Das schrille Klingeln von meinem Wecker reisst mich aus dem traumlosen Schlaf. Ich wälze mich aus dem Bett und schlurfe ins Gästebad, das seit zwei Jahren meins ist. Schnell dusche ich und ziehe mich an.
Langsam bekomme ich Gefühl in meinen Glieder und mein Gehirn wacht allmählich auch auf.
Ich gehe zurück in mein Zimmer und öffne meinen Kleiderschrank. Ich entscheide mich für einen grünen Sweater und eine enge zerlöcherte schwarze Jeans.
Dann stelle ich mich vor den Spiegel, um ein wenig Schminke aufzutragen und meine Haare zu kämmen.
Ich schaue mich im Spiegel an. Ich stehe völlig erstarrt da und schaue einfach mein Spiegelbild an.
Meine Augen schauen in die von meinem Spiegelbild.
Und in ihnen ist so viel Schmerz. Meine Augen strahlen so viel Trauer aus.
Wenn ich mir in die Augen schaue, sehe ich kein sechzehnjähriges Mädchen. Ich sehe eine alte Frau, die genug vom Leben gesehen hat.
Ich frage mich oft, ob meine Mitschüler es mitkriegen wie es mir geht. Klar, sie wissen, dass ich krank bin, aber wissen wie ich mich fühle, was in meinem Kopf vorgeht?
Das tun sie nicht.
Das tut niemand.
Nicht einmal Olive, Noah, Alex oder Jamiro.
Ich mag Spiegel nicht.
Wenn ich in einen Spiegel schaue, sehe ich immer mich.
Mich, wie ich wirklich bin, ohne die ganzen Masken und Fassaden.
Ich sehe mich nackt.
Ich sehe diese Augen mit der undefinierbaren Farbe, die voller Schmerz sind.
Die blasse Haut, auf der meine vollen roten Lippen hervorstechen.
Auch die lange schmale Nase und die hohe Stirn.
Ich greife mir über die Schulter und ziehe meine momentan dunkelbraunen Haare hervor. Ich flechte mir die Haare zu zwei langen Zöpfen, die mir bis zur Taille reichen.
Und dann stehe ich einfach da.
Vor diesem Spiegel.
Ich starre mich an, aber auch wieder nicht. Ich sehe durch mich hindurch, also durch mein Spiegelbild.
Ich weiss nicht wie lange ich dort stehe, aber das tue ich oft. Fast jeden Tag stehe ich vor dem Spiegel und starre ihn einfach an.
Ohne ihn wirklich wahrzunehmen.
Während ich so dastehe, fühle ich und denke ich einfach nur.
Meine Gedanken kreisen unaufhörlich und meine Gefühle sind ein einziges Wirr-Warr.
In meiner manischen Phase, kommen meine Gedanken eigentlich nie zur Ruhe. Wenn ich in einer manischen Phase bin, habe ich furchtbar viel Energie, kann kaum stillsitzen und meine Gedanken sind so schnell, dass mir schwindlig wird.
Die paar Dinge, die mich wirklichberuhigen, sind Bücher. Sport. Theater. Musik. Alkohol.
Und das Meer.
Und natürlich die Medikamente, auch wenn ich das die schlechteste Methode finde.
Ich muss ein paar Mal fest blinzeln, um mich aus der Starre zu befreien.
Die Uhr in meinem Zimmer zeigt mir Viertel nach Sieben. Ich bin also noch ganz gut dran.
Schnell schlucke ich meine Tabletten und verlasse mein Zimmer.
Ich gehe in die Küche und mache mir einen Kaffee. Ich mache auch noch gleich einen für meinen Grossvater und meine Grossmutter.
Eine Schale steht schon für mich bereit und ich kippe ein paar Cornflakes hinein und leere kalte Milch aus dem Kühlschrank drüber. Ich setze mich auf den Barhocker und löffle das Müsli in mich hinein. Zwischendurch schlürfe ich ein paar Schlucke Kaffee, der warm meine Kehle hinunterrauscht und dieses ganz besondere Kaffeegefühl im Mund hinterlässt.
Ich checke mein Handy auf Nachrichten ab, aber da sind keine neuen. Die Schlafzimmertür meiner Grosseltern geht auf und mein Grandpa streckt den Kopf raus.
»Morgen Lucy«, grüsst er mich lächelnd.
»Hi Grandpa«, sage ich und schenke ihm ein Lächeln.
Er verschwindet wieder im Badezimmer und ich gehe ebenfalls ins Bad. Ich putze mir die Zähne und gehe nachher in mein Zimmer, wo ich meine Schulsachen zusammenpacke.
Jamiro, Noah, Alex und Olive sind schon vor dem Schulzimmer. Sie sind in eine Diskussion vertieft und bemerken mich nicht. Leise gehe ich zu ihnen rüber, stelle mich hinter Jamiro und fange an zu reden.
„Ich bin ehrlich gesagt nicht der Meinung, dass es wirklich funktioniert. Ich denke nicht, dass es wirklich möglich ist, ein schmackhaftes Kürbiseis herzustellen. Dafür hat Kürbis einen viel zu eigensinnigen Geschmack. Ausserdem bleibt Kürbis immer ein wenig püreehaft, egal wie sehr man ihn auch verarbeitet. Und dann wäre da natürlich noch das Problem mit der Süsse. Man könnte Kürbis nie so sehr süssen, dass er danach genug süss für ein Eis schmeckt. Aber vielleicht erfindet ja eines Tages irgendwer eine Maschine, mit der man Kürbiseis herstellen kann und es dann auch noch zum besten Eis der Welt macht. Aber ich bin da nicht all zu optimistisch. Was meint ihr?“
Meine vier besten Freunde schauen mich ungläubig an. Olive hat den Mund offenstehen, Alex hat die Augenbrauen so weit nach oben gezogen, dass sie fast unter seinen Fransen verschwinden und Noah und Jamiro stehen einfach nur völlig baff da.
Alex ist der erste, der sich aus der Starre löst. Jetzt scheint er auch zu verstehen, was ich meine.
„Ich bin der gleichen Meinung wie du. Wie Helen Hamilton sagt, hat Kürbis einfach einen viel zu eigenen Geschmack, als dass man ihn zu einem geniessbaren Eisgeschmack umwandeln könnte. Das scheint unmöglich zu sein“, teilt er meine Meinung. Ich zwinkere ihm zu und er schmunzelt.
„Was läuft nur falsch mit euch zwei“, fragt Olive uns kopfschüttelnd.
„Nichts. Wir sind super so, wie wir sind“, erwidere grinsend.
„Der Meinung bin ich auch, Shorty.“ Jamiro schaut auf mich runter und ich sehe das Verlangen in seinen Augen flackern.
„Shorty“, frage ich ihn mit hochgezogenen Augenbrauen.
Ich kann es nicht leiden, wenn er mich so nennt. Jamiro kommt zwar immer mit der Ausrede, dass er mich doch nur so nennt, weil ich mit meinen 1.60 so klein bin.
Aber ich weiss ganz genau, dass er mich nicht deshalb so nennt.
Das war vor fast einem Jahr. Dieses Erlebnis zählt zu den peinlichsten, die ich je erlebt habe.
»Du malst auf dieser Seite und ich beginne auf der anderen Seite, in Ordnung«, fragte ich Noah, während ich meinen Pinsel in den roten Farbtopf tunkte.
Er nickte und liess seinen Pinsel in den Farbtopf mit der gelben Farbe hineintauchen.
Doch statt ihn auf das Papier vor uns zu senken, holte er aus und liess seinen Arm nach vorne schnellen. Die Farbe spritzte mir voll aufs T-Shirt und ich hob den Blick und schaute ihn an.
Er grinste mich an und hob eine Augenbraue.
»Oh, das hast du nicht getan«, rief ich ungläubig.
»Und ob ich das getan habe.« In seinen blauen Augen blitzte es schelmisch.
Ich schoss vor und strich ihm mit meinem Pinsel über die Brust. Sein weisses Shirt war jetzt schön rot.
Noah lachte mich an und wir begannen eine Farbschlacht.
Nach ein paar Minuten waren meine Hose und mein Shirt mit Farbe übersäht und auch Noah sah aus wie ein unordentlicher Regenbogen.
»Ich glaube, ich gehe mich mal waschen«, sagte ich lachend und schaute an mir herunter.
»Keine schlechte Idee«, antwortete er.
Ich machte mich auf den Weg zur Mädchenumkleide der Sporthalle. Innerhalb weniger Minuten war ich da und ich betrat die Umkleiden.
Ich zog mir das Shirt über den Kopf und stellte den Wasserhahn ein. Ich hielt mein Oberteil unter den Wasserstrahl und rieb mit Seife darüber. Doch die Farbe wollte sich einfach nicht vom T-Shirt lösen.
»Wieso geht das nicht aus«, knurrte ich frustriert.
»Uhh«, hörte ich auf einmal eine Stimme hinter mir. Jemand anderes pfiff durch die Zähne.
Ich drehte mich um und blickte dem ganzen männlichen Footballteam unserer Schule entgegen. Sie musterten mich und johlten. Ich schaute an mir herunter.
Ich trug oben halt nur noch meinen schwarzen Spitzen-BH und unten meine Jeans. Ich war noch nicht einmal oben ohne. Was machten sie so ein Zeug? Ich verstand Jungs nicht.
Die Tür hinter mir öffnete sich und jemand kam herein.
Ich drehte mich um und hinter mir stand Jamiro zu einer Zapfsäule erstarrt. Er schaute mich mit weit aufgerissenen Augen an. Er schüttelte sich und liess seinen Blick von mir zu seinem Team schweifen.
»Was machst du hier«, fragte er mich mit einem geschockten Unterton.
»Was meinst du mit hier? Meinst du mit hier unser existenzielles Dasein? Ob es ein Zufall ist, dass ich hier bin oder ob das alles vom Schicksal vorherbestimmt wurde? Die Leute beschäftigt die Frage, ob es eine meta-ethische Bedeutung gibt im Leben, schon Jahrhunderte. Aber ich kann dir da leider nicht weiterhelfen« Ich schaute ihn provozierend an. Hinter uns hörte ich Gelächter.
»Nein das meinte ich nicht«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Na dann. Ich will mein T-Shirt waschen«, antwortete ich immer noch provozierend.
In seinen Augen blitzte es und ich wusste, dass er kurz davor war auf jemanden loszugehen.
»Und weshalb, tust du das in der Männerumkleide«, zischte er.
»Naja...Ich beglücke andere eben gerne...im Bett und in der Schule«, zwitscherte ich leise.
Die Jungs aus Jamiros Team johlten laut und pfiffen. Ich drehte mich zu ihnen um und zwinkerte ihnen zu.
Er beugte sich zu mir vor, ganz nah an mein Ohr, woraufhin die Footballer anfingen zu pfeifen, und flüsterte mir ins Ohr: »Das findest du wohl witzig Lucinda? Ich will, dass du hier verschwindest. Um deinetwillen.«
Er lehnte sich zurück und schaute mich an.
Jamiro wartete darauf, dass ich antwortete und ich schüttelte langsam lächelnd den Kopf. Jamiro knurrte auf und fuhr sich durch die Locken.
»Ich gehe, wenn ich Lust habe«, sagte ich süffisant grinsend.
»Nein. Du gehst jetzt. Du weißt, dass du Nachsitzen kassierst, wenn sie dich erwischen.«
»Das könnte mir nicht egaler sein.«
Wo lag sein verdammtes Problem? Es konnte ihm doch egal sein, ob ich hier halb nackt in der Jungsumkleide stand oder nicht.
Er griff nach meinen Händen, doch ich schlug die seinen wieder weg. Jamiro packte mich an der Schulter und drückte mich gegen die Wand.
Wir berührten uns so ziemlich überall und das war mir mehr als unangenehm.
Er sollte mich verdammt nochmal einfach loslassen. Seine Teamkameraden pfiffen und johlten schon wieder und Jamiro drehte sich zu ihnen um.
Seine braunen Augen waren so dunkel, dass sie an schwarze Schokolade erinnerten und brüllte sie an.
»Verschwindet! Sofort!«
Eilig zogen sie sich zurück und verschwanden aus meinem Blickfeld.
Wenn ich Jamiro so anschaute, wirkte er wie ein Löwe auf mich.
Bedrohlich.
Gefährlich.
Seine Muskeln waren bis aufs Äusserste gespannt und in seinen Augen tobte ein Sturm.
»Du verlässt jetzt sofort diese Umkleide«, knurrte er mir ins Ohr. Sein heisser Atem kitzelte an meiner Wange.
»Nein das werde ich nicht«, zischte ich zurück.
»Gut du hast es nicht anders gewollt.«
Blitzschnell hob er mich hoch und warf mich über seine Schulter. Er trug mich aus der Umkleide und stellte mich vor der Tür wieder ab.
»Beantworte mir mal eine Frage Jamiro«, sagte ich forsch. »Was interessiert es dich, dass ich mein T-Shirt in der Jungsumkleide wasche.«
Überrascht öffnete er den Mund und schloss ihn wieder. Wieder einmal drehte er den Kopf ab und ein Muskel in seiner Wange zuckte so sehr, dass ich Angst hatte, er könnte herausspringen.
»Sieh mich an!«
Er drehte den Kopf und schaute mir in die Augen.
»Ich warte«, meinte ich ungeduldig.
Ich schaute über seine Schulter auf die Uhr, die an der Wand hing. Es war schon Viertel nach sechs. In einer halben Stunde begann meine Cellostunde.
»Du bist die beste Freundin von Noah und wenn er nicht da ist, passe ich statt seiner auf dich auf.«
Mir persönlich kam die Antwort wie eine lahme Ausrede vor, aber viel mehr nervte mich die Tatsache, dass er das Gefühl hatte, ich müsse beschützt werden.
Dazu noch von ihm.
»Ich brauche keinen Aufpasser.«
Was fiel ihm ein, sich so aufzuspielen?!
»Doch, manchmal denke ich, dass du sogar mehr als einen brauchst. So impulsiv wie du bist!« Jamiro raufte sich die Haare und schaute mich wütend an.
»Ach und du bist nicht impulsiv«, fragte ich ihn spöttisch lachend.
Er stiess ein Schnauben aus, sagte aber nichts dazu.
»Und jetzt lass mich los«, sagte ich zu ihm. Er löste seine Hand von meinem Arm und senkte den Blick.
In Wahrheit nennt er mich „Shorty“, weil ich damals in nur im BH in der Jungsumkleide stand.
„Ja, Shorty. Mir gefällt er“, antwortet Jamiro mit einem unverschämten Grinsen.
„Ich glaube dir gefällt mehr, wie es zu dem Namen kam“, schnaube ich. Augenblicklich verdunkelt sich Jamiros Blick.
Ich hatte also recht mit meiner Vermutung.
„Da hast du nicht ganz unrecht.“
Sein heisser Atem an meinem Ohr jagt mir einen Schauer über den Rücken. Ich schaue, ob die anderen uns beobachten, aber sie sind schon wieder in ein neues Gespräch vertieft. Jamiro küsst mich sanft auf den Mund. Als er sich wieder von mir löst, streicht er mir eine Haarsträhne hinters Ohr.
»Ihr zwei Turteltäubchen da drüben. Wir müssen ins Schulzimmer«, ruft Olive.
»Du bist doch nur eifersüchtig«, werfe ich grinsend zurück.
Jamiro und ich gehen zu den anderen drei. Zu fünft gehen wir ins Schulzimmer und setzen uns an unsere Einzeltisch.
Wir sitzen wie fünf Würfelaugen.
Von vorne gesehen, sitzt Olive hinten links und Jamiro hinten rechts. Vorne links sitzt Noah und rechts Alex.
Und ich sitze in der Mitte.
»Worauf denn?«, fragt Olive mich.
»Du weisst, worauf.«
Sie verzieht das Gesicht und schaut mich böse an. Von wegen sie kann einstecken. Sie kann genauso wenig einstecken wie ich.
»Mädels, ganz ruhig. Wir wollen keine Prügelei«, wirft Noah beschwichtigend ein.
Das ist er immer. Er ist der Ausgeglichene.
»Wollen wir nicht?«, frage ich ihn, unschuldig dreinblickend.
»Nein, Luce, wollen wir nicht.«
»Schade. Ich würde auch gegen dich antreten, da du ja Olives neuer Beschützer bist«, spöttle ich.
Ich lasse es mir nicht anmerken, aber es trifft mich, dass er sie in Schutz nimmt.
Ich frage mich, ob er weiss wie Olive in Bezug auf ihn empfindet.
Nur empfindet er nicht gleich wie sie.
»Ich bin nicht ihr Beschützer«, widerspricht er mir.
»Gut, dann...«
»Buenos dias todos juntos. Sietate por favor.« Mr. Garcias betritt den Ram und unterbricht mich mitten im Satz.
Der Unterricht zieht an mir vorbei, ich kriege eigentlich nichts mit.
Meine Gedanken machen was sie wollen und sie wollen sich eindeutig nicht auf den Unterricht konzentrieren.
»Lucy, por favor lea sus respuestas.«
Ich blicke auf mein Heft, aber ich sehe es nicht. Nicht wirklich. Es ist da, aber ich schaue es nicht an.
»Lucy? Tus respueastas que has hecho como tarea.«
Mein Blick fokussiert sich und ich sehe mein leeres Heft vor mir.
»Ich habe es nicht gemacht«, antworte ich ihm.
Mr. Garcias schaut mich enttäuscht an.
Das ist das, was mich nervt. Ich könnte in jeder Prüfung durchfallen, aber ich würde das Jahr trotzdem bestehen.
Weil ich, ich bin.
Weil ich krank bin.
»Na los, gebe Sie mir eine 6! Aber das wagen Sie nicht. Weil ich krank bin.«
Wut kocht in mir hoch, wie Lava in einem brodelnden Vulkan. Ich hasse es, dass alle Leute immer nur die Krankheit sehen, wenn sie mich anschauen. Dass sie mich anhand meiner Bipolaren Störung beurteilen.
Ich habe ein funktionstüchtiges Hirn und bin nicht dumm.
Ich habe einen leistungsfähigen Körper und bin kein Krüppel.
Ich habe Augen und bin nicht blind. Ich sehe die Blicke der Leute.
Ich habe Ohren und bin nicht taub. Ich höre, was die Leute über mich sagen.
Ich habe Gefühle und bin nicht unverletzlich.
Auf einmal ist es totenstill im Zimmer. Alle schauen zwischen Mr. Garcias und mir hin und her.
Mein Blick ist kalt wie Eis und bohrt sich in seine Augen. Schweisstropfen laufen ihm über die Schläfen und lassen seine dunklen Haare an der Stirn kleben.
Er macht den Mund auf und ich weiss, dass er mir widersprechen wird.
»Nein, das stimmt nicht«, stammelt er.
»Doch es stimmt. Und das weiss jeder in diesem Raum. Jeder Schüler in diesem Raum findet das unfair.«
Jetzt schauen alle mich an. Ich sehe den Unglaube in ihrem Gesicht, darüber, dass ich das bemerkt habe. Eigentlich ist das Ganze, aber nur eine einfach Schlussfolgerung. Wenn ein Kind bevorzugt wird, ist es logisch, dass die anderen sich vernachlässigt fühlen, eifersüchtig sind und das unfair finden.
Mittlerweile läuft ihm der Schweiss nur so übers Gesicht und er knetet nervös seine Hände. Die Stille im Zimmer ist erdrückend und alle haben diesen Ausdruck auf dem Gesicht.
Eine Mischung aus Furcht und Neugierde.
So schauen immer alle, wenn sie darauf warten was ich als nächstes tue.
Wenn ich kurz vor einem Anfall stehe.
Ich lasse sie warten, weil es mir gefällt wie sie zwischen diesen zwei Gefühlen schwanken.
Ich weiss, dass das gemein und merkwürdig ist, aber so bin ich halt.
Ein schrilles Klingeln läutet durch den Raum und die anderen schrecken überrascht auf.
Ich grinse in mich hinein und stehe auf.
Schnell werfe ich meine Sachen in meinen Rucksack und verlasse das Zimmer. Mr. Garcias macht den Mund auf und möchte mir etwas sagen, aber ich renne aus dem Zimmer und warte bei den Spinden auf meine Freunden.
»Das hast du mit Absicht gemacht«, wirft Olive mir vor.
»Was denn?« Meine Augen blicken so unschuldig, wie die eines kleinen Hundes drein.
»Du hast mit Absicht nichts gesagt. Weil du wusstest, dass es gleich klingelt.« Ich höre den empörten Ton in Olive’s Stimme, aber ich höre auch wie amüsiert sie klingt.
»Ich doch nicht«, meine ich zwinkernd.
»Du wolltest sehen, wie wir erschrecken«, sagt jetzt auch Noah, der zu uns gestossen ist.
»So etwas würde ich nie tun.« Die Ironie ist aus meiner Stimme herauszuhören.
Eine Hand greift nach meiner und ich hebe den Kopf.
Jamiro schaut auf mich herunter und lächelt mich an.
»Doch meine Süsse würdest du«, meint er schmunzelnd zu mir.
»Hey! Jetzt schlägst du dich auch noch auf ihre Seite«, rufe ich grinsend aus. Ich will ausholen und ihm auf die Brust schlagen, aber er fängt meine Hand ab und führt sie zu seinem Mund und haucht einen Kuss drauf.
Ich spüre die Berührung am ganzen Körper, das Gefühl rauscht durch meinen Körper hindurch.
»Ich liebe dich«, flüstert er mir ins Ohr und drückt meine Hand fester.
»Ich dich auch.«
Manchmal wünsche ich mir, dass ich nicht ihn lieben würde.
Um seinetwillen.
Denn Jamiro hat schon mehr als genug verloren und ich möchte ihm nicht noch mehr nehmen.