»Ich weiß Arryn, es ist viel verlangt aber mich interessiert, was du an Informationen und Erzählungen als Wissen glaubst. Ich möchte nicht, dass du denkst, jemand hier innerhalb dieser heiligen Mauerwerke will dir Böses.«
»Das ... das ist es nicht«, gestand der Knabe.
Hörte der alte Glaubensvorsteher in dessen Worten so etwas wie ... Ängste heraus? Das wollte er nicht. Ganz und gar nicht. Beschwichtigend legte er seine gefalteten Hände auf seinen Schoß. Sein Kopf senkte sich und sein Atem ging schwer. Tief saugte er die Kühle Luft des Raumes ein und schnaufte. »Wenn du nicht darüber reden magst, Arryn, sei es so. Keinesfalls werde ich dich dazu zwingen. Ich dachte nur, wir könnten uns die Zeit vertreiben. Zumindest solange dein Großvater unterwegs ist und klärt, wie umfangreich sein Auftrag sein wird.«
»Er kommt doch zurück?« Da war es wieder. Ja. Alam war sich nunmehr sicher. Nicht die Angst bannte ihn. Er machte sich schlicht sorgen. Ein Lächeln umschmeichelte seine alten Züge und versuchte es erneut. »Ach Arryn. Dein Großvater und ich, Baltha war übrigens auch dabei, haben so manches durchgestanden und erlebt. Glaube mir, wenn ich dir sage, dass dein Großvater, einer meiner bekanntesten und ältesten Freunde, immer wieder zurückkommen wird. Selbst dann, wenn die Welt vor ihren tiefsten Abgründen stünde.«
»Dann seid ihr schon sehr lange Freunde«, beschied Arryn und gluckste mit vorgehaltener Hand.
Das Lächeln in Alams Züge verschwand wie aufgespültes Wasser am Strand. »Danke auch.«
»Entschuldigung aber ich fand's lustig.«
»Warte ab mein junger Freund. Wenn du erst einmal so Alt wirst, wie wir es sind, wirst du begreifen, was das Leben für dich bereithält.«
Ohne Alams erneuten Zuspruch, begann Arryn eigenständig dort weiter zu erzählen, wo er kürzlich unterbrach.
Die Menschen der damaligen Zeit waren bereits zahlreich und versteckten sich hinter dicken, hohen Mauern. Sie spalteten sich einander ab. Die einen glaubten, wollten und strebten nach dem des anderen. Sie erzielten Besitztümer, welche ihnen von Rechtswegen nicht gehörte. Forderungen übertrafen deren Notwendigkeiten und immer wieder ging es nur um das Eine. Macht und Gier. Macht über alles und jeden zu herrschen. Gier nach mehr - von allem.
Der stete Wille sich dorthin auszubreiten, an deren Orten man nichts zu suchen habe, führte dazu, dass sie fanden, was nicht gefunden werden wollte.
Anfänglich blieben Sichtungen vereinzelt und ohne merkliche Einschränkungen. Als die Menschen jedoch begannen die Hand zu erheben, diese Wesen zu jagen, zu verletzten bis hin zum Töten, war die Zeit der Vergeltung gekommen. Die Drachen erhoben sich. Verwüstung, Tod und Elend kamen über jene, die als flüchtende Qedrela betraten. Mit gewaltigen Pranken stoben sie mehrere Angreifer auseinander, als pflügten Sensen im Felde.
Die ungleichen Kämpfe hielten an und forderten vielerlei Opfer. Es musste eine Lösung gefunden werden und so ergriffen einige Wenige den ihnen noch verblieben Mut. Geboren aus Verzweiflung und Hoffnung gleichermaßen. Ihr Ziel war der unerklimmbare Berg, mittig Qedrelas. Eben dort, wo sie glaubten, derer Ungemach seinen Anfang fand. Von diesem Ort kamen sie. In dessen Nähe jagten sie sie und an selbigen vermuteten sie die Wurzel allen Übels.
Was sie fanden, waren Einheimische, die sich keinem der geründeten Reiche bisweilen anschlossen. Es war ihnen zu verdanken, dass sie einen Weg gehen konnten, der jedweder Erfahrung zum Trotze, dorthin führte, wohin sie niemals dachten, gehen zu können. Der Berg selber gab den Weg frei und erlaubte ihnen, den Gipfel seiner zu besteigen.
Wie ein riesiger Tafelberg thronte Hort mittig des Landes, wenngleich dieser kein solcher zu sein schien. Es gab Höhen und Senken. Sogar drei verschiedene Ebenen, von denen man berichtete. All diese Männer und Frauen, welche gingen, um nach einer Lösung zu suchen, wurden seither nicht mehr gesehen. Jene, die ihren Spuren folgten, fanden ein verwaistes Dorf am Fuße des Berges vor. Wohin diese Leute auch entschwanden, was immer ihnen wiederfuhr ... die unsäglichen Angriffe hörten auf. Von jetzt auf gleich.
Kaum das die Kämpfe ausblieben, begannen sich die Menschen erneut zu streiten. Das Land war großflächig verwüstet. Siedlungen wie Städte trugen große Schäden davon, doch schlimmer noch, waren die Zustände der Felder. Viel würde die bevorstehende Ernte ihnen nicht lassen und so begann, was Qedrela künftig bezeichnen sollte.
Was das Volk einst einte, zerriss Selbiges nach einem massiven Rückschlag einer noch immer existierenden Macht. Unterschiedliche Anschauungen und Grundwerte machten es ihnen unmöglich weiterhin unter einem Oberhaupt zu verweilen. Die größeren Städte, Hewe und Weiher bildeten im Verbund mit angrenzenden Siedlungen und Höfen das erste Königreich. Lullin, ebenfalls eine Küstenstadt, umgeben von üppigem Wald erklärte sich als zweites Reich unabhängig und Naporia, oben auf dem Plateau als Drittes.
Auch wenn nunmehr getrennt voneinander, erstarkte ein jedes Reich für sich erneut. Schäden wurden behoben und Feldflächen bestellt. Es vergingen weitere Jahre in Frieden. Handel wurde getrieben, untereinander und mit ungebundenen Einheimischen. Die Drachen hielten sich zurück, beanspruchten jedoch einen Bereich rund herum des Berges für sich. Der stete Handel fluorierte anders als beabsichtigt. Die meisten Wege und Waren gingen über nur einen Tisch und dieser wurde stets und ständig sehr gut bewacht. In allen Städten und Siedlungen zollten Stände und Höker ihren Tribut an einen Einzigen.
Aufstände führten dazu, dass die Herrscher der Länder einschreiten mussten. Sie unterbanden die zumeist einseitigen Geschäfte und erließen Erlasse. Abermals, begründet der Handelsvorschriften, begehrte das Volk auf. Wieder einmal kam es zu einer Teilung. Das Handelshaus war enorm und tief verzweigt aufgestellt. Von überallher kamen sie, um sich dem Tross anzuschließen. Alle derer hörten auf den Ruf ihres Königs, der sie anhielt, ihm zu folgen. Stamford nannten sie ihre neue Heimat. Lange zuvor war diese Stadt als Handelsaußenposten und Rückzugsort gegründet und wartete nunmehr auf regen Zuzug. Es sollte das größte und mächtigste Reich aller werden. In den Marschen gedieh all das, wonach es ihnen bedurfte. Ausreichend trockene Landflächen und verzweigte Wasseradern sorgten für hinreichenden Schutz zu Lande. Der ›verrückte König‹ sicherte seine Grenzen und seine Mannen hielten sich zum steten Kampfe bereit.
Stamford wollte sich über alles erheben und glaubte dies mit nur einem gewagten Sieg zu ermöglichen. Sie trieben ihren Vormarsch und Siedlungsdrang bis weit über die Grenzen Horts hinaus, was erneut zu Unmut des Berges führte. Deren Bewohner, die Drachen selbst, entzweiten sich unter Zorn. Die die blieben, versuchten in Koexistenz mit den Menschen zu agieren und suchten friedliche Lösungsansätze. Jene, die sich ihrer Heimat, ihres Landes beraubt sahen, verließen den Berg und zogen in die Ausläufer des umgebenen Bergmassivs zurück. Sie erklärten allen den Krieg.
Anders als angenommen wussten diese, wie das kleine Volk auf zwei Beinen zu belügen und zu betrügen war. Sie boten, was sie niemals bereit waren zu geben und dennoch ... Es waren ausgerechnet diese Menschen, die bereitwillig ihre Fehde fochten. Unter tiefschwarz eingefärbten Rüstungen und einem silbrig schimmernden Banner zogen sie als ›der Orden‹ in den Kampf.
In deren Anfängen blieben sie noch klein und überschaubar. Galten kaum als Gefahr für Land und Leute. Doch die Zeit brachte Schrecken hervor und so war es folgend Hort, der zu Ähnlichem aufrief ...