Kopenhagen im November ist grau. Grau, aber das interessante Grau, nicht das unscheinbare. Leichter Küstenregen zieht sich durch all die kurzen Novembertage, die ich dort verbringe, die Sonne zeigt sich nur selten. Und auch die Menschen, so schön sie auch sein mögen, sind grau. Eisern, ganz Klischee, bieten sie selbst kältestem Novemberregen auf dem Fahrrad die Stirn, ohne dabei eine Mine zu verziehen. Ihre schwarzen Mäntel flattern im Wind. Um Auffallen geht es hier den wenigsten.
Die Atmosphäre ist nicht freundlich, aber auch nicht unfreundlich. Zwischen Wasserstraßen und Jugendstilbauten liegt zwar wenig Wärme, aber eine angenehme Klarheit.
Es ist fast ein Jahr her, dass ich dort war und ich denke noch immer an Kopenhagen.
Der Flug war ein Albtraum. Dunkel, eng und in mir wurden alte Ängste geweckt, von denen ich nicht wusste, dass sie noch da sind. Nicht die abstrakte Form der Angst, sondern aggressive Panikattacken, die das Denken vollständig vernebeln.
Mir bricht der kalte Schweiß aus. Es ist nicht das Fliegen an sich, sondern das eingesperrt sein. Ein Gefühl der Unwirklichkeit, das bedrohlichste Gefühl, das ich kenne. Ich kralle mich in die Sitzlehne und mobilisiere alle verbliebenen inneren Kräfte. Reiß dich zusammen. Bloß nicht durchdrehen. Neben mir liest eine kühl wirkende Frau entspannt ein Buch.
Warum kann ich das nicht sein?
Erst im Zug auf dem Weg ins Hostel ließ die Angst langsam nach, aber ein nervöses Grundgefühl blieb die ersten Tage. Später hat sich die Anspannung dann in unerwartete Schwere gewandelt.
Im Hostel angekommen finde ich, was ich erwartet habe. Hauptsächlich junge Backpacker Anfang 20, meistens in Gruppen, die die Welt erkunden. Sie wirken ausgelassen und sicher. Ich erkunde stattdessen noch immer hauptsächlich mich selbst und meine Grenzen.
Neben dem großen Fenster im sechsten Stock zu schlafen macht mich nervös. Kann ich mir selbst vertrauen? Und was ist eigentlich los? Es ging mir doch schon viel besser.
Ich laufe viel, vorbei an cremefarbenen und blauen Fassaden, die sich mit grauen und roten Backsteinhäusern abwechseln. Durch das alte Fleischerviertel. Setze mich dort ins Café und versuche zu schreiben, stattdessen kämpfe ich mit den Tränen, ohne zu wissen warum. Von den Kerzen tröpfelt das Wachs. Die anderen nehmen Notiz von mir, ohne auf mich zu reagieren. Die Tür geht auf und ein Mann kommt rein. Er ist alt und hat den längsten grauen Bart, den ich je gesehen habe. Und er trägt eine knallrote Hose. Wir sind die einzigen beiden, die alleine dort sind.
Als ich das Café verlasse ist es nebelig. Nebel passt gut zu dieser schönen Stadt und mir gefällt der Gedanke, durch den Nebel zu laufen und im Dunkeln zu verschwinden.