Monika drehte sich von einer Seite auf die andere. Sie konnte und konnte einfach nicht einschlafen. Einmal war es die Sorge um die beiden "Flüchtlinge", die sie beschäftigte, ein ander Mal die Art und Weise, wie Doktor Keil sich heute gezeigt hatte. Sie hatte immer den Eindruck gehabt, er würde sich von den Pflegerinnen distanzieren. Nicht böswillig, aber zumindest so deutlich, dass ihn keine per Du anzusprechen hatte. Vermutlich wollte er auf diese Art Eifersüchteleien zwischen den Schwestern vermeiden. Aber auch Burger, der immer schon lockerer drauf war als Keil, hatte immer so ein ähnliches Verhalten gezeigt. Nur war es bei Burger eleganter, weil er sich nicht scheute, Leistung zu sehen und zu loben. Keil war da zurückhaltender und obwohl sehr gutaussehend, hätte sich keine von den Schwestern an ihn herangetraut. Auch sie selbst hatte ihn nie so gesehen, wie heute. Dass ihr genau die beiden begehrtesten unter den Doktoren heute beide das Du angeboten hatten, ausgerechnet ihr, die sich nie aufgedonnert bei den üblichen Feiern zu den Ärzten gesellte, weil sie das als beschämend ablehnte, wunderte sie. Dass sie eine attraktive, begehrenswerte Person war, war ihr durchaus bekannt, aber sie hatte das in Gesellschaft der Kollegen, der Besetzung nie hervorgehoben, sich nie aufgebrezelt. Und sie hatte auch nie die Absicht oder gar den Wunsch gehegt, einen der Ärzte "an Land zu ziehen." Im Gegensatz zu einigen ihrer Kolleginnen. So etwas, wusste sie, führte zwangsläufig zu Ärger. Es schürte den Neid der Anderen und nach ein paar Wochen, würde sich das Interesse an der Schwester legen und verschwinden und man war nur eine weitere Trophäe auf der Liste eines jungen Arztes. Nur zwei der Ärzte hatten sich nie von dieser Seite gezeigt: Helmut und Siegfried. Es freute sie sehr, dass genau die beiden ihr heute ein großes Kompliment gemacht hatten und dass sie einen Moment das Gefühl haben durfte, zu ihnen zu gehören... Und sie hoffte, das alles gut gehen würde. Wenn wieder der Alltag eingekehrt sein würde, nächste Woche, würde sie die beiden zumindest auf der Station sicher nicht mit DU ansprechen. Obwohl, Wilfried hatte das Zeug dazu, dass er ihr, wenn sie es nicht besser wüsste, gefährlich werden könnte. Sie musste sich vorsehen, sich nicht zu verlieben...
Hannes nahm allen Mut zusammen und ging ins Parkhaus. Der Marokkaner hatte es sich offenbar auf dem Rücksitz gemütlich gemacht. Er bedeutete ihm, sich hinters Lenkrad zu setzen. In Todesangst folgte Hannes seinen Anweisungen.
"Schnall dich an und schließ' die Tür! Du brauchst dich nicht nach mir umzudreh'n. Hattest du Erfolg?"
"Ja! Ich habe die Namen und ich hab Fotos! Ich kann ihnen alle nennen, nur bei der Schwester weiß ich nicht, welche sie meinten. Es waren vier im Tagdienst aber ich habe auch von ihnen Fotos mit den zugehörigen Namen und den Dienstplan..."
"Das habe ich dir gar nicht zugetraut! Zeig her!"
Hannes wagte es nicht, sich umzudrehen. Er zeigte die Fotos nach hinten.
"Das ist Doktor Helmut Burger. Er hatte gestern Vierundzwanzig-Stunden-Dienst und dürfte der sein, der angeschossen wurde."
Ruhul nahm ihm das Foto aus der Hand und betrachtete es. Er erkannte den Mann wieder, auf den er geschossen hatte.
"Gut! Wer ist heute der diensthabende Arzt, hast du von dem auch ein Foto?"
"Ja, habe ich auch. Er heißt Doktor Wilfried Keil."
Hannes suchte in den Fotos und fand schließlich das Passende, welches er sofort nach hinten gab. Der Marokkaner betrachtete es und war scheinbar zufrieden.
"Ich gebe zu, das hast du gut gemacht! Was ist mit der Schwester?"
"Davon hab ich vier, die in Frage kämen."
Er hielt die Fotos hoch, so dass sein Peiniger alle vier Fotos samt Namen sehen konnte.
"Monika Pfeiffer. Das ist sie. "
Er nahm das Foto ebenfalls an sich und öffnete die Fondtür.
Das hast du gut gemacht, mein Freund. Besser als ich erwartet habe. Da hast du Glück gehabt!"
Er setzte den linken Fuß auf den Boden und stieg aus, doch kurz bevor er zur Gänze im Freien stand, richtete er seine Waffe in Herzhöhe auf die Sitzlehne.
"Dafür musst du nicht leiden! Tut mir leid, mein Freund... Du weißt zuviel."
Ein verhaltenes, kurzes, trockenes "Piu!" ertönte und Hannes sank in den Sicherheitsgurt. Ruhul warf die Fondtür ins Schloss. Er ging auf die andere Seite des Parkdecks, wo praktisch direkt an der Ausfahrt ein silberfarbener Jaguar XJ6 parkte. Er entriegelte per Fernbedienung die Tür und stieg ein. Er lehnte sich zurück ins Leder und fixierte das Bild von Monika.
"Wenn du morgens um halb sieben deinen Prinzen abholst, müsst ihr an mir vorbei, meine Süße... Ich kann warten."