Schweigend fuhren sie des Weges. Vorbei an Häusern, deren Bauweise und Prunk Arryn faszinierte. Niemals hätte er geglaubt, dass man so ohne Weiteres drei Stockwerke aufeinander setzen konnte. Die breiten Wege diesseits des Walles waren gänzlich ausgebaut und mit Pflastersteinen ausgelegt. Von Erzählungen wusste er, dass es sich um Straßen handelte. Ob die gesamte Stadt so aussah? Sie mussten allesamt unheimlich Reich sein und der König mächtig Stolz.
Ighert lenkte den Karren nur ein einziges Mal von der Hauptstraße ab, welche sie bis hinab zum Hafen führen würde. Hier waren deutlich mehr Leute auf den Beinen und es roch nach allem Erdenklichen. Arryn knurrte der Magen, als ihn diese vielen leckeren Düfte erreichten und seine Nase umschmeichelten.
Gewürze, Gebackenes wie Gebratenes und all das wurde zum Kauf feilgeboten. Die Waren, die er zu Gesicht bekam, reichten von einfach bis aufwändig. Insgesamt hielten sie an vier unscheinbaren Ständen und übergaben mitgeführte Erzeugnisse aus ihrem Dorf. Aufgezogene und getrocknete Kräuter wurden hier, in Weiher, weiterverarbeitet. Grober Leinen und Garn wurden eingetauscht gegen Werkzeuge. Sogar Felle und Leder wechselten ihren Besitzer.
Der letzte Halt führte sie zu einem kleinen abschüssigen Vorhof. Hasen hingen kopfüber auf langen Stangen. Arryn erspähte eine ganze Hand voll Langbogen, die entspannt an der Hauswand lehnten. Großvater unterhielt sich mit einem schlaksig wirkenden jüngeren Mann, der ihm einen Beutel reichte und auf dessen Schulter klopfte. Offensichtlich handelte es sich um Geld. Von irgendetwas musste Ighert schließlich leben. Sie führten mehrere Stiegen mit sich, in welchen handgefertigte Pfeile verschiedenster Machart lagen. Mitgenommen hatte sein Großvater Jagdpfeile. Dies würde sodann auch die vielen Hasen erklären. Der Mann war ein Jäger und die Tiere vermutlich von den Feldern.
Bei jedem Besuch, so wie Ighert die Stopps nannte, überreichte er seinem Enkel ein Mitbringsel. Ein ledergebundenes Täschchen, welches mehr einem Futteraal für ein Messer glich, einen gebackenes Küchlein, ein Stück Hasenkeule und etwas Besonderes. So zumindest hielt er es dafür. Es war weder ausgefallen noch originell aber es sollte ihm gehören. Es war ähnlich dessen, das er kürzlich und das erste Mal eigenständig handhaben durfte. Das Lächeln seines Großvaters trieb ihm Tränen in die Augen.
»Hiermit wirst du deine eignen Pfeile zur Vollendung schnitzen. Es gehört dir.« Bekräftigend wurde sein Grinsen noch breiter. »Ganz allein dir.«
Arryn hielt das kleine Schnitzmesser wie ein Schatz vor Augen und strahlte, wie es nur ein Kind vollbringen mag.
»Großvater?«
»Hebe dir deine vielen Fragen für den Rückweg auf, ja? Wir wollen kurz hinab zum Hafen. Ich möchte mir vorher dieses Schiff ansehen, von dem der Hauptmann sprach. Danach besuchen wir noch einen alten Freund, bevor ich meinen Auftraggeber aufsuche.« Ighert wusste nur zu gut um die Neugierde seines Enkels und hoffte mit dem Geschenk diese zumindest ein wenig abgemildert zu haben. Ihm selbst brannten unzählige Fragen unter den Nägeln, deren Antworten er sich in Kürze erhoffte. Es gab da glücklicherweise jemanden, der ihm noch eine Gefälligkeit schuldig blieb.
»Einen alten Freund? Großvater scheint viele alte Freunde zu haben.« Arryn huschte ein Schmunzeln über die Lippen, als er daran dachte und kurz überlegte, diesen laut auszusprechen.
Weiher war nicht wie Hewe oder Lullin. Es galt ebenfalls als Küstenstadt, verfügte aber nicht wie angenommen über einen direkten Zugang. Der gesamte Hafenbereich, die Docks und Piere waren weit in die See hineingebaut. Lagerstätten und Bootsbauer ließen sich auf Trassen nieder. Es bedurfte so mancher Muskelkraft und Anstrengung, diese Plateaus ins Landesinnere zu treiben. Ein riesiges Areal, welches nebst Handwerk auch etliche Wohnstätten Platz bot. Gemeinhin war dieses gesamte Gebiet als Hafenviertel tituliert.
Man bedenke jedoch, dass sich nicht ausschließlich die Armen dort aufhielten. Der Hafen bot Raum für viele. Hier wohnten, arbeiteten und lebten so ziemlich alle Lebensschichten, die sich Weiher als Heimat erkoren. Man sprach sogar vom Nabel der Stadt. Nicht verwunderlich also, dass in diesem Viertel ebenso einige der Zünfte ansässig wurden.
Vom obersten Plateau aus, von jenem, welcher die Grundsohle der Königsstadt bildete, vermochte man weit über das Meer hinausblicken. Nichts als Wasser und bekannte Segel. So weit das Auge reichte. Bis auf eines.
Dieser Haudegen. Hauptmann Baltha hatte nicht übertrieben. So zumindest in der Ausführung des fremden Schiffes. Es lag dort unten mit gerefften Segeln vor Anker. Eine schwarze dreimastige Karacke. Ighert schätze deren Maße auf nicht weniger als einhundertzwanzig Meter in der Länge und nicht minder fünfundzwanzig in der Breite.
Ein mulmiges Gefühl beschlich sich seiner Brust. Sein Medaillon wurde ihm schwer. Dennoch oder gerade aus diesem Grunde wies er Arryn an, bei dem Karren zu verweilen. Er würde weiter hinabgehen und nachsehen. Schwarz war schon immer eine unheilvolle Farbe und würde sich mit dem gesagten seines einsten Freundes decken. Er ballte die Hände zu Fäusten und atmete tief durch. Bleibt zu hoffen, dass er ihm kein Unrecht antat. Hoffentlich.