Kapitel 10
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Ich war nicht nur ver-stört, ich war ge-stört.
Das erste was ich tat, als die Tür der Wohnung hinter mir zu gefallen war, war es, mir die Klamotten vom Leib zu reißen. Dummerweise ergab sich in dem folgenden Ablauf ein Problem. Ich konnte mich nicht dazu überwinden, den Haufen Leder, wegzuschmeißen. Stattdessen verstaute ich das ganze Zeug in einer Tüte und versteckte sie unterm Bett.
Ganze Zeit versuchte ich, mir die Bilder aus dem Kopf zu schlagen, die ich gesehen hatte. Doch es funktionierte nicht. Damians Gesicht war ständig und überall vor meinen Augen zu sehen. Als ich vor Nerven begann, mir einzelne Haare auszuzupfen, griff ich nach ein paar Blättern und einem Stift und setzte mich in der Küche an den Tisch.Erst schrieb ich alles nieder, was ich gesehen hatte. Dann alles, dass mir passiert ist und zum Schluss, begann ich zu zeichnen. Ich skizzierte die einzelnen Bilder, die ich ständig in meinen Träumen, oder vor meinem geistigen Auge sah.
Viel war es nicht, denn ich erinnerte mich nur an einzelne Elemente. An Dreiecke mit Strichen, Zahlen und einen Raum voller unheimlicher Menschen. Gefühlt saß ich Stunden an etlichen Theorien, aber nichts ergab einen Zusammenhang noch im entferntesten einen Sinn.Wie sollte ich Damian gegenübertreten? Sollte ich Kiran davon erzählen? Oder würde er mir für verrückt halten.
Ich wollte es mir keinesfalls mit ihm verspielen und gegen seinen besten Freund zu schießen, schien mir nicht die richtige Lösung zu sein, um ihn näher an mich zu bringen.
Es drehte sich ein Schlüssel in der Tür und ich sah schnell auf die Uhr. Mist, ich hab die Zeit vergessen. Ich sammelte schnell alle Papiere ein und stopfte sie in die Tüte mit den Ledersachen. Anschließend ließ ich mich aufs Bett fallen und deckte mich zu. Kiran stand gerade im Flur und schloss die Tür wieder hinter sich.
„Hey Ina… Ich hab mir Sorgen gemacht. Wie geht es dir?“
„Ehm, mir geht’s, mir geht’s ganz in Ordnung.“
„Damian hat mir ausgerichtet, dass es dir nicht gut ging. Es sagte, er hätte dich daraufhin nach Hause gefahren.“ Kiran zog die Schuhe aus und setzte sich zu mir ins Bett. Seine warmen Augen, gaben mir Ruhe.
„Ja, das war nett von ihm.“ Er strich mir die Strähne aus dem Gesicht und ich ergriff seine Hand.
„Er meinte, es sei nichts Wildes gewesen. Du hättest unerwartet deine Tage bekommen und hast dich, ich zitiere, eingesaut.“ Ich sah, wie er versuchte sein Grinsen zu unterdrücken.
„Ja, das war peinlich.“ Ich zwang mir ein Lächeln auf.
„Geht’s dir besser?“ Er reichte mir eine Tafel Schokolade und meine Augen blitzen auf.
„Oh ja! Viel besser. Ich liebe Vollmilch.“ Hastig nahm ich sie an mich und roch an ihr. Es gab nichts Besseres als die gute, natürliche Vollmilchschokolade.
„Meinst du, du bist heute Abend wieder fit?“ Kiran beugte sich zu mir vor und drückte mir einen Kuss auf die Stirn. Nun ließ er das Lächeln auf seinen Lippen zu. Ich grinste ebenfalls mit Schokolade auf den Lippen.
„Ja, auf jeden Fall. Mir geht’s ja jetzt schon wieder viel besser. Es sind immer nur die ersten Stunden, die mich umhauen!“ Ich freute mich, heute Abend mit Kiran noch irgendwo hinzugehen.
„Sehr schön. Damian meinte, er hätte dich bereits gefragt, ob du Lust auf das erste Saisonspiel seiner Basketballmannschaft.“ Ich schluckte und versuchte die Fassung zu bewahren. Kein Wort wollte ich über Damian verlieren und über das, was ich heute beobachtet hatte. Ich müsste zustimmen, um den Schein zu wahren.
„Ja, ich hatte schon Angst, es zu verpassen. Ich freue mich auf heute Abend.“
„Gut, dann machen wir uns jetzt noch einen gemütlichen Mittag und machen uns dann in 2 Stunden fertig. Solange kannst du liegen bleiben. Für dich gibt es heute Essen im Bett.“ Er beugte sich nochmals zu mir vor und küsste mir auf die Nasenspitze, dann auf die Wange und dann nochmal kurz auf den Mund. Er sah mich verspielt an und deckte mich bis ganz nach oben hin zu.
Kiran Hunter, du bist ein Engel.
Um 17.30 verließen wir das Haus und fuhren mit dem Auto zurück zur Schule auf das große Saisonspiel unserer Geparde. So nannte sich das Basketballteam. Sie waren die schnellsten Jäger zulande und nur ein Wanderfalke im Sturzflug war schneller als sie. Das schraubte meine Erwartungen hoch.
Wir saßen auf der Tribüne, unter der ich mich heute noch versteckt hielt. Ironie des Schicksals. Kiran kaufte ein paar Nüsse und Fanartikel. Er guckte nie aufs Geld, was bedeutete, dass ich mit Cappy und jeglichem Kram, ausgestattet war. Auf manchen Artikeln, stand das englische Wort „Cheethas“, was für Geparde stand. Kiran drückte mir Nüsse und Getränke in die Hand, während er mir die Cappy aufsetzte, einen Schal auf die Schultern legte und zum krönenden Schluss, noch eine Pfeife umhing.
„Wer hat unserer Mannschaft eigentlich den Namen gegeben?“ Kiran sah mich freudig an und schien glücklich, über mein Interesse.
„ Damian hat den Namen durchgesetzt. Ich finde ihn äußerst passend.“
„Wohl eher unterstreicht er Damians Ego.“ Kiran lachte.
„Ja, das tut er!“ Kiran wurde immer lauter, da ich ihn wegen den Menschenmassen, die sich langsam sammelten, kaum noch verstehen konnte. Doch mir entging nicht, dass er ein leidenschaftlicher Anhänger der Geparde war. Oder war er Damians Anhänger?
„Wieso liebst du Basketball so sehr?“ Auch meine Stimme wurde immer lauter.
„Damals, du weißt schon!“ Trommeln stimmten mit ein. „Als ich zu einem Jäger wurde, war Damian!“ Jetzt stampften alle um uns herum mit den Füßen und auch Kiran schien sich bereit zu machen. „… War Damian mein einziger Freund!“ Die Menge von der gegenüberliegenden Tribüne stand auf und schrie. Ich verstand erst nicht warum, doch dann sah ich, wie das gegnerische Team „Die Löwen“ das Feld betraten. Cheerleader in Orange und Braun heizten die Menge an. Auf unserer Seite, wurde es auch langsam ungemütlich, denn einige der Leute, nahmen das ganze „Fan sein“ etwas zu ernst.
Die ersten Nüsse flogen durch die Luft, dicht gefolgt von Flüchen und verbotenen Worten. Doch als die Geparde das Feld stürmten, bebte die ganze Anlage. Alle standen auf und applaudierten. Farbbomben platzen in schwarz und rot, die Leute hielten ihre Schale in die Luft und einige bemalten noch schnell ihre Gesichter. Schwarz und Rot als Farbe für Geparde? Empfand ich nicht als passend. Aber das war jedem egal. Als Damian, als letzter Spieler, das Feld betrat, rastete die Menge vollkommen aus.
Es flogen Blumen, Plakate wurden in die Luft gestreckt und hin und wieder, sah man Dessous. Ich stand auf und klatschte, versuchte mich der Begeisterung der Menge anzupassen. Aber ich stach heraus, wie ein bunter Hund. Selbst Kiran neben mir, verschmolz mit allen anderen. Sie jubelten und feierten ihr Team, als wäre der erste Weltfrieden verkündet worden.
Ich war mit den Gedanken nicht ganz bei der Sache. Immer wieder gingen mir Kirans Worte durch den Kopf. Er und Damian, kannten sich bereits von Kind auf an. Wusste Damian über Kiran Bescheid? Oder war Damian selbst ein Jäger? Doch dann verstand ich nicht, weshalb Kiran mich über ihn nicht aufgeklärt hatte.
Ich traute mich auch nicht zu fragen, zumindest war jetzt auch nicht der passende Zeitpunkt.
Unser Team führte mit großem Vorsprung und die Fans der Gegner, jubelten auch nur noch halb so laut über jeden Punkt. Denn es sah fast schon so aus, als würden die Geparde einige Treffer verschenken, um das Spiel interessanter wirken zu lassen. Nichtsdestotrotz, beruhigten sich die Schwarz, Roten Fans überhaupt nicht. Auch Kiran war in seinem Element und beachtete mich nicht einmal mehr. Ich hätte gehen können und er hätte es nicht gemerkt. Doch ich wollte ihm die Freiheit lassen, sich auszuleben. Ich glaubte, dass jede Minute, in der er ein ganz normaler Teenager sein konnte, Gold für ihn war.
Er wirkte lebendiger in diesen 90 Minuten, als in den ganzen letzten Wochen.
Nach der zweiten Halbzeit stand das Ergebnis fest. 102 zu 54, für mich war es kein aufregendes Spiel gewesen, denn von Anfang an, standen die Gewinner fest. Kiran kam langsam von seinem Rausch runter und war sichtlich beeindruckt. Er schwitze und bekam sein Grinsen gar nicht mehr von seinem Gesicht.
„Tolles Spiel!“ Rief er mir zu und ich nickte. Lange noch nicht so begeistert wie er, aber ich gab mir Mühe.
Lange galt mir eine Aufmerksamkeit nicht, denn viele seiner Kollegen klatschten ihn ab und tätschelten seine Schulter, als wäre er einer der Spieler gewesen.
„Klasse, tolles Spiel, die Saison kann kommen!“ Hörte man aus allen Ecken.
Wir standen noch eine Weile auf der Tribüne, bis Kiran entschloss, die restlichen Leute zu entschuldigen, meine Hand zu nehmen und runter zu steigen. Eine riesige Menge tummelte sich um den Star des Spiels. Kein anderer als Damian Alcandara wurde mit Lob und Anerkennung überschüttet. Kiran kämpfte sich den Weg zu seinem heutigen, persönlichem Helden durch. Ich blieb erst einmal außerhalb der Menge stehen. Mir waren solche Ansammlungen von Menschen nicht geheuer.
Ich lehnte mich an die Tribüne und sah zu, wie sie sich fast alle darum kloppten, Damian auch nur einmal zu berühren. Als wäre er ein griechischer Gott, oder sowas. Es war so laut, dass ich gar nicht bemerkt hatte, dass sich jemand neben mich stellte.
„Hey, du bist doch Ina, richtig?“ Ich war es gewohnt, dass mich die Leute bei Namen ansprachen, da sie Kiran kannten. Doch ich erwartete nicht, in diese Augen zu sehen. Blaue Augen und Kupferfarbendes Haare. Dieses Mädchen würde ich für den Rest meines Lebens wieder erkennen.
Meine Augen weiteten sich und mein Puls schoss in die Höhe.
Nur nicht die Fassung verlieren.
„Eh, ja Ina. Richtig. Und du bist?“ Ich benahm mich Neutral, zumindest versuchte ich das.
„Ich bin Evelyn, aber das weißt du wahrscheinlich.“ Evelyn lehnte sich lässig an die Wand und sah mich erwartungsvoll an.
„Tut mir leid, ich weiß nicht, wer du bist.“ An diesem Punkt, habe ich nicht gelogen. Ich habe sie gesehen, aber ich wusste nicht, wer sie war.
„Ina, tu doch nicht so. Ich weiß, dass du unter der Tribüne gesessen hast, als…“ Sie stockte.
„Evelyn. Geh.“ Damians Blick war wie ein geschliffenes Schwert, er richtete es direkt gegen Evelyn. Er brauchte gar nicht mehr viel zu sagen, denn Evelyn beugte ihren Kopf und lief hastig davon.
Er sah ihr noch kurz hinterher und wendete sich dann mir zu.
„Was hat sie gesagt?“ Sein Ton war streng.
„Nichts, nichts hat sie gesagt. Nur gefragt, ob ich, ich bin.“ Ich schluckte. Damian war ein Killer, dafür war Evelyn aber sehr lebendig. Sie schien mir lebendiger als vorher zu sein. Oder war es die andere? Und was war mit der, die Damian weggetragen hatte?
„Gutes Spiel.“ Versuchte ich das Thema umzulenken.
„Halt dich fern von ihr.“ Damian drehte sich um und unterdrückte mich mit seiner Bestimmtheit. Dann wendete er sich wieder seinen Fans zu, davon hatte er Massen.
Ich sollte mich von Evelyn fernhalten, wieso? War Damian nicht derjenige, der mich versuchte um den Finger zu wickeln um mich dann zu töten?