Re machte sich mit seiner Sonnenbarke bereits auf den Weg, das Wasser der Unterwelt zu durchqueren, als Pepi, Seite an Seite mit seiner zukünftigen Gattin Neith, den grossen Saal des Palastes betrat.
Neith trug eine kinnlange schwarze Perücke, in die Bänder mit roten und blauen Perlen eingeflochten worden waren. Dazu einen Hauch von einem Kleid, schneeweiss und so zart, als hätten die Götter selbst den Stoff gewoben.
Sie sah aus wie eine Königin. Strahlte Selbstsicherheit, Güte und Macht aus.
Pepi, der neben ihr her ging, presste die Kiefer fest aufeinander und setzte seine undurchdringlichste Miene auf, währendem Neith neben ihm strahlte und immer wieder grüssend die Hand hob, wenn sie jemanden in der Menge erkannte.
Pepi hasste sie für die Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit, mit der sie das hier alles tat. Sie war als Königin geboren worden.
Aber eines musste er ihr lassen. Geschmack hatte sie. Sein knielanger Kilt war aus hellbeigem Stoff, und links und rechts verlief, von seiner Hüfte abwärts, bis ganz nach unten, ein roter, eingenähter Streifen, der mit Hieroglyphen bestickt war.
Sein Obergewand war so weiss wie Neiths und schloss oben mit einem Halskragen aus Edelsteinen und Gold ab. Eine Perücke war heute nicht nötig gewesen, weil sein Haupt von der Atef-Krone bedeckt wurde und der unechte Bart war kurz und glitzerte wertvoll im Licht.
An den Füssen trug er, genau wie sie, lederne Sandalen, mit Gold besetzt.
Die Menge teilte sich vor ihnen und bildete eine Gasse, während das Paar durch den Saal nach vorne zu Gahiji und den anderen Beratern des Pharaos schritt.
Der offene Säulengang auf der rechten Seite des Saales mündete direkt in den königlichen Garten und links waren lauter Szenen von erfolgreichen Schlachten und grossen Königen in die Wand gemeisselt worden.
Ganz oben in dem prächtigen Raum standen zwei Stühle mit hohen Lehnen, die mit Gold und Elfenbein verziert waren.
Der höhere war für den Pharao, Neferka Re, Herrscher von Ober- und Unterägypten und der Stuhl zu seiner Rechten für die zukünftige Königin, Prinzessin von Ober- und Unterägypten, König Neferka Res Halbschwester Neith.
Neith kniff ihn in den Unterarm und Pepi versuchte zumindest ein Lächeln zustande zu bekommen, auch wenn es eher dem eines Löwen, der gleich seine Beute verspeisen wollte, ähnelte, als dem eines gütigen Königs.
Bei seinem Thron angekommen drehte er sich zu der Menge im Saal um und sagte mit klarer und deutlicher Stimme: „Liebes Volk. Es freut mich, dass ihr heute alle hier seid, um mit mir und meiner bezaubernden Gefährtin den Beginn der fünf Schicksalstage zu feiern.“
Die Menge schaute zu ihm hoch, wie er auf dem Podest vor seinem Thron stand und lauschte seinen Worten. Den Worten eines Gottes.
Der Pharao hob die Hände. „Lasst die Feiertage mit einem Festessen zu ehren der Götter beginnen.“ Er klatschte zweimal in die Hände und sofort strömten Diener herein, die schlichte Tische mit kostbaren Tüchern bedeckten und sie dann mit Essen beluden.
Es gab Früchte und Gebäcke aller Art, jede Menge gebratenes Fleisch und süsse Getränke.
Pepi setzte sich auf seinen Stuhl und beobachtete das Getümmel im Saal. Die Menschen stürzten sich auf das Essen wie ausgehungerte Krokodile. Als ob sie sonst nichts zu essen bekämen.
Neith lächelte ihm zuversichtlich zu und neigte leicht den Kopf. Sie respektierte ihn als König und als Mann.
Den ganzen Abend über kamen immer wieder Gäste zu ihnen nach oben, entweder, um dem Pharao ein Opfer zu bringen, oder um mit ihm zu sprechen.
Diverse Berater schmierten ihm Honig um den Bart, und lobten seine ausserordentlich geschickten Entscheidungen in der Kriegsführung oder den Umgang mit den aufkeimenden Aufständen, die sich wegen den ständig schlecht ausfallenden Ernte bildeten.
Pepi konnte über solche Leute bloss den Kopf schütteln.
Als sich der grösste Ansturm auf das Königspaar gelegt hatte, trugen ein paar der Diener riesige, überladene Platten voller Essen zu ihnen.
Es begann langsam einzudunkeln, und als wolle die Festgemeinschaft der Sonne hinterherziehen, verlagerte sich die Feier mehr und mehr von der grossen Halle hinaus in den Garten.
Es wurden lauter Fackeln und Schalen, mit brennbarem Material, angezündet und überall im Garten verteilt, sodass er nachher aussah, wie der Sternenhimmel.
Pepi hatte eigentlich keine Lust, aber gerade als junger König, der mehr oder weniger frisch an die Macht gekommen war, war es ratsam, die wichtigen Leute des Landes zum Freund und nicht zum Feind zu haben.
Also blieb er, auch wenn etwas widerwillig, und liess sich von Neith von einer Gruppe mit bedeutsamen Gästen zur nächsten ziehen.
Die Gespräche sahen immer gleich aus. Er wurde gelobt. Er lobte zurück. Er wurde noch mehr gelobt. Er bedankte sich. Und auf zur nächsten Gruppe.
Als schliesslich endlich auch die letzten Gäste unterhalten worden waren und Pepi sich genug lagen hatte blicken lassen, um keinen schlechten Ruf zu bekommen, bat er Neith: „Können wir bitte irgendwo hingehen, wo e nicht so viele Menschen hat? Einfach irgendwohin, wo wir ungestört sind.“
Neith besah ihn mit einem seltsamen Blick. „Nun gut. Wenn du willst Neferka Re, lass uns zu dem Balkon im Westtrakt gehen. Dort ist nie jemand.“
Pepi nicke, froh darüber, den Menschen endlich entkommen zu können.
Sie zog ihn an der Hand durch die Gänge des Palastes, die irgendwie noch verlassener wirkten als sonst, und hielt zielstrebig auf den Westflügel zu.
Dort rannten sie schnell einige Treppenstufen nach oben und traten hinaus in die lauschig warme Nacht.
Auf dem Balkon war es still. Nur ein leichter Wind fuhr durch Neiths Haare und zog an ihrem Kleid.
Sie lehnte sich mit dem Rücken an Balkonbrüstung und schaute zu Pepi hinüber. Dieser trat neben sie und schaute hinauf in den sternenklaren Himmle.
„Pepi?“ Sie griff nach seiner Hand. Dieser schaute überrascht auf. Er hörte seinen richtigen Namen nur selten aus ihrem Mund. Und wenn, dann benutzte sie ihn nur im Streit.
„Was ist Neith?“ Anstatt ihm zu antworten verknotete sie ihre Finger mit seinen und schmiegte seine Hand an ihren Hals. Durch diese Bewegung musste er unweigerlich einen Schritt auf sie zu treten.
Er war ihr jetzt so nahe, dass er ihren Atem an seinem Hals spürte. Es war ihm vorher gar nie aufgefallen, aber jetzt bemerkte er, dass sie tatsächlich gewisse Ähnlichkeiten hatten. Dieselben schräg stehenden Augen und das spitze Kinn. Jetzt sah er auch, wie viel älter und reifer sie aussah. Er war erst gerade auf dem Kindesalter heraus, währendem Neith schon eine richtige Frau war.
Sie hatte harte Zeiten hinter sich. Nachdem ihr früherer Gemahl und Halbbruder der beiden, nach nur wenigen Jahren der Herrschaft im Krieg gefallen war, hatte man sie wieder zur Prinzessin gemacht. Von da an wartete sie auf die Hochzeit mit Pepi, die sie wieder zur Königin machen würde.
Energisch zog sie ihn näher an sich heran und lehnte ihren Kopf gegen seine Brust. Er fühlte wie ihre Haare an seiner Wange kitzelten.
Sanft nahm er ihren Kopf zwischen seine Hände und schaute ihr tief in die Augen. Er lächelte leicht als sie die Augen schloss und er sich zu ihr hinabbeugte.
Dann küsste er sie auf die Stirn wandte sich um.
Ehe Neith reagieren konnte war er schon durch die Türe und die Treppe hinunter verschwunden.
Zurück blieb eine einsame Frau, und der Wind seufzte, als ob er sein Beileid beklagen würde.
Pepi hastete blind vor Wut und Scham durch die verlassenen Gänge seines Palastes.
Es war ja nicht so, als ob er bloss zu feige wäre Neith zu küssen, nein, aber er fühlte einfach nichts. Wahrscheinlich war es egal, ob er etwas fühlte oder nicht, aber irgendein Teil in ihm, einer, der sich anfühlte, als ob er gerade erst erwachte, gab ihm das Gefühl, dass es nicht richtig war, was er hier tat.
Er hatte unbewusst zu laufen begonnen, was ihm allerdings schlagartig klar wurde, als er mit einer Bediensteten, die gerade einen Krug voller Saft trug, zusammenstiess.
Die arme Frau gab einen schrillen Schrei von sich und liess den Krug fallen, währendem sie rücklings gegen die Wand prallt.
„Oh. Der Pharao, welch eine Ehre. Bitte entschuldigen Sie mein Missgeschick…”, begann sie sogleich sich zu entschuldigen.
„Vergesst es einfach. Ihr habt mich nicht gesehen und putzt diese Schweinerei auf!“
Ohne die Dienerin noch eines einzigen Blickes zu würdigen, ging er weiter.
Als er sein Gemach erreichte musst er sich zusammenreissen, nicht laut loszuschreien.
Er verstand nicht einmal, weshalb er eigentlich so wütend war.
Er schlug blindlings mit der Faust gegen die Wand neben seinem Bett und vor Schmerz schossen ihm die Tränen in die Augen. Scharf sog Pepi die Luft durch die Zähne und setzte sich aufs Bett. Er stiess einen Wutschrei aus und griff nach einer Vase, die links neben ihm auf einem Sockel stand, riss sie nach oben und schleuderte sie quer durch den Raum.
Sie kam mit einem Krachen auf und zersplitterte in Hunderte winziger Teile.
Pepi liess sich rücklings fallen und schlug die Hände vors Gesicht. So blieb er einfach liegen.
Ein plötzliches Geräusch liess Pepi aus seinem Halbschlaf aufschrecken. Alarmiert setze er sich auf. Erst konnte er das Geräusch nicht einordnen, aber dann sah er einen Mann, in einem weissen Lendenschurz, der vorsichtig die Scherben der Vase aufsammelte.
Der König stand auf und ging langsam auf ihn zu. Jener war so sehr in seine Arbeit vertieft, dass er den Pharao erst bemerkte, als dessen Schatten auf ihn fiel.
Erschrocken erhob sicher der Diener und trat einen Schritt zurück. Er war einen halben Kopf kleiner als Pepi uns schmächtig gebaut.
„Oh… ehrenwerter… äh… ich… ich wollte euch nicht…“ die Lippe des jungen Mannes zitterte und er trat hektisch einen Schritt zurück.
Pepi fühlte ein Ziehen im Magen und ehe er wusste, wie ihm geschah, presste er den Diener an die Wand und drückte seine Lippen fordernd auf seine.
Er spürte, dass sich der Mann unter ihn versteifte, aber das war ihn egal. Er legte seine Hände auf dessen Wangen und küsste ihn erneut.
Wie konnte sich etwas nur so verdammt richtig und so verdammt falsch zugleich anfühlen?
Ob aus Schreck, oder aus Lust, der Mann erwiderte den Kuss und gewährte Pepis Zuge Einlass.
In dem Moment, in dem sich die beiden Zungen berührte, durchzuckte es den Pharao wie einen Blitz.
Milo
Pepi wusste nicht, woher dieser Name so plötzlich gekommen war, aber jetzt war er da und füllte sein ganzes Bewusstsein.
Benommen liess er von dem Diener ab und stolperte ein paar Schritte nach hinten.
Milo. Der Name kam ihm so fremd und doch so vertraut vor.
Pepi begann unkontrolliert zu zittern. Mit einer Handbewegung verscheuchte er den Diener, der so fluchtartig den Raum verliess, dass er sogar die Scherben mitzunehmen vergass.
Pepi wusste nicht mehr weiter. Er begann zu weinen. Es war ihm egal, ob es jemand mitbekam oder nicht. Er weinte, weil er einfach nur überfordert war und er weinte, weil er nicht mehr denken wollte. Und trotzdem rasten seine Gedanken weiter. Drehten sich um den Namen in seinem Kopf. Machten Schleifen um den Kuss und darum, wie gut es sich angefühlt hatte.
Wilde Träume hatten den König die ganze Nacht über nicht richtig schlafen lassen. Er hatte von seinem Vater geträumt, von dem Namen ohne Gesicht und davon, wie er immer und immer wieder im Wasser lag. Im Wasser lag, mit dem Kopf nach unten. Einfach nur dalag. Ohne Panik, ganz ruhig. Und er hatte das Gefühl gehabt, dass dies alles besser machen würde.
Neith liess sich den ganzen Tag über nicht blicken und Pepi hatte auch kein Interesse daran, sie zu sehen. Nicht nach alledem, was gestern Abend vorgefallen war.
Die Sonne stand bereits blutrot am Horizont, als er sich entschieden hatte. Mühsam stand er auf und ging in den Nebenraum, um sich zu waschen.
Als er in den Spiegel schaute, stöhnte er auf. Er hatte tiefe Ringe unter den Augen und diese waren gerötet. Man sah, dass er geweint hatte. Egal. Pepi spritzte sich etwas Wasser ins Gesicht und schlüpfte in eine schlichte Tunika. Dann ging der durch die Flure des Palastes, bis er auf die Gemächer der Prinzessin stiess. Wie er es erwartet hatte, sass sie auf der Terrasse und starrte nach draussen.
Vorsichtig trat er näher. „Neith?“ Sie reagierte nicht.
„Neith.“ Er klang energischer und er trat einen Schritt näher.
„Was willst du?“ Ihre Stimme klang brüchig. Also hatte auch sie geweint. Er antwortete ihr nicht. Er wusste einfach nicht, was er sagen sollte.
Sie drehte sich um. „Was willst du hier? Sag was du willst und dann verschwinden. Ich will dich nicht sehen!“ Man könnte sich an ihrer Stimme schneiden, so scharf war sie. Aber Pepi kannte sie schon sein ganzes Leben und wusste, wie verletzt sie war.
Ein Kloss bildete sich in seiner Kehle und machte ihm das Sprechen schwer.
Sie sah ihn erwartungsvoll an.
Schliesslich schüttelte er den Kopf. „Auf Wiedersehen.“ Eigentlich wollte er noch so viel mehr sagen, aber er konnte nicht.
So stand er noch einen Moment da, dann drehe er sich um und ging. Er schaue nicht zurück.
In seinen Gemächern angelangt befahl er seinen Dienern abermals, ihn allein zu lassen und betrat das Badezimmer.
Wie er es ihnen vorher aufgetragen hatte, war das grosse Becken bis zum Rand mit Wasser gefüllt.
Er zögerte. Wieso tat er das hier eigentlich? Nicht darüber nachdenken.
Dann atmete er tief durch und ging ins Becken hinein.
Mehrere Stufen waren in den Rand gehauen, sodass er hinuntergehen konnte. Als er ganz unten stand, reichte ihm das Wasser bis zur Brust.
Ein letztes Mal die Augen schliessen, nochmal kurz öffnen, dann abtauchen.
Er breitete sich im Wasser aus, wie er es in seinem Traum gesehen hatte. Einen Moment lang überfiel ihn Panik und er wollte die Augen aufreissen, aber dann erinnerte er ich an den Frieden, der sich in dem Traum in ihm ausgebreitet hatte und er entspannte sich.
Er hörte nicht, wie die Türe aufgerissen wurde und wie Neith seinen Namen schrie.
Er war ganz allein mit sich selbst und sank langsam in die Dunkelheit, bis schliesslich alles schwarz wurde.