Ein Duft nach Holzfeuer und getrockneten Kräutern lag in der Luft, als ich erwachte. Über mir sah ich die Spirale der Stangen eines Tipis um den geöffneten Rauchfang gruppiert, durch den eine zarte Rauchfahne ihren Weg nach draußen fand. Ich lag bequem auf einem warmen Untergrund. Als ich die Hand danach ausstreckte, fühlte ich die Weichheit von Fellen und Decken, die mich umgaben. Es gab keinen Zweifel. Ich war an dem Ort angekommen, der das geheime und unsichere Ziel meiner Reise gewesen war: Ipioca, das Land der Inokté.
Ein Gesicht beugte sich über mich, dessen Schönheit und Ausdruck mich nicht mehr loslassen sollte – der Kopf einer alten Indianerin mit von Grau durchzogenen dunklen Zöpfen, die die Züge eines windgegerbten, faltigen Gesichts umrahmten. Ich sah Augen von dunklem Braun, die mich durch ihre Ausstrahlung von Weisheit und Güte sofort für sich einnahmen, eine markante Nase, wie sie allen Inokté gegeben war und einen vollen, von Lachfältchen umrahmten Mund, der sich zu einem Lächeln verzog, als sie erkannte, dass ich wach war.
»Du kannst beruhigt sein, du bist hier bei Freunden«, sagte sie mit leiser Stimme in der Gemeinsprache. »Ich bin Onatah von den Inokté.«
Während ich mich aufrichtete, nahm ich das Innere des Tipis nun gänzlich wahr. Hier war das Lager einer Medizinfrau, ohne Zweifel. Es gab Sträuße von Kräutern, die heilige Trommel, ein Medizinbündel, Frauenkleidung an einer der Zeltstangen. Onatah lächelte mich an und stopfte mir Decken und Felle in den Rücken, sodass ich bequem aufrecht sitzen konnte.
»Du warst mehrere Tage fern von uns«, erklärte sie mir. »Du solltest zunächst essen und trinken. Dabei kann ich dir berichten, wie du hierhergekommen bist, Priesterin.«
Überrascht hob ich den Kopf. Hatten sie mich so schnell erkannt? Aber wie sollte es auch anders sein, schließlich mussten sie mich hierhergebracht haben. Sicher hatte mich die Medizinfrau gewaschen – Waschungen gehörten zu ihrer Heilkunst – und dabei meinen Körper mit der magischen Zeichnung gesehen.
Sie reichte mir eine Schale mit einer duftenden Suppe, die ich dankbar annahm. Meine Kehle war ausgedörrt wie nach einer langen Trockenheit oder wie nach einer Fahrt über das Meer ohne genügend Wasservorräte. Aber ich hatte Ipioca erreicht, nur das zählte im Moment.
Ich nickte Onatah dankbar zu und trank. Als ich die Schale absetzte, blickte mich die Medizinfrau aufmerksam an.
»Du bist hier im Tipi von Nashoba, unserem Stammesersten. Es wird dir nichts geschehen. Als dein Boot an unserer Küste gestrandet ist, hat er dich gefunden und hierhergebracht. Du hattest Glück, dass du die Fahrt überlebt hast, noch einen oder zwei Tage länger und du wärst verdurstet.«
Ich hörte die unausgesprochenen Fragen dieser Anrede. ›Wie konnte eine Heilerin in eine solche Situation geraten? Hätte ich nicht genügend Vorräte bei mir haben sollen, war meine Navigationskunst nicht sicherer?‹
Ich würde eine Antwort auf diese Fragen geben, aber nicht jetzt und nicht, bevor ich den Minági gesprochen hatte. Es war schon erstaunlich, dass gerade ein Stammesältester mich gefunden hatte. Wir hatten es uns viel schwerer vorgestellt, mit den Führern in Kontakt zu kommen. Vor einigen Jahrhunderten waren die Magier des Festlandes noch regelmäßig zu uns auf die Inseln gekommen. Dann aber, als die Grenzstreitigkeiten immer weiter eskalierten und wir um Hilfe gegen die dunkle Bedrohung gebeten wurden, machte die damalige Hohepriesterin einen unverzeihlichen Fehler: Sie wies die Bittenden mit dem Hinweis auf das friedfertige Wesen unserer Magie ab und gestattete auch unseren Schwertmeistern kraft ihres Amtes nicht, die Inseln zu verlassen.
Die gesamte magische Allianz des Festlandes zog sich daraufhin von uns zurück und es kostete uns große Mühen und jahrzehntelange Arbeit, dieses Misstrauen allmählich wieder zu vermindern. Dennoch war vor allem das Verhältnis zu den Wolfsmagiern und den Dämonenkriegern nach wie vor angespannt. Beide Gruppen leisteten den Hauptanteil bei der Grenzverteidigung und sahen mit Skepsis auf unsere neutrale Stellung. So, wie sie das Wesen ihrer Magie vor den Chromnianern verbargen, so gewährten sie auch uns keinen tieferen Einblick mehr in ihre Lebensweise.
Dakoros und das Festland lagen eigentlich dicht beieinander, doch die magischen Wesen hatten sich weit voneinander entfernt. Das zu ändern, betrachtete ich als meine ganz persönliche Aufgabe. Ich hatte mehrere Wochen eingeplant, um das Vertrauen der Wolfsmagier zu erlangen. Dann, so hoffte ich, würde man mir ein Gespräch mit ihrem Anführer, dem Minági, gestatten. Und nun war ich hier, im Tipi eines der Stammesältesten, der ihm zweifellos nahestand. Besser konnte es das Schicksal gar nicht meinen. Doch ich musste vorsichtig vorgehen, Ziel und Geduld waren die Maxime von Dakoros.
»Man nennt mich Solinacea.« Ich nickte Onatah zu. »Du bist ebenfalls eine Heilerin, sei mir als solche im Geiste willkommen.«
Die rituelle Anrede unter Gleichen schien mir der geeignete Weg, schnell ihr Vertrauen zu gewinnen und so war es auch. Die Falten um ihre Augen verzogen sich zu einem erneuten Lächeln und sie beugte grüßend ihren Oberkörper in meine Richtung.
»Onatah von den Inokté. Aber das sagte ich schon. Möchtest du noch etwas trinken?«
Ich nickte dankbar. "Oh ja, bitte! Ich würde mich auch gern waschen, wenn es möglich ist.«
»Sicher!« Onatah füllte meine Schüssel neu. Dann erhob sie sich. »Ich werde dir etwas Wasser holen. Du solltest noch nicht aufstehen.«
Onatah sorgte für alles, was nötig war und brachte mir auch neue Kleidung. Die Bekleidung der Inokté war von hervorragender Qualität. Die Gerbkunst der Stämme brachte weiche, cremig-braune Leder zustande, die von den Frauen des Stammes kunstvoll bestickt und bemalt waren. Onatah reichte mir ein solches Gewand, bestehend aus Beinlingen, einem knielangen Kleid und festen und dennoch weichen Mokassins. Der rauchige, wilde Duft der Stämme lag auf dem Leder. Als ich hineinschlüpfte, fühlte ich, wie ich eins wurde mit der Kleidung und mit meiner neuen, mir selbst gestellten Aufgabe, den Inokté in der kommenden Zeit helfend und schützend zur Seite zu stehen. Onatah nickte anerkennend.
»Ha, eine echte Inokté.«
Ich lachte und ließ mich von ihrer fröhlichen Stimmung anstecken.
"Pilámaya-ye!« Ich schickte ihr einen Gruß in ihrer Stammessprache. Sie lachte ebenfalls auf, dann wurde ihr Gesicht plötzlich ernst.
»Du bist nicht unvorbereitet hier, wenn du unsere Sprache beherrschst. Wer bist du und was führt dich hierher?«
Oh ja, sie war weise und hellsichtig. Aber ich hatte auch nichts anderes erwartet. Ich würde schnell über mein Vorhaben sprechen können.
»Du hast recht. Ich bin nicht zufällig hier. Ich möchte mit dem Minági sprechen. Aber du musst dir keine Sorgen machen. Ich habe nicht vor, euch Schaden zuzufügen.«
Wieder lachte sie auf. »Nein, ich glaube auch nicht, dass eine direkte Gefahr von dir ausgeht, wobei allein deine Anwesenheit hier schon ein Risiko sein könnte. Aber wenn du Nashoba sprechen willst, den findest du ganz sicher hier. Unser Stammeserster ist der Minági – wusstest du das nicht?«
Also war es so, wie wir es angenommen hatten. Die Wölfe verbargen viele von ihren Mysterien vor uns, aber wer die Stammesstrukturen der Inokté genau betrachtete, kam bald auf den Gedanken, dass die Magier die einzelnen Gruppen anführten. Sie waren so stark und undurchschaubar in ihrer Aura.
»Nein, wir wussten das nicht sicher. Ihr verbergt die Geheimnisse eurer Magie gut genug. Wir wissen um die Wolfsmagier. Aber wer eure Anführer derzeit wirklich sind, konnten wir nicht mit Sicherheit sagen.« Ehrlichkeit war der beste Weg, dachte ich mir.
Onatah holte scharf Atem. »Wer bist du?«
Diese Frage hatte sie schon am Anfang unseres Gesprächs gestellt. Nun musste ich wohl offener antworten. »Du hast meinen Körper bei der rituellen Waschung gesehen.«
Es war eine Feststellung, keine ernsthafte Frage. Sie nickte. »Ich bin das, was du annimmst. Ich komme von Dakoros. Die Insel wurde von einem Vulkanausbruch heimgesucht. Die Tempel der Heilerinnen mussten verlassen werden. Ich bin auf dem Weg, um neue Möglichkeiten zu finden, unsere Heilkunst in Art-Arien zu verbreiten. Ich bin eine der Ersten Priesterinnen von Dakoros, so, wie du es bereits erkannt hast. Ich bitte dich, lass mich mit dem Minági sprechen …«
Onatah senkte den Kopf. »Sei mir gegrüßt, Erste von Dakoros.« Sie erhob ihre Arme im magischen Grußritual.
»Ich werde Nashoba verständigen. Er wird zweifellos mit dir sprechen wollen, wenn er zurückkommt. Er ist auf dem Weg, doch vor dem Abend kann er kaum hier sein. Ruh dich bis dahin aus. Du bist willkommen.«
Sie nahm von einer der Zeltstangen ein Schmuckstück aus Bergkristallen und reichte es mir.
»Dies ist ein Amulett, mit dem es dir möglich ist, deine Aura vollständig zu verbergen. Bis ich es angefertigt hatte, musste Nashoba seine Schutzaura um dich ausbreiten. Aber er kann sich ja nicht immer in deiner Nähe aufhalten. Wir glauben, dass es besser wäre, wenn die dunklen Großmeister nichts von deiner Anwesenheit hier erfahren würden.«
Sie lächelte.