Pepi lag aufgestützt auf einer Liege, und streckte sich genüsslich eine Traube in den Mund.
Er blinzelte ins Sonnenlicht und schloss dann die Augen.
Sein Ruhebett stand auf der Terrasse, die direkt an seine Gemächer anschloss.
Der Altan hatte kein Geländer und der Boden bestand aus schlichten Granitplatten.
Er bot einem einen wunderbaren Ausblick über die königlichen Gärten, Memphis und bis hin zum Nil, der als schmaler Streifen wie Gold in der Sonne glitzerte.
Der junge Pharao drehte sich auf den Rücken und beschattete mit einer Hand seine Augen. Die eine Hälfte des Balkons war mit einem schneeweissen Baldachin abgedeckt worden, aber der restliche Teil erlaubte einem einen Blick hinauf in den Himmel.
Das Blau begann bereits rosa zu werden und die Sonne stand nur noch knapp über dem Horizont. Vereinzelt trieben Wolken umher.
Er hörte das Lachen der Mädchen, die sich im Schwimmbecken unter ihm vergnügten und verzog das Gesicht.
Ständig war eine ganze Traube von Leuten um ihn herum, die irgendetwas von ihm wollten, oder darauf warteten, dass er etwas von ihnen wollte.
Auch jetzt stand über ein halbes Dutzend Diener, in schlichtes Weiss gekleidet, oder sogar oben ohne, in seiner Nähe und beobachtete ihn. Das wusste er, auch ohne sie zu sehen.
Manche wedelten ihm frische Luft zu, andere standen stets mit Speis und Trank bereit.
Pepi erhob sich und trat bis ganz an den Rand der Aussichtsplatte.
Die goldene Kette um seinen Hals glänzte im letzten Licht der Abendsonne und seine schlichte, weisse Tunika betonte seine muskulösen, braungebrannten Arme.
Er liess seinen Blick ein letztes Mal über Memphis gleiten. Über die vielen grossen und kleinen Häuser, die Tempel. Der betörende Duft der vielen bunten Blumen des Gartens, der terrassenartig angelegt war, mit Wasserläufen, über die sich steinerne Brücken spannten, machte ihn immer noch schläfrig.
Er wünschte sich einfach nur, alleine in seinem Bett zu liegen und zu schlafen.
Schliesslich kniff er die Augen fest zusammen, bevor er sich umdrehte und auf den Weg in Richtung Ratssaal machte.
Gahiji erwartet den Pharao schon, als dieser durch die grosse Flügeltür in den Ratssaal trat.
„Neferka Re, mein Junge. Da bist du ja endlich.“ Der alte Mann ging lächelnd auf ihn zu.
„Gahiji.“ Pepi neigte respektvoll den Kopf. Als der Alte bei ihm angelangt war, legte
er ihm eine Hand auf die Schulter.
Der Tjati war, seit Pepi denken konnte, sein engster Berater und Stellvertreter gewesen. Er hatte auf ihn aufgepasst und gut für ihn gesorgt.
Ausserdem hatte er sich bis vor wenigen Jahren, als Pepi endlich genug alt geworden war, selbst zu regieren, um die Führung des Landes gekümmert.
„Wir müssen mit einem weiteren Angriff der Palästinenser im Osten rechnen. Ich bin dafür, dass wir weitere Truppen dorthin verlegen“, begann Gahiji auf ihn einzureden, während die beiden durch den Palast gingen.
So lief es bei ihnen meistens ab. Gahiji redete, während Pepi zuhörte, ab und an zustimmend nickte und ansonsten nichts tat. Er brachte selten selbst ein Thema zur Sprache. Er wusste, dass er mehr Interesse für die Vorgänge in seinem Reich aufbringen sollte und dass es besser wäre, zuzuhören, weil er derjenige war, der am Schluss die Entscheidungen treffen musste, aber sobald Gahiji begann, über Politik zu reden, schaltete er grösstenteils auf Durchzug.
Als sie bei ihrem Rundgang in der Küche angekommen waren, sagte der Pharao: „Na gut. Verstärkt die Truppen im Osten und teilt dem Vorsteher der Weber mit, dass wir keine neuen Vorhänge brauchen. Sonst noch etwas?“
Der Tjati lächelte väterlich.
„Noch eine letzte Sache. Ihr habt doch bestimmt nicht vergessen, dass morgen Abend das grosse Bankett stattfindet, oder? Ich… nun ja, es wäre schön, wenn ihr Euch etwas um Neith bemühen würdet. Weil Ihr wisst ja, in einigen Monden wird eure Hochzeit stattfinden und auch wenn… auch wenn es zwischen euch etwas schwierig steht, wünschte ich mir, dass ihr Euch zusammen zeigen würdet. Dem Volk zuliebe.“
Ein knappes Nicken war die Antwort.
„Wenn ihr mich jetzt entschuldigen würdet. Ich bin müde und würde mich gerne hinlegen.“ Ohne die Antwort von Gahiji abzuwarten, drehte Pepi sich um und ging davon.
Wütend stürmte Pepi durch die Gänge seines Palastes und versuchte, seinem Ärger Luft zu machen.
Die seltsamen Blicke der Diener und Beamten ignorierte er einfach.
In seinen Gemächern angekommen, riss er sich blindwütig den Lederschurz und das weite Obergewand vom Leib. Der Schmuck und die Perücke folgten.
Dann betrat er seine Bäder und gab einem seiner Diener ein Zeichen.
„Lass mir ein Bad ein. Und dann lasst mich bitte alleine.“ Der Diener verbeugte sich und zog sich dann zurück.
Als Pepi schliesslich alleine war, waberten im ganzen Raum herrlich riechende Dampfwolken umher.
Er trat an einen Spiegel, eine grosse, geschliffenen Bronzeplatte, heran und betrachtete sich.
Die Perücken, die er tagsüber trug, reichten ihm beinahe bis zu den Schultern, aber jetzt war sein Haar raspelkurz. Nicht viel mehr als ein Flaum bedeckte seine Kopfhaut. Sein Körper war muskulös, und braun von der Sonne.
Kopfschüttelnd trat er vom Spiegel zurück und liess sich in das heisse Wasser gleiten.
Er genoss die Stille, wenn er ganz alleine war. So hatte er Zeit, seinen Gedanken nachzuhängen und sich zu entspannen.
Er blieb stundenlang sitzen. Bis das Wasser eiskalt war und seine verschrumpelten Finger zitterten.
Dann verliess er das Becken, wickelte sich in ein grosses Handtuch ein und ging in sein Schlafzimmer.
Die Diener hatten sich an seine Worte gehalten. Er sah keinen einzigen von ihnen, als er unter die Decke schlüpfte, wo ihm sofort die Augen zufielen.
„Neferka Re.“ Er wurde von einer Frauenstimme geweckt und öffnete schläfrig die Augen.
„Bei Seth. Was ist los?“ Er setzte sich im Bett auf und rieb sich übers Gesicht.
Mitten in seinem Zimmer stand Neith, in ein weites, beiges Gewand gekleidet, die Hände vorwurfsvoll in die Seiten gestützt.
„Das gibt es doch nicht. Du liegst immer noch im Bett? Es ist beinahe Mittag. Und wie du dich vielleicht erinnerst, waren wir zum Frühstück verabredet.“ Neith schaute ihn böse an.
„Und wo sind all deine Diener hingekommen? Sollte sie sich nicht darum kümmern, dass du rechtzeitig zu den Essen mit deiner Angetrauten erscheinst?“
„Ja, ja, schon gut. Es tut mir ja leid. Ich hatte sie gestern Abend weggeschickt und ihnen befohlen, nicht widerzukommen, bis ich sie rufe.“
Neith schüttelte fassungslos den Kopf.
„Du benimmst dich wie ein kleines Kind. Zieh dir etwas über und iss etwas. Ich werde dafür sorgen, dass du etwas Anständiges zum Anziehen bekommst für heute Abend.“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und rauschte aus seinem Gemach.
Widerwillig erhob Pepi sich und lief als erstes auf die Terrasse hinaus, so wie er es jedem Morgen tat.
Er schaute hinauf zum Himmel. Neith hatte recht gehabt. Die Sonne stand tatsächlich schon beinahe im Zenit.
Er nahm sich die erstbesten Kleider, die auf einem Hocker neben seinem Bett lagen und griff sich eine Handvoll Früchte, die ein Diener in Windeseile hineingetragen hatte, kaum, dass Neith gegangen war.
Der Tag zog wie in Nebel gehüllt an ihm vorbei.
Diener, die ihm Luft zufächelten, ein Schneider, der ihm verschiedene Gewänder vorführte und Neith, die auf ihn einredete.
Er liess sie sein Gewand aussuchen. Mit der fadenscheinigen Ausrede, dass sie sicher besser wüsste, was zu ihrem Kleid passte, als er.
Natürlich durchschaute sie ihn, sagte aber nichts und vertiefte sich in ein Gespräch mit dem Schneider.
Als sie nicht auf ihn achtete, stand er auf und verliess des Raum. Er wanderte ziellos durch die Gänge des Palastes, liess sich einfach treiben.
An jeder Ecke lauerten Erinnerungen auf ihn. Manche gut, andere schlecht.
Sein Vater kam nur selten vor. Und wenn, dann war sein Gesicht verschwommen.
Am grossen Eingangstor sah er sich als kleinen Jungen neben seinem Vater stehen, der ihm stolz eine Hand auf die Schulter legte und im Ratssaal sah er sich selbst während einer wichtigen Besprechung auf den Knien des Pharaos sitzen.
Als Pepi seinen Blick wieder klar werden liess, erkannte er, dass er in einem der ungenutzten Innenhöfen des Palastes gelandet war.
Der Boden bestand aus grob behauenem Sandstein und den Himmel konnte man nur als blaues Viereck weit, weit oben sehen.
Durch eines der offenstehenden Tore sah er den Garten, aber dort wollte er jetzt nicht hingehen. So schön der Garten auch war, dort drin warteten schlechte Erinnerungen auf ihn.
Also machte er sich auf den Weg zurück.
Der Pharao wurde von Neith schon ungeduldig erwartet.
„Endlich Neferka Re. Ich habe dir die Kleider bereitlegen lassen. Zwei deiner Diener werden dir beim Ankleiden behilflich sein.”
„Danke. Aber ich kann mich alleine anziehen.” Pepi runzelte verärgert die Stirn.
Jede andere Frau hätte sich jetzt auf der Stelle entschuldigt und das Weite gesucht, nicht aber Neith.
Sie stellte sich vor ihn. „Jetzt hör mir mal zu, Pepi. Ich weiss, du bist der Pharao, du bist den Göttern gleichgestellt, aber jeder Anführer ist nur so stark, wie das Volk, das hinter ihm steht. Also verhalte dich heute Abend wie der Pharao, der du bist und beweise deinen, unseren Leuten, was für einen grossartigen König sie haben!”
Sie wandte sich schnell ab und tat so, als ob sie die ein paar der aufgehängten Kleider zurechtzupfen würde, aber er hatte es trotzdem gesehen. Das kleine Lächeln, das ihre Mundwinkel zucken liess.
„Na gut. Ich werde mich bemühen. Aber jetzt lasst mich allein.“
Sie besah ihn mit einem langen Blick, bevor sie ging.
Pepi liess sich erschöpft auf einen Hocker sinken und stützte den Kopf in die Hände. Er war müde vom Nichtstun. Er war es leid, sich den ganzen nur bedienen zu lassen und untätig herumzusitzen.
Er wünschte sich nichts mehr, als hinaus zu kommen. Hinaus aus diesem Palast, hinaus aus dieser Stadt. Irgendwo hin, wo er einfach nur er selbst und nicht “der arme kleine Junge, der mit sechs Jahren seinen Vater verlor und Pharao wurde“, war.
Er war nicht der König, für den ihn alle hielten. Das war er einfach nicht. Es kam ihm so vor, als ob er der ganzen Welt ständig etwas vorspielen würde.
Und das machte ihn müde.