2. Kapitel
Das verborgene Reich der Pferdefrau
In der Grotte befand sich etwas Einzigartiges. Eine in sich geschlossene Welt, mit Wiesen und Pflanzen. Lea verwandelte sich nun wieder vom Regen in sich selbst und ging, sich erstaunt umschauend, über die grüne Wiese. Sowas hatte sie noch nie gesehen. Eine richtige Landschaft im Innern einer Grotte. Ihre nun nackten Füsse, spürten das weiche Gras unter sich. Alles war hier, wie draussen in der Natur, nur dass es umgeben war mit mächtigen Felswänden. Die hohe Decke wurde gestützt von einigen Säulen aus Tropfsteinen. Eine unsichtbare Sonne leuchtet hier. Sie fiel zwischen den Säulen und auch den Bäumen und Büschen hindurch, die sich hier ebenfalls befanden und malte goldene Streifen in die Luft und auf den Boden unter Lea. Auf einmal erschien das kleine Kind wieder und nahm sie an der Hand. Die beiden sagten jedoch nichts, um den magischen Augenblick in dieser mythischen Welt nicht zu zerstören. Doch Lea freute sich sehr das Kind wiederzusehen.
Ungläubig lauschte sie auf das Zwitschern einiger Vögel und das doch recht laute Gezirpe der Grillen und Heupferdchen, das von den Felswänden widerhallte. Es gab hier wunderschöne, golden leuchtende Vögel, mit langen Schwanzfedern.
Wo nur waren sie hier? Sie erreichten schliesslich eine Art Lichtung und in der Mitte dieser Lichtung, strahlte die unsichtbare Sonne ganz besonders warm. Sie malte einen Lichtkegel auf den Boden, der umgeben war mit vielen Blumen und sogar einem Wald.
Lea fragte sich, wie sie hergekommen war, irgendwas musste es mit ihrem Baum zu tun haben. Eine seltsame Aufregung, machte sich in ihre breit, ein Gefühl der Erwartung eines besonderen Ereignisses. Ihr Herz klopfte heftig und ihre Hand umschloss die des Kindes, welches ihr gerade mehr Halt gab, als sie ihm. Auf einmal hörten sie, wie etwas aus dem Wald auf sie zugeritten kam. Einen Augenblick lang, spürte Lea Furcht, denn sie dachte schon wieder an den schwarzen Ritter. Doch er konnte es nicht sein. Sie blieb wie angewurzelt in einiger Entfernung stehen und richtete ihren Blick auf den grünen Wald, in dem sich nun etwas regte.
Und dann… galoppierte plötzlich eine wundersame Gestalt aus dem Wald heraus! Die Hufe ihres weissen Pferdes, hallten dumpf auf der weichen Erde wieder und das Tier wieherte und bäumte sich in der Mitte des hellen Lichtkegels auf. Das Licht brach sich in der goldig-weissen Erscheinung der Reiterin und ihres Pferdes. Die Frau hatte langes, blondes, wallendes Haar. Sie sah wunderschön aus, mit ihrem weissen Gewand und dem golden schimmernden Mantel, dessen Schleppe sich über den Rücken ihres schneeweissen Reittieres breitete, welches ebenfalls köstliches Zaumzeug aus Gold, Silber und Weiss trug. Wenn Lea dieses Pferd so betrachtete, erinnerte sie dieses sehr an Silberstern. Silberstern hatte sowieso eine sehr wichtige Bedeutung in dieser Sache, das ahnte sie irgendwie. Und tatsächlich gleich darauf, stand Silberstern auch schon neben ihr! Er war einfach aus dem Nichts aufgetaucht! Sie freue sich sehr ihn zu sehen, streichle ihm über seine Flanken und tätschelte seinen Hals.
Die Frau zügelte ihr Reittier und dieses stand nun wieder ganz still da wie ein Standbild, umflossen von goldenem, magischem Licht. Sie schaute Lea ernst, aber freundlich in die Augen. Wie wunderschön sie war. Eine Frau mit ebenmässigen, gütigen Zügen und einer wundervoll sanften und zugleich majestätischer Ausstrahlung! Lea fühlte sich sogleich eng mit ihr verbunden. Die schöne Dame, stiess ihrem Pferd leicht die Fersen in die Flanken und dieses kam nun auf Lea und das Kind zu getrottet. Lea hörte seine Hufe recht gut, auch wenn deren Geräusche etwas von der Wiese gedämpft wurden. Unmittelbar vor ihr, blieb die Frau stehen.
Sie zeigte auf Silberstern und sprach: „Er wird dir dabei helfen, dein Vertrauen wiederzufinden.“ Lea schaue Silberstern und dann wieder die Dame an und wusste im Augenblick nicht, was sie zu ihr sagen sollte. So starrte sie einfach eine endlose Zeit des Schweigens weiter. Schliesslich wagte sie zu fragen: „Wer bist du?“ „Man nennt mich Die Pferdefrau“, erwiderte die Dame „und ich bin hier, um dir auf dem Weg zu dir selbst beizustehen. Ich will dir helfen deine Qualitäten zu erkennen und sie mehr zu leben. Nur so kannst du dich mehr und mehr von den Schatten befreien, die dich immer wieder heimsuchen. Es gibt noch einige solche Schatten, die du noch anschauen musst, doch du bist auf einem guten Weg.“
„Aber gerade noch, war ich bei der Rabenfrau und jetzt plötzlich hier.“ „Ja, die Rabenfrau dachte wohl, dass ich dir besser helfen könnte, weil ich ganz besonders mit dir verbunden bin, durch meine eigene Geschichte, durch meine Verbindung zum Meer und allen anderen Gewässern. Das Wasser ist auch dein Element und bevor du dir deiner Kernqualitäten nicht wahrlich bewusst wirst, wirst du auch niemals das grosse Potenzial nutzen können, das noch in dir schlummert. Schau mal dort drüben!“ Sie war nun von ihrem Pferd gestiegen und bedeutete Lea, dem Kind und Silberstern, ihr zu folgen. In einer etwas verborgenen Seitenhöhle der riesigen Grotte, befand sich ein riesiger, glitzernder Haufen mit Edelsteinen und anderen köstlichen Schätzen. „Bedenke meine liebe Lea!“ sprach die Pferdefrau. „Dies hier sind alles Schätze die tief in dir schlummern. Du besitzt diese Schätze und du vermagst noch so viel mehr zu geben, als du denkst. Sei dir dessen stets bewusst! Eines Tages wirst du all deine Verletzungen loslassen können und wirst auf wundersame Weise befreit werden, von so vielem dass dich heute noch belastet!“ Lea blickte ungläubig auf den riesigen Haufen von Edelsteinen. „So viele Schätze… in meinem Inneren?“ fragte sie etwas ungläubig. Die Dame nickte und lächelte dabei warm. „So ist es.“ Sie werden hier für dich aufbewahrt und irgendwann wirst du sie alle dein eigen nennen können.“ Lea nickte… sie verstand was die Pferdefrau meinte und grosse Freude durchströmte ihr Herz. Es ging ihr schon wieder viel besser als noch kurz zuvor.
Ich danke dir liebe Pferdefrau, aber sage mir, warum denkst du, dass wir so vieles gemeinsam haben, von der Geschichte her und so?“ „Du wurdest von deiner Familie oft ziemlich kritisch und misstrauisch behandelt. Nicht selten zweifelte sie an deinen Fähigkeiten, oder wenn sie an deine Fähigkeiten auch geglaubt haben, liessen sie dich das nur selten spüren. Das verbindet uns. Auch deine Verletzungen im Hinblick auf andere Menschen, jene Menschen, die dir auch sonst übel mitgespielt haben, hat viel damit zu tun, was ich mit den Menschen erlebt habe. Aber setzen wir uns doch etwas!“
Die Dame führte Lea und ihre Begleiter zu ein paar steinernen, von weichem Moos überwachsenen Banken, mit bequemer Lehnen, welche um eine Feuerstelle herum angeordnet waren, worin nun ein warmes, flackerndes Feuer brannte. Lea seufzte wohlig auf und liess sich auf eine der Banken fallen. Das Kind setzte sich dicht neben sie und das gab ihr ein wunderbares Gefühl von Geborgenheit. Sie hielt ihre Hände und Füsse in die Nähe des Feuers und merkte erst jetzt, dass sie eigentlich ziemlich durchfroren war. Nun jedoch zog wieder wundervolle Wärme in ihr Herz und ihren Körper ein. „Ich danke dir, liebe Pferdefrau“, sprach sie dankbar und lächelte die Dame an. Tatsächlich glaubte sie in ihr eine ganz besondere Vertraute gefunden zu haben. „Du hattest also auch schlechte Erfahrungen mit Menschen?“ fragte sie „Lebst du deswegen hier?“ „Eigentlich lebe ich hauptsächlich in meinem Haus oben auf der Klippe, aber hier bin ich auch oft. Es ist meine Pforte in die Anderswelt. Ich reise gerne zwischen den Welten hin und her. Du scheinbar auch.“ Sie schmunzelte vielsagend. „Ja. So scheint es wohl zu sein, “ erwiderte Lea nachdenklich. „Ich bin eigentlich durch den Baum meiner Kindheit hierhergekommen.“ „Ja, ich weiss, dieser Baum hat für dich eine wichtige Bedeutung, unterschätze sie nicht. Wie ich sehe, hast du auch das Kind bei dir!“ Sie deutete auf den Jungen neben Lea. „Ja, ich habe ihn gerade wiedergefunden. Seltsam eigentlich, dass er ein Junge ist und kein Mädchen. Dabei bin ich doch eine Frau.“ „Das hat alles seine Bedeutung. Wenn der Augenblick reif ist, wirst du auch das Mädchen kennenlernen. Doch das Mädchen ist noch immer sehr verletzt und hat grosse Angst, darum ist es noch nicht aufgetaucht.“ „Es hat Angst?“ „Ja, denn du hast noch manchen Dämon in deinem Leben, der es bedroht, oder durch den es sich bedroht fühlt.“ Der Blick der Dame wurde von Sorge überschattet, als sie das sagte. „Ja eben, dieser schwarze Ritter. Ich weiss mit ihm einfach nichts anzufangen.“ „Vielleicht, weil es noch einige andere Schritte braucht, die du machen musst, bevor du ihn wirklich verwandeln kannst.“ „Verwandeln…“ erwiderte Lea gedankenverloren. „aber in was oder wen denn bloss?“ „Das wirst du zum gegebenen Zeitpunkt schon noch herausfinden. Nun jedoch, will ich dir noch etwas anderes zeigen. Komm mit mir!“...