Der Winter naht. So oft hatte sie diese Worte gehört, ihnen jedoch nie eine grössere Bedeutung beigemessen. Sie selbst hatte noch nie einen Winter miterlebt, weshalb die Kälte sie nun völlig unerwartet traf- und das selbst in Königsmund. Der Plan des Kapitäns war es eigentlich gewesen, in Salzpfann anzulegen, doch die heftigen Winterstürme hatten sie nach Süden abdriften lassen.
«Was solls, wir können unsere Waren sicher auch hier loswerden.» Sie selbst sah das Ganze nicht ganz so gelassen, denn das bedeutete, dass sie die ganze Strecke bis in den Norden zu Pferd zurücklegen musste. Vorausgesetzt Jon befand sich überhaupt dort. Also schnappte sie sich ihr Gepäck und setzte zum ersten Mal seit mehr als neun Jahren einen Fuss auf den Boden von Königsmund. Sie hatte nicht vor, länger als ein paar Stunden hier zu bleiben.
Es war später Nachmittag, doch die Strassen waren so gut wie leer. Und die wenigen Leute, die Erledigungen machten, schienen es offenbar sehr eilig zu haben, wieder ins Haus zu kommen. Der Himmel war wolkenverhangen und in der Ferne sah sie sowohl den roten Bergfried, als auch die Ruine der Septe von Baelor vor sich aufragen.
Sie war so nahe. Wäre sie in der Lage gewesen, einem von Cerseis Wachen das Gesicht zu rauben, hätte sie nur wenige Tage gebraucht um sie von ihrer Liste zu streichen. Doch die Kunst, Gesichter von Toten zu entfernen hatte man ihr bislang noch nicht beigebracht, wahrscheinlich um genau solche Gedanken im Keim zu ersticken. Vielleicht hätte sie es auch ohne diesen Trick vermocht, doch ihr Auftrag galt einer anderen Königin. Eines Tages würde sie Cersei Lennister von ihrer Liste streichen, doch nicht heute.
Trotz der angespannten Lage war es nicht schwer ein Gasthaus zu finden, welches ihrem Vorhaben entsprach. Es war klein und schlecht besucht, der einzige Teil des Gebäudes der wirklich intakt war, war der Stall. Offensichtlich lebte der Wirt hauptsächlich vom Verkauf von Pferden an Reisende- und bald hatte er eine Kundin mehr.
Die Gaststube war heruntergekommen, aber warm und was immer da über dem Feuer brodelte, roch durchaus essbar. Hinter dem Tresen stand eine Frau und sah freundlich zu ihr herüber.
«Du siehst aus, als hättest du etwas vor. In südlicher Richtung, hoffe ich mal.» Sie wirkte nicht übertrieben neugierig und Arya hatte keinen Grund, die Richtung ihrer Reise geheim zu halten.
«Lieber wäre es mir, aber das Gegenteil ist der Fall. Darum brauche ich ein zähes Pferd und so viel Vorräte, wie Ihr entbehren könnt.» Ihr zuvor freundliches Gesicht wurde deutlich ernster.
«Wisst Ihr denn nicht, was im Norden lauert?»
«Wenigstens keine Königin, die ihre Untergebenen den Flammen übergibt.» Sie biss sich auf die Zunge, das war eindeutig die jüngere Arya, die aus ihr Gesprochen hatte. Doch dwie Frau hinter dem Tresen lächelte nur schief. «Seid euch da nicht so sicher. Daenerys Targaryen ist zurück. Das dürfte noch übel werden.»
«Wisst Ihr denn, wo sie sich aufhält?» Ihre Hoffnung, dass sie darauf tatsächlich eine brauchbare Antwort erhielt war zwar klein, aber es schadete ja nicht, wenigstens danach zu fragen.
«Anscheinend hat sie dem Stark-Bastard den Kopf verdreht. Sie sind schon seit Monaten gemeinsam unterwegs, man erzählt, sie versuchen eine Armee Untoter aufzuhalten. Bis vor ein paar Jahren hätte ich jeden für verrückt erklärt, der mit einer solchen Geschichte angekommen wäre. Aber bis vor einigen Jahren habe ich auch geglaubt, dass nichts und niemand in der Lage ist, diese verdammte Mauer einzureissen.» Ganz offensichtlich wollte sie nicht länger auf dem Thema herumreiten und Arya liess es vorerst darauf beruhen.
«Ich danke Euch für Eure Worte, ich weiss, Ihr meint es nur gut. Wie sieht es jetzt mit den Vorräten und dem Pferd aus?»
Bereits zwei Stunden später sass sie auf dem Sattel eines recht kleinen Pferdes. Die Wirtin hatte von vorne herein klargemacht, dass es nicht das schnellste Tier war, jedoch Ausdauer besass. Neben drei Laiben Brot und einer Unmenge an gepökeltem Fleisch hatte sie ihr auch getrocknete Beeren und Nüsse mitgegeben. Dies aber für einen stolzen Preis. «Die Zeiten sind nicht einfach.» Das war Arya klar, weshalb sie nicht mal versucht hatte, den Preis herunterzuhandeln.
Während sie mit dem Pferd in nördliche Richtung durch die Strassen ritt, sah sie immer wieder kleinere Truppen von Männern, die sich sammelten- und das mit Rüstungen und Waffen. Trotz der drohenden Gefahr aus dem Norden kämpfte noch immer jeder gegen jeden, denn sie konnte sich nicht vorstellen, dass die Männer aus den Kronlanden dem Norden zu Hilfe eilten. Wem diese Armee hier galt, wusste sie aber nicht. Sie kümmerte sich auch nicht weiter darum, denn sie liess Königsmund schnell hinter sich zurück.
Obwohl es bereits hier bitterkalt war und der Boden schneebedeckt, kam sie schneller voran als erwartet. Sie war bis jetzt zwei Mal auf diesem Teil des Königswegs unterwegs gewesen, einmal mit ihrem Vater und dem Tross des Königs Richtung Süden, einmal mit Yoren und den neuen Rekruten der Nachtwache Richtung Norden. In beiden Fällen waren sie mehr Leute gewesen und hatten Wagen dabeigehabt. Erst jetzt war ihr klar, wie sehr diese Wagen sie ausgebremst haben mussten, denn sie brauchte keine vier Tage, bis sie von weitem die Burg Sauhorn erblickte, den Familiensitzt des Hauses Schweyn.
Noch immer begegneten ihr immer wieder kleinere und auch grössere Truppen von Männern, offensichtlich war die Armee erst dabei, sich zu versammeln. Kaum einer schenkte ihr Beachtung, wegen dem kalten Wind hatte sie ohnehin meist die Kapuze ins Gesicht gezogen.
Eigentlich wäre sie auch gerne in der Nacht weitergeritten, doch dann war es nur noch kälter und da die dicke Wolkenschicht den Schein des Mondes nicht hindurch liess, war es einfach unmöglich, irgendetwas zu erkennen.
Sie schlug ihr Nachtlager immer in grosszügiger Entfernung zum Weg auf, wenn sie konnte, in einer kleinen Senke. Meist entzündete sie ihr Feuer wenn es dämmerte, damit es, sobald die Dunkelheit hereinbrach, zu einem Gluthaufen zusammengefallen war. So verminderte sie die Gefahr, mit dem Licht die falschen Leute anzulocken. Glut hin oder her, sie brauchte all ihre Felle und Decken, damit sie nicht die ganze Nacht hindurch bitterlich fror. Zwar hatte sie auch ein Zelt dabei, allerdings wollte sie sich nicht jeden Abend die Mühe machen, es aufzustellen. Zumal sie dann noch weniger gesehen hätte, was um ihr Lager herum vor sich ging.
Trotz ihrem strammen Tempo dauerte es fast zwei Wochen, bis Harrenhal vor ihr in Sicht kam. Sie hasste diese Burg. Die ausgebrannten Türme, die Erinnerungen an die qualvollen Schreie der Gefangenen, als der Kitzler sie gefoltert hatte. Zugleich dachte sie an Gendry und Heisse Pastete, wobei sich ihr Herz schmerzhaft zusammenzog. Heisse Pastete mochte es gut gehen, er hatte im Gasthaus zum knienden Mann ein neues Zuhause gefunden. Von Gendry hingegen war mit aller Wahrscheinlichkeit nicht viel mehr übrig als ein Häufchen Asche.
Obwohl es bereits dämmerte, trieb sie ihr Pferd weiter voran, bis die Burg ausser Sichtweite verschwunden war. Durch diesen längeren Ritt schaffte sie es, bereits am nächsten Abend Kreuzweg zu erreichen. Es war das erste Mal seit Königsmund, dass sie das Innere eines Wirtshauses betrat und entgegen ihres eigentlichen Plans blieb sie nicht eine- sondern gleich zwei Nächte dort. Denn am Abend ihrer Ankunft hatte Schneefall eingesetzt und sie sah darin einen guten Grund, einen Tag abzuwarten und zu sehen, wie sich das Wetter entwickelte. Ausserdem wollte sie ihre ganz eigenen Erkundungen anstellen, denn so lange sie in der Kälte übernachtet hatte, hatte sie sich gefürchtet, in Nymerias Körper umherzustreifen, da sie ihren eigenen ungeschützt zurückgelassen hätte. Im Wirtshaus hatte sie diese Angst nicht und sie entging ausserdem der Gefahr zu erfrieren, wenn sie sich etwas länger als geplant im Körper der Wölfin aufhielt.
Doch was Nymeria betraf war ihre Hoffnung umsonst, sie konnte nichts Nennenswertes herausfinden, ausser, dass das Rudel tatsächlich weitergezogen war und nun offenbar zwischen den Mondbergen umherstreifte.
Um einiges hilfreicher erwies sich da ein Gespräch, welches sie am zweiten Tag mit einem alten Mann führte. Bei einer eingehenden Musterung der Gäste hatte sie auf den ersten Blick nur Soldaten, Söldner und ein paar einzelne Händler entdeckt. Einen von ihnen über Jon auszufragen hätte sie nur verdächtig gemacht und die Händler wussten wahrscheinlich auch nicht viel mehr als sie selbst. Sie hatte auch versucht eines der Schankmädchen in ein Gespräch zu verwickeln, doch die hatten beide Hände voll zu tun. Da war ihr der Mann ins Auge gestochen, der alleine in einer dunklen Ecke des Raums sass und an seinem Becher nippte. Da das Wirtshaus bis auf seinen Tisch sehr voll war, hatte sie auch gleich einen guten Grund gehabt, sich zu ihm zu setzen.
«Ich weiss auch nicht was der Bastard vorhat.» Er spuckte auf den Boden. «Aber er scheint dümmer zu sein, als ich dachte. Der Idiot hat sich in der Grauwasserwacht verschanzt.» Sie wurde hellhörig. Denn dumm war das bei Weitem nicht, Howland Reet war ein Freund ihres Vaters gewesen und gewährte Jon sicher den Schutz, den er brauchte. Aber er war auch bei Roberts Rebellion dabei gewesen und hatte dort unter anderem gegen Aerys´ Streitmacht gekämpft. «Dann ist Jon alleine dort?»
«Nein, die Targaryen-Hure und ihre scheiss Drachen sind auch dort. Keine Ahnung was die beiden für ein Ding am Laufen haben, aber sie sind schon seit Monaten zusammen unterwegs.» Er nahm einen weiteren Schluck Bier und musterte sie abschätzend. «Aber was interessiert dich das? Bist du etwa alleine unterwegs?»
«Nein», erwiderte sie mit einer Selbstverständlichkeit, die ihr vielleicht sogar die Heimatlose abgekauft hätte. «Ich bin mit meinem Bruder hier, er ist Händler. Wir waren längere Zeit unterwegs und wollen jetzt nach Hause. Aber wir hörten von den Unruhen und da er noch schläft, höre ich mich für ihn um. Er hält solche Dinge gern vor mir geheim.»
«Und da hat er Recht, das ist nichts für ein Mädel.» Sie biss sich auf die Zunge, um den gehässigen Kommentar hinunterzuschlucken, der ihr auf der Zunge brannte. Stattdessen erhob sie sich, ging in ihr Zimmer zurück und packte ihre Sachen. Wenigstens hatte sie jetzt einen Anhaltspunkt wo sich Jon befand, aber sie musste zugeben, dass auch sie sich fragte, warum er in solcher Nähe zu den Zwillingen sein Lager aufgeschlagen hatte. Jon war nicht die Sorte Mensch, die Rache übte, also was machte er dort?
Es dauerte nicht lange, da hatte sie schon ganz andere Sorgen als den Aufenthaltsort ihres Bruders. Als sie nämlich aus dem Wirtshaus trat, sah sie, wie verheerend der Schneefall gewesen war. Ein Weiterkommen zu Pferd war für den Moment nicht möglich. Sie konnte aber nicht länger bis zu ihrem Aufbruch warten, es war Winter, somit konnte es auch sein, dass das Wetter gar nicht mehr besser wurde. Und sie hatte keine Ahnung, wie lange Jon noch in Grauwasserwacht blieb. Also verhökerte sie das Pferd und das Zaumzeug für einen Spottpreis, der gerade reichte, um die Ausgaben für den weiteren Proviant zu decken, und machte sich auf den Weg.
Es war mühsam, sich Tag für Tag durch die Schneemassen zu kämpfen und es begegnete ihr nun keine Menschenseele mehr. In gewisser Weise war sie auch froh darüber, sich nur um sich selbst kümmern zu müssen und nicht immer auf all ihre Mitmenschen zu achten, denn die gab es hier einfach nicht. Zu jeder anderen Zeit war der Weg zwischen Kreuzweg und den Zwillingen viel befahren, aber bei dem Wetter ging niemand hinaus, der keinen triftigen Grund dazu hatte.
Der Drang Rache zu üben verstärkte sich mit jedem Schritt, dem sie sich den Zwillingen näherte. Sie war sogar schon so weit, dass sie überlegte, welches der Gesichter ihr dabei am besten helfen konnte. Aber etwas hielt sie zurück. Wenn sie jetzt ihrer Rache folgte, fanden die Priester es irgendwann heraus. Sie war schon lange genug dort gewesen um zu wissen, dass es immer irgendwo irgendjemanden gab, der solche Informationen weitergab. Vielleicht hatte sie Glück und durch den Winter und alle anderen Ereignisse fiel es nicht besonders ins Gewicht, aber sicher sein konnte sie sich nicht. Und ihr eigentliches Opfer war schon so nahe. Wenn sei Jon und Daenerys nur wegen ihrer eigenen Rache aus den Augen verlor, durfte sie vielleicht nochmal den halben Kontinent durchqueren und dazu hatte sie nun wirklich keine Lust. Also schulterte sie wieder ihr Gepäck und ging weiter. Zugleich fragte sie sich, ob man nach ihr suchen würde, wenn sie untertauchte, um ihre Rache zu nehmen. Sie kannte die Antwort. Und das war es ihr nicht wert, denn auch wenn der Hauptgrund weshalb sie nach Braavos gegangen war ihre Rache gewesen war, sie war aus anderen Gründen geblieben.
~
Nun da sie kein Pferd mehr hatte, musste sie sich auch nicht mehr darum sorgen, in der Dunkelheit eine Unebenheit zu übersehen. Der Himmel unterstützte ihr Vorhaben, denn wenn es nicht gerade schneite, kam es des Öfteren vor, dass die Wolkendecke aufklaffte und die zunehmende Mondsichel ihr Licht spendete.
So kämpfte sie sich jeden Tag ein Stück weiter voran, durch die Schneemassen wusste sie nicht immer, wo sie sich genau befand, aber jedenfalls war sie in nördlicher Richtung unterwegs. Eines Nachts vernahm sie jedoch ein Geräusch, welches ihr die Richtung wies. Es kam aus grosser Entfernung und sie hatte noch nie etwas Vergleichbares gehört. Es klang wie das Fauchen eines Tieres, doch war es keines, das Arya bekannt gewesen wäre.
So schnell sie konnte ging sie in die Richtung, die ihr das Geräusch gewiesen hatte und erreichte bald eine kleine Anhöhe, von der aus sie das Ufer des Tridents überblicken konnte. Hunderte Zelte drängten sich dicht an dicht. Eine Wolke schob sich vor den Mond, weshalb sie nicht mehr als das eben gesehene Lager ausmachen konnte. Auch das Geräusch von vorhin war verklungen. Dieses Geräusch zumindest.
Dadurch, dass sie die letzten Tage völlig ungestört verreist war, hörte sich das Knirschen des Schnees hinter ihr unglaublich laut an.
Langsam drehte sie sich um brauchte aber einen Moment, um die Quelle des Geräusches ausfindig zu machen. Denn das Fell des Schattenwolfes war ebenso weiss wie der Schnee, auf dem er umherstapfte. Er war riesig und selbst Arya fühlte sich zuerst etwas unbehaglich, doch der Wolf war völlig ruhig und sah sie abwartend an. Dann liess er ein leises Heulen erklingen.
Hinter ihm näherte sich eine weitere Gestalt, doch diese war menschlich und ebenso wie Arya in einen dicken Mantel gehüllt.
«Was hast du, Geist?» Er legte die Hand an seinen Schwertgürtel und trat näher, Arya hob langsam die Hände um die Kapuze nach hinten zu ziehen.
Er starrte sie an. Und sie starrte zurück. Das Mondlicht war spärlich und sie sah wenig, und dennoch sah sie genug. Zehn Jahre waren vergangen, seit sie sich zuletzt gegenübergestanden hatten und sie hatte sich diesen Moment so oft herbeigesehnt, sich vorgestellt, wie sie ihm um den Hals fiel. Doch nun stand sie stocksteif da, nicht in der Lage, auch nur einen Schritt zu tun. Jon schien es nicht viel anders zu gehen, er bewegte sich erst, als Geist ihn mit der Schnauze anstiess. Aber dann ging alles sehr schnell und noch ehe sie es sich versah, hatte er seine Arme um sie geschlungen und sie hochgehoben, wie er es in ihrer Kindheit immer getan hatte.
«Wo warst du?» Sie brauchte ihm nicht ins Gesicht zu sehen, um zu merken, dass er weinte. Es erstaunte sie viel eher, dass sie es nicht tat. Auch sie genoss den Moment und war dem Glück so nahe wie schon seit Jahren nicht mehr, aber etwas war anders. Vielleicht das Wissen, dass sie nicht für immer bleiben konnte, vielleicht die Jahre, die sie getrennt gewesen waren. Aber sie konnte nicht leugnen, dass sie diese Umarmung gerade ebenso nötig hatte wie Jon und so schlang sie die Arme um seinen Rücken und presste sich fest an ihn.
Als sie sich voneinander lösten, hatten sich auch die letzten Wolken vom Himmel verzogen und sie sah ihm ins Gesicht. Ja, ihr Bruder war erwachsen geworden.
«Wie hast du mich gefunden?» Seine Tränen waren längst versiegt, doch seine Stimme klang heiser.
«Ich habe mich durchgefragt.» Sie schenkte ihm ein schiefes Lächeln und er erwiderte es, wenn auch nur halbherzig.
«Wo warst du?», wiederholte er seine erste Frage und sie seufzte.
«Das ist eine lange Geschichte.»
«Und wenn sie eine Woche dauert, ich will sie hören.» Das war ihr klar gewesen, aber sie musste ihn ja nicht bei allem was geschehen war belügen.
«Dann brauchen wir wohl eher zwei Wochen, wie man sich erzählt, hast auch du so einiges erlebt.» Sie vermied es, ihn jetzt schon auf Daenerys anzusprechen, dieser Moment sollte nur ihnen gehören.
«In dem Fall schlage ich aber vor, dass wir reingehen.» Dem hatte sie nichts entgegenzusetzen.
Nun wo sie sich der Burg näherten, konnte sie einen genaueren Blick auf die zahlreichen Zelte werfen, die sie schon zuvor erblickt hatte. In dieser Dunkelheit war es schwer zu sagen, wie viele es genau waren. Sie wusste nur, dass sie noch nie ein solch grosses Lager gesehen hatte.
«Warum lagert ihr in solcher Nähe zu den Zwillingen?» Sie konnte sich der Frage nicht erwehren und Jon zog eine Grimasse. «Weil er auf die Unterstützung aus dem Süden warten will. Anstatt uns zu helfen, wie sie es versprochen hat, will Cersei uns mit Hilfe von Walders Männer in den Rücken fallen. Deshalb sind wir auch noch nicht weiter gegen Norden gezogen, dort gibt es auch so schon genug, worüber sich die Leute sorgen können. Ich will versuchen, mit den Heeresführern zu verhandeln.»
«Das haben Vater und Robb auch immer versucht.» Die Worte schmerzten ihn offensichtlich, aber es war nichts als die Wahrheit. Wären ihr Vater und ihr ältester Bruder weniger vertrauensselig gewesen, wären sie heute vielleicht beide noch am Leben. Wie kam Jon überhaupt dazu auch nur ansatzweise zu glauben, Cersei würde ihnen helfen?
Mittlerweile hatten sie Grauwasserwacht erreicht. Wie Arya wusste, befand sich die Burg nie lange am selben Ort. Doch dafür, dass das Gebäude ständig auf dem Wasser trieb, war es recht imposant. Es erstaunte sie, dass es überhaupt auf dem Wasser treiben konnte, ohne unter zu gehen. Maester Luwin hatte ihnen einmal zu erklären versucht, wie das möglich war, doch sie war damals zu jung gewesen, um es zu verstehen.
Die Wachen, welche das Wappen des Hauses Reet trugen, liessen sie ohne Weiteres die Hängebrücke, die das Festland von der Burg trennte, passieren und Jon führte sie durch die Gänge bis zu seinem Zimmer.
Es war nicht sonderlich gross, aber gemütlich und es gab zwei Sessel am Kamin, in denen sie sich auch gleich niederliessen, nachdem sie ihre Mäntel beiseitegelegt hatten. Arya hatte ihren Rucksack und die verbliebene Tasche so hingelegt, dass sie Blickkontakt dazu hatte. Sie benützte zwar ihre Identität um an Daenerys heranzukommen, dennoch hatte sie zwei Gesichter mitgenommen, nur für alle Fälle.
«Bei Sansa wusste ich immer, wo sie sich befindet. Ich wusste, dass es ihr schlecht ging, aber sie war noch am Leben. Aber du… Man erzählte sich, du seist verschwunden und hat dich für tot erklärt. Wie konntest du nur entkommen?» Sie wärmte die Hände am Kamin, während sie ihm antwortete.
«Ich nehme an du kanntest Yoren?»
«Nur flüchtig, er brach kurz nach meiner Ankunft bei der Mauer Richtung Süden auf, um neue Rekruten zu holen.» Seine Miene veränderte sich, offensichtlich ahnte er, worauf sie hinauswollte. «Also hat er dich aus Königsmund mitgenommen?»
Sie nickte. «Er hat dafür gesorgt, dass ich Vaters Hinrichtung nicht mit ansehen musste. Danach hat er mir die Haare abgeschnitten und mich als Junge verkleidet mitgenommen. Er wollte mich nach Winterfell zurückbringen.» Jon unterbrach sie nicht und sie fand es war an der Zeit, Yorens Ruf rein zu waschen. Wahrscheinlich gab es Mitglieder der Nachtwache, die ihn für einen Deserteur hielten.
«Wir wurden von Lannistersoldaten angegriffen. Dabei hat Amory Lorch Yoren getötet, weil der sich geweigert hat, ihnen einen der Rekruten auszuhändigen.» Sie dachte nicht nur an Yoren, auch Lommys Leiche war ihr noch deutlich in Erinnerung. Doch wenigstens diesen Freund hatte sie gerächt.
«Wie bist du entkommen?»
«Gar nicht. Sie brachten uns nach Harrenhal. Erst einige Wochen später konnte ich dank eines Freundes fliehen.» Seine Augen blieben ernst, aber ihre Worte konnten ihm dennoch ein Lächeln entlocken.
«Du findest auch wirklich überall Freunde, nicht wahr?»
«So lange sie in keinem Kleid stecken schon.» Tatsächlich war es so, dass Aryas beste Freunde immer männlich gewesen waren. Gleichzeitig wurde ihr aber auch bewusst, dass kaum einer dieser Freunde mehr lebte. Zuerst Mycah, dann Syrio und schliesslich Gendry. Bei Gendry konnte sie sich nichts vorwerfen, aber sowohl Mycah als auch Syrio wären noch am Leben, wäre sie nicht gewesen. Sie versuchte den Gedanken abzuschütteln.
«Was ist mit den anderen? Ich habe gehört, Sansa ist zurück in Winterfell. Weisst du etwas über Rickon und Bran?»
Spätestens nun war jegliche Chance auf eine angenehmere Gesprächsstimmung vertan, denn Jon erzählte ihr alles. Von Rickons Tod und Sansas Ehe mit Ramsay. Seinem Weggang von der Nachtwache und was sich die letzten Monate im Norden ereignet hatte.
Sansas Ehe mit Ramsay schockierte sie nicht mal sonderlich, sie konnte ihr aber auch nicht besonders böse sein. Jon hatte ihr erzählt, dass sie es getan hatte, um den Norden früher oder später wieder für sich gewinnen zu können und Arya glaubte ihr. Sansa mochte naiv sein und vieles was sie in Königsmund getan hatte konnte sie ihrer Schwester niemals vergeben. Aber Sansas Plan schien letzten Endes doch aufgegangen zu sein, Winterfell befand sich wieder in der Hand ihrer Familie.
Die Nachricht von Rickons Tod schmerzte sie, besonders die Ironie, dass er all die Jahre durchgehalten hatte, nur um kurz vor seiner Befreiung getötet zu werden. Doch wie Jon ihr versicherte, war Ramsay seiner gerechten Strafe zugeführt worden.
Er erzählte ihr auch von Daenerys und dass sie ihnen dabei helfen wollte, den Weissen Wanderern Einhalt zu gebieten. Sobald sie die Armee aus dem Süden abgefangen hatten, kehrten sie nach Winterfell zurück.
«Und was ist, wenn der Nachtkönig in der Zwischenzeit angreift?» Er hatte ihr auch berichtet, was jenseits der Mauer vorgefallen war und um wen es sich bei ihrem Gegner handelte.
«Er ist nicht dumm. Noch sind seine Streitmächte nicht stark genug, um den ganzen Kontinent zu überrennen. Der letzte Rabe unserer Späher im Norden brachte die Nachricht, dass sie sich bei Brandons alter Schenkung versammeln. Deshalb sind wir auch auf die Hilfe aus dem Süden angewiesen.»
«Glaubst du denn wirklich, dass sie auch nur einen Finger für den Norden rühren? Bis sie merken, dass es auch sie betrifft, ist es doch schon längst zu spät.» Sie massierte sich die Schläfen, all das neue Wissen bereitete ihr Kopfschmerzen- besonders das Wissen, dass eine Horde Untoter versuchte, sie auszulöschen und zu unterwerfen. Nach ihrer Zeit in Asshai hätte sie nicht geglaubt, dass etwas sie noch so überraschen konnte.
«Nicht alle sind so verblendet wie Cersei.» Entweder Jon glaubte wirklich daran, oder er war verdammt gut darin, seine wahren Gedanken zu verbergen.
«Ich hoffe, du hast Recht.»
Für eine Weile schwiegen sie beide. Arya liess den Blick durch den Raum schweifen und bemerkte eine Bewegung neben ihrem Gepäck. Eine Maus versuchte, ein Loch in ihre Tasche zu nagen, scheiterte aber an dem festen Stoff.
«Du hast gesagt, du konntest aus Harrenhal entkommen. Was ist danach passiert?» Sie löste den Blick von dem kleinen Nagetier und ging nochmal ihre Antwort durch. Nach einem ihrer Lügenspiele hatte die Heimatlose ihr einmal erklärt, je näher sich eine Lüge an der Wahrheit befand, desto glaubwürdiger war sie. Also erzählte sie ihm von der Bruderschaft ohne Banner und dass sie fortgelaufen war. Sie verschonte ihn mit den Details, es war auch nicht wichtig. Auch ihre Zusammenreise mit dem Hund verschwieg sie nicht. Erst danach begann sie zu lügen.
«Ich dachte, er ist tot. Also ging ich zum nächsten Hafen und wollte ein Schiff in den Norden nehmen. Aber ich wusste nicht, ob du noch dort warst und mir war klar, dass sie keine Mädchen bei der Nachtwache aufnehmen. Ich wusste nicht wo ich sonst noch hin sollte. Also habe ich mich einfach auf einem der Schiffe versteckt, bis wir abgelegt hatten. Es dauerte fast einen Tag bis sie mich fanden. Der Kapitän war fuchsteufelswild, kehrte aber nicht mehr um. Und so bin ich schliesslich in Braavos gelandet.»
Sie verwendete nicht viel Zeit darauf zu schildern, was sie dort erlebt hatte, sonst verstrickte sie sich am Ende noch in ihrer Lüge. Sie berichtete nur, dass sie es geschafft habe, sich mit dem Verkauf von Muscheln über Wasser zu halten und sie auch einige Zeit bei der Stadtwache verbracht habe. Was auch stimmte. Und so musste sie sich zumindest nicht erklären, wenn er sie einmal kämpfen sehen sollte. Die Leute aus Braavos waren unter anderem fürs Kämpfen bekannt und sie konnte nur hoffen, dass er nicht merkte, dass ihre Fähigkeiten über diejenigen einer Wachsoldatin weit hinausgingen.
Sie merkte, wie sich die Lichtverhältnisse im Raum änderten und wandte sich in ihrem Sessel um. Es dämmerte.
«Du solltest dich hinlegen.» Jon erhob sich und streckte seinen Rücken durch, ihr Gespräch hatte die halbe Nacht lang gedauert.
«Schon gut», log sie, «ich bin nicht wirklich müde. Mich interessiert es eher, wie eine schwimmende Burg durch den Tag aussieht.»
«Ich kann dir gerne später alles zeigen, aber vorher muss ich zu einer Besprechung.» Seine Worte wurden von einem leisen Klopfen an der Tür bekräftigt.
«Jon?» Eine Frau mit silberblondem Haar streckte den Kopf herein und schien im ersten Moment sichtlich überrascht darüber, dass Jon nicht alleine war. Dann sah sie zum Gepäck und trat ein.
«Ein Neuankömmling?»
«Meine Schwester Arya.» Ihre Überraschung wich einem Lächeln, das auf den ersten Blick echt wirkte.
«Es freut mich, Euch kennen zu lernen, Lady Arya.»
«Ganz meinerseits, Lady Targaryen.» Sie erwiderte das Lächeln so gut sie konnte, wäre aber nie auf die Idee gekommen, einen Knicks oder gar eine Verbeugung zu machen. Daenerys´ Untergebenen konnten so lange vor ihr im Dreck kriechen wie sie wollten, Arya war keine von ihnen. Sie hatte auch absichtlich auf die Anrede «Königin» verzichtet.
«Ich werde bald zurück sein», versicherte ihr Jon, «warte solange hier.»
Sie wartete gerade so lange, bis die Tür hinter Jon zugefallen war. Danach liess sie sich in den Sessel zurücksinken und konzentrierte sich auf die kleine Maus, die versucht hatte, sich durch ihre Tasche zu fressen.
Es war leichter als gedacht das Tier zu finden und ehe sie es sich versah, huschte sie am Boden entlang. Nun erkannte sie auch, wo die Maus in den Raum gelangt war. Dort wo die Tür an der Wand befestigt war, war ein Teil des Holzes abgesplittert.
Als Mensch erkannte man diesen Makel kaum, doch die Feldmaus schaffte es gerade noch so, sich hindurch zu quetschen.
Sie sah den blonden Haarschopf von Daenerys in einem der Gänge verschwinden und nahm die Verfolgung auf.
«Du siehst aus, als könntest du jeden Moment einschlafen.» Tatsächlich hatte Jon deutliche Ringe unter den Augen, aber das lag sicher nicht nur an dieser Nacht. Offensichtlich war der Schlaf bei ihm schon lange zu kurz gekommen.
«Nach der Besprechung vielleicht.»
«Ihr steht euch nahe, nicht wahr?» Sie konnte sein Gesicht nicht sehen als er antwortete.
«Sie hat mich immer als ihren Bruder akzeptiert, nicht als den Bastard ihres Vaters.» Dann war er also nach all dem, was er erreicht hatte, immer noch nicht darüber hinweg.
«Glaubst du denn auch, sie wird mich als Königin akzeptieren?» Aryas Trotz war ihr offensichtlich nicht verborgen geblieben.
Jon entging dieser Frage, indem er eine Tür öffnete, die nach rechts abzweigte. Viele Stimmen schlugen ihnen entgegen und sie huschte noch rechtzeitig durch die Tür, ehe diese hinter ihr ins Schloss fiel.
Mit dem Schliessen der Tür verstummten auch alle Gespräche und ein Mann um die vierzig, der noch fast müder aussah als Jon, ergriff ohne Weiteres das Wort.
«Du weisst, dass ich alles tue, um euch zu helfen. Aber die Vorräte werden knapp und die Truppen kommen nicht gut miteinander aus. Das sind sehr schlechte Voraussetzungen für einen Kampf.» Sie hatte den Mann noch nie zuvor gesehen, aber da er auf die Vorräte zu sprechen kam, musste es wohl der Herr der Burg sein, Howland Reet.
«Ich will auch nicht kämpfen. Wenn wir uns gegenseitig abschlachten haben wir nicht genug Männer, um gegen den Nachtkönig zu bestehen.»
«Und der Rückt immer weiter nach Süden vor.» Der Mann, welcher nun das Wort ergriffen hatte, zeichnete sich in erster Linie durch seine Fettheit aus. Arya hoffte nur, dass er ein guter Stratege war, denn kämpfen konnte er sicherlich nicht mehr. «Also wenn Ihr wirklich glaubt, ohne Blutvergiessen hier fertig zu werden, sollten wir die Truppen so schnell wie möglich nach Norden abziehen lassen.»
Nun ergriff Daenerys das Wort. «Ich habe schon fast hundert meiner Leute an die Kälte verloren. Sie haben sich noch nicht an das Klima gewöhnt, wenn wir jetzt in den Norden vorrücken-» Der Fettwanst liess sie gar nicht erst aussprechen.
«Dann hättet Ihr vielleicht eher die Sommerinseln einnehmen sollen, dort soll es recht angenehm sein. Sind wir ehrlich, wir haben nur wegen eurer Leute hier haltgemacht. Andernfalls befänden wir uns schon längst wieder im Norden.» Wären Blicke in der Lage zu töten, so hätte die Königin der Drachen diese Disziplin soeben perfektioniert. Doch ihre Stimme blieb verhältnismässig ruhig, also sie antwortete.
«Wir sind hier, weil das Wetter eine Weiterreise unmöglich gemacht hat. Mit dem Schiff kommen wir nicht mehr weiter und für einen langen Fussmarsch im Winter sind die Dorthraki nunmal nicht ausgerüstet.» Sie wollte offensichtlich noch etwas hinzufügen, doch Jon kam ihr zuvor um eine schlimmere Auseinandersetzung zu vermeiden.
«Unsere Nerven liegen blank. Das verstehe ich, aber wir sind auch so schon angreifbar genug, wenn wir uns nicht mal untereinander vertragen, sind wir jetzt schon verloren.» Daenerys´ Blick sprühte vor Abneigung, aber sie schluckte ihre Wut hinunter und Jon fuhr fort.
«Ihr habt Recht, Lord Manderly. Ich wollte warten, bis unsere Armee die grösstmögliche Stärke hat, ehe wir nach Norden zurückkehren. Aber das lässt sich kaum einrichten.»
Er sah zu Daenerys. «Die Dothraki können hierbleiben, falls es tatsächlich zu einer Auseinandersetzung kommt.»
«Bei allem Respekt, ich empfehle Euch mitzukommen. Die Bewohner des Nordens werden langsam unruhig.»
«Tot werden uns die Dothraki aber nicht von Nutzen sein. Und wir bleiben hier, um mit den Gegnern zu verhandeln.» Dies war offensichtlich nicht die erste Diskussion zu diesem Thema, vielleicht aber die letzte, denn obwohl Lord Manderly nicht wirklich glücklich darüber schien, wiedersprach er nicht.
Für den Moment hatte sie genug gehört und so befand sie sich nur einen Moment später wieder auf dem Sessel in Jons Zimmer. Das Feuer war endgültig heruntergebrannt und durch die mangelnde Bewegung war ihr kalt.
Das Gespräch schien mit Jons Entscheidung beendet zu sein, denn es dauerte nicht lange, bis er wieder in die Gemächer trat. «Hör zu Arya, ich habe leider keine Zeit dir alles zu zeigen. Und ich fürchte, du hast auch nicht besonders lange Zeit, dich auszuruhen.»
«Was meinst du?» Sie ahnte sehr wohl, worauf das hier hinauslief.
«Ein Teil der Armee zieht heute nach Norden ab. Das Wetter wird immer unberechenbarer, darum will ich, dass du mit ihnen mitgehst.»
«Ich habe so einiges aufgenommen um dich zu finden, du kannst nicht erwarten, dass ich gleich wieder gehe.» Eigentlich freute sie sich darauf Winterfell wieder zu sehen, der Hauptgrund ihrer Ablehnung war, dass sie sich so auch von Daenerys entfernte, was ihren Auftrag in die Länge zog.
«Ich hätte dich auch lieber in meiner Nähe. Und die Gefahr aus dem Norden wächst von Tag zu Tag. Trotzdem denke ich, dass du in Winterfell besser aufgehoben bist.» Von diesen Ausführungen war sie wenig überzeugt. «Wir werden bald nachkommen. Wenn der Süden weiterhin stur bleibt, müssen wir versuchen, alleine zu bestehen. Aber diesen einen Versuch will ich noch machen.» Er trat einen Schritt auf sie zu und lächelte.
«Bis jetzt hast du mir auch immer vertraut.»
«Das tue ich auch jetzt.» Sie blickte ihm bei dieser Lüge in die Augen. Sah er denn nicht, dass Daenerys´ Anwesenheit seine Leute nur noch mehr spaltete? Zudem wollte sie Daenerys nicht aus den Augen verlieren, wer wusste schon, wann sich ihr die nächste Gelegenheit bot.
«Dann geh. Ich verspreche dir, dass wir uns in weniger als drei Monaten wiedersehen.» Sie schwieg, suchte fieberhaft nach einer glaubwürdigen Ausrede um hier zu bleiben. Aber je mehr sie sich mit ihrem Bruder zerstritt, desto schwieriger wurde es, durch ihn an Daenerys heranzukommen. Und in Winterfell, einer Burg, die sie in- und auswendig kannte, boten sich ihr sicher bessere Möglichkeiten. Neben dem Lügen war es laut Jaqen und der Heimatloser ihr grösster Fehler, voreilig zu handeln. Diesmal passierte ihr das nicht.
«Na schön. Aber wehe, du lässt dir zu lange Zeit, dann komme ich zurück und schleife dich nach Winterfell.» Jon wirkte erleichtert. Er hatte sich offensichtlich auf eine etwas längere Diskussion eingestellt. Und damit hatte er Recht, denn alles in ihr sträubte sich, ihren Bruder wieder zurückzulassen.