Ein Wort im Voraus:
Unmittelbar hinter der Sandwüste mit den magischen Bubbles gibt es eine Treppe, die Dich dorthin bringt, wohin jeder Träumer nur zu gern gelangen möchte: "The Dreamers Inn". Die ursprüngliche Idee des Inn stammt von Wolf Seibert, der sie mir für diese Geschichte zur Verfügung gestellt hat. Dann aber, wenn ihr mit mir die Stufen der endlosen Wendeltreppe bis in die Höhen der sternklaren Nacht beschritten habt, werdet ihr euch nur noch meiner luziden Traumfantasie gegenüber sehen ... und natürlich Tupac.
(Wolfgang Seibert bei Facebook:
https://www.facebook.com/wolfgang.seibert.9 )
„Wie ich Tupac Shakur traf“ Oder „The Thugz Mansion Session“
Es war wieder einmal eine dieser Nächte, für die man sich am Morgen hasste und das Spiegelbild, das sich einem beim Zähneputzen bot, zweimal betrachten musste, bis man sich erkannte.
Seit 17.00 Uhr war ich zwischen Notaufnahme, OP-Saal und den 35 Betten der Bauchchirurgie gependelt und hatte, seit es gegen Mitternacht ging, weit mehr Kaffee getrunken, als mir guttat.
Nun saß ich endlich an meinem Schreibtisch, 4.45 Uhr, einen halb fertigen OP-Bericht vor mir, und die Akten, die immer neue Patienten ankündigten, deren Erkrankungen sich irgendwo zwischen Bagatelle und Lebensbedrohung einordneten, waren fürs Erste abgearbeitet.
Noch einmal goss ich mir dieses braune Getränk der Munterkeit ein, als mir der Abend zuvor einfiel. Ich hatte ein paar Stunden bei einer bekannten Buchcommunity verbracht und mich durch verschiedene Machwerke unterschiedlicher Qualität geschmökert, als mir auf der Profilseite eines jungen Mannes ein Video aufgefallen war.
Der Klick war schnell gesetzt und durch mein Arbeitszimmer war eine Woge harmonischer Gitarrenmelodien geflutet, die die Stimme eines bekannten Rappers trugen, jedoch sanft und leise, wie ein Frühlingsregen. Thugz mansion.
Was also sprach dagegen, dort noch mal reinzuhören? Ich gebe zu, ich bin kein Netzprofi und bevor ich mich bei einer profilierten social site durchklicke, geh ich lieber gleich zur ursprünglichen Quelle meiner Wünsche zurück. Klar, dass mir der Name des auf dem Profilbild schön trainierten Schreiberlings nicht mehr einfiel. Wer weiß, wie er zehn Jahre später aussehen würde?
Sch … doch halt, das Buch hieß doch, na klar, Bartholomew, das …ew hatte mich gestört, ich hätte ein ...eus dort hingesetzt, wo mich ein …w angrinste. Das hatte sich doch in mein Frontalhirn gedrängelt! Gut so, das war doch ein Weg zu Thugz Mansion!
Wieder die Gitarrenmusik, beruhigend, friedlich, melodisch, harmonisch. Zu schnell fand sich der Kopf auf den Händen, auf der Tischplatte.
Augen zu. Atmung still und gleichmäßig.
Zu schnell war der Weg durch die sandige Ebene gegangen und ehe ich mich versah, fand ich mich in dieser dunklen, rauchverhangenen Kneipe wieder, von der mir letztens grinsend ein Kollege erzählt hatte, der hier wie ich seine Dienste schruppte.
Wir hatten noch über unsere überlasteten Medizinerhirne gewitzelt. Der erste Schritt zum Wahnsinn, zur BU, zum schönen entspannten Dauerschlaf in der Klapse … und schon war ich hier. Nein, das konnte gar nicht gut sein.
Eine Wendeltreppe trug ihre Stufen hinauf in den wolkenlosen, von Sternen übersäten Südhalbkugelnachthimmel.
Einladend drang ein leiser melodischer Ton aus der Höhe oder Tiefe – wer wusste das schon so genau?
Ich jedenfalls nahm die Stufen eine nach der anderen und gerade in dem Moment, als ich die angelehnte Tür zu der heimeligen Bar aufschob, fiel mir ein, dass ich noch immer grün in grün trug - OP-Kleidung - nicht gerade das, was ich für einen Besuch im Dreamers Inn gewählt hätte!
Doch hier war ich nun und würde keinen Rückzieher machen. Vorsichtig blickte ich in den Raum, den mir mein Kollege als verräucherte irische Kneipe geschildert hatte, was sie auch war. Doch das war nicht alles, was das Inn zu bieten hatte. Da war ebenso gemütliche Baratmosphäre, Livemusikflair, Cocktailtime … einfach der Traum eines netten Abends ohne tiefgründige Ansprüche.
Es war nicht eben überfüllt hier, doch auch nicht auffällig leer. Leises Stimmengemurmel trug die Musik aus der Konserve, der Barmann schenkte mir ein strahlendes Lächeln und noch ehe ich meinen Wunsch ausgesprochen hatte, stand ein herrlich pfefferminziger Mochito vor mir. Eiskalt, beschlagenes Glas, frische Marokkominze am Zweig.
Best off!
Ich griff nach dem Glas, kostete, schenkte dem Keeper ein Lächeln und klemmte mich auf einen der knallrot bezogenen Barhocker. Doch hoppla, wo war das Grün geblieben? Statt Baumwolle trug ich mein seidiges kleines Schwarzes, was mich gleich deutlich zufriedener stimmte.
Den Mochito in der Hand schaute ich zur Bühne. Hier tat sich ganz offensichtlich etwas, eine Band bereitete ihren Auftritt vor.
Als sich eine Hand auf meine Schulter verirrte, zuckte ich merklich zusammen. Hinter mir hörte ich ein leises Auflachen. Erstaunt drehte ich mich zu dem Typen um, meine Meinung schon auf den Lippen, als es mir plötzlich die Sprache verschlug. Das war er, eindeutig!
Tupac Shakur!
Jener Ghettomusiker, der meine Nachtschicht so angenehm gemacht hatte, obwohl er schon nicht mehr in diesen Gefilden weilte.
„Hey, Babe!“, lachte er. „Wer wird denn so schreckhaft sein? Du hast uns doch erst eingeladen, nun genieß es auch.“
Was, wie bitte? Ich hatte hier keinen eingeladen, wusste noch nicht einmal genau, welche Synapse meiner überspannten Fantasie die Tür hierher geöffnet hatte …
Doch Tupac schien das ganz anders zu sehen.
Mit einer witzig, spöttischen Verbeugung reichte er mir eine Hand und zog mich näher zur Bühne, wo sich seine Band inzwischen fertig machte, die Session zu beginnen.
Hier rückte er mir einen Stuhl zurecht, winkte dem Barkeeper nach einem neuen Drink und sprang dann leichtfüßig auf die Bühne. Und dann war es so weit.
„I want you to close your eyes
And vision the most beautiful place in the world
If you in the hood on the ghetto street corner
Come on this journey
The best journey
Thugz Mansion
Acres of land and swimming pools and all that
Check it out”
Dazu der herrlich volle Klang einer zwölfsaitigen Konzertgitarre, sanfte Akkorde, leise treibender Rhythmus …
„Dear momma don't cry, your baby boy's doin good
Tell the homies I'm in heaven and they ain't got hoods
Seen a show with Marvin Gaye last night, it had me shook
Drippin peppermint Schnapps, with Jackie Wilson, and Sam Cooke
Then some lady named Billie Holiday
Sang sittin there kickin it with Malcolm, 'til the day came
Little LaTasha sho' grown”
Hier hätte ich noch stundenlang, nächtelang sitzen können, Tupac lauschen, Thugz Mansion.
Doch dann drang ein eindringlich jammernder, nerv tötender Ton an mein Ohr. Ein eindringliches Piepen, ohne jeglichen Zusammenhang zu den leise flüsternden Rhythmen der Akkustikgitarre.
Piep, piep, piep, piep, immer weiter, endlos, nerv tötend, jeden Schlaf raubend….
Und da war ich wieder, Notaufnahme, 5.10 Uhr und der Pieper, die Hundepfeife für Ärzte, die nervigste Erfindung nach der Fernsehwerbung im Krimi, rief mich wieder zur Ordnung.
Weit weg war das Dreamers Inn, fort auch Tupac und Thugz Mansion. Der nächste Fall wartete schon.
Und dennoch, inzwischen weiß ich, wie ich wieder dorthin komme, in das Inn, auf meinen knallroten Barhocker … ein Lächeln dem Keeper, der kennt den Weg schließlich auch.
Morgen Nacht gegen 4.30 Uhr?
Ach ja, ich hätte da noch einen zweiten großen Musikwunsch: Wie wäre es mit Louis Armstrong?