Rudolf Weninger war nun wieder in seinem Büro in der Polizei-Direktion und sah erst mal jene Aufzeichnungen ein, welche nicht passwortgeschützt auf Speichermedien abgelegt waren, sondern nur schriftlich oder mit Hilfe eines kleinen Diktafons auch akustisch festgehalten worden waren. Die Firma, die in Hagers Fokus geraten war, agierte international als Entsorgungsspezialist für chemische Problemstoffe und Altmedikamente, die nach Ablauf des Verfalldatums den Pharmaherstellern und Großhändlern von den Apotheken und Krankenhäusern zurückgegeben wurden. Diese hatten die Pflicht, sie zurückzunehmen und von eben solchen "medical waste services" - natürlich kostenpflichtig - entsorgen, bzw vernichten zu lassen. Frau Hager hatte besonderes Augenmerk auf Problemstoffe aus der Pharmabranche gelegt. Nach allem, was er sich nach Einsicht der für ihn zugänglichen Unterlagen zurammenreimen konnte, wurden hier abgelaufene Medikamente nicht, wie von ihm ursprünglich vermutet illegal oder umweltschädlich entsorgt. Es ging um wesentlich mehr. Während es im asiatischen Raum mehr zu Gesamt-Medikamentefälschungen kommt, schien es hier zu Neudatierung und Umverpackung von originaler Altware zu kommen. Anstatt die unbrauchbar gewordene, abgelaufene Medizin kostenpflichtig und umweltfreundlich zu entsorgen, verschacherte diese Firma offenbar dieses Material gewinnbringend an einen dubiosen südeuropäischen Großhändler, der spezielle Medikamente, vor allem Zytostatika, also Krebsmittel, Infusionsbeutel und Durchstichflaschen umdatieren ließ und sowohl im europäischen Raum, wie vermehrt auch auf dem gesamten Afrikanischen Kontinent vertrieb. Es wurden hier vorhandene echte, aber abgelaufene Produkte mit einer falschen neuen Chargendokumetation versehen und als vollwertige Medikamente verkauft. Nun verhält es sich so, dass die eine oder andere Medizin nur an Wirkung verliert und damit dem Bedürftigen schadet, weil ihm die ihm verordnete Dosierung vorenthalten bleibt. Diese Mittel werden praktisch zum Placebo, was natürlich auch zu einem langen qualvollen Tod führen kann, weil der behandelnde Arzt ja nicht wissen kann, dass das von ihm verordnete Präparat wirkungslos ist. Er muss annehmen, dass der verstorbene Patient leider nicht auf die Chemo angesprochen hat. Dieses Vorenthalten eines Wirkstoffes ähnelt dem Begriff der unterlassen Hilfeleistung, die dem behandelnden Arzt ja nicht bewusst ist. Schlimmer noch verhält es sich mit jenen Präparaten, die bei Alterung oder Unterbrechung der Kühlkette toxisch werden. Die Behandlung mit diesen kommt einem Mord gleich...
Die Pharmakonzerne verwenden Millionen darauf, ihre Produkte fälschungssicher zu machen. Mit Hologrammetiketten, Datamatrixcodes und ultravioletten Stempelungen. Doch immer wieder finden sich Spezialisten, die komplette Chargendokus fälschen, neue Flippoffs und Etiketten auf den Vials aufbringen und in diesem Fall sogar originale Ware relativ risikolos anbieten. Bei den Preisen einzelner Chemotherapie-Präparate ist das umpacken und fälschen der Papiere ein lohnendes Geschäft, zumal man die primär verpackte Originalware schon hat und nicht erst Fälschungen produzieren muß. Hierbei geht es um unermesslich hohe Summen die um den Preis qualvoller Tode armer erkrankter Menschen eingefahren werden. So etwas wie Gewissen oder Mitgefühl ist den Drahtziehern dieser Mafia völlig fremd...