Gierig sog sie die eisige Luft in ihre Lungen. Alle stürmten auf den Innenhof um sich für den Kampf bereit zu machen und keiner schenkte ihr Beachtung.
Von Noridos’ Anwesenheit war nichts mehr zu spüren, doch erleichterte sie das nicht im Geringsten. Er war da und würde auch nicht mehr weggehen, dessen war sie sich nun absolut sicher. Die einzige Frage die sie sich stellte war, ob sie den Auftrag beenden konnte, ehe sie Jaqens Versprechen einfordern musste.
Sie hob den Blick zum Himmel, der sich verdunkelte. Bald würde es erneut zu schneien beginnen. Bestimmt ein Vorteil für den Nachtkönig und dessen untote Vasallen, die, anders als die Dothraki und die meisten Südländer, an diese Wetterbedingungen gewöhnt waren.
Nachdem sie sich etwas beruhigt hatte, eilte Arya ebenfalls in den Hof hinunter um sich gefechtsbereit zu machen. Ein Schwert aufzutreiben war gar nicht so einfach, gute Waffen waren eine Mangelware. Doch letzten Endes fand sie eines und reihte sich unter den Kämpfern ein, die vor die Burg hinausströmten. Im Gegensatz zum letzten Mal hatte auch ihre Armee die Gelegenheit gehabt, sich etwas besser vorzubereiten und eine feste Kampfformation zu bilden. Sie durften sich einfach nicht auseinandertreiben lassen, denn in Einzelkämpfen zogen sie oftmals den Kürzeren.
Arya reckte den Kopf in alle Richtungen um zu sehen, ob sie jemanden erkannte, doch bei dem Tumult und der zunehmenden Dunkelheit war das aussichtslos und sie gab den Versuch schnell auf. Es war ohnehin besser so, sonst hätte am Ende noch jemand versucht, sie am Kämpfen zu hindern.
Reihe um Reihe strömten sie aus dem Burghof hinaus. Vor den Burgmauern warteten weitere Krieger, die im Inneren keinen Platz gefunden hatten und gemeinsam marschierten sie dem Feind entgegen.
Arya befand sich weiter hinten als es ihr lieber gewesen wäre, so sah sie nicht wirklich, wie die Armeen aufeinandertrafen, doch sie spürte den Ruck der durch die Reihen ging und es dauerte nicht lange, bis sie sich ihrem ersten Gegner gegenübersah.
Die Rüstung des Widergängers zeigte das Wappen des Hauses Manderly, offenbar war der Ritter in der letzten Schlacht gefallen.
Arya hatte keine Mühe ihn auszuschalten und genau mit so viel Schwung ging sie auch auf ihr nächstes Ziel, einen Weissen Wanderer, los.
Ein Schlag. So viel brauchte es, bis ihr Schwert in tausende kleine Stücke zersprang, praktisch zu Staub zerfiel. Zweifellos war das Schwert aus gutem Stahl gemacht gewesen, aber eindeutig nicht aus valyrischem, jedenfalls nicht zur Gänze.
Sie wich dem Hieb des Weissen Wanderers aus und wich zurück, mehr konnte sie für den Moment nicht tun. Dabei warf sie immer wieder flüchtige Blicke von rechts nach links um zu sehen, ob sie einem Toten das Schwert abnehmen konnte.
Da es ihr aber nicht möglich war, nach allen Seiten gleichzeitig Ausschau zu halten, wurde Arya von einem stechenden Schmerz an ihre rechte Flanke erinnert. Ein Widergänger, der am Boden gelegen hatte, hatte ihr einen Speer in den Oberschenkel gerammt.
Sie schrie auf, wenn auch eher als Wut als aus Schmerz. Das Adrenalin in ihrem Körper erlaubte es ihr, auf den Beinen zu bleiben und sich nach ihrem Hauptgegner umzusehen. Ein Dothraki hatte ihr den Weissen Wanderer abgenommen und so blieb ihr die Zeit, den Speerschaft abzubrechen und dem Widergänger den Holzgriff durchs Auge bis ins Hirn zu rammen. Nach einem Zucken war es dann endgültig vorüber und sie warf einen Blick auf die Wunde. Es blutete heftig, aber sie war sich ziemlich sicher, dass keine wichtige Arterie verletzt worden war.
Ihr blieb jedoch nicht einmal die Zeit um einen behelfsmässigen Verband anzubringen, da das Ohrenbetäubende Geschrei der Drachen den Kampf auf beiden Seiten für einen Moment zum Erliegen brachte.
Diesmal war es kein Anblick von Weitem, der Drache befand sich direkt über ihnen, flog aber etwas weiter, um die Reihen der Weissen Wanderer und Wiedergänger zu lichten. Da die Feinde in der Überzahl wahren, gab es durchaus noch Kampfreihen, die fast ausschliesslich aus Weissen Wanderern und Wiedergängern bestanden.
Das Reptil blieb nicht lange für sich, der Schemen eines zweiten Drachen zeichnete sich in der aufkommenden Dunkelheit ab. Doch anstatt das Feuer auf die Gegner zu richten, richtete er seine weissen Flammen gegen den Artgenossen.
So fesselnd der Anblick der beiden gegeneinander kämpfenden Drachen auch war, sie musste die Gunst der Stunde nutzen.
Unweit von sich entdeckte Arya einen gefallenen Soldaten, dessen Schwert noch intakt war. Verletzt war sie zwar nach wie vor, aber jetzt war sie zumindest nicht mehr wehrlos.
Sie kam nur sehr langsam voran, wurde aber zwangsläufig nach hinten gedrängt. Viele der Soldaten warfen sehnsüchtige Blicke zurück zur Burg und es zeichnete sich schnell ab, dass sie im Begriff waren auch diese Schlacht zu verlieren.
Die einzige Überraschung bot der dritte Drache, der auf einmal am Himmel erschien und Daenerys zu Hilfe kam. Doch gegen die Übermacht am Boden konnten auch zwei Drachen nichts ausrichten. Aber wenigstens gelang es ihnen, den Nachtkönig in Schach zu halten, damit ihre eigene Armee nicht dem Feuer zum Opfer fiel.
~
Sie stolperte mehr als das sie ging, doch am Ende schaffte Arya es doch noch durch das Tor. Auch wenn sie mehrfach Gefahr gelaufen war, niedergetrampelt zu werden.
Um den Männern, die nach ihr kamen nicht im Weg zu stehen, setzte sie sich an eine Mauer gelehnt auf den Boden. Ihr erster Gedanke war, wie gerne sie sich jetzt einfach hingelegt und geschlafen hätte- ihr zweiter Gedanke galt dem Blutverlust und der Wunde. Sie hatte nichts hier aus dem sie hätte einen Verband machen können. Zwar versuchte sie nochmal aufzustehen, aber ihre Muskeln hatten sich schon an den Ruhezustand gewöhnt und lehnten diese Versuche rigoros ab.
Viele der Kämpfer taten es ihr gleich, jedenfalls die verletzten. Diejenigen, die noch stehen konnten halfen dabei, die Burg von innen zu Befestigen. Es wurmte sie, dass sie dabei nicht helfen konnte, aber im Moment verwendete sie ihre Kraft darauf, die Wunde an ihrem Bein mit den Händen zu schliessen. Je länger sie so dasass, desto stärker wurde der Schmerz.
«Lady Arya?» Sie sah auf und entdeckte den jungen Mann, mit dem sie sich vor einigen Wochen im Götterhain unterhalten hatte. Wenn sie sich recht erinnerte, hiess er Samwell. Er hatte eine grosse Tasche bei sich und liess sich unaufgefordert neben ihr nieder um das Verbandszeug auszupacken. Kurz spielte sie mit dem Gedanken ihn daran zu erinnern, dass er sie nicht Lady nennen sollte, aber angesichts ihrer Situation war das wohl gerade ihr kleinstes Problem.
Um sich abzulenken beobachtete sie ihn bei der Arbeit. «Ihr seid ein Maester?» Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass er dies bei ihrem letzten Gespräch erwähnt hatte. Antworten tat er erst, nachdem er auch den Rest des Speers aus ihrem Bein gezogen hatte.
«Nun ja, sagen wir, ich war einige Zeit in der Zitadelle. Und da ich nicht besonders zum Kämpfen geeignet bin, versuche ich eben auf diese Art zu helfen.» Er zog den Verband fest und erhob sich dann. «Ich hole kurz Hilfe, damit man Euch hineinbringt.»
«Nein!» Sich tragen lassen, soweit kams noch… «Wenn Ihr mir helfen könntet aufzustehen, reicht das völlig. Den Rest schaffe ich auch alleine.» Entweder erkannte er, dass eine Diskussion nicht viel bringen würde, oder er wollte einfach möglichst schnell zum nächsten Verletzten. Jedenfalls half er ihr danach widerstandslos auf die Beine, wenngleich sein Gesichtsausdruck seine Unzufriedenheit verriet.
Beim Versuch das Bein zu belasten, verzerrte sich ihr Gesicht. Samwell reichte ihr eine Flasche, sie roch daran und gab sie ihm dann gleich wieder zurück.
«Spart das lieber für die Schwerverletzten.» Es war Mohnsaft und sie wolle einen klaren Kopf bewahren, soweit das überhaupt möglich war. Ihr war auch so schon schwindelig genug.
«Der Verband ist nur vorübergehend, Ihr müsst die Wunde richtig behandeln lassen.» Arya nickte. Dessen war sie sich durchaus bewusst.
Langsam, mit einer Hand an der Wand humpelte sie ihren Weg bis zur Eingangshalle. Dort blieb sie stehen und hoffte, Jon abpassen zu können. Sie wollte wissen, wie schlimm es wirklich um ihre Armee stand. Und sie wollte endlich etwas zu tun haben.
Ihren Bruder konnte sie nach geraumer Zeit noch immer nirgends entdecken, während ihr Körper sich gegen ihre Sturheit aufzulehnen begann. Da entdeckte sie auf einmal Jaqen. Er sah kurz zu ihr hinüber, streifte sie aber nur mit dem Blick, wie er es bei den anderen Leuten auch tat. Das war auch gut so, je weniger sie miteinander in Verbindung gebracht wurden, desto besser. Sie hoffte zumindest, dass Sansa mit ihrem lächerlichen Verdacht was Jaqen und sie betraf die Einzige geblieben war.
Aus dem Augenwinkel beobachtete Arya, wie er das Gespräch mit Tormund beendete und dann doch zu ihr hinüberkam. Sein Blick blieb kurz an ihrer blutgetränkten Hose hängen.
«Ein Mädchen hatte Glück.» Wo er Recht hatte, hatte er Recht. Wäre ihr die Wunde von einem weissen Wanderer zugefügt worden, stünde sie nun nicht hier.
«Das bezweifle ich nicht. Leider war ich in den hinteren Reihen und wurde schnell wieder zurückgedrängt. Weisst du, wie viele es etwa geschafft haben?» Sie traten einen Schritt zur Seite um zwei Wildlinge vorbeizulassen, die einen Toten heraustrugen. Für ihn war die Hilfe zu spät gekommen. «Nicht genug.»
«Und die Leichen vor der Burg?» Es waren nicht mal ansatzweise so viele zurückgekehrt, wie in die Schlacht gezogen waren. Entsprechend viele mussten noch da draussen liegen.
«Es war zur riskant, weitere Männer nach draussen zu schicken. Die Drachen haben getan was sie konnten und vom Wehrgang aus wurden Brandpfeile geschossen.» Für einen Moment schwiegen sie und Jaqen wandte sich um, wohl um zu sehen, ob sie belauscht wurden. Doch keiner schenkte ihnen Beachtung.
«Ein Mädchen sollte sich ausruhen. Die Wunde sieht aus, als wäre sie nur notdürftig versorgt worden.» Lieber wäre es ihr gewesen, weiter auf Jon zu warten, aber Arya spürte, dass ihre Beine jeden Moment nachzugeben drohten. Ausserdem musste sie mit Jaqen darüber sprechen, was geschehen war.
«Wir müssen über Noridos reden. Der einzige Ort an dem ich dafür garantieren kann, dass uns niemand belauscht, ist mein Zimmer. Und einen Vorwand um mich zu begleiten hast du auch.» Ohne auf eine Antwort zu warten, legte sie einen Arm um seine Schulter. Denn dies war alles andere als ein Vorwand. Bei ihrem Training in der Stadtwache hatte sie mit den anderen Rekruten einmal einen Krug Met gelehrt und selbst danach war ihr weniger schwindelig gewesen als jetzt.
Mit Jaqen als Stütze dauerte es nicht lange, bis sie ihr Zimmer erreicht hatten. Dieser Teil der Burg war wie ausgestorben, immerhin befanden sich hier in erster Linie die Gemächer der Starks. Ihrer Schwester, die tot in ihrem Bett lag, ihrem Halbbruder, der sich um eine ganze Armee zu kümmern hatte und ihrem jüngeren Bruder, vor dem sie sich sogar zu fürchten begann.
In ihrem Zimmer führte Jaqen sie zum Bett und sobald sie sich gesetzt hatte, sah er sich suchend im Raum um. «Wo hat ein Mädchen ihr Gepäck?» Im Haus von Schwarz und Weiss hatte man ihr vieles eingebläut, unter anderem, dass man sich bei Verletzungen während eines Auftrages oft selbst versorgen musste. «Unter dem Bett.»
Kurz darauf hatte er einen Verband, Teebaumöl, Nadel und Faden neben ihr ausgebreitet und machte sich am Verband zu schaffen. Mühsam hievte Arya sich von ihrer liegenden wieder in eine sitzende Position. «Danke, aber schaffe ich auch alleine.» Sie entfernte den Verband so vorsichtig wie möglich, doch sobald der Druck weg war, setzte sogleich die Blutung wieder ein. Und um die Wunde richtig zu säubern, musste das Hosenbein weg.
Sie nahm das Messer von ihrem Gürtel, um den Stoff abzutrennen, doch Jaqen zog ihr die Waffe sogleich aus der Hand- und sie verstand auch warum. Ihre Hände zitterten und wahrscheinlich hätte sie ihrem Bein mehr Schaden zugefügt als dem Stoff.
Sobald das Hosenbein abgetrennt war, hatten sie einen genauen Blick auf die Eintrittsstelle. Die Wunde war grundsätzlich nicht gross, aber tief- und die Ränder waren bereits leicht gerötet.
Sie bestrich einen Stofffetzen grosszügig mit dem Teebaumöl, ehe sie sich an der Wunde zu schaffen machte. Es brannte wie Feuer, würde aber einen Wundbrand verhindern, was im Gegensatz zu dem Bisschen Schmerz das deutlich grössere Übel gewesen wäre. Wenn sie ihn darum geben hätte, hätte Jaqen ihr sicher dabei geholfen, aber diesen Rest Selbständigkeit wollte Arya nicht auch noch aufgeben. Erst als sie mit dem Verband zufrieden war, liess sie sich wieder auf den Rücken sinken und schloss die Augen.
«Ein Mädchen wollte etwas über Noridos sagen?»
«Er ist wieder da. Heute wollte er, dass ich meinen Bruder töte.» Jaqen antwortete nicht darauf, offenbar war er mit seinen ganz eigenen Gedanken beschäftigt. Sie war schon fast dabei wegzudämmern, als er dann doch noch antwortete.
«Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, um ihn loszuwerden. Doch die wird einem Mädchen nicht gefallen.» Er klang so, als würde dasselbe für ihn gelten. Egal was für eine Idee es war, die gefiel ihm ganz offensichtlich kein Stück besser.
«Was soll schon schlimmer sein als den Verstand zu verlieren? Noch ein paar solche Tage wie heute und ich werde wahnsinnig.» Das war keine leere Drohung. Ihre Nerven waren zum Zerreissen angespannt.
«Auf dem Weg hierher ist ein Mann Melisandre begegnet. Wenn jemand helfen kann, dann sie.» Arya schlug die Augen auf und stemmte sich auf ihre Arme, damit sie wenigstens ungefähr auf derselben Augenhöhe mit Jaqen war, der noch immer auf dem Bettrand sass. «Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass sie uns wirklich helfen würde. Wenn, macht sie nur alles schlimmer.» Wie konnte er es überhaupt in Erwägung ziehen, von dieser Frau Hilfe zu holen?
«Es gibt viele Gründe ihr zu misstrauen, aber im Moment haben wir keine andere Möglichkeit.» Wenn es hart auf hart kam, gab es durchaus noch eine Möglichkeit, doch ahnte sie, dass Jaqen ihr dabei nicht helfen würde, solange sie noch eine andere Option hatten.
«Einmal angenommen, ich würde darauf eingehen wollen. Was ich aber nicht tue. Wir sitzen hier fest.» Jaqen wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, als sie draussen vor dem Zimmer auf einmal Schritte vernahmen.