Hannes war schlau genug, nicht den Lift in den zweiten Stock zu nehmen, weil er fürchtete dass dessen typisches "Bim" bei Ankunft im Stockwerk ihn verraten könnte. Auch wusste er, dass um diese Zeit - er hatte bis kurz nach Mitternacht gewartet - die Schwestern ihren zweiten Nachtrundgang normalerweise schon gemacht hatten. Es würde also relative Dunkelheit in den Zimmern herrschen, gerade genug Licht, dass er unerkannt in den Zimmern "nach dem Rechten" schauen könnte. Eine kleine LED-Lampe, wie sie auch die Nachtschwestern benützen, hatte er mitgenommen, um die Fieberkurven bzw. die Namen am Fußende der Betten lesen zu können.
Vorsichtig linste er um die Ecke, als er über die Treppe heraufkam. Die Männerstation war ein Stück weiter vorn im linken Gang, die Zimmer für die Frauen lagen direkt vor ihm und begannen mit Zimmer 210. Hannes schlich sich an der Wand entlang zur Tür und öffnete sie leise. Es war ein Vierbettzimmer. Alle Betten waren besetzt und die Damen schienen zu schlafen. Hannes schritt die Fußenden der Betten leise ab und leuchtete jeweils kurz auf das Namensschild, wobei er den Strahl möglichst klein hielt und mit der Hand so abschirmte, dass er die Patientinnen nicht blendete. Das funktionierte in den ersten paar Zimmern gut, bis auf die Tatsache, dass Petra nicht dabei war.
In Zimmer 217 hob eine der Damen den Kopf.
"Suchen sie jemanden?"
Hannes ging zu ihr und bedeutete ihr mit dem Zeigefinger vor den Lippen, leise zu sein.
"Guten Abend! Ich bin Dr. Gollner von der Urologie." sagte er leise, "Liegt bei ihnen eine Frau Petra Hager?"
"Oh mein Gott! Wissen sie das gar nicht? Die ist ermordet worden, heute früh! Hier in dieser Abteilung! In Zimmer 219. Da war nur sie alleine drin. Die Polizei war da und die Spurensicherung! Und Doktor Burger ist angeschossen und schwer verletzt worden, am Kopf! Ich weiß das, weil er mich am Mittwoch operieren hätte sollen. Das muss jetzt Doktor Keil machen..."
Hannes traf diese Nachricht mehr, als er geglaubt hatte. Nach ein paar Sekunden hatte er sich gefasst.
"Das ist ja Wahnsinn! Das wusste ich nicht. Entschuldigen sie bitte, dass ich sie geweckt habe. Schlafen sie weiter Gute Frau!"
"Sie haben mich nicht geweckt, ich kann nicht einschlafen, weil mich das so aufregt, ich werde die Schwester fragen, ob sie nicht etwas zur Beruhigung für mich hat."
Und da hatte sie auch schon die Klingeltaste in der Hand.
"Ja, tun sie das. Gute Nacht!"
sagte Hannes schnell und verließ fluchtartig das Zimmer. Er musste jetzt in Sekundenbruchteilen entscheiden ob er noch zur Treppe kommen könnte, oder sich gleich in Zimmer 219 verstecken sollte und dabei nachsehen, ob Petras Sachen eventuell noch im dortigen Kasten eingesperrt waren. Er entschied sich für Letzteres. Glück gehabt! Die Schwester hatte ihn nicht geseh'n. Sie würde gleich zu Zimmer 217 kommen. Doch er glaubte sich nur unbeobachtet. Am Ende des Ganges stand Ruhul Hakim. Er war Hannes gefolgt und hatte sich um die Ecke verzogen, als das Licht der Klingel angegangen war. Er hatte ihn dabei beobachtet wie er nach Zimmer 219 wechselte. Der "Geist, der richtet" hatte sogar vernommen, wie das Polizeisiegel zerriss an der Zimmertür jenes Raumes, in dem er heute morgen gemordet hatte. Er wartete, bis er Schwester Maria den Gang entlang kommen sah...