„Holst du bitte deine Schwester ab?“
Kaiko stöhnte.
„Wie heißt das?“, fragte seine Mutter scharf.
„Ich hab keinen Bock.“ Kaiko speicherte das Spiel, sah aber nicht auf. „Papa soll sie abholen.“
„Dein Vater und ich arbeiten uns zu Tode, um für das Haus aufzukommen. Und für deine Konsole, junger Mann!“ Seine Mutter keifte schon wieder, wie so oft in letzter Zeit. In den letzten Jahren … seit der Diagnose, um genau zu sein, seit dieser dämlichen Diagnose, als Kaiko untersucht worden war.
Er stöhnte wieder. Er wollte nicht.
Seine Mutter war mit zwei Schritten bei ihm und zerrte ihn hoch. „Du hast nur eine einzige Aufgabe in diesem Haushalt. Yuuki ist noch zu jung, um den Weg alleine zu gehen, also holst du sie jetzt ab. Oder ist das zu viel verlangt?“
„Schon gut“, stöhnte Kaiko.
Er hatte die Hände tief in den Taschen vergraben. Hatte Kopfhörer auf. Summte die Melodien mit. Was andere Passanten dachten, war ihm egal. Er schlurfte zu Yuukis Schule. Und er verfluchte jede Minute, die er hier vergeudete.
Er hatte noch Hausaufgaben zu machen. Selbst Mathe hatte er noch nicht angefangen. Zocken war ihm einfacher erschienen. Einfach drauf los ballern, den Kopf mal ausschalten. Oder ein entspanntes Spiel daddeln und in die Musik eintauchen.
Plötzlich wurde die Menge dichter. Er spürte es, spürte, wie die feinen Härchen sich aufrichteten, spürte, wie ihm die Luft wegblieb.
Er wühlte sich weiter. Stickig. Es war so stickig. Die Musik klang jetzt schief, ihm wurde übel davon.
Da, endlich, die Schule.
Blaulicht flackerte über den Köpfen der Menschen.
Kaiko kam am Straßenrand aus der Menge. Verkeilte Autos lagen auf der Straße. Dazwischen Schrottteile. Blech, Metall … ein junges Mädchen, von dem der Notarzt gerade mit einem Kopfschütteln zurücktrat. Graue Klumpen auf der Straße und auf den Reifen des Autos.
Eine eisige Faust schloss sich um Kaikos Herz. Er konnte nicht atmen. Der Himmel schien ihn zu erdrücken. Ihn niederzupressen mit einem gewaltigen Gewicht.
Das Mädchen.
YUUKI.
Er konnte nicht atmen. Konnte nicht denken.
In diesem Moment wusste er nur, dass er fort musste.
Er konnte nicht zurückkehren.
Er hatte versagt.