Nach der recht stürmischen Fahrt durch das zitternde Meer – welches seinem Namen alle Ehre machte – war ihr der feste Boden unter den Füssen angenehm willkommen. Sie befand sich nun auf der grössten Insel in der Bucht von Lorath, wo auch die kleine Stadt erbaut worden war. Wie ihre Umgebung bestanden auch die Gebäude zum Grossteil aus Stein. Alles wirkte kalt und rau, so ganz anders als die pulsierende Stadt Braavos, doch hatte auch diese raue Stille etwas Schönes an sich.
Auf dem Weg hierher hatte einer der Matrosen ihr von den Labyrinthen erzählt, die hier schon vor Jahrtausenden erbaut worden waren. Angeblich befand sich auf der zweitgrössten Insel Lorassyon ein solches Labyrinth, das fast die ganze Insel einnahm und mehrere Stockwerke hoch war. Bei der Erinnerung an dieses Gespräch drehte sie sich kurz um. Das Wetter war jedoch zu trüb, als dass sie etwas hätte sehen können. Also setzte sie ihren Weg fort und versuchte sich an alles zu erinnern, was für ihren Auftrag von Wichtigkeit sein konnte.
Ihr Opfer hiess Josamo San’ka und war der einzige General der winzigen Schiffsflotte, die die freie Stadt noch besass. Somit dürfte es nicht sehr schwierig werden ihn zu finden und obwohl sie noch nie in der Stadt gewesen war, versuchte sie nach den teuersten Gebäuden im Norden der Stadt Ausschau zu halten. Während sie dies tat, verinnerlichte sie sich nochmals ihre Rolle.
Es erstaunte sie immer noch, dass man ihr bei diesem Auftrag so viele Freiheiten liess, aber ihr sollte es recht sein. Sie wollte unter dem Namen Ilia Arbeit suchen, idealerweise am Hafen, da sie sich mit Meeresgetier von allen möglichen Arbeiten wohl am besten auskannte und man dort immer am meisten Informationen bekam. Sollte sie es irgendwie schaffen ihren Auftrag zu beenden bevor sie Arbeit gefunden hatte, war dies umso besser. Doch sie nahm sich Jaqens Worte zu Herzen und versuchte nicht voreilig zu handeln. Jaqen… Ob er wohl wirklich ursprünglich aus Lorath kam? Wohl eher weniger. Ihr kam es so vor, als hätte ihr erstes Gespräch vor Jahrzehnte stattgefunden, obwohl es höchstens drei Jahre sein konnten.
Nach einer Weile entdeckte sie einige Anwesen, die ganz offensichtlich nur den wohlhabenden Einwohnern vorbehalten waren. Ehe sie sich diesem Viertel widmete, wollte sie sich jedoch mit dem Rest ihrer Umgebung vertraut machen.
Es stellte sich heraus, dass das Innere der Stadt doch nicht ganz so farblos und trist war, wie sie zuerst angenommen hatte. Denn wie in Braavos und Westeros gab es auch hier einen Markt, Gaststuben und auf den ersten Blick mindestens zwei Bordelle. Sie entschied sich dazu, sich am Marktplatz etwas umzusehen und vor allem umzuhören. Vielleicht liess sie sich auch von ihrem knurrenden Magen in diese Richtung verleiten.
Die Menschen aus Lorath sprachen fast dieselbe Sprache wie die Braavosi, kein Wunder, jeder wusste, dass Lorath, abgelegen wie die Stadt nun einmal war, mit Braavos den meisten Handel trieb. Lediglich ein leichter Akzent war zu vernehmen.
Vor einem Stand in dem allerlei Meeresfrüchte verkauft wurden blieb sie stehen. Die Besitzerin des Marktstandes war eine Frau, die durch die Arbeit an der Sonne wohl älter aussah, als sie es eigentlich war.
„Entschuldigt bitte. Ich bin auf der Suche nach Arbeit. Hättet Ihr vielleicht etwas für mich?“ Die Frau musterte sie kurz und schüttelte bedauernd den Kopf.
„Das einzige wofür ich manchmal Leute brauche, ist Kisten schleppen. Das scheint mir nichts für dich zu sein, Kindchen.“ Genervt rollte sie mit den Augen, biss sich aber auf die Zunge, ehe der bissige Kommentar ihren Mund verliess.
„Ich kann Kisten schleppen. Ich habe früher Muscheln verkauft, glaubt mir, die sind alles andere als leicht.“ Ehe die Frau etwas erwidern konnte, kam eine Kundin, die sie bediente. Arya wartete, bis diese gegangen war und sie das Gespräch wieder aufnehmen konnten. Die Frau musterte sie nochmals von oben bis unten und zuckte gleichgültig mit den Schultern.
„Wenn du meinst. Ich habe keine Garnelen mehr, geh runter um Hafen und hol eine Kiste bei Yazem. Sag ihm, Tavena zahlt ihre Rechnung später. Lass sie nicht fallen und bring sie in weniger als einer halben Stunde hierher. Dann sehen wir mal, ob du für was zu gebrauchen bist.“
„Zum Hafen? Aber da dauert doch schon ein Weg mehr als eine Stunde.“
„Nicht der Hafen mit den normalen Handelsschiffen, der nördliche. Du bist wohl noch nicht lange hier, was?“
„Etwa zwei Stunden. Und ich brauche keine halbe Stunde.“ Vielleicht hätte sie sich etwas besser erkundigen sollen, aber eigentlich hatte sie nicht geglaubt, dass eine so kleine Stadt wie Lorath zwei Häfen besass.
~
Sie hatte Tavena nicht zu viel versprochen. Nachdem sie erstmal gewusst hatte, dass es noch einen Hafen gab, war sie schnell fündig geworden. Und da dieser noch kleiner gewesen war als derjenige an dem sie angekommen war, hatte es auch nicht lange gedauert, bis sie diesen Yazem gefunden hatte. Ein alter Fischer mit dichtem schwarzen Bart und grimmiger Miene.
Ausserdem stellte sich heraus, dass der Weg zum Hafen genau an den edlen Häusern vorbeiführte, was ihr zumindest eine Ausrede verschaffen würde, um sich dort einmal umzuhören.
„Nicht schlecht. Nur bin ich nicht jeden Tag hier. Du könntest mir dreimal pro Woche dabei helfen die Kisten zu schleppen.“ Das war zwar nicht viel, sollte aber reichen, um vorerst über die Runden zu kommen. Sie hatte zwar etwas Geld aus dem Haus von Schwarz und Weiss mitnehmen dürfen, doch wenn es sich irgendwie vermeiden liess, wollte sie dieses Geld keinesfalls anrühren.
„Gerne. Wann bist du zum nächsten Mal hier?“ Nun wo sie angestellt war, liess sie es mit den Höflichkeiten bleiben, doch Tavena schien sich nicht daran zu stören.
„In zwei Tagen.“
Die Wolken machten es schwierig zu sagen, wie spät es war, doch nach ihrem Gefühl war es ungefähr Mittag, als sie das wohlhabende Wohnviertel erreichte. Tavena hatte für den heutigen Tag nichts mehr für sie zu tun und es war noch zu früh, um sich ernsthaft um eine Unterkunft zu sorgen. Also umrundete sie die Häuser und stellte nicht sehr erfreut fest, dass jedes davon recht stabil wirkte. Vor dem einen befanden sich Wachen, vor dem anderen zwei Hunde und bei einem dritten schienen die Fenster ganz besonders gut gesichert zu sein.
„Suchst du etwas?“ Erschrocken fuhr sie herum und verfluchte sich sogleich für diese Geste, da sie dabei ertappt und nicht gerade unauffällig wirkte. Doch der Junge, der sie angesprochen hatte, lachte nur und wank ab. „Keine Sorge, fürs Gaffen wurde hier noch keiner verhaftet. Oder suchst du etwas?“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin neu hier und wollte mich nur etwas umsehen. Und was tust du hier?“
„Arbeiten. Ich arbeite für den Fischerfürsten.“ Bei dieser Aussage klang unüberhörbar Stolz aus der Stimme des Jungen, obwohl selbst Arya, die noch nie hier gewesen war wusste, dass die Macht der drei Fürsten nur noch auf Papier vorhanden war. Der Fischerfürst wurde von allen gewählt, die ein Schiff besassen, der Erntefürst von denjenigen, die auf den Inseln etwas Land besassen und der Fürst der Strasse schliesslich von allen freien Männern der Stadt. Die drei Fürsten blieben bis zu ihrem Tod in ihrem Amt, hatten dabei jedoch nicht viel zu tun, denn jeder wusste, dass die Macht schon längst bei einem Rat aus reichen Männern und Priestern lag. Selbstverständlich sagte Arya das nicht, sondern lächelte nur.
„Muss sicher interessant sein. Dann wohnt er also hier?“ Der Junge nickte und deutete auf das Gebäude mit den Hunden davor. Bis auf die Tiere sah es eigentlich recht einladend aus und jetzt wo Arya genauer hinsah bemerkte sie, dass die Mauern des Hauses nicht grau, sondern leicht bläulich bemalt waren. Wahrscheinlich, damit sie dem Meer ähnelten.
„Dann leben in den anderen beiden Häusern also der Fürst der Strassen und der Erntefürst?“
„Nein. Der Strassenfürst lebt mit seiner Familie auf dem südlichen Teil der Insel und der Erntefürst hat eine eigene kleine Insel. Die anderen beiden Häusern gehören eigentlich nur reichen Händlern.“
Sie versuchte sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, es wäre ja auch zu einfach gewesen, wenn der General hier gewohnt hätte. Aber vielleicht konnte sie das ja doch noch herausfinden, der Junge schien sich auszukennen. Ausserdem war Arya froh wiedermal mit jemand gleichaltrigem zu sprechen, vielleicht war er auch ein, zwei Jahre jünger als sie.
„Wie heisst du eigentlich? Ich bin Ilia.“ Sie streckte ihm die Hand entgegen und er schüttelte sie.
„Teion. Du hast gesagt du bist neu hier. Woher kommst du denn ursprünglich?“ Mist. Sie wusste doch, dass sie etwas vergessen hatte. Vor lauter Überlegungen, wie sie den Auftrag zu Ende führen könnte, hatte sie es völlig versäumt, ihre Geschichte zu Ende zu spinnen.
Sie dachte nach und verschaffte sich etwas Zeit indem sie so tat, als würde sie ihre Umgebung mustern. Kurz überlegte sie, ob es nicht etwas auffällig wäre schon wieder ein Waisenkind zu spielen, allerdings gab es davon so viele, dass sie damit in der Tat nicht auffallen würde. Ausserdem hätte sie sich sonst eine ziemlich gute Ausrede zurechtlegen müssen, wo sie wohnte und wo ihre Eltern steckten.
„Ich komme ursprünglich aus Braavos. Meine Eltern sind schon vor einer Weile gestorben und ich wollte mal etwas anderes sehen. Von meinen Verwandten wollte mich keiner bei sich aufnehmen, also hielt mich nichts mehr dort.“
„Dann hast du dir eindeutig die falsche Stadt ausgesucht, hier gibt es nichts zu sehen. Ausser die Labyrinthe vielleicht. Wenn du willst, kann ich sie dir ja mal zeigen.“ Er blickte nochmals zum Haus links von ihnen und sah sie dann entschuldigend an. „Ich glaube, ich sollte mich beeilen. Hat mich gefreut dich kennenzulernen Ilia, überlegs dir mal wegen den Labyrinthen.“
„Mich auch. Keine Sorge, das werde ich.“ Sie hatte eigentlich noch zu einer Frage ansetzen wollen, damit sie endlich herausfand, wo dieser Josamo wohnte, doch der Junge war schon durch das Tor verschwunden und Arya wollte nicht noch mehr auffallen. Vielleicht war es gar keine schlechte Idee, sich von dem Jungen einmal die Labyrinthe zeigen zu lassen, dann hatte sie sicher genug Zeit, ihn unauffällig nach dem General zu fragen.
~
„Hat eigentlich eine so kleine Stadt wie Lorath eine Streitmacht?“ Nach ihrem Gespräch hatte es fast drei Wochen gedauert, bevor sie sich das nächste Mal über den Weg gelaufen waren und fast weitere zwei, bis sie zeitgleich einen Nachmittag frei hatten und Teion sie durch die Gegend führen konnte.
Die See war an diesem Tag ganz besonders rau, weswegen keine Fähre zum Labyrinth fuhr. Aber sie war ja eigentlich auch nicht zu ihrem Vergnügen hier und vielleicht würde sich irgendwann doch noch die Möglichkeit dazu ergeben.
„Wie kommst du denn jetzt darauf?“ Sie zuckte mit den Schultern.
„Von überall her hört man vom Krieg.“
„Lorath einzunehmen würde sich nicht lohnen, aber wir haben tatsächlich noch eine kleine Streitmacht. Sie wird von General San’ka angeführt.“
„Dann gehört wohl eines der Häuser auf dem Nordhang ihm?“
„Nein, eine so kleine Streitmacht bringt nicht wirklich viel Geld. Früher hat er wirklich dort gelebt, aber vor einiger Zeit ist er in die Stadt selbst gezogen. Doch was interessiert dich das? Sag mir jetzt bloss nicht, du willst Kriegerin werden.“ Ein breites Grinsen zierte sein Gesicht und sie erwiderte es. Wenn auch leicht gezwungen, nur weil sie ein Mädchen war, hiess das nicht, dass sie nicht kämpfen konnte… „Man wird ja wohl noch hoffen dürfen.“ Und eigentlich war er gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt, nur lag zwischen Kriegerin und Auftragsmörderin doch ein gewisser Unterschied.
Sie gingen stundenlang einfach so nebeneinander her und obwohl ihre Gespräche nicht weiter in die Tiefe gingen, war es für Arya schön, mal wieder ein halbwegs normales Gespräch zu führen. Mit Jungs hatte sie sich im Allgemeinen immer besser verstanden als mit Mädchen, obwohl Bruscos Töchter auch recht nett waren.
Nach einiger Zeit – wenn Arya sich nicht täuschte, begann es unter der dichten Wolkendecke sogar schon zu dämmern – blieb Teion stehen und sah aus, als hätte er in eine Zitrone gebissen.
„Was ist?“, fragte sie und folgte seinem Blick. Unweit von ihnen, vor dem Eingang einer Schenke, befanden sich drei Halbwüchsige, von denen zwei gerade dabei waren sich zu prügeln.
„Ich habe dir doch erzählt, dass General San’ka vor einiger Zeit in die Stadt gezogen ist. Einer der Gründe war sein Sohn, der ziemlich gut darin ist, sein Geld zu verprassen.“ Sie fragte sich, welcher der drei wohl sein Sohn sein mochte.
„Du scheinst ihn ja nicht besonders zu mögen.“
„Er ist ein eingebildeter Schnösel.“ Dies mochte er sein, doch er war auch ihre beste Chance um an seinen Vater heranzukommen. Weshalb sie nun gedankenverloren zum Himmel hinaufsah und nur beiläufig meinte: „Oh, es wird ja schon dunkel. Der Nachmittag ging echt ziemlich schnell vorbei.“
„Mist“, entfuhr es Teion und nun schien auch er sich an die Feier zu erinnern, von der er ihr vor einigen Stunden beiläufig erzählt hatte.
„Tut mir wirklich leid Ilia, aber ich muss weg. Wir sehen uns bestimmt bald!“ Damit rannte er davon und Arya wandte sich mit einem zufriedenen Lächeln um, damit sie die Verfolgung der drei Raufbolde aufnehmen konnte. Umso entnervter war sie, als diese nicht nachhause gingen, sondern in einer Schenke verschwanden. Aber was hatte sie anderes erwartet? Geduld, sagte sie sich, sei froh, dass du überhaupt seine Spur behalten konntest.
Eigentlich wäre es ihr lieber gewesen draussen alleine zu warten, aber es war nicht sicher, dass er auch wirklich wieder diesen Ausgang nehmen würde. Also setzte sie sich an einen Tisch der im Schatten lag und bestellte sich einen Teller Eintopf, damit sie nicht weiter auffiel- und ihren knurrenden Magen zum Schweigen brachte.
Während sie die drei beobachtete, versuchte sie ihren Worten zu entnehmen, welcher von ihnen der Sohn des Generals war. Anscheinend war es derjenige ganz rechts, einer der beiden, die sich geprügelt hatten. Wenn sie dem Gesprächsverlauf richtig gefolgt war, hiess er Faoron.
Während sie darauf wartete, dass die drei Raufbolde die Taverne wieder verliessen, versuchte sie sich einen groben Plan für den Mord zurechtzulegen. Als Waffen hatte sie sich einen Dolch, eine kleine Armbrust und Schlafsüss mitgenommen. Am liebsten wäre es ihr gewesen, letzteres verwenden zu können, da dann wohl die meisten von einem natürlichen Tod ausgegangen wären – oder der Mord zumindest nicht ganz so offensichtlich war, denn es gab ja immer wieder Leute, die im Schlaf starben. Aber letzten Endes musste das Geschenk nur irgendwie überbracht werden und so lange sie Lorath ungesehen wieder verlassen konnte, war es eigentlich egal, wie es passierte.
Es dauerte eine Weile bis die drei jungen Männer das Gebäude verliessen und wieder folgte Arya ihnen wie ein Schatten. Erst als sich die drei voneinander verabschiedeten sah sie, wie betrunken sie waren. Allen voran General San‘kas Sohn, was Arya auf eine Idee brachte, von der sie selbst überrascht war.
Sie schloss zu dem jungen Mann auf, der sich gerade an einer Wand abstützten musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
„Kann ich Euch helfen?“
„Nein, ich brauch‘ keine Hilfe von einem Weibs…“ weiter kam er nicht, bevor er sich mit einem lauten Würgen auf seine eigenen Schuhe erbrach. Sie ging noch ein paar Minuten schweigend neben ihm her, bis er plötzlich stehen blieb und sie musterte, obwohl sie stark bezweifelte, dass er bei diesen Lichtverhältnissen und in seinem Zustand besonders viel sehen konnte.
„Ich hab‘ zwar keine Ahnung wer du bis', aber wenn mein Vater rauskriegt, dass ich wieder zu lange weg war bekomm‘ ich richtige Probleme.“
Die Blicke, welche die beiden Hauswachen ihnen zuwarfen, als sie den Sohn des Generals mit sich schleppte waren recht genervt, jedoch nichts sonderlich überrascht. Anscheinend war weder Faorons betrunkene Erscheinung, noch seine weibliche Begleitung eine Überraschung, wodurch sie ungestört passieren konnten.
~
Im Haus war es still. Anscheinend schien es bis auf die beiden Wachen wirklich keine Bediensteten zu geben – oder zumindest keine, die sich im Moment bemerkbar machten. Das ganze Haus schlief und Arya hatte endlich eine Chance.
Sie liess sich von Faoron sein Zimmer zeigen, schubste ihn aufs Bett und hörte ihn bereits Schnarchen, noch ehe sie das Zimmer verlassen hatte.
Sie schaffte es, sich fast komplett lautlos zu bewegen, der Teppich und der Steinboden darunter boten hierfür die idealen Bedingungen. Faorons Schnarchen war das einzig vernehmbare Geräusch und der würde sicher nicht so schnell aufwachen. Also ging sie von Tür zu Tür und lauschte nach irgendeinem Lebenszeichen.
Nach vier erfolglosen Versuchen und nachdem sie einmal beinahe zwei Dienstmädchen aufgeweckt hätte, fand sie schliesslich ihr Ziel.
Sie erkannte eine männliche Gestalt, die reglos im Bett lag und dem regelmässigen Atem nach tief und fest schlief.
Sie löste den Dolch von ihrem Gürtel, trat neben das Bett und… hielt inne. Das Zimmer war für einen General recht spärlich eingerichtet. Was, wenn er ein wohlhabender Diener war? Oder irgendein Gast? Wenn sie nochmal eine falsche Person tötete, würde sie keine weitere Chance mehr erhalten, das hatte man ihr deutlich gemacht. Aber wie sollte sie nun herausfinden, ob er wirklich der General war und an ihn herankommen? Dieser Moment der sich ihr nun bot wäre die perfekte Möglichkeit gewesen um ihren Auftrag zu vollenden. Der Bluthund hatte ihr damals beigebracht, wo sich das Herz befand. Sie könnte den Mann töten, bevor er überhaupt richtig aufwachte. Oder sie konnte noch einen Tag abwarten und wenigstens sicher sein, dass sie den richtigen erwischte.
Dieser Kampf ging ausnahmsweise an ihren gesunden Menschenverstand und nicht an ihren Instinkt, weshalb sie den Dolch wieder an ihrem Gürtel befestigte.
Sie trat zurück in den Flur und erreichte nur kurze Zeit darauf wieder den Ausgang, wie zu erwarten befanden sich noch dieselben Wachen davor wie vorhin.
„Da ich nicht davon ausgehe, dass er dies tun wird, danke ich Euch dafür, dass Ihr ihn hierhergebracht habt. Sonst hätten wir ihn morgen früh wieder aus irgendeinem Strassengraben ziehen müssen.“ Der Wachmann lächelte ihr freundlich zu und sie erwiderte es.
„Gern geschehen.“ Ob sie immer noch so freundlich wären, wenn sie wüssten, weshalb sie eigentlich hier war?
~
Der nächste Tag erwies sich als ungünstig für ihr Vorhaben. Zum einen hatte Tavena mehr Arbeit für sie als üblicherweise und da sie nicht wusste, wie lange sie noch hier blieb, wollte sie es nicht riskieren, ihre Arbeit aufs Spiel zu setzten. Zum anderen waren als sie am Nachmittag das Anwesen erreichte so viele Leute auf den Strassen, dass es unmöglich gewesen wäre, ungesehen hinein zu gelangen. Also wartete sie noch die folgende Nacht ab, ehe sie kurz vor Morgengrauen über den Zaun kletterte. Wieder waren nur zwei Wachen dort, ob es dieselben waren wie vor zwei Nächten, konnte sie aus dieser Entfernung nicht sagen.
Ihre Haare hatte sie zu einem straffen Zopf geflochten und unter einer schwarzen Mütze versteckt, damit sie, sollte man sie sehen, nicht auf den ersten Blick erkannt wurde.
Bevor sie über die Mauer geklettert war, hatte sie einen Stein vom Boden aufgehoben und warf diesen nun in ein Gebüsch in der Nähe der Wachen.
„Was war das?“, fragte der eine.
„Sicher nur wieder diese blöde Katze.“ Damit war es schon wieder still. Anscheinend waren die Wachen doch nicht ganz so leichtgläubig, wie sie geglaubt- und zugegeben auch gehofft hatte. Die Fenster im unteren Stock waren geschlossen und an diejenigen im oberen Stock kam sie nicht heran, dafür bot die Hauswand zu wenig Halt. Ausserdem begann es bald zu dämmern und eigentlich hatte sie bereits im Haus sein wollen, wenn es soweit war. Spätestens wenn die Bediensteten aufstanden würde sich zeigen, welches Zimmer dem General gehörte.
Umso mehr Minuten verstrichen, desto aufgeregter wurde sie. Nun begann es tatsächlich heller zu werden und wenn sie nicht bald vorankam, würden die Wachen ihre Gestalt entdecken.
„Hältst du hier mal kurz die Stellung? Ich muss pinkeln.“ Damit zog sich eine der beiden Wachen zu einem der Gebüsche zurück und Arya blieb nur wenig Zeit, um den zweiten Wachmann abzulenken. Also hob sie einen zweiten Stein auf, zog sich ebenfalls zu einem Gebüsch zurück und schlug den Stein gegen die Hausmauer. Es war nicht wirklich ein lautes Geräusch, noch besonders auffällig, doch da es schon das zweite Mal an diesem frühen Morgen war, trat der verbliebene Wachmann in die Richtung des Geräusches und Arya hatte ihre Chance.
So schnell wie sie es mit ihren Brüdern getan hatte und so leise wie sie es in Braavos gelernt hatte, rannte sie über den Rasen, öffnete die Tür und schob sich hinein.
Kaum war die Tür hinter ihr zugefallen, war sie von ihrer Idee gar nicht mehr so begeistert wie noch kurze Zeit zuvor. Viel eher war es so, dass sie sich nun wie ein Tier in der Falle fühlte, denn beim letzten Mal als sie hier gewesen war, hatten alle geschlafen. Nun jedoch hörte sie mindestens drei verschiedene Stimmen und zwei davon kamen direkt auf sie zu.
„Was glaubst du wo er sich letzte Nacht wieder herumgetrieben hat?“
„Ich habe nicht die geringste Ahnung. Aber ehrlich gesagt will ich es auch nicht wissen.“
In letzter Sekunde hatte Arya es geschafft, sich hinter einem langen Vorhang am Fusse der Treppe zu verstecken, die in das obere Stockwerk führte. Sie stand still wie eine Statue da, hätte ihre Hand nur ein kleines Stück weiter ausstrecken müssen um eine der beiden Frauen zu berühren.
Kaum wurden die Stimmen leiser, verliess sie ihr Versteck und lief die Treppe nach oben, bevor ihr noch jemand entgegenkam.
Wäre das hier eine Burg, hätte sie sich ohne viel Aufwand als neue Dienstmagd ausgeben können, aber dieser Haushalt schien recht wenige Bedienstete zu haben und so wäre der Schummel aufgeflogen, bevor sie ihr Vorhaben hätte beenden können. Aber ohne sich sehen zu lassen, konnte sie den Auftrag an diesem Tag nicht mehr beenden und ob sie es ein drittes Mal wagte herein zu gelangen bezweifelte sie, vielleicht hatten die Wachen sie doch entdeckt und warteten nur darauf sie irgendwo abzufassen. Nein, sie wollte das hier jetzt erledigen.
Sie wusste noch ganz genau, wo sich das Zimmer ihres vermeintlichen Opfers befand. Aus diesem drang nun ein unüberhörbarer Streit. „…unreifer Nichtsnutz! Da verlangt man nur etwas von dir, eine einziger Abend deiner ach so wertvollen Zeit…“Diese Stimme war tief und vorwurfsvoll, die Stimme, die ihm antwortete schien jünger, jedoch kein Stück minder gereizt. Arya erkannte sie. Ein offensichtlicher Streit zwischen Vater und Sohn, also hatte Arya Recht gehabt. Auf die eine Seite ärgerte es sie, weil sie den Auftrag viel schneller hätte erledigen können und mit weniger Risiko noch dazu, aber jetzt konnte sie sich wenigstens sicher sein, dass sie den richtigen erwischte.
Sie hatte sich im Türrahmen eines Nebenzimmers versteckt, bemerkte aber erst, dass das Zimmer dahinter verschlossen war, als die Tür nebenan aufgerissen wurde und sie versuchte die Tür zu öffnen um sich dort zu verstecken.
Sie wusste nicht, womit sie solch ein Glück verdient hatte, aber Faoron war nach links abgebogen und nicht nach rechts, wo er sie unweigerlich gesehen hätte.
Die Tür schloss sich nicht und so warf Arya einen kurzen Blick hinein, wenn es sein musste, würde sie sich doch als neue Bedienstete oder wie in dem Gasthaus damals als Botin ausgeben. Doch ihr Opfer hatte ihr den Rücken zugewandt und schien den Kopf auf die Hände abgestützt zu haben. Verflucht, noch so eine Gelegenheit würde sie sich nicht entgehen lassen.
Sie löste die Armbrust von der Innenseite ihres Mantels, spannte den Bolzen… Und sah die braunen, überraschten Augen ihres Opfers, ehe sie ihm das Geschoss durch den Schädel jagte.
Es war nicht so geplant gewesen. Sie hatte es nicht so erledigen wollen und ganz bestimmt hatte sie ihm dabei nicht in die Augen sehen wollen, denn Josama San'ka hatte nichts getan, weswegen sie ihn hätte töten wollen, es war einfach ihr Auftrag gewesen.
Schnell riss sie sich los, trat rückwärts aus dem Zimmer hinaus und sah Faoron, wie er den Gang entlangkam, wahrscheinlich um sich mit seinem Vater zu versöhnen. Etwas, was er dank ihr nie mehr tun würde.
Überrascht sah er sie an und schien gerade zu einer Frage ansetzen zu wollen, doch Arya machte auf dem Absatz kehrt und rannte zu der Treppe, die sie noch vor wenigen Minuten hinaufgeschlichen war. Leise begann sie zu zählen. Eins. Sie hatte die Hälfte der Treppe erreicht. Zwei. Sie rannte beinahe einen Dienstboten über den Haufen und erreichte die Tür. Drei. Nun schien Faoron sich aus seiner Starre gelöst zu haben. „Haltet sie!“
Als der Ruf hinter ihr erschallte, war sie gerade zwischen den sichtlich überraschten Wachen hindurchgerannt, welche nun beide die Verfolgung aufnahmen. Doch wenn es eines gab, in dem Arya schon immer gut gewesen war, war es rennen. Zeit verlor sie nur, als sie versuchte den Zaun wieder emporzuklettern, wobei einer der Wachen sie am Knöchel zu fassen bekam. Der Mann war kräftiger als er aussah und zerrte sie nach unten, sie musste all ihre Kraft aufwenden um nicht abzurutschen und die Spitzen Eisenvorsprünge der Gitterstäbe bohrten sich tief in ihre Handflächen.
Sie fluchte lautlos und liess sich mit dem linken Fuss nach unten fallen, bis sie ein wohltuendes Knacken in den Ohren vernahm und der Griff des Wachmannes etwas nachliess, nicht lange, aber lange genug, damit sie sich nach oben stemmen und weiterklettern konnte. Dabei rutschte sie mehrere Male fast ab, weil das Blut die Oberfläche glitschig machte.
Als sie oben ankam, standen schon längst je drei Wachen zu jeder Seite des Zaunes und warteten nur darauf, dass sie das Gleichgewicht verlor und nach unten stürzte.
Arya hingegen stand mit festen Beinen auf den dünnen Stäben und dankte Syrio in Gedanken einmal mehr dafür, dass er sie stundenlang hatte auf einem Bein stehen lassen. Aber viel lange würde sie es nicht mehr aushalten, also tat sie das einzige, was sie in ihrer Situation noch tun konnte: Sie rannte weiter.
Bis sie das Ende des Zaunes erreicht hatte, brauchte sie nur fünf Sprünge. Ab da begann ihr Problem von neuem, denn es gab keine Mauer oder ein Fenster, an dem sie sich hätte hochziehen können. Nur die Strasse. Für rationales Denken blieb da keine Zeit, sie sprang einfach nur hinab und verlangte ihren Beinen das letzte ab.
Die gepflasterten Strassen zogen unter ihr vorbei, während sie die schweren Schritte der Wachen immer dicht hinter sich hörte. Sie kannte sich hier längst nicht so gut aus wie in Braavos und sicherlich nicht besser als die Wachen, trotzdem versuchte sie sich einen Weg durch Nebengassen zu bahnen und so vielleicht ihren Verfolgern zu entfliehen.
Obwohl sie ihren Auftrag erfüllt hatte, schien ihr dies kein besonders grosser Erfolg zu sein und sie hoffte nur, dass ihr das nicht zum Verhängnis wurde.
Sie spürte einen leichten Windhauch und sah den Pfeil, der sie nur um Haaresbreite verfehlt hatte, an ihrem Gesicht vorüberziehen. Welch eine Ironie es doch wäre, wenn sie auf dieselbe Weise sterben würde, wie der General vorhin. Aber fehlen würde sie niemandem, nicht in Westeros und nicht in Essos. Dieser Gedanke brannte heftiger als ihre blutigen Handflächen oder ihre aufgeplatzten Knie, aber gleichzeitig machte es sie auch schneller. Sie brauchte niemanden, der sie vermisste.
~
Erst als sie sich sicher war nicht mehr verfolgt zu werden, lehnte sie sich in einer engen Gasse an die Wand und schöpfte Atem. Zweifelsohne liess man sie suchen und zweifelsohne hatten sie irgendwann Erfolg damit. Sie mochte noch nicht allzu lange hier sein, doch als Ilia war sie auf dem Markt durchaus bekannt und auch wenn Tavena nichts gegen sie zu haben schien, sie hatte keinen Grund, sie in Schutz zu nehmen.
Um nicht wieder aufzufallen hätte sie sich umziehen müssen, aber ihre anderen Kleider befanden sich in dem kleinen Zimmer, welches sie in den letzten Wochen bewohnt hatte. Noch effektiver als ihre Kleidung zu wechseln wäre es gewesen, ihr Gesicht zu wechseln. Doch egal was Jaqen gemacht hatte, sie bekam das Ding nicht mehr ab, aus Neugierde hatte sie es schon mehrfach versucht.
Je länger sie über ihre Situation nachdachte, desto mehr wurde ihr bewusst, dass sie in der Falle steckte und es ohne fremde Hilfe nicht schaffen würde von der Insel weg zu kommen. Ihr kam eigentlich nur jemand in den Sinn, der genug Verbindungen hatte, um ihr dabei zu helfen. Teion. Als Diener des Fischerfürsten kannte er genug Kapitäne um sie irgendwie von hier weg zu bringen und zusammen mit ihrem letzten Geldvorrat würde es vielleicht reichen, um nach Braavos zurück zu gelangen.
Kaum hatte sich der Gedanken in ihrem Kopf festgesetzt, atmete sie ein letztes Mal tief durch, stiess sich von der Wand ab und ging weiter die Gasse entlang. Dabei öffnete sie die zusammengebundenen blonden Haare, an deren Farbe sie sich noch nicht wirklich hatte gewöhnen können, und band sich den Mantel in einem halbherzigen Versuch ihr Aussehen wenigstens ein wenig zu verändern um die Hüfte. Kurz spielte sie mit dem Gedanken dasselbe zu tun wie Yoren damals, als er sie aus Königsmund fortgeschafft hatte, nämlich ihr Haar kurz zu schneiden, aber sie hätte sowieso nicht mehr als Junge durchgehen können und ihr Haarschnitt wäre so schrecklich gewesen, dass sie erst recht aufgefallen wäre. Auch als Junge hätte sie nicht mehr durchgehen können, nur in dem Arbeitshemd und ohne den Mantel war es nämlich schwer, diese elenden beiden kleinen Buckel zu verstecken, die sich Brüste schimpften. Sie waren zwar noch nicht wirklich gut zu erkennen, aber sie waren da, weshalb Arya sich einmal mehr wünschte, ein Junge zu sein.
Noch während sie die ersten Meter durch die etwas belebtere Strasse ging, bemerkte sie erste Lücken in ihrem Plan, Teion war immer unterwegs und zwar an den unterschiedlichsten Orten. Auf dem Marktplatz, an einem der beiden Häfen, oder in einem der Häuser, manchmal sogar auf einer der anderen Inseln. Und obwohl man dort am ehesten nach ihr suchen würde, entschied sie sich dann doch für den Hafen, sie wollte wenigstens das Gefühl haben, eine Fluchtmöglichkeit in der Nähe zu wissen.
Am Fischerhafen herrschte meist der grössere Tumult als an demjenigen mit den Handelsschiffen, so auch an diesem Morgen. Sie sah Männer und Frauen, Händler und Bettler, kistenweise Meeresfrüchte, aber keine Spur von Teion. Dafür auffallend viele Wachen.
„He, entweder du kaufst was oder du verschwindest.“ Sie fuhr herum und erkannte den Fischer Yazem, bei dem sie an ihrem ersten Tag in Lorath Muscheln für Tavena geholt hatte. Seitdem hatte sie ihn zwar ein paar Mal gesehen, aber nie ein Wort mit ihm gewechselt.
Er musterte sie kurz und grinste.
„Na Zufälle gibt’s… Sie suchen ‘ne kleine blonde Göre mit einer Armbrust.“
„Siehst du hier irgendwo eine Armbrust?“
„Wie wär’s mit der hier?“ Er deutete auf ihren Mantel, den sie sich um die Hüfte gebunden hatte. Erst jetzt bemerkte sie, dass die Armbrust sich gelöst hatte und der grösste Teil davon unter dem Mantel hervortrat.
Ihr wurde schlagartig heiss und kalt zugleich. Wie lange lief sie schon mit diesem Ding so herum?
Sie machte einen Schritt zurück, versteckte die Armbrust unter dem Mantel und legte sich diesen über den Arm. Sie war sogar zu geschockt um ihrem Gegenüber zu drohen, wie sie es früher so gerne mit jedem gemacht hatte, der sie in Bedrängnis brachte.
„Ich… Das ist nicht…“
„Ach, erzähl‘ mir nichts. Vor mir brauchst du keine Angst zu haben, ich werde dich nicht verraten.“
„Und warum nicht?“
„Ich hab‘ so meine Abneigungen gegen alles was eine Rüstung trägt. Also mach das du hier weg kommst.“ Sie hatte keine Ahnung ob er das ernst meinte oder nicht, aber als sie sich wieder davonstahl, schien er ihr auf jeden Fall nicht zu folgen. Und auch sonst schien niemand besonders auf sie aufmerksam geworden zu sein. Zumindest niemand bis auf Faoron, den sie erst bemerkte, als er sich mit einem Schrei auf sie stürzte.
Sollte er jemals Verhaltensregeln gegenüber Mädchen gelernt haben, so hatte er sie in diesem Moment völlig ausgeschalten, denn der Schlag den er ihr mit der Faust versetzte liess schwarze Punkte vor ihren Augen tanzen. In dieser Hinsicht war sie jedoch schon ziemlich abgehärtet und sie wehrte sich so gut sie konnte.
Da sie sich etwas abseits des Hafens befanden, schien niemand die Auseinandersetzung mitzubekommen und keine der Wachen eilte dem Sohn ihres ermordeten Generals zu Hilfe.
Arya trat und schlug um sich, schaffte es sogar, sich für kurze Zeit aus Faorons Griff zu entwinden. Aber sie traf ihn nie gut genug um ihn ausser Gefecht zu setzten oder ihm ernsthafte Schmerzen zuzufügen und so bekam er sie jedes Mal bereits nach kurzer Zeit zu fassen.
„Warum hast du das getan?“ Weil es mein verdammter Auftrag war! Das war es zumindest, was sie ihm am liebsten entgegengeschrien hätte, aber natürlich tat sie das nicht. Sie sagte gar nichts und versuchte sich weiter gegen ihn zu wehren, als sie plötzlich einen Schatten hinter ihm wahrnahm.
Ein streunender Hund stand hinter Faoron und schien dem Treiben interessiert zuzusehen, wahrscheinlich wirkten sie in diesem Moment auch eher wie kämpfende Strassenhunde als Menschen. Für Aryas Geschmack schien das Tier jedoch zu friedfertig, hätte es sich auf Faoron gestürzt, wäre ihr zumindest eine Chance zur Flucht geblieben.
Der Gedanke genügte und noch ehe sie es recht begreifen konnte, befand sie sich hinter Faoron, im Körper des Hundes. Ihr eigener lag nun reglos auf dem Boden und Faoron hielt inne, er schien sichtlich überrascht und Arya konnte es ihm nicht verübeln.
Als sie während ihrer Bestrafung im Körper von Tieren gewesen war hatte sie geglaubt, ihre Augen wären lediglich offen und vom Gift getrübt, doch nun sah sie, dass sich ihre Pupillen nach innen gedreht zu haben schienen.
Faorons Verwirrung hielt glücklicherweise länger an als ihre eigene und so sprang sie ihn von der Seite an, stiess ihn von ihrem eigenen Körper herunter und fletschte die Zähne. Was sie jedoch nicht gesehen hatte war sein Messer, das er nun aufschnappen- und ohne zu zögern in den Hals des Tieres gleiten liess. Arya spürte den Schmerz und zog sich reflexartig in ihren eigenen Körper zurück.
Schwer atmend sprang sie auf die Beine, nahm den Mantel und die Armbrust mit sich und rannte wieder los. Faoron war ihr immer noch auf den Fersen, doch nun hatte sie wieder einen Vorsprung und begann diesen auszubauen. Sie bog in jede noch so kleine Gasse ab die sie finden konnte, rannte fast zwei Leute über den Haufen und wusste eigentlich gar nicht, wohin sie überhaupt rennen sollte. „Ilia?“ Sie blieb so abrupt stehen, dass sie fast gestolpert wäre und ihr Herz setzte vor Erleichterung kurz aus.
„Teion!“ Sie zerrte ihn in eine der Gassen. In seinen Augen stand Verblüffung, aber auch eine Spur Misstrauen.
„Ich glaube, sie suchen dich.“ Seiner Stimme war anzuhören, dass er es nicht nur glaubte, sondern sich dessen ziemlich sicher war.
„Bitte“, flehte sie. Etwas, das ihr mehr als zuwider war. Doch langsam zog sich die Schlinge um ihren Hals enger. „Ich muss hier weg. Kannst du mir dabei helfen?“ Er sah unschlüssig aus und für einen Moment glaubte Arya, er würde sie im Stich lassen. Verübeln könnte sie es ihm nicht, sie mochten sich zwar unterwegs einige Male begegnet sein, aber eigentlich kannten sie sich kaum und in seinen Augen war sie wohl nur eine Mörderin. Trotzdem nickte er grimmig.
„Gut. Aber ich mache das hier nur weil ich Faoron eins auswischen will. Und wenn sie dich trotzdem kriegen, lässt du mich aus dem Spiel. Verstanden?“ Sie nickte nur.