Alt war er geworden und morsch. Seine Balken ächzten, wenn der Wind auch nur schon sanft blies. Die Fugen im untersten Stockwerk bröckelten und hinterliessen Löcher. Mäuse hatten sich dort eingenistet. Unter den Ziegeln im Dach wohnten Vögel und unzählige Fledermäuse. Sogar eine Eule hatte im Giebel Unterschlupf gefunden. Zu Beginn hatte sie jeweils noch den Kontakt mit ihm gesucht, wollte ihn mit Gesprächen und sogenannten Eulenweisheiten aufmuntern. Da er sich aber standhaft weigerte, sich auf eine Unterhaltung einzulassen, hatte auch sie sich zurückgezogen und flog nachts aus, um ihresgleichen zu treffen. Über den alten Sonderling konnte sie nur den Kopf schütteln.
Wie lange er schon dastand, wusste der alte Wachturm nicht mehr. Er hatte auch vergessen, warum er eigentlich hier dastand. Er fristete einfach sein Dasein, ohne Vergangenheit, ohne Jetzt, vor allem aber ohne Zukunft. Wenn ihn jemand gefragt hätte, hätte er ohne Umschweife zugegeben, sein Leben sei sinn- und zwecklos.
Er hatte auch längst vergessen, wo auf der grossen Insel Belletristica er eigentlich stand. Seine Augen waren trüb geworden, weswegen er sich nur noch selten die Mühe machte, sie überhaupt zu öffnen. Auch das Gehör hatte nachgelassen. Er konnte kaum mehr unterscheiden zwischen Meeresrauschen und Tannenrauschen. Ehrlich gesagt war es ihm auch egal geworden, was da von Ferne seine Ohren zu kitzeln versuchte.
Es war einer dieser Morgen, die das Dasein noch schwerer erträglich machten: Feucht und schwer hatte sich Nebel über das Land gelegt, verdeckte die Sicht selbst auf die nahe gelegenen Hügel und liess den Wachturm erschaudern.
Ihm war kalt und er sehnte sich nach der Wärme des Sommers zurück. Ein tiefer Seufzer entfuhr ihm, bevor er sich wieder dem hingab, was er am besten konnte: Schlafen. Im Schlaf konnte er wunderbar vergessen und gleichzeitig die Zeit verkürzen.
Leise begann er zu schnarchen. Dies sehr zum Vergnügen der Mäuse, denn die Schnarchgeräusche liessen den Wachturm erzittern, wodurch sich im unteren Stockwerk neuer Mörtel aus den Fugen löste. Vergnügt flitzten sie in ihrer erweiterten Villa umher und bezogen sogleich die neuen Räumlichkeiten.
Doch auf einmal wurde der Wachturm geweckt. Etwas ungewohnt Lautes drang an seine Ohren, ein Geräusch, das er längst vergessen hatte. Es dauerte seine Zeit, bis er aus seinem Traum erwachte und diese Störung - denn als solche empfand er dieses Geräusch - einordnen konnte. Da war sie übrigens bereits wieder verstummt und schien wie vom Nebel verschluckt worden zu sein.
Aber an seinem einen Holzpfeiler spürte der Wachturm etwas, das ihn daran hinderte, wieder einzunicken. Sorgfältig äugte er nach unten. Vor Schreck zuckte er zusammen, was sogleich einen Dachziegel lösen und zu Boden fallen liess.
Da unten stand ein Mensch! Besser gesagt eine Menschenfrau.