freundlich von dir!“ erwiderte die junge Frau beinahe zu Tränen gerührt. Der Mann neigte seinen Kopf, um ihr seine Ehrerbietung zu bekunden dann…war er auf einmal verschwunden...