Ruhul Hakim war nicht ängstlich. War er nie gewesen. Seine Aufträge erfüllte er eiskalt mit der Präzision einer Maschine. Sein besonderes Plus in seinem Job aber war, dass er nicht nur Befehlsempfänger war, sondern auch eigenständig handlungsfähig. Er stellte sich blitzschnell auf Situationen ein und löste Probleme selbstständig. Ein paar zufällig erlauschte Worte eines Arztes am Telefon an eine Krankenschwester reichten, um zu erkennen, das diese Journalistin noch leben musste, und dass er sie mit Hilfe der beiden finden würde...
Er fragte sich, ob er nicht doch vielleicht woanders parken sollte, denn es wimmelte auf einmal von Polizisten hier. Als er den Streifenwagen kommen sah, hatte er sofort mit der Ausfahrt reagiert. Wenn Keil und die Schwester losfahren würden, würde er sie auch von dieser Position aus sehen und ihnen folgen können. Drinnen im Parkhaus drehte sich alles nur um die Leiche. Normalerweise würde wohl kaum jemand annehmen, dass der Mörder eiskalt ein paar Meter weiter parkt und das Treiben verfolgt, also würde man ihn kaum behelligen. Das CC auf dem Jaguar hatte für jeden kleinen Polypen eine abschreckende Wirkung. Das war gut so. Also beschloss er, stehen zu bleiben, bis die beiden kamen.
Wilfried saß über dem Nachtdienst-Bericht und sah auf seine Armbanduhr, die er immer erst kurz vor Dienstende anzulegen pflegte. Monika würde bald hier sein. Er hatte kein gutes Gefühl dabei, dass sie tatsächlich herkam. Es hatte ihn wirklich ein Wenig verletzt, was sie da von ihm geglaubt hatte, aber bei ihrem letzten Anruf hatte er an ihrer Stimme gemerkt, das es ihr wirklich leid tat, ja dass sie beinahe losgeheult hätte. Er hatte eine eigene Vorstellung davon, warum sie so enttäuscht gewesen war, dass sie ihn falsch eingeschätzt hatte: Vivian Zelder. Doktor Vivian Zelder, eine attraktive aber extrem eingebildete Kollegin, der er übrigens heute den Dienst übergeben würde, war sehr herablassend zum Pflegepersonal und machte ausgerechnet ihm ständig Avancen. Und das auf eine Art und Weise, dass es niemandem verborgen bleiben könnte. Die wohlhabende Arztfamilie Keil, deren jüngster Spross er war, war genau ihre Kragenweite. Er mochte sie nicht. Ihm war auch klar, dass ihr das Ansehen der Keils der große Anreiz war, ihn zu bezirzen. Eine Keil zu sein, das wäre das Größte, das Sahnehäubchen ihrer bisherigen Karriere... Sie hatte nichts Liebenswürdiges, Echtes; sie war für ihn das Unweib schlechthin. Schön, aber kalt und gierig.
Monikas Reaktion ließe dann aber darauf schließen, dass sie eifersüchtig wäre. In diesem Fall müsste sie allerdings für ihn ein bisschen mehr empfinden, als ihr lieb war... oder? Er erwischte sich bei dem Gedanken, dass er durchaus nichts dagegen hätte... eigentlich war sie ja süß gewesen in ihrem heiligen Zorn.
Monika ärgerte sich unbändig über ihre vorschnelle Reaktion. Es war verständlich, dass Wilfried sauer war. Sie musste es ihm unbedingt erklären. Später dann, wenn sie unterwegs wären. Nachdem sie kurz geduscht hatte, suchte sie ein leichtes rotes Sommerkleid heraus und machte sich ein Wenig zurecht. Sie war klug genug, sich eben nicht so aufzubrezeln, wie viele Andere. Oder gar wie diese Vivian, diese Zimtzicke!
Etwas höhere Schuhe und eine passende Handtasche, die langen blonden Haare nur zum Teil hochgesteckt und vorne zwei Strähnen stehenlassen, die das Gesicht einrahmen. Kein Make up, keine Schminke. Mehr brauchte es nicht! Eine natürliche Grazie ging von dieser Frau aus. Mit gemischten Gefühlen machte sie sich auf den Weg zum Krankenhaus. Sie würde genau zur Dienstübergabe ankommen. Hoffentlich war Wilfried nicht allzu böse...