Ighert war kein junger Mann mehr. Mit jedem vergangenem Jahr entfernte er sich mehr und mehr, von dem, was einen strammen und ausdauernden Burschen ausmachte. Dennoch gönnte er sich weder Pause noch Ruhe.
Arryn. Er musste sich eilen. Wer wusste schon zu sagen, wie viel Zeit ihm blieb. Immer wieder fasste er sich an die Seite und griff kräftig zu. Sein Herzschlag glich dem eines Gejagten - mutmaßlich. Der alte Bogner fühlte sich nicht nur so oder ähnlich. Es war die Zeit, die ihm nicht hold schien.
Immer wieder ging es ihm durch den Kopf. Fortwährend und als sei es sein Anker in der Brandung. Sein Antrieb, stetig einen Schritt nach dem anderen zu tun, wissend, dass er an Ort und Stelle viel lieber umfallen und liegen bleiben würde. Nein, umfallen hieße aufgeben. Aufgaben kam für ihn nicht in Betracht. »Bastarde. Dieser Abschaum atmender Bastarde. Auf deinem Grab werde ich tanzen. Arryn wird dich zermalmen. In Jauche sollt du ersticken ... Bastard.« Arryn. Verflucht, er musste es einfach schaffen. Es war ein Spiel, auf dass er sich einließ. Kam er zu spät zum Tor, bliebe ihm nichts anderes als Zufuß bis nachhause zu gehen; auf Mitleid würde er nicht hoffen können. Der Hauptmann hatte lauthals gelacht. Igherts Nasenflügel bebten, als er zurück an diesen Mann und seinem verfluchten Kommandanten dachte. »Dein selbstgefälliges Grinsen wird dir noch vergehen, du widerwärtiger Mörder«, beschied er hauchend und einem erneuten Griff an die Seite.
Wiederholt musste sich der alte Bogner Halt suchend abstützen. Dennoch, das Ziel rückte mit jedem Schritt näher in sein Blickfeld. »Mein Junge, ich komme.«
Mit schmerzverzerrten Zügen und immer wieder zukneifenden Augen stolperte Ighert durch das Tor der Umfriedung. Auf dem Vorhof der Glaubenseinrichtung war es wie vor zu, wie auf einem Markt. Niemand schien hier oben etwas von den Vorgängen bei den Docks zu ahnen. Oder?
»Helft mir. So helft mir doch«, rief er. Vielmehr dachte er so. Seine Stimme klang gepresst und alles andere als deutlich. Wie dem auch sei. Jemand, ob allein oder waren sie doch zu zweit? Ighert wurde gestützt, noch bevor er stürzen konnte. »Hey hey hey. Was ist denn mit dir los?«
»Wart' mal. Ich kenn den Mann. Der war heute schon mal hier.«
Ighert nickte. »Bitte. Zu Alma ...« er hauchte und sein Atem ging schwer. Seine Kraft verließ ihn nun vollends. Die Beine sackten ihm wie Halme im Wind einfach weg. Wie einen Ohnmächtigen trugen die beiden Glaubenshelfer, gekleidet in weißem Leinen ohne erkennbare Schärpe, den Mann in Richtung des Hauptgebäudes der Glaubenseinrichtung.
»Ighert. Was im Namen aller die es hören wollen, ist geschehen?«
Angesprochener ergriff die von Falten durchzogene Hand. Fester als beabsichtigt griff er zu. »Alma ... Es ist, wie es ist. Dein Wort. Bitte, der Junge muss fort. Jetzt gleich.« Ighert nickte und dessen Blick sprach von all den unverhofften Befürchtungen, die sie noch zuvor für beängstigend hielten.
Der Glaubensvorsteher sah hinüber zu einer im Schatten befindlichen Tür und neigte den Kopf. Was der Bogner nicht mitbekam, war die dort wartende Person. Es war eben jener junge Mann, der sich bereits schon zuvor nahe Alma aufhielt. Dieser hielt sich nunmehr gekonnt verdeckt und beobachtete.
»Mach dir keine Sorgen mein Freund, in diesem Moment besteigt Arryn deine treue Shalti. Er wird tun, was du ihm auftrugst.«
»Die Zeit läuft mir davon, Alam. Komme ich nicht rechtzeitig zum Tor, werde ich den morgigen Tag wohl nicht mehr erleben.«
Der Glaubensvorsteher entzog sich dem nach wie vor festem Händegriff und massierte die schmerzenden Finger. Er schnaubte aus. »Du nimmst eines unsere Pferde.« Mahnend hob sich sein Zeigefinger und strafte den sich sichtlich Beruhigen mit strengem Blick. »Hierüber führen wir keinerlei Disput. Dein Enkel tut, was du ihm sagtest und du nun, was ich dir zuspreche.«
»Danke«, gestand sich der stolze Bogner geschlagen zu, auch wenn er grundsätzlich nichts annahm, was sich für ihn wie Almosen anfühlte.