Nun lag es wieder an Nora. Wieder fand eine Karte ihren Weg vom Stapel auf ihre Hand. 'Satinalia - Fest der Seelen' war eine Karte, welche sie noch nie zuvor gesehen hatte. Unten stand in goldenen Lettern: „Gedenke der Toten und kämpfe für die Lebenden.“ Diese Karte zählten zu den richtige seltenen. Nora legte sie erstmal verdeckt und gab Arlin 'Angin Malam', einen Bogen, erfüllt mit der Essenz der Dunkelheit.
Dann folgte eine Karte mit dem Namen 'Den Tag zerbrechen'. Für die Spieler änderte sich nichts, doch für ihre Partner, wurde das Feld in die Tiefe der Mitternacht getaucht. Angin Malam glühte in Arlins Händen auf und füllte sich mit der Kraft der Dunkelheit.
Noch ehe sie Gefjon die Gelegenheit gab zu reagieren, richtete Arlin ihren Bogen gen Erdboden und feuerte schwarze Pfeile ab. Diese glitten in den Boden, nur um kurz darauf bei Nemesis wieder zu erscheinen. Ein violettes Siegel öffnete sich unter seinen Füßen und zu hunderten schossen die Pfeile daraus hervor, trugen den Engel in die Höhe und ließen ihn schmerzhaft auf den Boden prallen.
Gefjon legte eine einfache Heilungskarte und deckte eine ihrer verdeckten auf. 'Blutmet'. Nemesis Horn, füllte sich mit dem sinistren Gebräu und er trank es aus vollen Zügen.
„Es war ein nettes Spiel“, sprach die Lehrerin und legte eine weitere Karte aus ihrer Hand. 'Ruf nach dem weißen Heer'. In Verbindung mit Gjallarhorn, stieß Nemesis in das altertümliche Instrument und ein durchringender Ton erklang. Tief, dunkel, voll. Ein Ton, welcher die Himmel erschütterte und dessen Gewölbe zum Beben brachte. Für die Duellanten brach die finstere Nacht auf und aus dem scheinbaren Himmel ergossen sich die Krieger des Himmels. Geflügelte Frauen in prächtigen schimmernden Rüstungen stürzten herab, auf ihren Lippen ein himmlischen Lied, welches Arlin furchtbar und wunderschön gleichermaßen fand. In ihren Händen hielten sie lange Speere, bereit, sie aufzuspießen. Als sie sie erreichten drangen die Waffen in ihren Körper ein, ließen ihn bluten und sterben. Hunderte der Stangenwaffen versenkten sich in ihr ungeschütztes Fleisch und sorgten dafür, dass Gefjon das Duell für sich entscheiden konnte. Zumindest glaubte sie das.
Nora hatte just in dem Moment ihre verdeckten Karte offengelegt, als die ersten Speere Arlin niederstreckten. Auf ihrer Seite der Klippe wuchs eine große Frauenstatue aus dem Boden. Satinalia, die Göttin der Ernte und der Fruchtbarkeit. Mit ausgestreckten Armen blickte die Statue auf die verwundete Arlin hinunter und zwischen ihren Handflächen bildete sich eine Kugel in den Farben des Frühlings und des Herbstes. Mehrere bläuliche Sphären erschienen um die Kugel und eine Stimme, zart wie ein Brise über goldene Felder sprach: „Während des Festes der Seelen, darf keine Seele genommen werden. Niemals werde ich erlauben, dass das Fest derart gestört wird.“
Die blauen Kugeln, lösten sich von der großen und umschwärmten die himmlischen Kriegerinnen. Zwangen sie zum Rückzug. Derweil entlud sich die große Kugel, begleitet von den Geräuschen festlicher Musik, einer fröhlichen und feiernden Menge und einem Chor, welcher das Ende der Ernte und den Beginn der Saat verkündeten. Aus der Kugel schoss ein Strahl auf Arlin und erfüllte sie mit neuem Leben. Augenblicklich wurden ihre Wunden geschlossen und der Lebensgeist angeregt.
Sie war nicht nur wieder am Leben, sondern hatte für die nächsten Kämpfe eine Verstärkung erhalten. So würde sie Nemesis sicher besiegen.
„Satinalia... Die Lieblingskarte meines Sohnes“, murmelte Gefjon und lächelte sanft, ehe ihre orangenen Augen, sich auf Nora richteten. „Eine Entscheidung, aus der Not geboren, ist dennoch eine Entscheidung, mit der nur wenige gerechnet haben.“
„Ist das ein Kompliment?“, fragte Nora vorsichtig.
„Durchaus. Ein anderer Gegner, wäre völlig verblüfft gewesen.“
„Ein anderer Gegner?“
Gefjon nickte und zog erneut. Auf ihrem Gesicht zeigte sich wieder ein siegessicheres Lächeln. Diesmal jedoch wirkte es wesentlich echter, furchterregender. „Hast du dich je gefragt, was passiert, wenn man beide Duellanten gleichermaßen auslöscht?“, fragte die Lehrerin die Anwärtin. Erschrocken blickte sie auf die Frau mit den orangenen Augen und öffnete leicht ihren Mund, ohne jedoch zu antworten.
„Wer hat dann gewonnen? Der, der die Karten gespielt hat? Der, der die Wucht des Angriffs zu spüren bekommen hat? Oder haben beide verloren? Ein Unentschieden, wenn du so willst.“ All diese Fragen waren rhetorischer Natur. Gefjon legte drei Karten auf das Feld. Zuerst eine Waffe, eine Waage. 'Astanreija, die Unbestechliche'. Eine Karte, welche ebenfalls den ultra seltenen Status innehatte. Auch wenn, sie ohne die anderen eher schwach und leicht zu kontern war. Doch Noras Hoffnungen verflüchtigten sich mit der zweiten Karte, 'Zünglein an der Waage'. Astanreija, welche ihrem Ebenbild, der Göttin der Gerechtigkeit, glich, hob ihre Arme und auf ihrem Haupt erschien eine hohe Krone, während ihre Augen mit einem goldenen Band verbunden wurden. In ihren Händen hielt sie zwei Waagschalen, einzig dafür gedacht, ein Urteil zu sprechen. Mit der zweiten Karte hatte Gefjon das Abschlussurteil initiert. Es fehlte nur noch eine. Eine Zauberkarte, welche den Namen 'Recht sprechen' trug. Und so der Zufall es wollte, legte die Lehrerin auch diese Karte.
Diese drei Karten bildeten das Set 'Gerechtigkeit und Strafe'. Nemesis hob seine Hand, in welcher er die Waage hielt und reckte sie gen Himmel. Astanreija wog nun ab, welche Karten, wie gespielt worden waren. Das Urteil erfolgte in Form der Ausrichtung der Waagschalen. Und beide Schalen hielten sich die Waage.
Aus dem Himmel des Feldes, schossen zwei Kometen auf die Duellanten zu. Noras Augen huschten über ihre Karten, als sie Gefjons Stimme vernahm. „Gerechtigkeit und Strafe ist eines der wenigen Sets, die man nicht kontern kann. Es ist vollkommen gleich, was du jetzt spielen würdest, das Ergebnis wäre immer dasselbe.“
Die Kometen rasten hernieder und schlugen krachend auf Arlin und Nemesis ein. Genau in dem Moment nahm das Feld wieder seine alte Form an und Arlin erwachte schreiend neben Nora.
„Ach du Scheiße! Was war das?!“ Die junge Frau klammerte sich an Nora und sah sie voller Angst an.
„Das war das Ende des Spiels. Ein Ende, welches interessant war“, antwortete die Lehrerin an Noras Stelle und erhob sich. Wurde immer größer und größer, bis sie beide Frauen mit Leichtigkeit überblickte. Auf langen dünnen Spinnenbeinen kam die Lehrerin hinter ihrem Pult hervor. Die Hände locker vor ihrem Bauch verschränkt und ein Lächeln auf den Lippen entlockte sie Arlin einen weiteren Schrei.
Gefjon neigte leicht ihren Kopf in Noras Richtung und sprach: „Es war ein Vergnügen gegen dich zu spielen. Zwar etwas kurz, aber wir haben leider auch nicht den ganzen Tag Zeit. Dennoch würde ich dich einladen, mit mir jederzeit wieder zu spielen, wenn es die Zeit erlaubt.“
„Äh...“, war alles, was Nora sagen konnte. Sie war zu überwältigt von dem Anblick der Lehrerin. Während der Oberkörper ein normaler Frauenkörper war, war sie ab der Hüfte eine Spinne. Eine große Spinne.
„Ihr solltet jetzt weiterziehen. Die Prüfung ist noch nicht ganz vorrüber.“
Währenddessen erwachte Nemesis auf einem Diwan, den Kopf auf dem Schoß seiner Frau. Eabha strich ihm sanft durch das volle Haar und summte mit rauer Stimme ein altes Wiegenlied aus ihrer Heimat.
„Sie hat mich geopfert“, sagte der Engel nur und blickte seiner Frau in die roten Augen.
Eabha schenkte ihm ein fröhliches Lächeln und erwiderte, „Wenn sie es für das Beste gehalten hat.“
„Sie hat Gerechtigkeit und Strafe gespielt. Ich dachte, dass gäbe es gar nicht. Bis ich die Waage in Händen gehalten habe.“ Es geschah nur selten, dass Nemesis wirklich verblüfft war, doch dies war einer dieser wenigen Momente. „Gerechtigkeit und Strafe. Angeblich beinhalten diese Karten ein Fragment des Willens, des ersten Engels des Schicksals.“
Ihm noch immer durch die Haare streichend, fragte Eabha, „Und? Stimmt es?“
„Keine Ahnung“, gab ihr Gatte ehrlich zu. „Aber was auch immer es war. Mit diesem Set muss man sehr vorsichtig umgehen. Es ist ein zweischneidiges Schwert, welches einem schnell den Kopf kosten kann.“
„Wenn man sich auf eines verlassen kann, dann das Gefjon gewusst hat, worauf sie sich einlässt. Schon damals in meiner Schulzeit habe ich sie bewundert, wie sie die Dinge beinahe schon voraussehen konnte. Erinnerst du dich noch an Lord Mato?“
„Den alten Waldschrat?“
„Genau. Als er mit ihr Shirach gespielt hatte, war ich ihre Partnerin. Und Lady Gefjon wusste zu jederzeit, wie sie die Angriffe Matos am besten kontern konnte. Sie hat mit ihm gespielt, in ihr Netz gewoben und am Ende aufgefressen.“
„Sie hat mich mit einem Kometen erschlagen“, klagte Nemesis und legte seine Hände auf Eabhas Wadenbeine.
„Wahrscheinlich nur deswegen, weil sie den Ausgang ohnehin schon kannte. In Sachen Strategie und Planung macht ihr niemand so schnell etwas vor und schon gar nicht eine Anwärtin, die noch grün hinter den Ohren ist“, erklärte die Korrigane und wirkte dabei so fasziniert, als ob sie noch immer eine Schülerin wäre.
„Aber warum dann dieser Zug?“
„Weil ich wissen wollte, was sie tun wird, wenn es dazu kommt. Ich wollte ihren Blick sehen“, kam die Antwort, von der anderen Seite des Raums. Gefjon stand vor dem Diwan, ihre Gestalt seltsam verschwommen und doch klar. Eine geistige Projektion. „Ich wollte sehen, ob es dir gut geht. Doch so wie du jammerst, scheint ja alles in Ordnung zu sein.“
„Du hast mich mit einem Kometen erschlagen, du...“
„Wähle deine nächsten Worte mit Bedacht, mein Lieber.“ Auch wenn sie ein Lächeln im Gesicht hatte, so würde sich der Engel hüten, ihr gegenüber etwas Falsches zu sagen. Nicht zuletzt, weil ihm ein ruhiger Schlaf sehr wichtig war und er keine Lust auf Albträume hatte.
„... du Schönste unter den Silthiden.“
„Schleimer.“ Gefjon drehte ihren Kopf und blickte gegen die Wand. „Neue Anwärter. Bereit für eine weitere Runde?“ Sie richtete ihre orangenen Augen wieder auf den Engel.
„Nur wenn du mich nicht wieder mit einem himmlischen Körper niederstreckst.“
Gejon grinste breit und entblößte dabei die Spitzen ihrer Mandibeln, welche in den Wangentaschen in ihrem Mund verborgen waren. „Wo bliebe denn da der Spaß?“