Helen drückte das Kissen fest an ihre Brust. Sie hasste es verlassen zu werden. Ihre Mutter hatte sie verlassen als sie vier Jahre alt war. Ihr Vater war vor drei Jahren an ihrem 22. Geburtstag verstorben und nun hatte ihr Freund Karl sie sitzten gelassen und zwar für seine Fußballtrainerin. Aber Helen wollte nicht weinen, sie wollte jemanden oder etwas verprügeln! Ihr Kissen war ihr da gerade recht gekommen und hatte all den Zorn zu spüren bekommen. Jetzt saß sie leer auf ihrem Bett und starrte auf ihre lila gestrichene Zimmerwand. Das Leben war einfach ungerecht zu ihr und außerdem hasste sie das Schicksal. Eine andere Erklärung konnte sie beim besten Willen nicht finden.Mutlos ließ sie sich auf den Rücken fallen und schloss die Augen. Kühle Nachtluft strömte durch ihr geöffnetes Fenster herein und sie begann ihre Gedanken zu ordnen.
Es war wieder Zeit. Die Jagdsaison war für ihn eröffnet und seine Beute war schon in Sicht- oder besser gesagt Geruchsweite. Der Vampir hatte sich diesmal für einen kleinen Ort am Rande der Stadt von Elvira entschieden. Diesmal stand ihm der Sinn jedoch nach dem Töten und nicht nach Hochzeit. Ohne einen Feheler zu begehen schlich er sich an sein Opfer heran. Sie hatte schönes, oranges Haar und eine weiße, glatte Haut. Was für eine schöne Vampirin sie doch wäre! Schade nur, dass er diesen Herbst schon eine Braut erwählt hatte. Seine Beute hatte die Augen geschlossen und so ließ sich der Jäger Zeit. Genüsslich leckte er sich über die blutroten Lippen und zog die Handschuhe von seinen knochigen Fingern. Dann packte er zu.
Helen wusste nicht wie ihr geschah, als sie plötzlich eiskalte Finger an ihrem Hals spührte. Doch geistesgegenwärtig sprang sie auf und entriss sich so den Klauen, die sie gepackt hatten. Blitzschnelle wandte sie sich um und sah ein Monster in ihrem Zimmer stehen. Die wulstige Stirn war zornig verzerrt und das monströse Gebiss mit den langen Fangzähnen entblößt. Bei allen guten Geistern! Vor ihr stand leibhaftig ein Vampir. Ohne nachzudenken riss sie ihre Zimmertür auf und stürzte die Treppe hinunter. Ihre Eltern waren ausgegangen und so war sie alleine zuhause. Verdammt! Panisch suchte sie nach ihrem Handy und fand es schließlich auf dem Sofa. Sie öffnete ihre Kontakte und wollte ihre Mutter anrufen, doch dann hörte sie schnelle, wütende Schritte die Treppe hinunter kommen. Eilig rannte sie in richtung Badezimmer und klickte derweil auf die Nummer am Display. Mit zitternden Händen schloss sie ab und kauterte sich in der Dusche zusammen. Sie konnte nur hoffen, dass ihre Mutter abhob..."Hallo?"Helen stockte der Atem. Das war nicht ihre Mutter. Schnell warf sie einen Blick auf den Bildschirm. 'Marlow' - Sie hatte ihren einen Studienkollegen angerufen.
"Hallo? Helen?", klang es aus dem Smartphone."Hallo", antwortete sie mit zittriger Stimme. Vielleicht konnte auch er ihr helfen."Was ist los? Warum rufst du an? Ist alles in Ordnung?" Kurz wunderte sich Helen. Marlow war normalerweise jemand, der sich nicht dafür interessierte, wie es anderen ging. Er wollte in Ruhe gelassen werden."Ich..." Helen traute sich kaum zu sprechen. Vielleich hörte sie dieser Vampir und dann...sie schluckte."Helen, sag schon!", drängte nun der junge Mann auf der anderen Seite der Leitung.
Sie schilderte ihm in knappen, geflüsterten Sätzen, was gerade in ihrem Haus geschah und war sich sicher, dass Marlow sie für völlig verrückt erklären würde."Ich bin in zwei Minuten bei dir", sagte er jedoch und legte auf.
Helen blieb keine Zeit verwundert zu sein, denn sie hörte ein Scharren an der Tür. Das Monster hatte sie entdeckt. "Komm heraus", hörte sie eine tiefe, angenehme Stimme. Sie schüttelte den Kopf. Ihr Angreifer wiederholte seine Worte, doch Helen rührte sich nicht von der Stelle.
Er verstand es nicht. Normalerweise hätte sie seinem Vampir-Charme schon lange erliegen müssen. Aber die Tür vor ihm war fest verschlossen! Was konnte das bedeuten? Schnell ging er alle Möglichkeiten in seinem Kopf durch. Sie war kein Mann, das wusste er und sie war sicherlich auch keinem anderen Vampir versprochen oder mit ihm verheiratet. Also hatte niemand so seine Macht über sie gebrochen. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. "Kommer heraus!", wiederholte er nun das dritte Mal.
"Sie bleibt wo sie ist!", knurrte jemand hinter ihm und der Vampir wandte sich blitzschnell um! Wieso hatte er diesen Menschen nicht kommen hören?
Als er den Störenfried ins Auge gefasst hatte, wusste er wo das Problem lag. Vor ihm stand ein wahrhaftiger Vertreter seiner Art. Nur um ein Vielfaches jünger als er selbst. Seine Zähne fletschend fauchte der ältere Blutsauger: "Verschwinde, das hier ist meine Beute!" Sein Gegenüber schien unbeeindruckt, denn er kam eingie Schritte näher. "Nein, sie gehört mir." Der Ältere wollte wieder protestieren, doch da erkannte er, dass der junge Vampir wohl recht hatte. Vermutlich hatte er entschlossen, dass dieses junge Ding seine Braut sein sollte. Also musste er ihn töten, wenn er seine Beute noch haben wollte. Es würde ein Kinderspiel sein...
Helen hatte gehört, dass jemand eingetroffen war und auch das dumpfe Gemurmel vor ihrer Tür hatte sie gehört. Sie hatte die Zeit genutzt sich im Raum umzusehen. Vielleich konnte sie das Biest irgendwie töten. Das Einzige, das ihr als Waffe dienen hätte können war die Vorhangstange, die an beiden Enden mit einer Spitze verziert war. Ohne nachzudenken packte sie das Erbstück ihrer Großmutter, riss die Tür auf und stach zu.
Gerade hatte der Vampir zum Sprung angesetzt, als er plötzlich einen höllischen Schmerz in seinem Herzen spürte und zu Boden ging. Er wusste genau, dass ihn jemand mit einer Waffe aus Silber durchbohrt hatte. Die Sich verschwamm ihm vor den Augen und all die Jahre, die er nicht mehr gealtert war, holten ihn ein. Dann erloschen all seine Lebensgeister.
Ein Häufchen Asche. Das war alles was von dem Monster in Helens Zimmer geblieben war. Wie hypnotisiert starrte sie darauf, unfähig sich zu bewegen."Helen?" Sie reagierte nicht."Helen?" Nichts."Helen, verdammmt!" Endlich hob sie den Blick. Vor ihr stand Marlow und blickt sie besorgt an. "Alles in Ordnung?"
"Ja...ja...", murmelte sie und fügte an, dass sie gerne ins Bett gehen würde.
Der junge Mann nickte und begleitete sie nach oben. Dann, als sie eingeschlafen war, verließ er das Haus und setzte sich auf das Dach des Gegenüberliegenden. Er würde diese Nacht über sie wachen und sie würde spüren, dass jemand da war.
Schon als er sie das erste Mal gesehen hatte, hatte er sie als seine Braut auserkoren, um sie vor anderen seiner Art zu schützen. Seinen Vampirzauber wandte er jedoch nicht auf sie an und er würde sie auch nicht 'zwingen' eine Vampirin zu werden. Eines Tages würde er sie wie ein normaler Mensch fragen ob sie mit ihm ausgehen wolle und dann würde sich alles ergeben, da war er sich sicher. Aber das hatte Zeit. Er konnte warten, denn er wartete schon so lange auf sie.