»Arryn richtig? Dein Großvater, ein guter Freund von mir ...« Der Sprecher drehte seine Handinnenflächen nach außen und weitete seine Arme. »eigentlich von allen hier, hat mir viel von dir erzählt.« Ein Lächeln umschmeichelte sein gegerbtes, von Falten durchzogenes Gesicht.
Der Junge war sich unsicher, wie er sich korrekt verhalten sollte. Er war noch nie in einem solch riesigen Gebäude, gleichwohl er von deren Vorhandensein wusste. Bisweilen kannte er nur die Hütte seiner Mutter, seines Großvaters und jener der Anderen. Sicher, in einem für seine Begriffe größerem Haus war er bereits zu Besuch aber in einem Bauwerk wie diesem? Bereits die Häuser der Vorstadt, nahe dem See, empfand er als bemerkenswert. Die Mauer hingegen fast schon unglaubwürdig, hätte er diese nicht mit eignen Augen gesehen. Die vielen Eindrücke des Tages hatte er noch nicht einmal verarbeitet und führte hier und jetzt ein Gespräch mit dem Vorsteher, dem Verkünder, der Glaubenseinrichtung. Erstaunlich, wen Großvater alles kannte. Seine liste der Fragen wuchs stetig an und er wusste nicht, wann er all diese ansprechen solle. Die Fahrt, zurück nach Hause, würde hierfür bestimmt nicht ausreichen.
Arryn sah sich derweil um und nestelte an seinem Hosenbund. »Ja«, gestand er kleinlaut. »Wo ... wo ist Großvater?«
»Habe keine Furcht mein Junge. Hier kann und wird dir nichts widerfahren - versprochen.« Der Jüngling nickte, verstand jedoch nicht wirklich die Tragweite dessen, was Alam anzudeuten gedachte. Es bestand für ihn, nach Lage der Dinge und abwägen sämtlicher Eventualitäten, durchaus eine gewisse Gefahr. Der Alte hoffte inständig, dass seine Sorgen unbegründet und Ighert fähig blieb, diese dunklen Bedenken zu zerstreuen. »Du weißt doch sicherlich von dem bevorstehenden Auftrag?«
Nun endlich lächelte Angesprochener. Auch seine Hände beruhigten sich. Er hob die Mundwinkel. »Ja, natürlich.« Er trat näher an den alten Mann heran und schien zu warten.
»Oh, verzeih. Bitte setz dich doch.«
Besonnen, weiterhin lächelnd kam Arryn der Einladung nach. »Danke sehr.«
»Bemerkenswert.«
»Was denn?«
»Du bist noch so Jung und weißt dich dennoch zu benehmen. Mein Junge, was würde erst aus dir werden, sobald du eine Lehre besuchst?« Alam ergriff die zierliche Hand Arryns und drückte diese. Nicht fest, nur so kräftig, dass ihm bewusst sei, wer in diesem Raum das Sagen hatte. Nicht dass es ihm überhaupt möglich wäre, dem Knaben wehzutun aber eine gewisse Ordnung musste er schließlich wahren.
»Ich bin doch schon in Lehre. Großvater bringt mir bei, wie ich Pfeile schnitze.« Stolz schwang in seiner Stimme und seine Augen spiegelten ein jenes wieder. »Bald lerne ich, einen richtigen Bogen zu bauen. Es kommt auf das Holz an, weißt du?«
Alam schmunzelte. Es war faszinierend, wie dieser Junge einerseits altersgerecht schien und andererseits die Form wahrte. Ighert sprach, als wäre dieser wahrhaftig sein Enkelsohn. Er konnte es ihm nicht verdenken.
»Großvater zieht mich immer wieder auf«, begann er zu erzählen. »Er und die andere Erwachsenen machen sich manchmal darüber lustig, dass ich rede wie ein Großer. Ich bin doch erst Acht und möchte tun, was Kinder halt so tun.«
»Machst du das denn nicht?«
»Doch. Schon.«
»Aber?«
»Ich möchte auch was lernen, was man später brauchen kann. Außerdem kann ich gut hören.«
»So?«
»Ja, eben aus diesem Grunde, spiele ich meist allein. Die anderen Kinder behaupten ich sei ein Mogler.«
Alam kratzte sich das Kinn. »Wie gemein von ihnen. Sag mir Arryn, du bist doch schlau, nicht wahr?«
»Schlau? Ich glaube schon.«
»Dein Großvater erzählte mir, dass du von der Geschichte Qedrelas fasziniert bist und fast alles weißt. Stimmt das?«
»Mmh. Vielleicht? Ich mag den Krieg nicht aber das andere finde ich aufregend. Faszinierend. Sagt man das so?«
Alam lachte laut auf und schüttelte den Kopf. »Oh Arryn.«
»Was denn?«
»Du benutzt wirklich viele Worte, die Erwachsene zu nutzen pflegen. Sie wollen damit verdeutlichen, dass sie besser sind als andere.« Er zuckte die Schultern und es sah für den jungen irgendwie eigenartig aus. »Sprich doch einfach, wie ein Kind deines Alters es tut und niemand macht sich mehr über dich lustig. Mmh?«
»Könnte ich wohl mal versuchen.« Er hob wissend die Hand und bedeutete mit dem Zeigefinger etwas zu wissen. »Aber ich sage dir gleich, es wird echt anstrengend.«
»Hat ja schon prima geklappt«, lachte Alam erneut und klopfte dem Jungen auf das Knie. »Möchtest du mir erzählen, was du von den Kriegen behalten hast? Ich weiß, dass du das Thema nicht magst. Mich interessiert dennoch, wie du darüber denkst. Sei so gut, ja? Mir einem alten Zausel.«
Es dauerte etwas, bis der Junge sich fasste. Nein, Angst war es nicht, die ihn daran hinderte, einfach drauflos zu erzählen. Man sah ihm förmlich an, dass er mit sich haderte. Er kaute auf der Innenseite seiner Wange herum und zog eine Schnute. Ab und an schielte er auf, so als erwarte er, der alte Glaubensvorsteher würde seine Bitte revidieren.
»Also gut. Mir behagt das Thema nicht und ich tue es nur dir zuliebe und weil Großvater mir sonst vielleicht Böse sein würde.«
»Mach dir darüber keine Sorgen, mein Junge. Ich wette, dass er dir niemals würde Böse sein können«, versprach Alam mit fester Überzeugung.
Arryn begann dort, wo er glaubte, die ihm lästige Angelegenheit schnell zum Abschluss zu bringen. Demnach mitten im Geschehen. Die Anfänge, die ständige Frage nach dem warum, blieb somit aus, obgleich der alte Mann spürte, dass der Junge darum wusste oder zumindest etwas ahnte.