Auch wenn er sich, wie die Abende zuvor, zum Schlafgehen bettete und vornahm es geschehe in jener Nacht. Weder Hoffnung noch feste Überzeugung oder Glauben, vermochten seine Wünsche in Erfüllung gehen lassen. Wie auch.
Stets bliebe ihm am Morgen darauf nur ein Hauch von Erinnerungen, an welche er sich hätte klammern können. Vikka, die alte Vettel des Dorfes, meinte unermüdlich, dass sofern man nur fest genug an etwas glaubte und dachte, einem die nächtlichen Träumereien neuerlich zu teil würden. Nun ja, was aber, wenn es da nicht allzu viel gab, woran er festhalten konnte, um seine Gedanken dahingehend zu lenken?
Wie dem auch sei. Seit diesem ersten Mal ... dieses ... sonderbare wie urschöne Wirken. Dieses Gefühl. Tun zu können, wonach es jeden Freien trachtete. Alltäglich des Morgens, wenn ihn sein Tagwerk aus der Schlafstatt rief, war es ihm wie eine Moorblase. Ja, der Vergleich passte, beschloss er. Oftmals hatte er beobachtet, wie sich eine solche bildete und lange dabei zugeschaut.
Erst blieb es ein kleines Nichts. Nichts weiter als eine winzige Erhöhung. Es hätte so ziemlich alles sein können oder ... tja, einfach nichts. Irgendwann liefen dann Schlieren über diese Wölbung, die stetig anwuchsen. Farbenfrohe Fäden, einem Schleier gleich, zeichneten sich darauf ab. So modrig stinkend es auch danach immer riechen mochte ... es ging ihm um den Augenblick. Die vielen unzählbaren bunten Bilder obenauf waren ihm wie diese seltenen Nächte, derer er sich verzehrte.
Manchmal waren sie ... anders wiederum ... egal, zurück zu zur Sache.
Wiedereinmal schalt er sich einen Narren. Wie bitte sollte sein Wunsch in Erfüllung gehen, wenn er ständig abschweifte, anstatt sich zu konzentrieren? Wie viele Nächte lag er einfach so da und fragte sich, weshalb ihm die erhofften Träume fernblieben? Bemühte er sich denn nicht gebührend? Waren seine Anstrengungen, an diesen einen Wunsch festzuhalten und zu glauben etwa nicht genügend?
Wissend verzog er nebst krauser Stirn auch die Mundwinkel. Tief atmete er ein und schüttelte den Kopf. »Dann halt noch einmal auf Anfang«, murmelte er vor sich hin.
Es knarzte nicht weit von ihm entfernt. »Arryn, wenn du schon über Nacht bleibst, um mit zu kommen, dann tu gefälligst auch, weswegen du hier bist. Wir müssen Früh raus. Schlaf endlich.«
»Ja, das mache ich. Tut mir Leid Großvater.«
Anstatt einer Antwort erhielt er ein bestätigendes Grunzen und lauschte abermals dem stöhnen der trockenen Lederstreifen, mit welcher die Betten bespannt waren.
Ighert war immer schnell zu beschwichtigen, wenn es um seinen Enkel ging. Obgleich oder gerade deswegen wusste Arryn ihn auch zu schätzen. Allen voran hatte er ihn unendlich Lieb, wenngleich die alte Vikka einmal erwähnte, dieser sei gar nicht sein richtiger Großvater. Sie hatte sich verplappert. Das taten vergreiste Leute oftmals, gestand ihm das Liebste, was ihm nach seiner Mutter geblieben war. Auch wenn es stimmen mochte, so schwor sich der Knabe, war er und blieb er, was er in ihm sah. Einen liebevollen Menschen, mit einem herrlich sympathischen Lächeln. Dieses erinnerte ihn an seine Mutter. Es war selten, wenn nicht sogar fast undenkbar geworden, dass diese ein solches auf die Züge bekam. Allein schon aus diesem Grunde konnte es gar nicht stimmen.
Er spürte mehr, als das er es wahrlich hörte. Ein Gefühl ... etwas in seinem tiefsten Inneren. Es war ein Sein, das er an sich, nicht bewusst steuerte, noch hätte können.
Wir kennen das doch alle, oder? Es gibt da diesen einen Punkt, einen Ort im Leben, den man sich am sehnlichsten wünscht; diesen hingegen niemals mit Händen fassen, noch mit Augen erfassen zu vermag. Dieser existiert rein in unserem Kopf. Dort, wo alles zusammenläuft. Der Knabe war noch Jung und so verstand er die Zusammenhänge nicht. Seht es ihm nach.
Gleichwohl Arryns Großvater, so auch Vikka ihn von diesen Dingen erzählten und versuchten zu erklären, beharrte er felsenfest auf seine Darlegung. »Wie ein wahrhaftig Großer«, hatte die Vettel laut lachend getost. Sein Großvater jedoch musterte beide abwechselnd - mit seltsam getrübtem Blick. »Du bist noch viel zu Jung, als dass du über solch Dinge ... so ... reden solltest.«
Es schien ihm, als würde sich etwas Helles, Strahlendes, unmittelbar bei ihm aufhalten, wohl wissend, dass dem nicht sein konnte. Großvater schlief im selben Raum, ganz in seiner Nähe, und wachte über seinen Schlaf. Seine Empfindungen machten Freudensprünge, als ihm in Bewusstsein sickerte, dass er wiedermal an diesem einen Ort der Herrlichkeiten schwelgte. Vikka behielt Recht. Man musste wahrhaftig nur fest genug daran glauben und hoffen, dass es passiert. Nun, es dauerte etwas länger als angenommen aber es geschah. Ob man während des Schlafens lächeln konnte? Arryn würde dies jetzt sicherlich tun.
Klänge erreichten sein Gehör. Eine Melodie, gespielt auf einem Instrument, welches höher ragte, als er mit seinen jungen acht Jahren gewachsen. Fäden verliefen senkrecht und surrten im Takt zupfender, geschmeidig, weiß schimmernder Hände. Begleitend sang eine klangvolle, gleichwohl heiser anmutende Stimme. Arryn war sich dessen nicht gewiss, ob sie mit belegtem Timbre musizierte oder nur lieblich leise vor sich hinsang. Im Endeffekt für sich allein ... oder?
Egal wie sehr er es auch versuchte, der Blick auf ihre Gestalt, ihrem Gesicht, blieb ihm verwert. Er durfte in diesem Moment nur lauschen und er tat es mit Hingabe. Er glaubte, die Töne gar bis in die feinen Haarspitzen der Arme spüren zu können. Eine Erinnerung. Irgendwo und irgendwann lauschte er schon einmal dieser Melodie. Sie kam ihm sonderbar gleichwohl bekannt vor.
Die Musik begleitete ihn noch, als er unter seinen Füßen nichts weiter entdeckte als grenzenlose Tiefe. Nein, nicht nur das. Als wenn dies allein nicht bereits bemerkenswert genug sei. Die Luft, die er atmete, war kalt und klar. Gänzlich ohne Gerüche und Ausdünstungen, die ein Mensch überall hinterließ. In seine Ohren drängte sich ein Tosen, so als würde direkt neben ihm der gewaltige Flügel der Mühle dem Wind trotzen. Er neigte den Kopf zu allen Himmelsrichtungen, nur um endlich zu begreifen, von was er da nunmehr seit Monaten träumte. Er glaubte im Schein der Sonnenstrahlen Bedeutendes glitzern zu sehen und hielt auf einen kristallklaren See zu. Aus einem kleinen unscheinbar wirkenden Punkt wurde zusehend etwas Großes mit ausladender Spannweite. Ein graziler wie langer Hals.
Arryn wollte die Wesensart gerade benennen, sich selbst Gewissheit verschaffen, dass er über den Traum hinaus begriff, als er unsanft gerüttelt und geschüttelte wurde.
Seine schwerfällige Art, sich unbekümmert zu halten, viel in sich zusammen und begann zu stürzen. Der Boden, mit aufragenden Baumbeständen, näherte sich ihm unaufhaltsam. Sein Urteil würde unumgänglich sein und so krachte er in die spitz zu laufenden Fichten. Wie Speere oder Lanzen standen sie aufrecht da und erwarteten seinen Leib.
»Arryn. Junge komm wach auf. Wir müssen los. Weiher wartet nicht auf uns.«