Nur widerwillig folgte Helmut seinem Freund und Kollegen Wilfried Keil. Sie hatten zusammen gewohnt und studiert und während Helmut der erste Sproß seiner Familie gewesen war, der je studierte, stammte Wilfried aus einer Dynastie von Medizinern. Helmut hatte sich sein Studium zum Teil mit harten Nebenjobs selbst finanziert, während die Keils finanziell mehr als unabhängig waren. Keils Eltern hatten immer ein Wenig auf den Freund ihres Sohnes herabgesehen, er schien ihnen der Freundschaft ihres Sohnes nicht wirklich würdig zu sein, während er für Wilfried ein großes Vorbild war. Wilfried hasste es, den Wert eines Menschen an dessen Herkunft und dessen Habe festzumachen. Er hatte Helmut einmal erklärt, dass er selbst es sei, der sich für seine Eltern schämen müsste und nicht Helmut, dessen Eltern keine Snobs waren und den Leuten jeden Standes mit dem gleichen Respekt begegneten...
"Setz dich hin!" sagte Wilfried, als sie im Behandlungszimmer angekommen waren, Ich muss mir die Wunde genauer ansehen. Ich brauche sie nicht mehr Astrid, sehen sie bitte bei den Anderen nach dem Rechten!"
Die junge Assistentin tat wie ihr geheißen und als sie nun allein waren, richtete Wilfried nochmal das Wort an seinen Freund.
"Kanntest du diese Journalistin früher schon?"
"Nein. Wie kommst du darauf?"
"Du hast sie nun auf bewundernswerte Weise bereits zum zweiten Mal reanimiert. Beide Male standen die Chancen äußerst gering! Sie ist bildhübsch und es scheint mir, als verbinde dich mehr als deine ärztliche Pflicht mit ihr. Man könnte meinen, du hättest Gefühle anderer Natur für sie entwickelt... Du weißt was ich meine!"
"Ich habe sie nie kennengelernt. Ich kannte nur ihren Namen von zahlreichen Artikeln, die mir aufgefallen sind, weil sie angenehm neutral und glaubhaft geschrieben worden sind, was man von den meisten Berichten nicht gerade behaupten kann. Als ich sie gestern "zurückholte", wusste ich noch nicht mal wer sie ist, aber du hast recht, irgendetwas macht sie besonders für mich, auch wenn ich nicht benennen kann, was es ist! Sie liegt mir besonders am Herzen. Ich weiß nicht, warum Wilfried. Ich weiß es wirklich nicht! AUAH...!"
"Du bist Arzt, Helmut! Du weißt, dass die Behandlung einer Schusswunde nicht angenehm ist. Gerade so ein Streifer ist wie eine Brandwunde. Ich muss sie reinigen, auch wenn dir das nicht gefällt, Herr Kollege!"
Helmut mußte lächeln. "Du bist noch immer mein bester Freund, Wilfried, aber manchmal sind wir beide wie ein altes Ehepaar, findest du nicht?"
"Da könnte was dran sein!" auch Wilfried fand es amüsant. "Aber vielleicht hast du ja dein Deckelchen oder Töpfchen nun gefunden. Wer weiß?"
"Ich weiß es nicht, Wilfried, ehrlich. Aber zugegeben, diese Frau könnte mich schon aus der Reserve locken!"
"Haha! Das hat sie längst getan, Helmut!"
"Ach wo! Sie hätte noch nicht mal die Gelegenheit dazu gehabt, mich weich zu kochen!"
"Helmut, man verliebt sich nicht in einen Menschen, weil der sich das wünscht oder einen dazu auffordert. selbst wenn man das wollte!"
"Nicht?"
"Nein! Sowas passiert einfach! So als hätte man einen Unfall! Verstehst du?"
"Na, wenn Petra mein Unfall sein sollte, dann ist es ein schwerer Unfall. Schließlich hat es dabei schon einen Verletzten gegeben..."
"Du wirst es überleben, Helmut. Ich bin fertig! Es könnte noch zu Kopfschmerzen kommen, aber das weißt du ja selbst."
er legte die Schere und das Deckpapier eines großen, weißen Wundpflasters zu Helmuts blutigem Shirt und zog seinen Mantel aus. Dann zog er sein T-Shirt aus und reichte es seinem Freund, bevor er seinen weißen Mantel wieder überstreifte.
"Sieht besser aus, als deins! Du bist zwar nicht mehr ganz so schön, weil ich dir ein dezentes Loch in deine Frisur geschnitten habe, aber du kannst jetzt wieder zu deiner Angebeteten gehen!"
"Depp...!" meinte Helmut kopfschüttelnd mit einem Lächeln. Dann, etwas ernster: "Danke Wilfried! Aber ich hab nichts zugegeben und unser Gespräch bleibt unter uns, klar?!"
"Wem sollte ich es denn erzählen du kleiner Don Juan der Totgeglaubten? Es unterliegt der freundschaftlichen und der ärztlichen Schweigepflicht..."
Helmut lächelte und machte sich auf den Weg zurück zu Petras Zimmer. Er wusste, dass es noch nicht ausgestanden war...