Kapitel 7-
Vielleicht war es nur eine Reflektion des Lichts gewesen. Das war doch immer die Antwort, die Menschen parat hatten, wenn sie etwas nicht erklären konnten und in den meisten Fällen, fanden sie sich damit auch gut ab.
Nur ein Spiel von Licht und Schatten, nur ein Spiel von Licht und Schatten, nur...
Immer wieder wiederholte ich diesen Satz in meinem Kopf und wartete darauf, bis er sich einbrannte und ich meinen eigenen Lügen, Glauben schenkten konnte. Auch wenn sich das schwerer gestaltete, als es mir lieb war. Ich war eine grauenvolle Lügnerin.
Die Flure schienen mir unglaublich lang. Ich hatte meine Jacke ausgezogen und sie über meine Hand gelegt, als ich gerade dabei war, meinen Klassenraum zu suchen. Immerhin war heute mein großer Tag und ich durfte nicht zu spät kommen. Leuchtende Ader hin oder her. Was redete ich da?
Auch wenn ich wahrscheinlich einige Male im Kreis gelaufen war und mich die Leute langsam anstarrten, habe ich es geschafft, meinen Klassenraum beim dritten, oder vierten Anlauf zu finden. Vor der Tür atmete ich nochmal durch und riskierte einen Blick auf meine Hand. Alles sah normal aus, weitestgehend. Bis auf die neue Ader, die sich zu den anderen gesellt hatte, sah es im Großen und Ganzen nicht anormal aus.
Ich öffnete die Tür und trat herein. Irgendwas um die 40 Augen richteten ihre volle Aufmerksamkeit auf mich, inklusive die des Lehrers. Seine Zähne glänzen und er bat mich, zu sich herein.
„Ach Ja! Wie schön, ein neues Gesicht. Kommen sie herein, keine Scheu.“ Fuchtelte der Lehrer ganz wild mit den Händen herum.
Ich setzte mein liebenswürdigstes Lächeln auf, vermutlich sah es etwas verkrampft aus.
„Bleiben Sie gleich vorne stehen, damit wir sie vorstellen können.“
„In Ordnung Herr…“
„Herr Professor Doktor Carter. Aber mich nennen alle nur „Den Professor.“ Er lachte lauthals los und tätschelte mich an der Schulter.
„Wie Nett.“ Ich gab mir Mühe, respektvoll zu klingen.
„Ruhe liebe Klasse! Ich erteile unserer neuen Mitschülerin das Wort!“ Und Herr Carter gab sich Mühe, die Klasse ruhig zu halten. Ich atmete noch einmal durch und richtete meinen Blick dann an die Klasse. Einige der Augen, wollten mich zerfleischen und andere wiederrum ausziehen. Die liebsten waren mir die, die vollkommen unvoreingenommen weiter auf ihr Handy starrten.
„Guten Morgen.“ Ich stockte kurz. „Mein Name ist Ina, Ina Saterlee.“
Die erste Hürde war überwältigt.
„Wie Alt?“ Hallte es aus irgendeiner Ecke.
„18 Jahre jung.“ Der Witz kam nicht an, oder keiner hatte ihn verstanden.
Ich schluckte.
„Kennst du Kiran?“ Ein Mädchen, wobei. Wenn ich mich so umsah, war es DAS Mädchen in dieser Klasse.
„Ja, ich kenne Kiran.“
„Okay, schön. Willkommen in der Klasse Ina.“ Ihr Blick bohrte sich an mir fest und sie ließ mich nicht mehr aus den Augen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass dieses Gespräch noch nicht beendet war. Es machte mir ein wenig Angst, wie sie sich so in ihren Stuhl zurück lehnte und an ihren weinroten Nägeln spielte.
Die ersten zwei Stunden vergingen relativ schnell. Wie ich schon erwartet hatte, redete der Professor viel und gerne.
Auch die nächsten zwei Stunden zogen an mir vorbei. Ich war tief in Gedanken versunken. Meine Gedanken drehten sich um Kiran. Auch wenn wir uns nicht lange kannten, kannten wir uns in und auswendig. Und das nicht nur, weil uns der Bund zugeteilt hatte, dass wir unsere Steckbriefe studierten. Nein, zwischen uns hat sich etwas entwickelt, etwas dem ich noch keinen Namen geben konnte.
Die Glocke klingelte und ich sah, wie alle in Strömen den Raum verließen. Selbst auf dem Lehrerpult waren sämtliche Blätter und Stifte verschwunden.
Unten den ungeduldigen Augen von Herrn Carter, packte ich schnell meine Notizen zusammen und verließ ebenfalls den Raum.
„Professor?“ Wendete ich mich noch ein letztes Mal an ihn.
„Ja? Miss Saterlee. Er schien es eilig zu haben.
„Wo sind denn alle hin?“
Er schaute mich wie ein verlorenes Schäfchen an und sein Gesicht wurde ganz weich unter seinen silbrigen Haaren und der Brille.
„In die Mittagspause. Ich wünsche Ihnen einen guten Appetit.“ Er lächelte mich väterlich an, zog die Tür vom Klassenraum zu und ging. Ich nickte. Mittagpause.
Dieses Mal brauchte ich nur einen Anlauf, bis ich die Cafeteria fand. Sie war bis oben hin mit Menschen gefüllt, wie würde ich Kiran unter ihnen nur finden?
„Frischfleisch?“ Ich zuckte zusammen und riss mich aus meinen Gedanken.
„Keine Angst, Kiran hat mir verboten dich zu erschrecken.“
„Damian!“ Ich fasste mir an die Brust. Keine Ahnung wen ich erwartet habe, aber ich war froh, ein bekanntes Gesicht zu sehen.
„Weißt du wo Kiran…“ Damian schaute mich gar nicht erst an und lief einfach los, so als hätte er mich gar nicht erst gesehen.
„Sry Frischfleisch, aber er hat mir jegliche Interaktion mit dir untersagt!“ Ich verdrehte die Augen. Wie konnte es Kiran auch nur einige Minuten mit ihm in einem Raum aushalten.
„Mich anzusprechen war auch eine Interaktion!“ Rief ich ihm hinterher, während ich mich durch die Menschenmenge zwang. Wo auch immer er hinging, würde Kiran nicht weit weg sein.
„Verrats ihm nicht!“ Antwortete er mir, ohne sich dabei umzudrehen. Was für ein Prolet.
Wenigstens hatte ich recht, was Kiran betraf. Er saß an demselben Tisch wie heute Morgen. Entweder hatte er sich seitdem nicht wegbewegt, oder der Platz war privilegiert. Zu meiner Verbitterung, saß nicht nur Damian wieder bei uns. Auch das Mädchen mit den weinroten Nägeln stand in unmittelbarer Nähe zu Kiran. Die beiden unterhielten sich lautstark. Zumindest das Mädchen, Kiran war wie immer die Ruhe selbst.
„Aha und seit wann läuft da was zwischen euch!?“ Schon aus diesem einen Satz konnte ich erschließen, dass es keine gemütliche Mittagspause werden würde.
„Wie gerufen! Komm nur her Ina!“ Ihre Stimme dröhnte in meinen Ohren. Weil ich eine Sekunde nach ihren Worten nicht reagiert habe, stolzierte sie wie ein Sturm auf mich zu. Ich sah schon, wie sie ihre Fäuste ballte und ihr helles Haare, ihr wie eine Schleppe, auf eine anmutige Art, folgte.
Gerade als ich meine Hände wie einen Schild vor mich hielt, begannen wieder diese Stiche in meinen Venen. Meine Handflächen juckten und ich befürchtete, dass sie gleich anfingen zu leuchten.
Noch bevor ich meine Arme verschränkte, baute sich Damian vor mir auf. Na super. Jetzt war ich ihm schon für etwas Dankbar.
Sie schlug wutentbrannt auf Damians Brust ein, aber er regte sich keinen Zentimeter.
„Du schlägst zu, wie ein Mädchen Chiara.“ Sprach Damian zu ihr. Chiara hieß sie also.
„Ich bin auch ein Mädchen, falls dir das entgangen sein sollte Damian!“
Damian räusperte sich. „Nein, du bist ne´ blöde Tusse und jetzt nimm deine knochigen Finger von mir, du zerknitterst mir das Hemd.“
Kiran stand plötzlich neben mir und griff nach meiner Hand. Ich blickte erschrocken zu ihr runter. Puh, alles war normal. Im nächsten Moment allerdings, warf es mich zurück in die Realität und meine Knie zitterten. Hielt er da gerade meine Hand? In aller Öffentlichkeit? Das Blut schoss mir ins Gesicht und ich wendete meinen Blick von ihm ab.
„Keine Sorge Ina, schau mich an.“ Ich zierte mich ein wenig, aber ich konnte ihm keine bitte abschlagen. Seine Wangen waren rosig und seine Grübchen deutlich zu sehen.
„Du musst lernen hinzuschauen. Dann hättest du schon früher gesehen, dass du mir das Blut in die Wangen pumpst.“ Ich kicherte und konzentrierte mich darauf, das Gefühl in den Beinen nicht zu verlieren.
„Komm, setz dich. Du hast bestimmt Hunger. Und mach dir keine Sorgen um Damian, der erledigt das schon.“
„Es ist nicht er, worüber ich mir Sorgen mache. Ich hab ein bisschen Angst um Chiara.“
„Huh?“
„Ich kann ihren Ärger schon verstehen, sie dachte bestimmt, dass sie jemand Besonderes für dich ist. Und dann tauche ich da plötzlich auf.“ Langsam realisierte ich etwas. „Es tut mir leid, falls ich etwas zwischen euch kaputt gemacht habe und du so tun musst, als würde ich dir etwas bedeuten, nur weil der Bund das so wünscht.“ Wieder schaute ich zu Boden.
Seine Finger griffen unerwartet unter mein Kinn und zogen es hoch, sodass ich ihm hätte in die Augen sehen müssen. Doch ohne auch nur eine Sekunde zu zögern berührten seine Lippen die meine. Er fuhr mir mit der Hand unter die Haare und presste seine Lippen noch enger an meine. Ich spürte seine warmen Wangen, mein Puls raste und mir blieb die Luft weg. Der Kuss war zärtlich und einfach, doch sprach mehr, als tausende Worte.
Wir lösten uns langsam von einander. Ich öffnete meine Augen erst einige Sekunden später, um den Augenblick so lange wie möglich zu genießen. Das erste, das ich sah, war sein warmer Blick, sein vertrauter Geruch zog mich noch immer in seinen Bann und ich stand einfach wie festgewachsen da. Aber das war nicht schlimm, ich wollte mich gar nicht bewegen. Nur noch ein paar Sekunden.
„Du warst von Anfang an, jemand ganz besonderes für mich.“ Mit zittriger Stimme fuhr er fort. „Ich dachte…du wüsstet das.“
Ich war keine Meisterin der großen Worte, aber er laß die Antwort aus jeder meiner Bewegung, auch wenn ich ganz still stand. Kiran lächelte mich an und biss sich dabei auf die Lippe. Er legte den Kopf zur Seite und ließ keinen Blick von mir ab. Er strich mir sanft mit einem Finger über die Wange und dann steckte er eine meiner Haarsträhnen hinters Ohr.
Seine Wangen waren rosig, meine vermutlich feuerrot. Aber ich war froh, in diesem Moment hingesehen zu haben.
Damian würde noch bekannt dafür werden, jeden Augenblick zu zerstören. Er stand ein paar Schritte von uns entfernt und klatschte in die Hände.
„Bravo, welch eine Darbietung. Mir wurde nur ein bisschen schlecht.“
Kiran sah mich an. „Ich weiß, was du denkst. Aber er ist wirklich kein übler Kerl.“
Ich lächelte Damian schief an und hielt seinem herausfordernden Blick tatsächlich stand. Obwohl er so beängstigend wirkte, fiel mir das bei ihm, überraschend leicht.
„Daran habe ich noch keine Minute gezweifelt Kiran.“ Mein ironischer Unterton war dermaßen stark, dass ich selbst etwas überrascht von mir war.
Damian war es auch, jedenfalls sah er so aus.
„Vorsicht, bissig.“ Brachte er mir entgegen und setzte sich an den Tisch.
„Dank dir ist mein Hemd zerknittert Ina.“ Fügte Damian hinzu.
„Du Ärmster. Muss deine Mutter dir etwa noch beim Bügeln unter die Arme greifen?“ Rief ich ihm schnippisch zu.
Ich erwartete eine noch blödere Antwort, allerdings bestrafte er mich mit Stille.
„Ina..?“ Kiran richtete sich ernst an mich. Noch bevor er weitersprach, kam ich selbst darauf. Ich hatte wohl einen wunden Punkt erwischt.
„Schon gut Kiran.“ Meldete sich Damian doch noch zu Wort, während er von seinem Teller aus seinen Blick an meinen Augen festkrallte. „Sie hat Feuer. Wobei, eher eine Flamme. Flämmchen, ich gratuliere Ina. Gerade hast du dir deinen neuen Spitznamen verdient.“ Damian grinste dreckig und ich wusste nicht, ob mir eine Standpauke nicht doch lieber gewesen wäre.
Kirans Haltung wurde entspannter. Er nickte Damian zu und biss in sein Brot. Ich wünschte, Damian hätte ihm das gleich getan. Doch stattdessen ließ er seinen Blick nicht von mir ab. Und in einem winzigen Moment, der auch nur eine Sekunde angedauert hatte, kam es mir vor, als hätte ich eine kleine Flamme in seinen Augen aufblitzen sehen.