Der dunkle Mann, wich nun etwas von ihr zurück und es kam Lea vor, als würde er immer kleiner und kleiner werden. So verminderte sie auch ihre Grösse wieder und sprach: „Ich werde nicht mehr gegen dich kämpfen, denn eigentlich habe ich dich selbst zu dem Zuchtmeister gemacht, der du geworden bist. Ich bin selbst dieser Zuchtmeister…“ Sie nahm nun wieder eine versöhnlichere Gestalt an, die Gestalt einer immer noch indischen Frau, welche jedoch Liebe und Mitgefühl ausstrahlte, mit langen wallenden glänzenden Haaren und hellblauer Haut. „Ich will kein solcher Zuchtmeister mehr sein, sondern ich will mich und damit auch dich verwandeln…“ Der Dämon schrumpfte nun noch mehr, seine Augen wurden auf einmal viel weicher und seine Gestalt veränderte sich ebenfalls in eine etwas Versöhnlichere. Lea streckte ihre feingliedrige Hand aus, deren Finger mit wunderschönen Türkisringen geschmückt waren und legte dem Mann diese auf sein Herz. Dann sprach sie: Ich muss dich verwandeln, so dass du das Gegenteil von dem wirst, was du bist, oder zumindest fast das Gegenteil! Du sollst dich von meinem „Zuchtmeister“ in meinen „Befreier“ verwandeln, denn eigentlich bist du das, was aus der ständigen Kritik, die meine Umwelt an mir übte und die ich dann auch selbst an mir übte, einst geworden ist. Du hattest dir Form von Mara, weil du das dargestellt hast, was mich unfrei machte. Dinge die mich hindern fröhlich zu leben, Freude zu empfinden. Vielleicht muss ich gewisse alltägliche Zwänge wirklich als Illusionen sehen lernen, denn sind diese überhaupt da? Muss ich sie vielleicht gar nicht als Zwänge sehen, sondern einfach in mein Leben integrieren, wie dich? Und wenn ich das tue, erscheint mir dann womöglich alles gar nicht mehr so von Zwängen erfüllt, lerne ich sie vielleicht gar als Geschenke sehen?“
Du hast mir vor Augen geführt wie sehr man sich in gewissen Illusionen der materiellen Welt verlieren kann. Das ist dieser Innere Richter, dieser kritiksüchtige Dämon. Ein Dämon, der einem täglich seine eigene Unzulänglichkeit vor Augen führt. Doch ich begreife, dass diese Unzulänglichkeit nichts Schlechtes sein muss. Es ist ein Teil des Lebens, ein Teil von mir, den es anzuerkennen gilt und gelingt mir das, dann werde ich auch freier werden. Ich will mit selbst von heute an mehr Liebe zukommen lassen und weniger Kritik. Ich will mich nicht mehr durch diese Illusionen der Unfähigkeit beeinflussen lassen. Ich bin die ich bin und ich denke, ich darf mich selbst auch lieben und… wenn ich das wahrlich tue, dann macht mir auch Kritik von aussen weniger aus… So also, Dämon meines inneren Richters: Ich gebe dich frei. Geh wohin du willst, verwandle dich wenn du willst! Du musst dich nicht mehr um mich kümmern, denn das kann ich ganz gut selbst… Es ist Zeit immer mehr zu vergeben und ich vergebe auch dir!“
Der Dämon schaute Lea einen Moment unsicher und zugleich erfreut an und er war nun schon viel ansehnlicher: Ein eher jüngerer Mann mit klaren, braunen Augen und dunklem, kurzgeschnittenem, glänzendem Haar. „Du gibst mich frei?“ „Ja, das tue ich. Das ist doch eigentlich das was du schon lange wolltest. Nicht wahr?“ „Ja… eigentlich schon… Ich…“ Er wirkte auf einmal etwas hilflos. Immerhin war er gerade seiner bisherigen Aufgabe beraubt worden. Lea, welche nun wieder ihre alte Gestalt hatte, lächelte ihm aufmunternd zu. Der Mann drehte sich um und ging davon. Vor ihm tauchte nun auf einmal eine helle Öffnung auf. Er ging darauf zu und dann… nachdem er sich noch einmal kurz umgedreht hatte, breitete er seine Arme aus und wurde zu einem weissen Vogel, welcher sich nun in die Lüfte erhob und davonflog. Lea schaute ihm zufrieden nach und dann ging auch sie auf die helle Öffnung zu. Sie durchschritt diese und… vor ihr lag der wunderschöne Strand, der Heimat der Pferdefrau...!
7. Kapitel
Abendritt
Lea atmete tief und voller Glück die frische, salzige Meeresluft in ihre Lungen! Wieder hatte sie einen grossen Sieg errungen und sie war sehr stolz darauf. Sie schaute sich um und stellte fest, dass sie sich im Eingang einer Höhle befand, welche einst vom Meerwasser in den Fels hineingefressen worden war. Mittlerweile war die See so weit zurück gewichen, dass sich eine kleine, trockene Bucht gebildet hatte. Etwas weiter hinten sah sie das silbrige Meerwasser, welches den kleinen, flachen Strand sanft rauschend umspülte. Und dort… stand die Pferdefrau! Sie sass auf ihrem wundervollen Schimmel mit dem goldenen Schweif und der goldenen Mähne und ihr ebenfalls weisses, jedoch eher einfaches Gewand, flatterte im Wind. Ihr Mantel wallte hinter ihr wie die Wellen des Meeres selbst und ein wundersames Strahlen ging von ihr aus, als sie Lea liebevoll entgegenlächelte. Neben ihr tänzelte Silberstern freudig herum. Lea ging auf ihre beiden Freunde zu und die Pferdefrau sprach: „Alle Achtung Lea! Du hast wieder einen sehr wichtigen Schritt gemacht. Zu hast einen weiteren dunklen Teil deiner selbst verwandelt. Nun wird es Zeit, dass ich dir noch ein wenig meine Welt zeige!“
Lea fühlte sich so befreit, wie schon lange nicht mehr. Sie schwang sich auf den Rücken von Silberstern, welcher sie ebenfalls freudig begrüsste und dann preschten sie los! Die Pferdefrau voraus, galoppierten sie über den hellen Strand. Das flache Wasser unter den Hufen ihrer Pferde, spritzte schäumend auf. Ihre Spuren gruben sich tief in den feuchten Sand. Es war so ein wundervolles Gefühl, über den weichen Grund zu fliegen und Lea, welche ebenfalls in Weiss gekleidet war, fühlte sich wie ein Vogel... wie dieser wundersame Vogel, zu dem der dunkle Mann- ihr innerer Richter, geworden war. Seit dies geschehen war, spürte auch sie die Freiheit und innige Zufriedenheit, tief in ihrem Herzen. Manch Schweres fiel von ihr ab und je länger und schneller sie über den Strand und schliesslich hinauf auf die Klippen galoppierten, umso ferner erschien ihr alles Leid, umso mehr spürte sie, wie gewisse traurige Erfahrungen und Gefühle ihres Lebens, von ihr hinabglitten, abgeschüttelt wurden, wie dunkler Ballast, der sie schon viel zu lange beschwert hatte. In diesem Moment fühlte sie sich vollkommen glücklich und nichts konnte gerade ihr Glück trüben.
Sie hatten nun den oberen Klippenrand erreicht und gingen in einen gemütlichen Trab über. Lea atmete tief ein, schaute über das weite Grasland zu ihrer Linken und hinaus auf das Meer, zu ihrer Rechten. Langsam wurde es Abend und der, mit einigen Wolken verhangene Himmel, verfärbte sich rotorange. Die dunkelgrauen Wolken, wurden von dem feurigen Schein einseitig beleuchtet, was ihnen ein magisches, lichtdurchwobenes Aussehen verlieh. Die Sonne ging nun westlich über einer der etwas niedrigeren Klippen unter, welche weit hinaus ins klare, von dem nun roségoldenen Schein durchtränkte Meer, ragte. Die Wellen kräuselten sich sanft und es entstanden dabei immer wieder neue Muster.
Lea war stehen geblieben. Ein kühler Wind blies hier, liess ihr Gewand und ihr nun goldblondes Haar flattern. Doch seltsamerweise fror sie nicht. Sie blickte verträumt auf all die Wunder um sich herum und erinnerte sich an ihre Zeit damals in Wales zurück. Ja… es musste wirklich derselbe Ort sein, nur noch viel schöner und verzauberter. Während das Meer dunkler und dunkler wurde, die Sonne immer mehr hinter den Klippen versank und noch ihren letzten, jetzt dunkelroten Funken über die rauen Steine sandte, begannen im Wasser plötzlich kleine, weiss-silberne Lichtlein sichtbar zu werden! Sie glitzerten und funkelten, als ob helle Glühwürmchen sich unter der Meeresoberfläche versammeln würden, überall erschienen sie, schwarmweise.
„Was ist das?“ fragte Lea verwundert an die Pferdefrau gewandt. „Das sind die Feen des Wassers, sie versammeln sich immer bei Einbruch der Nacht zu ihrem Tanz, um das Mondlicht zu begrüssen, welches alle Gezeiten lenkt und eine wichtige Rolle in ihrem Leben spielt. Je heller der Mond scheint, umso heller leuchten auch die Feen. Der Mond ist für uns alle sehr wichtig Lea! Er verbindet uns mit der tiefsten, mütterlichen Energie des Universums. Ich finde es wunderbar, im Mondschein spazieren zu gehen und all die Wunder zu entdecken, welche im silbernen Zwielicht auf uns warten.“ „Die Menschen, haben den Mond oft missbraucht“, erwiderte Lea. „Sie haben Geschichten erfunden, von Werwölfen und anderen Kreaturen, die am liebsten im Mondlicht ihr Unwesen treiben und Schreckliches anrichten.“ „Ja, ich weiss und doch… all diese Kreaturen der Nacht, sind eigentlich oft Symbol für die Furch der Menschen, vor der Magie, die sich vor allem bei Vollmond stets über die Welt legt. Auch vor diesen Geschöpfen der Nacht, müssen wir immer mehr die Angst ablegen!“ „Ja…“ gab Lea nachdenklich zurück „Vielleicht kommt die Angst ja auch daher, weil wir durch diese Geschichten mit unseren inneren Schatten in Berührung kommen.“ „Es hat etwas, ja“, bestätigte die Pferdefrau. „Es ist seltsam…“ sinnierte Lea „seit ich schon einige meiner Dämonen umwandeln, oder zumindest etwas eindämmen konnte, habe ich schon vor vielem weniger Angst als vorher. Ich fühle mich irgendwie sehr sicher und geborgen hier, auch wenn die Dunkelheit hereinbricht…“ Lea schaute weiterhin den kleinen Lichtern zu, welche unter der Oberfläche des Meeres immer weiter tanzten und die Wellen zum Glitzern und Funkeln brachten. Der Mond war heute tatsächlich voll und sein silbernes Licht überflutete alles. „Ist das nicht einfach wunderbar!“ seufzte sie. „Ja, das ist es“, sprach die Pferdefrau und ihre sonst schon lichtvoller Erscheinung, kam nun im silbernen Mondschein, noch mehr zur Geltung. Sie schien von innen heraus zu leuchten, wie eine silbrig- goldene Kerze. Lea hoffte auf einmal sehnsüchtig, dass diese wundervolle Frau wirklich ein Teil von ihr wäre, doch das konnte kaum sein. Sie war bestimm eine besondere Helferin, oder einfach eine Qualität, mit der sich Lea gerade verband, welche jedoch nichts viel mit Lea selbst zu tun hatte.
Als würde die Pferdefrau ihre Gedanken erneut lesen, sprach sie ernst und leicht tadelnd: „Du glaubst immer noch viel zu wenig an dich Lea, das ist dein Problem.“ „Ja, muss wohl so sein. Ich bin einfach noch nicht so weit. Bist du denn ein Teil von mir?“ fragte sie vorsichtig. Die Pferdefrau lächelte vielsagend. „Das, meine liebe Lea, musst du schon selbst herauszufinden. Doch komm mit, ich will dir noch etwas anderes zeigen!“ Sie stiess ihrem Reittier die Fersen in die Flanken und galoppierte erneut los. Der Wind pfiff Lea um die Ohren und sie roch die frische, kühle Luft und den Duft der Pferde, den sie schon immer so geliebt hatte. Sie überliess Silberstern voller Vertrauen die Führung und legte ihre Wange auf seinen kräftigen Hals, dessen weiche Mähne flatterte. Aus diesem besonderen Blickwinkel, betrachtete sie, wie die Welt an ihr vorbeiglitt, die vielen Lichter die überall im Meer funkelten, die glitzernden Sterne am aufklarenden, nachtschwarzen Himmel, der silberne Schein des vollen Mondes, der allem eine ganz besondere Magie verlieh. Sie konnte richtig loslassen, sich einfach nur treiben lassen, wohin sie auch immer von der Pferdefrau geführt wurde. Wohin sie ihr Schicksal noch führen mochte. Sie hatte gelernt mehr zu vertrauen und so vertraute sie auch darauf, dass sie irgendwann alle Antworten auf die Fragen finden würde, die sie noch umtrieben.
Die Pferdefrau hielt nun an und Lea erblickte vor sich erneut den ihr so vertrauten Baum ihrer Kindheit. Er ragte dunkel in den etwas helleren Himmel empor. Seine Äste, wie Arme, dem Sternlicht entgegenstreckend, welches durch das raschelnde Blattwerk fiel. Und hier… sass ein weiters Kind, diesmal aber weibliches Kind, im Schutz des rauen Stammes...